Ines-Paul Baumann
Mk 10,35-40: „Vom Herrschen und Dienen“
(Alle bekommen ein Streichholz überreicht – ein ganz klassisches Streichholz mit rotem Zündköpfchen.)
Manchmal tragen wir ein Wollen mit uns herum, das nicht wohlwollend gesonnen ist.
Wir wollen etwas, das nicht dem Wohl unserer Beziehung zu uns selbst, zu unseren Mitmenschen oder zu Gott dient.
Jede und jeder von uns trägt so etwas mit sich herum. So, wie wir jetzt ein Streichholz in den Händen halten.
– Stille –
Im Moment ruht dieses Streichholz in unseren Händen.
Wir können es anfassen,
mit unseren Händen komplett umschlingen,
es tut uns nicht weh,
es richtet keinen Schaden an – und auch nichts Gutes,
es ist einfach nur da und ist ganz harmlos.
Genau so ruht auch unser Wollen in uns.
Es ist einfach da und ganz harmlos.
Wir tragen unser Wollen, das nicht wohlwollend gesonnen ist, mit uns herum und es richtet keinen Schaden an, aber auch nichts Gutes.
– Stille –
Sobald wir das Streichholz mit der Spitze über eine Reibefläche ziehen, entflammt das Streichholz.
Nun ist nicht mehr einfach ein Streichholz, das wir in unseren Händen halten können. Nun brennt das Streichholz.
Auch unser Wollen, das dem Wohlwollen manchmal entgegensteht und das wir einfach so mit uns tragen, kann plötzlich entflammen. Es braucht nur die entsprechende Reibungsfläche. Bestimmte Situationen, irgendwelche Menschen – irgendein Auslöser, und plötzlich ist unser nicht wohlwollendes Wollen entbrannt.
– Stille –
Viel von dem, was nun in Flammen steht, wird schön geredet. Alle um uns herum entzünden doch mal ein Feuer. Diese Feuer müssen eben sein. Dass dabei schon mal ein ganzer Wald in Flammen gerät, lässt sich nicht vermeiden. Keine Sorge, du hast den Waldbrand ja nicht ausgelöst. Und der Waldbrand ist ja auch viel zu groß, als dass DU ihn löschen könntest. Und dass so ein Feuer halt manches verzehrt, zerstört, vernichtet, um die Existenz bringt, das gehört zu so einem Feuer halt dazu.
Jeder muss ein Holz im Feuer haben, nicht wahr.
Die Welt ist halt so. Und du bist Teil dieser Welt. Wenn alle das so machen, musst du es auch so machen.
Wenn die anderen sich alles nehmen, was sie wollen, hast du auch ein Recht darauf.
Und so schlimm wie all die anderen bist du ja auch gar nicht.
– Stille –
Viel von dem, was in unserer Welt in Flammen stehen könnte, wird aber auch schlecht geredet.
Als würde es ein verheerendes Buschfeuer entfachen, wenn zwei Menschen des gleichen Geschlechts in Lust zueinander entbrennen.
Als würde es einen vernichtenden Feuerball auslösen, wenn du dein Licht mal nicht unter den Scheffel stellst.
– Stille –
Manchmal ist es schwer zu unterscheiden, welches Wollen OK ist und welches nicht. Inmitten all der Störfeuer, die sich als Leuchttürme ausgeben. (Pause)
Trotzdem spürst du es genau. Du weißt es. Du kannst sie genau unterscheiden.
Manche Feuer sind wichtig: für Wärme. Als Orientierung. Zum Nähren. Für Gemeinschaft. Zum Bereinigen. (Pause)
Andere Feuer hinterlassen Verwüstung, Brandwunden, lodern auf Kosten anderer, vernebeln die klare Sicht. (Pause)
Du weißt, welche Feuer dein Wollen entzündet, die von anderen nur schlecht geredet werden, die aber richtig und wichtig sind.
Genau so weißt du, welche Streichhölzer du bei dir trägst, die nicht von Wohlwollen getragen sind für dich selbst. Oder für Menschen um dich herum. Oder für Gott.
Manchmal wünschen wir, in einer christlichen Gemeinde gäbe es nur die wohlwollenden Feuerstellen. Als würden Menschen, die sich auf den Weg gemacht haben im Vertrauen auf Gott, gar keine Streichhölzer mehr mit sich herumtragen, die ihnen selbst oder anderen nicht gut tun.
Aber wir treffen auch IN unseren Gemeinden auf Reibungsflächen, die unser nicht wohlwollendes Wollen entflammen. EIN Wort. EINE Geste. EIN Mensch. EINE Situation. Und schon lodern wir auf. – Pause –
Manche dieser Feuer sind OK. Sind wichtig. Bringen Reinigung. Orientierung. Verdaubaren Input. Gemeinschaft. Wärme. – Pause –
Andere dieser Feuer aber wünschen Vernichtung, Verletzungen, Verdunklung.
– Stille –
Wie können wir die guten Feuer entbrennen lassen, ohne Angst haben zu müssen, damit einen Flächenbrand auszulösen?
Und wie können wir die zerstörenden Feuer in den Griff bekommen, damit sie nicht wirklich uns selbst, Menschen um uns herum oder unseren Bezug zu Gott zerstören?
Fangen wir mit der Frage an, wie die guten Feuer ihren Raum haben können.
Um Feuer nicht grundsätzlich zu ersticken, muss Sauerstoff vorhanden sein. Wenn in einer Gemeinde dicke Luft herrscht, kann es sein, dass manche wichtige Feuer ausgehen. Eine Gemeinde braucht frische Luft. Offene Türen und Fenster. Wenn wir uns verschließen, gehen die Feuer bald aus. Der Wind muss hereinwehen können. Menschen sollen hereinwehen können. Und der Geist Gottes muss wehen können.
Sind deine Fenster und Türen offen für andere Menschen, andere Meinungen, den Geist Gottes?
Bist du offen in der Begegnung mit dir selber, mit deinen Mitmenschen und mit Gott?
– Stille –
Natürlich musst du dich auch schützen. Wenn andere Menschen ein Feuer entfachen, das dich verletzen könnte, musst du nicht mit offenen Armen dastehen. Gemeinde soll ein Ort sein, in dem zwar alle Menschen willkommen sind, aber nicht jedes Verhalten.
Gemeinde soll ein Ort sein, an dem wir uns und andere nicht verbrennen, wenn ein nicht wohlwollenden Wollen entbrennt.
Hierzu gibt es drei Möglichkeiten:
1) Um Feuer kontrollieren zu können, dürfen sie nicht in einem Raum aufkommen, der gefüllt ist von explosivem Material. Inmitten von Benzin oder Gasen reicht ein Funke und alles fliegt in die Luft.
Wir kennen das vielleicht von manchen Familienfeiern. Es ist so ein Gemisch im Raum, dass ein Funke reicht, um alles aufzumischen.
Es gibt auch Gemeinden, die von so einem Gemisch erfüllt sind. Nichts darf ausgesprochen werden, nichts darf hinterfragt werden, niemand darf Grenzen setzen, niemand darf sich mal zurückziehen, niemand darf Probleme zeigen, niemand darf mal schelcht drauf sein, niemand darf Fehler machen, niemand darf unsicher sein, niemand darf mit Gott hadern, niemand darf aus angeblich nicht-christlichen Philosophien oder Religionen Anregungen mitnehmen, niemand außer der Leiterschaft darf mitreden, … allein bei dieser Aufzählung braut sich ein explosives Gefühls-Gemisch zusammen. Hier haben Machthabende mit Recht Angst, dass ein Funke reicht, um so einen Laden auseinanderzunehmen und das ganze Konstrukt zu vernichten.
Was Feuer vor so einer zerstörerischen Wirkung bewahrt, ist aber genau das, was Feuer auch erst ermöglicht: Frische Luft. Klare Luft. Offenheit. Nur da, wo gute Feuer möglich sind, können auch die schlechten nicht alles zerstören. Haben die guten Feuer in deinem Leben Raum? Sorgst du für Wärme? Orientierung? Gemeinschaft? Reinigung? Und wie ernährst du dich ? Auch in geistlichem Sinne? Sind diese Feuer lebendig in deinem Leben?
– Pause –
Und wie trägst du dazu bei, dass in deiner Gemeinde die Feuer von Wärme, Orientierung, Reinigung und Gemeinschaft angefeuert sind?
– Stille –
2) Wir müssen Räume schaffen, die feuerfest sind.
Ich wünsche mir eine Gemeinde, in der wir auch mit unseren Störfeuern Platz haben. Es gibt keine Gemeinde, in der Menschen immer nur gut sind. Wenn unser Glaube und unsere Gemeinde sich aber dadurch definieren, dass wir mit Tüchern alles abhängen, was uns nicht gefällt, dann reicht eine Stichflamme, und alles ist dahin. Unser Glaube gründet zum Glück nicht auf der Abwehr von Gedanken oder Gefühlen. Wir müssen den Blick auf uns Selbst nicht verschleiern, wir müssen den Blick auf unsere Mitmenschen nicht verschleiern, wir müssen den Blick auf Gott nicht verschleiern. Unser Glaube gründet nicht darauf, dass wir zwischen uns und das wirkliche Leben schöne Tücher hängen müssen, die alles „bitte-recht-freundlich“ erscheinen lassen. Gott umfasst das GANZE Leben, und damit stehen wir fest wie auf einem Felsen. Selbst wenn all das Schöne, was wir darauf bauen, mal von einem Brand aufgezehrt wird, bleibt der Fels bestehen. Ist Gott dein Fels? Oder soll bloß alles schön erscheinen? Worauf gründet dein Glaube und dein Bild von Gemeinde?
– Stille –
3) Wenn sich unser Wollen entfacht, das dem Wohlwollen entgegensteht, richtet es am ehesten dann keinen Schaden an, wenn wir es gar nicht erst zu groß werden lassen.
Leider gibt es Strukturen in unserem Leben, die nicht- wohlwollendes Wollen unterstützen und fördern. Wo eigene Vorteile auf Kosten von anderen Teil des Gesamtgefüges sind. Unsere Weltwirtschaft funktioniert so. Unsere Geschlechterrollen funktionieren so. Werbung funktioniert so.
Leider funktioniert auch Glauben oft so. Jesus wird es sicher nicht schlimm gefunden haben, dass die beiden Jünger aus dem Text eben ganz nah bei ihm sein wollten. Aber es hätte andere ausgegrenzt – zugunsten des eigenen Vorteils.
Deswegen schritt Jesus so klar ein und verwies sie so deutlich darauf, dass sie der Gemeinschaft dienen sollten. Gemeinden stehen immer in der Gefahr, den Wunsch ihrer Mitglieder nach der Nähe zu Jesus auszunutzen:
– Sie fördern dann entweder das Streben nach Macht und Einfluss – wer an der Spitze der Kirche steht, ist auch näher bei Gott!
– Oder sie nutzen ihre Mitglieder und deren Sehnsucht nach der Nähe Gottes aus, indem sie sie zu einer sehr ungesunden Form von Dienen anhalten. Der Umgang mit Menschen, die etwas wollen, was dem Wohlwollen der anderen oder der Machthabenden entgegensteht, ist dann oft entsprechend rigoros: Sie werden aus der Gemeinschaft und aus der Gemeinde ausgeschlossen.
Nichts davon hat Jesus mit den beiden Jüngern gemacht:
– Jesus hat keine falschen Strukturen gestützt, sondern ihnen hat direkt gesagt, was an ihrem Anliegen falsch ist.
– Er hat die beiden aber auch nicht ausgeschlossen, sondern sie direkt wieder eingebunden in die Gemeinschaft, die einen gesunden Umgang miteinander einüben soll.
Jesus hat das Feuer ihres nicht Wollens am richtigen Punkt brennen lassen und am falschen Punkt einfach direkt ausgepustet.
So eine Klarheit wünsche ich mir auch für unsere Gemeinde:
– Feuer, die auf Kosten anderer entbrennen, pusten wir sofort und in aller Klarheit aus.
– Und über Vergebung, Vertrauen und Hoffnung versuchen wir, weiter am Feuer der Gemeinschaft, Wärme und Klarheit zu bauen.
Damit die Streichhölzer in unseren Händen also Gutes anrichten und nicht entbrennen, um dem Wohlwollen entgegenzustehen, wird es nichts nützen, sie zu zerbrechen oder ganz tief in der Hosentasche zu verstecken. Ich möchte ermutigen, einen besseren Umgang einzuüben mit den Punkten, wo wir ein Wollen in uns tragen, das nicht von Wohlwollen getragen ist:
Wir verstecken es nicht, wir unterdrücken es nicht, wir verheimlichen es nicht. Sondern wir tragen es offen vor Gott und in die Gemeinschaft. Viel von dem, was uns entflammt, hat gute Wurzeln. Möge Gottes Geist sich den Raum in uns und unserer Gemeinschaft nehmen, dass klare und gesunde Luft die richtigen Feuer entfacht und die gefährlichen eindämmt.
Ich möche euch einladen, zwei Schritte zu tun:
Erstens: Lasst euer Feuer entfachen in der Verbindung mit Gott selbst. Kommt nach vorne und entzündet euer Streichholz an der Gemeindekerze oder einer der Kerzen auf dem Leuchter. Bittet Gott, euer Wollen zu erfüllen mit dem Willen Gottes. Bringt dabei innerlich ein Wollen mit, bei dem ihr manchmal Angst habt, es könnte euch oder andere verbrennen, für Verletzungen sorgen und Schaden anrichten.
Zweitens: Lasst jemanden aus der Gemeine das entfachte Feuer auspusten. Lasst uns in der Geminschaft mit den anderen einüben, einen Umgang mit uns und einander zu finden, in dem wir uns und andere nicht verbrennen und verletzen. Wir können einander dabei helfen. Wir MÜSSEN einander dabei helfen. Nur eine gesunde Umgebung ermöglicht es, dass Feuer nicht verheerende Folgen haben. Wir können einander helfen, indem wir einander Orientierung, Gemeinschaft, Reinigung ermöglichen. Manchmal sind klare Worte und klare Taten nötig statt Weggucken, Vernebeln, andere meiden. Ein klares Hinhalten und ein klares Auspusten lässt nichts entstehen, was uns selbst oder andere zerstören wird.
Kommt also noch vorne und bringt euer Wollen in die Gemeinschaft mit Gott und miteinander. Bringt mit dem Streichholz bewusst euer Wollen mit, wo es nicht wohlwollend gesonnen ist. Entzündet es genau hier, wo wir in der Gemeinschaft mit Gott und miteinander auch von Reibungsflächen umgegeben sind. Bittet Gott, euer Wollen zu erfüllen und zu verändern mit dem Willen Gottes. Und helft einander, auch mit eurem Feuer einen Platz in der Gemeinschaft zu finden und einen klaren Umgang miteinander einzuüben, indem ihr einander eure Feuer auspustet. Bitte fackelt damit nicht lange, so was muss schnell geschehen, damit sich nicht jemand die Finger verbrennt!
Ihr könnt das natürlich beliebig gestalten. Wenn zwei unter euch wissen, dass sie füreinander Reibungsflächen sind, könnt genau ihr beide eure Feuer einander hinhalten und auspusten. Ihr zeigt damit, dass ihr Dinge nicht unter den Teppich kehrt, euch aber selbst und einander nicht aus der Gemeinschaft ausschließen wollt. Ihr könnt aber auch gerne einzeln nach vorne kommen und einfach von der Situation her aufeinander achten. Beides kommt im Gemeindeleben vor. Und bitte: Wenn du mit deinem Streichholz im Moment lieber für dich bleiben möchtest, bleib einfach sitzen. Auch das zu tun und zu respektieren, ist Teil einer klaren und reinen und gesunden Luft in einer Gemeinschaft.
Ob ihr also sitzenbleiben, auf jemand spezifisches zugehen oder einfach so nach vorne kommen wollt: Jetzt ist die Zeit, es zu tun.
(evtl. Musik dazu laufen lassen)
Genauso wie den Leuten damals in der Wüste ist auch uns die Gute Nachricht verkündet worden: die Botschaft, dass wir in Gottes Ruhe aufgenommen werden sollen.
Wer in Gottes Heimat hineinkommt, kann sich ebenso wie Gott auch selbst von den eigenen Taten ausruhen.
(Heb 4,1.2.10)