Impuls MCC Köln, Ines-Paul Baumann
15. Dez. 2024
Lukasevangelium 2,8-19
Maria als Beispiel einer klugen Theologin?
Maria als Beispiel einer schwangeren Person ohne Sex?
In den letzten Tagen wurden mit zwei Impulse zugespült. Schon einzeln finde ich sie inspirierend, aber beide zusammen ergeben eine zum Advent passende Frage.
Das erste ist ein „Exegetischer Impuls zu der Weihnachtsgeschichte von Lk 2,1-20“ von Luzia Sutter Rehmann. Mir ist bisher tatsächlich nicht wirklich aufgefallen, dass manche Bibelübersetzungen Maria eher „als sorgenschwer, empfindsam [zeichnen], aber nicht als klug und reflektiert“:
In V. 19 heisst es: Maria bewahrte alle Worte und erwog sie in ihrem Herzen. Die BigS folgt damit der Einheitsübersetzung und der Elberfelder.
Andere Übersetzungen haben:
Maria aber behielt alle diese Worte und bewegte sie in ihrem Herzen. (Luther 2017, neue Zürcher Übersetzung und Schlachter)
Maria aber bewahrte all das Gehörte in ihrem Herzen und dachte viel darüber nach. (Gute Nachricht Bibel)
Maria aber merkte sich jedes Wort und dachte immer wieder darüber nach. (Hoffnung für alle)
Maria aber bewahrte alle diese Dinge in ihrem Herzen und dachte oft darüber nach. (Neues Leben Bibel)Wenn wir uns fragen, warum V. 19 aufgeschrieben wurde, dann wird die Übersetzungsentscheidung der BigS, der Einheit und der Elberfelder einsichtig. Diese drei Übersetzungen haben kein Problem da mit, dass Maria von Nazaret als kluge Tradentin erkennbar ist. Sie ist diejenige, die dabei war, die alles erlebt und gehört hat. Sie bewahrt und bezeugt die Botschaft. Dem Lukasevangelium ist es damit noch nicht genug: Maria erwog auch alles in ihrem Herzen. Sie überlieferte, was ihrer Prüfung standhielt. Das Herz bezeichnet in der Bibel nichts Emotionales oder Süßes, sondern den Gedächtnisraum und den Ort der Vernunft und der Erfahrungen. Maria ist damit nicht nur Tradentin, sondern auch Theologin, die die Botschaft der Hirt:innen sorgsam prüft und dann so weitererzählt, dass sie verstanden werden kann.
Die Übersetzungen von Luther, der neuen Zürcher und Schlachter zeichnen die Szene anders. Sie betonen, dass Maria diese Worte behält, sie nicht vergisst. Sie hat also ein gutes Gedächtnis. Wie aber ist das Bewegen der Worte zu verstehen? Maria bewegt die Worte und weiß nicht so recht, was sie denken soll von der ganzen Sache? Wozu sollte das Lukasevangelium das erzählen? Wie leicht wird Maria auf ein emotionales Wesen reduziert. In den evangelikalen Übersetzungen Gute Nachricht Bibel, Hoffnung für alle und Neues Leben Bibel wird dieses Nichtbegreifen der Maria noch verstärkt: Sie dachte immer wieder darüber nach… Maria hat in diesen Übersetzungen ein gutes Gedächtnis und brütet über die Worte des Engels. Sie gehen ihr nicht aus dem Kopf, sie kreisen und kreisen. Damit zeichnen sie Maria als sorgenschwer, empfindsam, aber nicht als klug und reflektiert.
https://www.bibel-in-gerechter-sprache.de/wp-content/uploads/Lk_2_1-20_SutterRehmann.pdf
Der zweite Impuls gelangte zu mir über PARADIES & DAS:
Wie liest sich die Jungfrauengeburt Marias eigentlich vom Ace-Spektrum her?
MUSSTE Maria denn wirklich Sex gehabt haben, um ein Kind zu bekommen?
Welche Modelle sind „richtig“ genug für ein Leben mit Kind?
Was ist mit Menschen, die nicht romantisch einer bestimmten anderen Person verbunden sind?
Was ist mit Menschen, die asexuell sind?
Warum sollte Joseph nicht ein Kind großziehen, das er nicht gezeugt hat?
Warum sollten Eltern ihre Kinder immer nur per Geschlechtsverkehr zeugen; es gibt ja auch andere Wege?
Beide diese Aspekte auf Marias Rolle bei der Geburt Jesu lassen sich zusammenfassen:
Das eine Mal wird Maria abgesprochen, eigenständig nachdenken zu können.
Das andere Mal wird ihr abgesprochen, auf irgendeine andere Weise als per heterosexuellem Geschlechtsverkehr schwanger geworden zu sein.
In beiden Fällen wird Maria etwas abgesprochen, wird ihr etwas nicht zugetraut, wird etwas nicht für möglich gehalten. (In beiden Fällen übrigens eng verbunden ihrer Geschlechterrolle.)
Das Lukasevangelium hat einen anderen Blick auf Maria; es legt diese einengende Brille ab. Es setzt um, was es Jesus verkünden lässt: Kehrt um! Eine andere Welt ist möglich!
- Wenn dieses Absprechen von Fähigkeiten und Möglichkeiten ein Ende hat: Was genau hat dann ein Ende?
- Wenn das Herabsetzen ein Ende hat, wenn dieses „nicht-genug-…-sein“ ein Ende hat: Wie würde sich das anfühlen, was würde sich dann auftun, was würde sich dann zeigen?
- Und wie können wir als Einzelne und als Gemeinde andere (und uns selbst) dabei unterstützen, Fähigkeiten anzuerkennen und einzubringen und Möglichkeiten zu realisieren?