Impuls MCC Köln, Ines-Paul Baumann
1. Dez. 2024
Lukasevangelium 2,8-14
Inmitten ihrer täglichen Care-Arbeit entsteht etwas Neues. Das, wo sonst ihre Kraft hineingeht, wird nun zu einer Quelle, die ihnen Kraft gibt – und die Bestehendes infrage stellt.
Die Hirtinnen und Hirten *) im Lukasevangelium gehen ihrer Arbeit nach: Kümmern. Pflege. Normalerweise befüllen sie die Futterkrippe. Aber dieses Mal birgt die Futterkrippe das, was zur Quelle für sie und für eine andere Welt werden soll.
Auf einmal passiert genau da, mittendrin in ihrem Alltag, der Anfang des Neuen – ganz in der Nähe, nur etwas anders kontextualisiert, anders eingebunden. Aber mitten im Zentrum ihrer sonstigen Arbeit wächst heran, was Gottes Gegenwart auf dieser Welt verkörpert. Dieses Neue ist nicht heldenhaft und superkraftmäßig. Eher bedürftig. Fragil. Gleichzeitig vertraut UND besonders.
Der Text ist die Gründung und Begründung dessen, was mit der Geburt Jesu seinen Anfang nimmt. Dementsprechend voll mit Bedeutungszuweisungen ist dieser Text:
In jener Gegend gab es auch Hirten und Hirtinnen, die draußen lebten und über ihre Herde in der Nacht wachten. Da trat ein °Engel der Lebendigen zu ihnen und der °Feuerglanz der Lebendigen umhüllte sie. Sie aber °fürchteten sich sehr. Der Engel sprach zu ihnen: »Fürchtet euch nicht! Denn seht, ich verkünde euch große Freude, die das ganze °Volk betreffen wird: Heute ist ein °Retter für euch geboren worden, der °Gesalbte der Lebendigen, hier in der Stadt Davids. Und dies sei das Erkennungszeichen für euch: Ihr werdet ein Neugeborenes finden, in Windeln gewickelt, in einer Futterkrippe.« Plötzlich erschien zusammen mit dem Engel eine große Schar des himmlischen Chores. Sie priesen Gott mit den Worten:
»Wo die Menschen Gott die Ehre geben (und nicht dem Kaiser)
und versuchen, in Frieden zusammenzuleben (statt unter dem römischen Besatzungsfrieden),
ist Gottes Wohlgefallen.«Lukasevangelium 2,8-14
https://www.bibel-in-gerechter-sprache.de/die-bibel/bigs-online/?Lk/2/8/
https://www.bibel-in-gerechter-sprache.de/wp-content/uploads/Lk_2_1-20_SutterRehmann.pdf
Die Verleiblichung von Glaubensinhalten steht von Anfang an im Zentrum christlicher Glaubensvorstellungen – die Verleiblichung von Gotteserfahrungen, von Glaubenszielen, von Glaubensquellen, von Gottesbegegnungen.
„Gott über uns“ wird „Gott mitten unter uns“.
Aus dem jenseitigen Gott wird ein Gegenüber.
Und von Anfang an schwingt mit: Den Mächten und Mächtigen dieser Welt wird damit die Macht genommen. In der exegetischen Ausführung von Lk 2,14 wird dies so formuliert:
Glanz gehört nicht den Palästen, sondern Gott in der Höhe! (…) Die zweite Zeile von V. 14 entzieht dem Kaiser seinen gern propagierten Friedenstitel. Augustus ließ sich als „Friedenskaiser“ feiern. Doch seine Interpretation von Frieden brachte Krieg, bestätigte Gewaltverhältnisse und stürzte ganze Völker in Armut. (…) Also beide Zeilen entkleiden den göttlichen Friedenskaiser seiner Ansprüche: Verehrungswürdiges Gewicht gehört allein Gott in den Höhen, Frieden aber soll endlich auf die Erde kommen, auf der Erde wachsen – und nicht länger an römische Kaiser gebunden werden. Um den Vers zu verstehen, ist es unabdingbar, alle drei Zeilen zusammenzuhören, sinngemäß:
Wenn Glanz bei Gott (in der Höhe) ist –
wächst der Frieden unter den Menschen (auf der Erde) –
und Gott freut sich!Wo die Menschen Gott die Ehre geben (und nicht dem Kaiser) und versuchen, in Frieden zusammenzuleben (statt unter dem römischen Besatzungsfrieden), ist Gottes Wohlgefallen. Diese Botschaft setzt die Hirt:innen in Bewegung.
https://www.bibel-in-gerechter-sprache.de/wp-content/uploads/Lk_2_1-20_SutterRehmann.pdf
Der Welt-AIDS-Tag ist ein Beispiel dafür, was in Bewegung geraten kann, wenn Menschen sich in Bewegung setzen. In der 90er Jahren war die MCC schwer getroffen von HIV und AIDS. Wir waren die „Kirche mit AIDS“ (theologisch gesprochen damit auch: der Leib Christi mit AIDS). Täglich wurden Menschen zu Grabe getragen, zuweilen gab es mehrere Beerdigungen pro Tag. Das Sterben in Isolation, die Stigmatisierung, die Ausgrenzung (auch und gerade aus christlichen Kreisen) war die eine Seite: die Seite der Mächtigen der Welt.
Auf der anderen Seite ermöglichte das Engagement der MCC Räume: Eltern besuchten vielleicht das erste Mal ihren schwulen Sohn. Sprachen das erste Mal miteinander. Versöhnten sich. Fanden Frieden.
Die übermächtig erscheinende Seite der Ausgrenzung wurde entmächtigt von der Seite der Hoffnung: auf Miteinander, auf Versöhnung, auf Frieden.
Auch eine zweite Hoffnung wurde nie aufgegeben: Dass doch irgendwas helfen muss. Heute ist es möglich, Infektionen unter die Nachweisgrenze zu bringen. Richtig behandelt ist HIV nicht mehr ansteckend. Anders als am Anfang müsste nicht mehr HIV an sich das Problem sein – zum Problem wird HIV aus Unkenntnis und wegen mangelnder medizinischer Versorgung.
Vor 30 Jahren war das undenkbar. Auch dies ist ein Beispiel dafür, dass nie etwas so bleiben muss, wie es gerade aussieht – und sieht es auch noch so mächtig aus.
Diese Botschaft begleitet das Leben Jesu von Anfang an. Auch bei Jesus dauerte es zwar 30 Jahre, bis er nach seiner Geburt wirkkräftig wurde und Heil, Heilung und Heiligung stiftete. Aber Weihnachten ist damit genau NICHT das Fest des „So-war-es-immer-schon“. Die einzige Tradition, von der sich zu Weihnachten sprechen ließe, ist:
Was uns niederdrückt, trennt, entzweit, verletzt, angreift, krankmacht, kleinmacht und bloßstellt, all das wird nicht das letzte Wort haben.
30 Jahre nach seiner Geburt rief Jesus dazu auf: „Lebt so, als sei das schon Wirklichkeit. Worauf wollt ihr noch warten?“
• Wenn dein Warten ein Ende hat: Was genau hat dann ein Ende?
• Woran merkst du, dass es ein Ende hat?
• Was ist der nächste Schritt, den du gehen kannst auf dem Weg dorthin?
*) „[D]ie Arbeit bei einer Herde [war] nicht geschlechtsbezogen“ https://www.bibel-in-gerechter-sprache.de/wp-content/uploads/Lk_2_1-20_SutterRehmann.pdf