Predigt MCC Köln, 23. Mai 2021
Predigt & Austausch: Daniel Großer
Liturgie: Ines-Paul
Begrüßung & Eröffnung
An unterschiedlichen Orten und mit unterschiedlichen Perspektiven sind wir nun versammelt
im Angesicht und im Namen Gottes, Quelle allen Lebens und aller Vielfalt,
im Namen Jesu Christi, in dem Gottes Wort uns auch heute lebendig begegnet,
und im Namen des Heiligen Geistes, der Ruach, in der das Wort Gottes heute nicht bloß wörtlich zu uns spricht, sondern uns auf eine Weise anspricht, dass wir es verstehen.
Und wir entzünden die Gemeindekerze,
die uns verbindet als eine Gemeinschaft, in der Gott zu allen und durch alle etwas mitteilen kann,
in Verbundenheit mit allen, die jetzt im Moment NICHT mit versammelt sein können oder wollen,
in Verbundenheit auch mit allen, die heute ringen mit dem, was ihnen als Wort Gottes zugemutet wurde, die darüber krank geworden sind oder sich heute woanders damit auseinandersetzen,
und in Verbundenheit mit Menschen und Religionen in der Vielfalt der Schriften, die ihnen heilig sind.
Lesung
Sei gesegnet, du, Lebendige! Lehre mich deine Ordnungen!
Mit meinen Lippen erzähle ich von allen Urteilen deines Mundes.
Ich freue mich, dass deine Verpflichtungen mir den Weg weisen, wie über lauter Reichtum.
Über deine Anweisungen will ich nachsinnen, deine Pfade anschauen.
An deinen Ordnungen will ich mich vergnügen, dein Wort nicht vergessen.Psalm 119,12-16 (Bibel in gerechter Sprache)
https://www.bibel-in-gerechter-sprache.de/die-bibel/bigs-online/?Ps/119/1/
Predigt
Für Historiker und die moderne Theologie steht fest – die Bibel ist eine von Menschen niedergeschriebene Schriftensammlung. Einiges ist klar als Mythos oder Erzählung oder Dichtung erkennbar, anders ähnelt einem Zeitzeugenbericht oder einer Chronik.
In der Altertums-Forschung ist das Alte Testament, die Geschichte des Volkes Israel, über weite Strecken nicht nur die wichtigste, sondern oft auch einzige Schriftquelle. Etwa um das Jahr 400 galt die Schriftsammlung des Neuen Testaments, der Geschichte Jesu und der Apostel, als abgeschlossen. Bis heute umfassen nicht alle Bibeln die gleichen Schriften, aber wesentliche Teile – die Evangelien, die Apostelgeschichte, die großen Apostelbriefe und die Offenbarung des Johannes – sind stets enthalten. Die heilige Schrift hat sich seither bewährt, ihr Alter und ihre Verbreitung bezeugen es. Allen Schwachstellen und Stolpersteinen zum Trotz.
Aber warum hat man da aufgehört? Warum wächst die Bibel nicht weiter an?
Der Glaube ruht auf drei Säulen, denen wir mal mehr, mal weniger Bedeutung beimessen. Diese Säulen sind: Die Schrift, die Tradition und die Erfahrung. SCHRIFT. TRADITION. ERFAHRUNG.
Der Apostel Paulus hält in 2. Korinther 3, Vers 6 fest: „Der Buchstabe tötet, der Geist aber macht lebendig“. Schon vor der Entstehung der Bibel war klar, dass die Schrift allein weder erschöpfend, noch ausreichend für das Reden Gottes ist. Ohne die persönliche Erfahrung, also den Geist, bleibt sie tot.
Ohne die Erfahrung Gottes im echten Leben wären die Geschichten der Bibel nicht entstanden. Ohne die Tradition wären sie uns nicht überliefert worden, wir könnten keine eigene Erfahrung damit sammeln. Die drei Säulen ergänzen sich. Die Schrift, die Tradition und die Erfahrung.
Wenn du fragst: Warum schreibt man die Bibel nicht weiter? Dann hast du bereits eine große Erbschaft angetreten. Die persönlichen Erfahrungen unserer geistlichen Urväter und -mütter mit Gott sind über die Schrift und Tradition zu Erfahrungen derer geworden, deren Nachfahre du bist. Und nun hast du neue, eigene Erfahrungen gesammelt, die für dich zum Teil des Redens und Handelns Gottes geworden sind. In deiner eigenen Geschichte wird das Wirken Gottes lebendig, so wie es anderen in den Geschichten der Bibel lebendig geworden ist.
Was für ein Wunder hat sich da ereignet, dass du Vorschläge unterbreiten kannst, was der Bibel noch hinzuzufügen wäre! Lob und Dank sei Gott im Himmel dafür!
Umso besser, dass du diese Geschichten mit anderen teilen möchtest, dass du Zeugin und Zeuge sein willst! Teilst du deine Erfahrung mit uns? Segnest du unsere Kirche und alle Menschen damit, dass du deine Geschichte erzählst und Anteil gibst? Wer darf erfahren von den Wundern und Ereignissen, die du erlebt hast?
Wir können die Bibel als solche nicht weiterschreiben. Wenn ich der Geschichte von Romeo und Julia noch ein Kapitel anfügen würde, in dem sich die verfeindeten Familien des unglücklichen Teenie-Paares endlich versöhnen, dann wäre es vielleicht schön – aber es wäre nicht mehr Shakespeares Romeo und Julia. Ich werbe daher nicht dafür, die Bibel zu erweitern. Ohnehin ist der Anteil der Menschen, die darin liest, beklagenswert klein. Noch trauriger ist es darum bestellt, wie wenige Teile der Bibel tatsächlich studiert werden.
Du kennst dich selbst am besten, und wie oft du die Bibel liest.
Aber ich mache dir ein Angebot: welche Schrift dir heilig ist, darüber entscheidet deine eigene Erfahrung. Die Bibel muss dir nicht die einzige heilige Schrift bleiben. Lies darin, lerne aus ihr, lass dich von ihr herausfordern, widersprich ihr und lass dir von ihr widersprechen, prüfe sie und lass dich von ihr prüfen.
König David hat das auch gemacht, er berichtet in Psalm 119 von seinen eigenen Erfahrungen mit der Schrift (Psalm 119, 13-16):
Ich will mit meinen Lippen erzählen alle Urteile deines Mundes.
Ich freue mich über den Weg deiner Zeugnisse wie über allen Reichtum.
Ich will nachsinnen über deine Befehle und schauen auf deine Wege.
Ich habe Freude an deinen Satzungen und vergesse deine Worte nicht.
Und wenn andere Schriften dir heilig werden, weil sie deine eigene Geschichte sind oder weil sie dich in die Erfahrung Gottes in deinem Leben geführt haben, dann gib Zeugnis davon. Behalte den Reichtum nicht für dich, sondern lass das Licht leuchten, das in dein Leben getreten ist.
Segen
Gott segne dich mit BeGEISTerung und im Widersprechen,
auf dass das Wort Gottes heute nicht bloß wörtlich vor dir stehe, sondern sich mit dir auf eine Weise verheddert, dass es in dir und durch dich lebendig werde,
und dass so deine eigene Lebensgeschichte eine Quelle lebendigen Segens für dich und andere werde.
So segne dich Gott Vater, Sohn und Heiliger Geist.
Austausch
- Was würdest du der Bibel gerne hinzufügen, und aus welcher persönlichen Erfahrung heraus ist dir das wichtig?
- Was würdest du in der Bibel gerne streichen, weil es deiner persönlichen Erfahrung widerspricht?
- Wo ist Gott dir in deinem Leben derart begegnet, dass es eine Geschichte ist, die es wert wäre, weitergegeben zu werden?
- Hast du schonmal erlebt, dass deine Einstellung zu bestimmten Aussagen der Bibel sich mit der Zeit gewandelt hat? Wenn ja, was hat dazu geführt?