Predigt MCC Köln 25. Okt. 2015
Manfred Koschnick
1 Kön 19,19-21 & 2 Kön 2,1-15: „Elia wird entrückt und Elisa tritt seine Nachfolge an“
Religiöser Eifer zwischen Fanatismus und Hingabe: Von schlimmen Vorurteilen und befreienden Einsichten. Von Gehorsam und „geistlichem Erwachsenwerden“. Von Vorbildern und Idolen. – In einer dichten und verwobenen Geschichte erzählt diese Predigt von den Licht- und Schattenseiten von Berufung und Nachfolge. Sie ist Mahnung und Ermutigung zugleich. Nachahmen, Mitgehen, Widerspruch, Loslösung, Ablösung …: Manchmal ist die Zeit reif, sich auch in Glaubensfragen zu lösen von denen, mit denen wir bis dahin Glaubensleben nachgemacht und mitgemacht haben.
Mein Name ist Elischa. Ich war Schüler des berühmten Propheten Elija.
Als er seinen Mantel zum Zeichen der Erwähltheit bei Gott über mich warf, war ich sofort beeindruckt von ihm. Er strahlte die Konsequenz und Ernsthaftigkeit aus, die nur die wenigsten Menschen haben, wenn sie die Sache Gottes verteidigen.
Viele suchen Kompromisse und wollen auf nichts verzichten, das ihr Leben angenehm und sorgenfrei macht. Aber wenn ich eine wirkliche Entscheidung herbeiführen wollte, musste ich dies mit Verzicht zugunsten des Heils öffentlich tun. Ich lud also alle ein zum Abschiedsfest, darunter auch Arme, die es mir nie vergelten könnten. Ich meine, es sei doch richtig, das eigene Hab und Gut den Armen zu geben, wenn man sich auf den Weg mit Gott macht. Es hilft dabei, sich wie nackt und bloß öffentlich sichtbar in die Arme des Höchsten zu werfen. Es ist tatsächlich meine Erfahrung, dass, wenn Du bereit bist, Dein bisheriges Leben zu verlieren, Du das neue Leben mit Gott in Fülle empfangen wirst.
Du kannst Dir selbst und Gott besser treu bleiben, wenn Du die Nachfolge verbindlich gestaltest – von Anfang an. Du wirst eine unbekannte Kraft und Freiheit spüren, solange Du Gott bestimmen lässt. Er schickt Dich hierhin und dorthin, wo Du Dich ohne ihn nie hin getraut hättest.
Der Gehorsam gegenüber Elia, mein Vertrauen, meine Liebe, meine Treue waren gute Vorbereitungen auf die Beziehung mit Gott. So ist es mir an der Seite Elias gegangen. Ich tat immer, was mir der Meister aufgetragen hatte, auch wenn es schwer war und Mut kostete, und hatte das im Nachhinein nie bereuen müssen.
Was wäre geschehen, wenn Gott keine Zeichen beim Streit mit den Baalpriestern gesetzt hätte?! Es hätte vermutlich unsern Tod bedeutet. Der Baalkult ist fürchterlich. Nicht allein, dass es da Menschenopfer und Tempelprostitution gibt. Es treiben dort auch Männer Schande miteinander, als könnte aus so einem Greuel Nachkommen erwachsen. Solch Verhalten ist derart absurd, dass ich glaube, dass die nicht ganz richtig im Kopf sind. Die Kinder und Kindeskinder sind die Verheißung Gottes an Abraham. Das allein gibt unserm Volk Zukunft und Gewissheit – nichts anderes. Alles andere ist dem Herrn ein Greuel! Aber Gott hat uns vor diesen Leuten beschützt. Elija hat ihrem sündigen Treiben ein Ende gesetzt (so hieß es später, denn jemand musste ja für das Massaker verantwortlich sein), indem er die ganze Meute von 450 Priestern durch das Volk töten ließ.
Mich haben diese Erfahrungen mit Elia gelehrt, Gott zu lieben und zu fürchten, also dem Meister bedingungslos zu gehorchen, um so konsequent und geradlinig wie Elia zu werden. Ich brauchte Elia! Die Gottesfurcht erwuchs aus der Erfahrung an der Seite mit ihm. Ich brauchte meinen Meister! Der Gehorsam bewahrte mich vor Sünde und Ungehorsam gegen ihn und Gott. Ich wich nie mehr von seiner Seite. Wo er war, wollte auch ich sein.
Das war nicht leicht. Wer mit Elia ging, musste auf alles gefasst sein, vor allem darauf, dass Treue und Liebe zum Propheten harten Prüfungen unterzogen wurden. Ich hatte solche große Angst, als unser Baal-gläubiger König Ahab dreimal versuchte, uns mit seinen Soldaten gefangen zu nehmen. Ich betete „Herr Gott, wenn es möglich ist, lass diesen bitteren Kelch an uns vorüber ziehen!“ Doch es geschah Gottes Wille. Als ich mich diesem unterwarf, ging es mir besser – und zum Schluss waren viele Soldaten des Königs tot und wir blieben am Leben.
Aber die allerschwerste Prüfung geschah zum Schluss. Die Prophetenschüler hatten mir prophezeit, dass Elia bald das Zeitliche segnen würde…. Umso mehr versuchte ich nun, ihm alles recht zu machen. Es gab auch Prophetenschüler wie dieser eine (Petrus glaube ich), die glaubten, mit dem Ende des Elia sei alles verloren und sie „verrieten“ ihn, indem sie sich beim ersten Hahnenschrei aus dem Staube machten. Das hätte ich nie gekonnt. Ich brauchte doch meinen Meister.
Aber was sollte ich nun tun? Er forderte mehrfach von mir, ihn bei dieser und jener Gelegenheit allein weiter ziehen zu lassen, und diese und jene wichtige und verantwortungsvolle Aufgabe zu übernehmen. Nur mir konnte er so viel Vertrauen schenken. Es war eine Auszeichnung. Ich fühlte mich dadurch geschmeichelt. Ich dankte auch unserm Herrn dafür, von ihm auserwählt worden und natürlich besser zu sein als z.B. jener Petrus. Ich hatte nie begehrt meines nächsten Haus, Weib oder Vieh. Aber das Vertrauen in meinen Gehorsam, den hatte ich begehrt, und die spirituelle Kraft eines Elia hatte ich begehrt. Darum war ich um alles in der Welt nur ihm verpflichtet. Wenn Elia einem eine Aufgabe zuweist und man diese aus ganzem Herzen annimmt, wächst einem auch eine Kraft zu, die man allein aus sich heraus nie aufbringen könnte. Wie oft schon hatte ich das erlebt, – wenn – ich – gehorsam – gewesen – war!!!
Könnt Ihr Euch meine Zerrissenheit vorstellen? Gehorsamkeit gegenüber Gott – das hatte ich gelernt. Nun aber hieß der Gehorsam gegenüber Elias Anweisungen, ausgerechnet Elia zu verlassen, also den Menschen, den ich über alles liebte und brauchte, eben diesen größten aller Propheten, der auch Tote auferwecken konnte.
Ich wollte ihm doch treu sein, konnte eigentlich gar nicht anders. Was sollte ich tun: lieben und treu sein dem Menschen, oder gehorsam sein dem Propheten?
Ich sah Elia an. Ich sah in seinen Augen neben der Kraft und Zuversicht plötzlich auch seine Zukunftsangst, den Zweifel, die Verzagtheit und Depression, die ihm schon damals in Be’er Schaba während der Verfolgung durch die Königin Isebel so zugesetzt hatten, und all das Widersprüchliche, was uns Menschen als Menschen ausmacht.
Das Bild meines Idols bekam feine, leicht übersehbare Risse. Aber ich sah dank der Risse durch das Vor-Bild hindurch. Das, was ich da auch sah (neben Glauben und Zuversicht), machte mir große Angst. Ich wollte es zunächst nicht wahrhaben.
Gottgleich sollte Elia über allem schweben, als Glaube über dem Unglauben – aber er tat es nicht. Er war wie ich, NUR wie ich. Also, Elia war MEHR als ich. Mit „nur wie ich“ meine ich, er war trotz seiner Auserwähltheit „Mensch“, nicht „nur“ Idol eines Volkes und seiner Anhänger und Schüler. Vor Gott waren wir beide („nur“) Menschen. Es war, als könnten wir uns gegenseitig die Füße waschen, obwohl dies Sklavenarbeit ist.
Ich atmete tief durch. Sollte ich den Schüler-Gehorsam tatsächlich nun aufgeben, wie ich einst Hab und Gut aufgab, um Elia zu folgen und ihm nah zu sein? Ungehorsam ist Sünde! Wie kann ich denn brav sein und trotzdem treu lieben? Ist die Lösung dieses Problems vielleicht die notwendige Schwelle zum spirituellen Erwachsenwerden vor Gott? Wie sollte ich mich entscheiden?
Ich dachte ständig an mein unfehlbares Idol, den Elia. Ich spürte, dass es nicht mehr reicht, ihn mir vor-zu-stellen vor das, was wahr und wirklich ist, und die Vor-stellung zu verinnerlichen. Ich musste meine Vorstellung mit der Wirklichkeit konfrontieren.
Vielleicht hatte ich Elia mit einem Ideal verwechselt? Vielleicht war es nicht nur wahr, dass ich ihn brauchte; vielleicht brauchte er mich ebenso als Gegengewicht zu seiner Verzagtheit. Ich hatte mit mehreren Rindern und der ganzen Kraft eines Mannes meinen Acker gepflügt. Das war ich, als Gott mich durch seinen Propheten erwählt hatte. Bodenständig war ich. Ich hätte niemals gefragt „Wer sind meine Mutter, Brüder und Schwestern?“. Ich wusste, dass dies nur meine leiblichen Eltern sein können. Von ihnen hatte ich mich in aller Form verabschieden müssen, bevor ich Elia folgte. Das durfte ich nicht vergessen; nicht vergessen, wer ich war und wie ich bin.
Wieder schaute ich Elia an mit dem Herzen und dem Verstand, doch diesmal ohne die kindliche Bewunderung. Meine Liebe zu ihm verwandelte sich und mich. Ich betrat quasi einen weiteren spirituellen Raum, der größer war und Platz für mehr gleichberechtigte Menschen bot, die guten Willens waren.
Einmal angekommen in diesem Raum gab es kein Zurück. Jetzt gab es nur noch große Liebe und Sehnsucht aller nach dem einen Gott, wie er sich doch nur unter anderem in seinen Propheten offenbarte.
Es ist meine eigene Art, Gott nahe zu sein, indem ich Elia nicht von der Seite weiche, ihn unterstütze, auch wenn ich dadurch ungehorsam bin gegen seine Anordnungen. Wenn ich sehe, was hinter Elia steht, verstehe ich die größeren Zusammenhänge, die nicht aufgehen in diesen und jenen Anordnungen eines religiösen Führers. Lieber werde ich ein Sünder, als dass ich dieser tiefen Gottesliebe untreu werde, derer ich und auch Elia bedarf.
Also zog ich weiter mit dem größten Propheten aller Zeiten. Ich erlebte Befreiung und Zukunft – wie das Volk Israel bei der Flucht aus Ägypten, als sich das rote Meer teilte. Eben dieses Reich Gottes öffnete Elia, als er mit dem Mantel auf das Wasser des Jordan, das Symbol des Todes zwischen Kanaan und der Wüste, schlug und sich die Wasser teilten.
Ob jemals wieder ein Mensch nicht von Würmern zerfressen, sondern gleich in einer Himmelfahrt in den Himmel aufgenommen wird? Es müsste ein zweiter Elia sein… !
Als Elia nicht gestorben, sondern als göttlicher Sieg über den Tod gen Himmel aufgefahren war, wusste ich, dass ich nun wie (s)ein Sohn rechtmäßiger Erbe seiner prophetischen Kraft geworden war. Ich nahm den Mantel, der von Elia übrig war, und teilte damit die Flut.
Es war meine geistige Initiation, quasi eine Taufe unter Zeugen im Jordan.
Warum geschah das alles? Ich weiß es nicht.
AMEN
Gebet
Wenn du magst, kannst du das folgende Gebet *) mitbeten und dich mit aufmachen – auf den Weg von Loslösung und Ablösung zu eigenverantwortlicher Nachfolge:
(L:) Wir bekennen das Böse, das im Namen der Religion verübt wurde.
(Viele:) Wir bitten um Vergebung und Versöhnung.
(L:) Wo die Religion missbraucht wurde, um Krieg, Selbsthass und andere Formen von Gewalt zu rechtfertigen:
(Viele:) Wir bitten um Vergebung und Versöhnung.
(L:) Wo die Religion missbraucht wurde, damit wir uns über andere mit anderen Glaubensvorstellungen überlegen fühlen:
(Viele:) Wir bitten um Vergebung und Versöhnung.
(L:) Wo die Religion missbraucht wurde, Menschen wegen ihrer geschlechtlichen Identität oder ihrer sexuellen Orientierung zu diskriminieren:
(Viele:) Wir bitten um Vergebung und Versöhnung.
(L:) Wenn wir versäumen, Ungerechtigkeiten entgegenzutreten:
(Viele:) Hilf unserem Unglauben.
(L:) Wenn wir bei Konflikten in unserem Leben, unseren Beziehungen, unseren Familien und Gemeinschaften versucht sind, andere oder uns selbst zu erniedrigen:
(Viele:) Hilf unserem Unglauben.
(L:) Wenn wir zu Zwängen unserer Alltagswelt zurückkehren, ohne uns vom Bösen abzukehren und von ganzem Herzen nach Frieden zu streben:
(Viele:) Hilf unserem Unglauben.
(L:) Wenn wir zu denken beginnen, dass Konsumgüter, Machtsymbole und “die richtigen Kontakte” uns echte Anerkennung verschaffen könnten:
(Viele:) Hilf unserem Unglauben.
(L:) Wenn wir die Gegenwart Gottes in einer Welt von Sachzwängen“ und „Alternativlosigkeiten“ nicht sehen können – :
(Viele:) Hilf uns, Jesus nachzufolgen in allem, was wir fühlen, denken, sagen, tun und unterlassen.
AMEN.
*) formuliert in Anlehnung an Gebete aus „Gathering in Prayer“ (Roger Courtney), übersetzt von Stefan Schütze