Predigt MCC Köln, 4. Juli 2021
Ines-Paul Baumann
1. Korintherbrief 1,18-25
Schade, dass die meisten Bibeln diese Stelle glattbügeln in ihren Übersetzungen. Als müssten sie diese Stelle etwas zugänglicher machen. Aus „Torheit“ wird dann etwas, das „unsinnig erscheint“ (Hoffnung für Alle) oder „als unklug gilt“ (www.bibel-in-gerechter-sprache.de). Mit dem diskriminierenden und abwertenden „schwachsinnig“ langt die Volxbibel gleich ganz daneben – oder macht es genau richtig: Auch der Begriff „Torheit“ zielt ja genau darauf ab, abwertend zu sein.
Ich glaube, dieser abwertende Aspekt ist wichtig. Die ganzen unguten Gefühle, die damit verbunden sind, sind für Paulus von Bedeutung: die Empörung, das Unwohlsein, der innere Widerstand, die Abwehr, die Distanzierung…
Allein die Rede vom Kreuz hat damals auch solche Gefühle geweckt. Anders als heute war der Kreuzestod kein romantisch-verklärtes Symbol von christlichen Kirchen. Der Tod am Kreuz war eine Schande.
Paulus geht voll rein in diese Abwertung. Er versucht gar nicht erst, Erklärungen dafür zu finden oder das irgendwie einzuordnen oder aufzuwerten. Noch mehr, er distanziert sich sogar von den Denksystemen seiner Zeit – von der „Weisheit der Weisen“ und dem „Verstand der Verständigen“. Die einen fordern Zeichen, die anderen fragen nach Weisheit, fasst er zusammen, was damals Akzeptanz und Anerkennung gebracht hätte. Es wäre ein Leichtes, den Kreuzestod Jesu in diese Diskurs-Strategien einzubinden. Das Neue Testament ist voll davon. Hier aber arbeitet Paulus nicht mit diesen Strategien, sondern er kritisiert sie, er stellt sie infrage. Innerhalb ihrer Logik ist die Dynamik des Glaubens nicht zu fassen.
All dies führt mich zu dem Schluss, dass wir statt von der Torheit des Kreuzes auch von der Queerness des Kreuzes sprechen können.
Auch der Begriff „queer“ war früher abwertend, genauso wie „schwul“ oder „Dyke“. Manch Ältere können einfach nicht nachvollziehen, was Jüngere an diesen Worten so toll finden. Sie haben noch erlebt, wie abwertend diese Begriffe gegen sie eingesetzt wurden; sie verbinden damit schmerzliche Erinnerungen von Herabsetzungen und Ausgrenzung. Homosexuelle wurden als pervers bezeichnet. Homosexuelle „galten nicht als unklug“ oder „erschienen unsinnig“. Homosexualität war eine Schande – genau wie das Wort vom Kreuz.
Wenn der Begriff „queer“ heute als Sammelbezeichnung für eine Buchstabenkette (LSBTIQA* etc) verstanden wird, ist das eine Verkennung und Verleugnung dieser Geschichte. Der Begriff „queer“ hat ebenso eine Geschichte der Abwertung, Perversität und Schande. Dass daraus eine Denkrichtung werden konnte, folgte derselben Dynamik und Logik, die Paulus hier im Korintherbrief anwendet: Mit den Begriffen und Denkfiguren, die gesellschaftlich anerkannt und gängig sind, lässt sich nicht nur innerhalb gewisser Grenzen denken.
Der „queere“ Blick war ursprünglich der schräge Blick von schrägen Leuten. Auch Paulus wird im nächsten Absatz von schrägen Leuten sprechen. Er beschreibt damit – die Leute in den Gemeinden! Paulus bemüht sich auch hier nicht ansatzweise, die Welt des Glaubens und der Glaubenden anzudocken an gängige gesellschaftliche Vorstellungen von Anerkennung.
„Queer“ meint in diesem Sinne keine Abgrenzung von heterosexuell lebenden Menschen gegen alle, die NICHT heterosexuell leben. Menschen, die sich NICHT als heterosexuell identifizieren, können sehr wohl innerhalb normativer Anerkennungsmustern agieren. Menschen, die als heterosexuell gelesen werden, können sich sehr wohl gegen normative Anerkennungssysteme stemmen.
Mit „Queerness des Kreuzes“ meine ich also nicht eine „Homosexualität der Kirche“. Ich meine damit den Ansatz des Paulus, dass die Geschichte von Gott und Menschen nicht ausreichend beschrieben werden kann, solange wir versuchen, sie in anerkannten Denkmustern anerkennenswert zu machen (zumindest, solange Anerkennung innerhalb dieser Denkmuster auf ausgrenzenden Mustern von Kraft und Stärke beruht).
Paulus macht göttliches Wirken gerade da aus, wo Normalität an ihre Grenzen stößt. Die Rede von der Torheit des Kreuzes und die törichten Glaubenden haben verstört. Ich schlage vor, christlichen Glauben wieder öfter an diesen Ursprüngen auszurichten. Eine Rede von der Queerness des Kreuzes und queere Glaubende können dazu beitragen.
Gebet zum Abendmahl
Gott, du weißt, was wir meinen alles erfüllen zu müssen, um Anerkennung zu finden – in unseren Herkunftsfamilien, durch Gesetze der Gleichstellung, im beruflichen Umfeld, als Freundinnen, als Lover, … und auch dir gegenüber. Was haben wir nicht alles verinnerlicht an Gottesbildern, die uns nur lieben und annehmen können, wenn wir so oder so sind, das oder das tun, vor allem dieses oder jenes NICHT tun. Sogar uns selbst gegenüber stellen wir Ansprüche – an unsere Körper, unser Aussehen, unseren Lebensstil, unsere Freundeskreise. Dauernd fragen wir uns, was andere wohl von uns denken. Und allzu oft ist der Maßstab, ob wir wohl „normal“ genug sind.
Hab Dank, dass du uns ganz andere Fragen stellst. Dass du uns einlädst, die vermeintliche Normalität zu hinterfragen. Sowohl gesellschaftliche, aber auch religiöse Normen aufzubrechen statt von ihnen zerbrochen zu werden.
Hab Dank, dass du uns nun einlädst an deinen Tisch. Diese Einladung ist frei (und macht frei) von vergifteten Systemen von Anerkennung. Lass uns in diesem Mahl davon schmecken. Lass uns Geschmack finden an Formen von Gemeinschaften, in denen wir Wege des Heils, der Heilung und der Heiligung erfahren und mitgestalten.
Sendung & Segen
Gott segne dich
mit der Freiheit,
Normalitäten und Normen zu hinterfragen.
Gott segne dich
mit dem Mut,
auch gegen Normalitäten und Normen einzustehen, wenn sie dich oder andere einschränken und einengen.
Gott segne dich
mit ihrer Liebe,
die dich frei macht und neues Vertrauen aufbaut – in deiner Gottesbeziehung, in deinen Bezügen zu deinen Mitmenschen und in deinen Bezügen zu dir selbst.
So segne dich Gott Vater Sohn und Heiliger Geist.