Zum Inhalt springen
Home | Zur „göttlichen natürlichen Ordnung“

Zur „göttlichen natürlichen Ordnung“

Impuls MCC Köln, 31. Juli 2022
Ines-Paul Baumann

Genesis 1,1-27

Als MCC sind wir manchmal Teil von Themen, die mit geschlechtlichen und sexuellen Bezügen einhergehen. Von christlichen Kreisen wird dann oft Bezug genommen auf eine „göttliche natürliche Ordnung“ – also auf eine natürliche Ordnung der Dinge, in der abzulesen sei, was Gottes Wille sei in Bezug auf gesellschaftliche Ordnungen.

Als Beweis und Inhalt für diese Ordnung wird oft die erste Schöpfungsgeschichte herangezogen (Genesis 1,1-27): Gott schafft Himmel und Erde, Tag und Nacht, Land und Meer, Wassertiere und Lufttiere, männliche und weibliche Menschen, etc…

I.

Ein paar Gedanken zur Einordnung der göttlichen natürlichen Ordnung auf Basis der Schöpfungsgeschichte:

Erstens. In der Schöpfungsgeschichte ist die „natürliche Ordnung“ genau nicht aus der Natur selbst hervorgegangen. Die natürliche Ordnung wird hier beschrieben als Ergebnis eines ordnenden Eingreifen Gottes – nicht das Ergebnis natürlicher Prozesse. Es wirkt eher so, als sei genau das das zentrale Anliegen des Textes: darzulegen, dass nichts an diesem Schöpfungsauftakt „natürlich“ war. In dem, was „von Natur aus“ da war, steckte nichts, was aus sich heraus zu dieser „natürlichen“ Ordnung geführt hätte. (s.a. „Un/familiar theology“ *) S. 11).

Zweitens. Eine Menge der in der Bibel folgenden Gebote Gottes beruht darauf, dass es diese hergestellten Ordnungen gibt, z.B. die Reinheitsgebote in Bezug auf Speisen, Körper, Kleidung etc. Ohne die Einteilung von Menschen in Geschlechterkategorien und von Tieren in Artenkategorieren könnten viele dieser Gebote gar nicht funktionieren. Der Schöpfungsbericht rechtfertigt die in den Geboten eingesetzten Logiken als göttlich eingesetzte Logik.

Drittens. Vom Neuen Testament her existieren nicht mehr alle dieser Logiken und Kategorisierungen. Wenn es „in Christus“ die Einteilung in Frauen und Männer nicht mehr gibt (Gal 3,28) – wie können aus christlicher Sicht dann Gebote (und Gepflogenheiten) weiter gelten, die auf dieser Einteilung beruhen?

Viertens: Kaum nach der Einsetzung dieser Ordnungen durch das einteilende Eingreifen Gottes im Schöpfungsbericht tritt Gott oft genau dort in Erscheinung, wo diese vermeintlich natürlichen Ordnungen überschritten werden. Gott teilt das Rote Meer. Der Dornbusch brennt, aber verbrennt nicht. Elia und die Frau und ihr Kind leben wochenlang von einer winzigen Mahlzeit. Gott hält den Lauf der Sonne an. Jesus wandelt Wasser zu Wein. Von 5 Broten werden 5.000 Leute satt. Der verstorbene Jesus lebt.
Was sagt das aus, wenn Gott genau da in Erscheinung tritt, wo vermeintlich „natürliche göttliche Ordnungen“ gestört und überschritten werden?

II.

Ein paar Gedanken zum Inhalt der göttlichen natürlichen Ordnung auf Basis der Schöpfungsgeschichte:

Tatsächlich können manche dieser Ordnungen über Leben oder Tod entscheiden, die Trennung von Wasser und Land zum Beispiel – wenn ein Dorf von Wassern überflutet wird, die das Land einnehmen, dann wird es gefährlich.

Würde allerdings vorher die Trennung von Land und Wasser etwas durchlässiger gewesen sein (und sowohl Regenwasser als auch Hochwasser vom Boden aufgenommen werden können, anstatt dass versiegelte Flächen hier zu menschengemachten Trennungen von Boden und Wasser führen), dann würden manche Hochwasser auch nicht so katastrophale Entwicklungen nehmen.

Überhaupt, von wegen es gibt nur Wasser ODER Land. Unter den Wassern des Meeres ist – Land. Flusswasser entspringt aus – Quellen mitten im Land. Strände, Moore, Ufer sind Zonen von Übergängen, Wechseln und Gleichzeitigkeiten. Und sowohl Land als auch Wasser sind in sich vielfältig: Land kann ganz unterschiedlich aussehen, Wasser kann ganz unterschiedlich aussehen. Es gibt nicht nur DAS Land (auf der einen Seite) und DAS Wasser (auf der anderen Seite).

Mir fällt es an fast allen Punkten schwer, die in der Schöpfungsgeschichte erwähnten Ordnungen als eindeutige, binäre Logiken zu verstehen.

Von wegen es gibt nur Himmel ODER Erde. Wo fängt der Himmel an, wo soll er enden? Das Blau des Himmels markiert keine klare Grenze. Und schon auf dem Weg dahin wird die Luft immer dünner; ab wo hört die Erde als Lebensraum auf und fängt der Himmel an? Und wissen wir nicht längst, dass unser „Himmel“ nur einer von vielen im Universum ist? Und was war bzw. ist „DIE Erde“ im Lauf der Geschichte alles gewesen: Sie sah unterschiedlich aus, hatte unterschiedliche klimatische Bedingungen, diente unterschiedlichen Lebewesen als Lebensraum. (Eins allerdings stimmt: Wenn wir diese eine Erde ausgebeutet und ihr Klima für uns selbst ruiniert haben, steht uns keine andere zur Verfügung.)

Von wegen es gibt nur Tiere im Wasser ODER in der Luft. Alle Tiere sind von der Evolution her aus dem Wasser hervorgegangen. Manche Tiere brauchen BEIDES als Lebensraum. Und egal ob Luft, Wasser oder Land: In sich ist diese Tierwelt jeweils vielfältig und unterschiedlich.

Von wegen es gibt nur Tag oder Nacht. Auf der Erde gibt es NIE nur Tag oder Nacht. Wenn auf der einen Seite der Erde Tag ist, ist auf der anderen Nacht. Und es gibt all die Übergänge dazwischen: Sonnenuntergang, Dämmerung, Morgenröte. Tag und Nacht existieren nicht getrennt voneinander, sie sind immer gleichzeitig vorhanden. Die Einseitigkeit der Wahrnehmung beruht auf der einseitigen Wahrnehmung aufgrund eines einzelnen Standpunktes: Ja, in Köln gibt es Momente, an denen ich nur Tag oder nur Nacht sehe. Aber selbst wenn ich immer in Köln stehe, verändern sich Tag und Nacht. Sie sind unterschiedlich lang, unterschiedlich hell, unterschiedlich warm. Auch WIE Tag und Nacht sind, ist also unterschiedlich – sowohl an meinem eigenen Standort, und über mehrere Standorte hinweg eh.

Und von wegen Tag und Nacht als ordnende Pole: In der Schöpfungsgeschichte selbst sind es gar nicht Tag und Nacht, an denen sie sich orientiert – sondern Abend und Morgen. Nicht die binären Gegensätze eindeutiger Zustände, sondern die Übergänge und Zwischenzustände dominieren als Maßstab für Denken und Sprache.

Ich überspringe jetzt mal die weiteren Ordnungskategorien; der Grundgedanke ist bestimmt deutlich geworden. Gehen wir also direkt zum nächsten Schritt:

III.

Ein Versuch, das alles in der Schöpfungsgeschichte mal mitzudenken und zu benennen, dass die erwähnten Pole in sich vielfältig sind und eine Vielfalt an Übergängen und Zwischenformen einfassen:

1 Im Anfang erschuf Gott Himmel und Erde, und zwar selbige in unterschiedlicher Gestalt und mit viel Raum für Übergänge und Zwischenformen.

2 Die Erde war wüst und wirr und Finsternis lag über der Urflut und Gottes Geist schwebte über dem Wasser. 3 Gott sprach: Es werde Licht. Und es wurde Licht. 4 Gott sah, dass das Licht gut war. Und Gott schied das Licht von der Finsternis, und zwar selbige in unterschiedlicher Gestalt und mit viel Raum für Übergänge und Zwischenformen. 5 Und Gott nannte das Licht Tag und die Finsternis nannte er Nacht. Es wurde Abend und es wurde Morgen: erster Tag.

6 Dann sprach Gott: Es werde ein Gewölbe mitten im Wasser und scheide Wasser von Wasser. 7 Gott machte das Gewölbe und schied das Wasser unterhalb des Gewölbes vom Wasser oberhalb des Gewölbes, und zwar selbige in unterschiedlicher Gestalt und mit viel Raum für Übergänge und Zwischenformen. Und so geschah es. 8 Und Gott nannte das Gewölbe Himmel. Es wurde Abend und es wurde Morgen: zweiter Tag.

9 Dann sprach Gott: Es sammle sich das Wasser unterhalb des Himmels an einem Ort und das Trockene werde sichtbar. Und so geschah es. 10 Und Gott nannte das Trockene Land und die Ansammlung des Wassers nannte er Meer, und zwar selbige in unterschiedlicher Gestalt und mit viel Raum für Übergänge und Zwischenformen. Gott sah, dass es gut war. 11 Dann sprach Gott: Die Erde lasse junges Grün sprießen, Gewächs, das Samen bildet, Fruchtbäume, die nach ihrer Art Früchte tragen mit Samen darin auf der Erde. Und so geschah es. 12 Die Erde brachte junges Grün hervor, Gewächs, das Samen nach seiner Art bildet, und Bäume, die Früchte tragen mit Samen darin nach ihrer Art, und zwar selbige in unterschiedlicher Gestalt und mit viel Raum für Übergänge und Zwischenformen. Gott sah, dass es gut war. 13 Es wurde Abend und es wurde Morgen: dritter Tag.

14 Dann sprach Gott: Lichter sollen am Himmelsgewölbe sein, um Tag und Nacht zu scheiden, und zwar selbige in unterschiedlicher Gestalt und mit viel Raum für Übergänge und Zwischenformen. (…) Gott sah, dass es gut war. 19 Es wurde Abend und es wurde Morgen: vierter Tag.

20 Dann sprach Gott: Das Wasser wimmle von Schwärmen lebendiger Wesen und Vögel sollen über der Erde am Himmelsgewölbe fliegen. 21 Und Gott erschuf die großen Wassertiere und alle Lebewesen, die sich fortbewegen nach ihrer Art, von denen das Wasser wimmelt, und alle gefiederten Vögel nach ihrer Art, und zwar selbige in unterschiedlicher Gestalt und mit viel Raum für Übergänge und Zwischenformen. Gott sah, dass es gut war. (…) 23 Es wurde Abend und es wurde Morgen: fünfter Tag.

24 Dann sprach Gott: Die Erde bringe Lebewesen aller Art hervor, von Vieh, von Kriechtieren und von Wildtieren der Erde nach ihrer Art. Und so geschah es. 25 Gott machte die Wildtiere der Erde nach ihrer Art, das Vieh nach seiner Art und alle Kriechtiere auf dem Erdboden nach ihrer Art, und zwar selbige in unterschiedlicher Gestalt und mit viel Raum für Übergänge und Zwischenformen. Gott sah, dass es gut war.

26 Dann sprach Gott: Lasst uns Menschen machen als unser Bild, uns ähnlich! Sie sollen walten über die Fische des Meeres, über die Vögel des Himmels, über das Vieh, über die ganze Erde und über alle Kriechtiere, die auf der Erde kriechen. 27 Gott erschuf den Menschen als sein Bild, als Bild Gottes erschuf er ihn. Männlich und weiblich erschuf er sie, und zwar selbige in unterschiedlicher Gestalt und mit viel Raum für Übergänge und Zwischenformen.

Genesis 1,1-27 auf Basis der Einheitsübersetzung (hervorgehobene Teile hinzugefügt)

*) Literatur:

  • „Un/familiar Theology: Reconceiving Sex, Reproduction and Generativity (Rethinking Theologies: Constructing Alternatives in History and Doctrine)“ von Susannah Cornwall; erscheinen 2017 bei T&T Clark

 

Skip to content