Predigt MCC Köln, 2. März 2014
Ines-Paul Baumann
Mt 17,1-9: „Die Verklärung Jesu“
Wenn dunkle Schatten über unseren Gefühlen und Gedanken liegen…
Wenn Probleme und Sorgen und Wirrwarr uns keine klare Sicht ermöglichen….
Wenn wir meinen, Gott sei ganz fern…
Wenn unser Leben überschattet ist…
… gerade dann ist die Sehnsucht nach Klarheit oft um so größer.
(Eine „lichte“ Wolke, wie Matthäus im Gegensatz zu Markus und Lukas – beschönigend? – ergänzt, wirft noch lange nicht nur „lichte“ Schatten.)
„Wer bin ich? Bin ich auf dem richtigen Weg? Gott, würde ich doch nur deine Stimme klar hören können!“ Die Sehnsucht nach Klarheit kennen die meisten.
Wir beneiden Jesus und die drei Jünger bei der Verklärung vielleicht für die Klarheit der Stimme, die da erklang – aber dass die Situation von einer Wolke überschattet war, überlesen wir gerne vor lauter Glanz und Herrlichkeit.
Dabei war es genau diese Wolke, die Jesus und die Jünger überschattet, aus der heraus die Stimme erklang, die sich mit Wohlgefallen zu Jesus bekennt.
Keines der Evangelium sagt ausdrücklich, dass dies Gottes Stimme war. Und doch gehen wir geradezu selbstverständlich davon aus. Warum ist das dann nicht gesagt? Vielleicht ist der Gedanke bis heute nicht aussprechbar, dass wir Gott auch in dem finden, was unser Leben überschattet? Und zwar nicht als strafenden Gott (der all das, was unser Leben überschattet, quasi als „gerechte Strafe für unsere Verderbtheit“ schickt), sondern als die Stimme, die uns ihr Wohlgefallen ausspricht und sich an unsere Seite stellt?
Die Klarheit, die Gott uns vermittelt, entsteht aber manchmal genau inmitten solcher Situationen.
Wenn alles unklar erscheint – und genau darin etwas Anderes und Neues Klarheit gewinnt.
Wenn wir im Schatten stehen – und das Licht plötzlich nicht mehr neben uns strahlt, sondern aus uns heraus.
- Das Leben von Troy Perry war sehr überschattet, als eine Stimme ihn stärkte und er die Klarheit gewann, die MCC ins Leben zu rufen.
- Das Leben von Janine war in den letzten Jahren oft überschattet, aber genau darin gab es eine Stimme, die sie stärkt und ihr die Klarheit verlieh, das Jugendcafe der MCC Köln ins Leben zu rufen.
- Das Leben vieler Transgender-Menschen ist oft überschattet, und genau darin gibt es eine Stimme, die sie stärkt und ihnen die Klarheit verleiht, dass sie ihren Weg gehen sollen.
Woran können wir erkennen, ob die Stimme, die wir hören, wirklich die Stimme Gottes ist? Wonach sollen wir entscheiden, ob wir wirklich auf diese Stimme hören sollen?
Am Beispiel der Verklärung Jesu können wir sehen, auf welche Weise Gott Klarheiten schenkt.
Die Quelle des Handelns
Die wichtigste Frage ist die, was am Anfang deiner Selbstwahrnehmung steht. Aus welcher Motivation heraus handelst du? Was treibt dich an? Was „bewegt“ dich? Was ist die Quelle, aus der sich dein Leben speist?
Ich denke jetzt nicht nur an diejenigen, die am lautesten gegen Homosexualität eintreten, weil sie an diesem Punkt gegen sich selber ankämpfen. Ob Christen oder nicht, unsere Einstellung zu uns selbst bestimmt unser Handeln maßgeblich. Muss ich mir was beweisen? Traue ich mir nichts zu? Muss ich mit meinem Leben vorführen, wie ungerecht meine Eltern zu mir waren? Will ich sie oder mich oder gar Gott dafür strafen, dass ich mich abgelehnt fühle und schon selber ablehne? Oder ist mein Leben davon bestimmt, dass ich mich annehmen kann? Dass ich weiß: Ich kann mich annehmen, so wie ich bin? Ich mache Fehler und baue Mist, OK, aber auch damit kann ich mich annehmen? Ich kann an mir arbeiten, weil ich es wert bin (nicht UM etwas wert zu sein); ich kann mich verbessern, weil ich es gut mit mir meine (nicht DAMIT ich es gut mit mir meinen darf)? Ich weiß, wer ich bin – das macht mich stark, sogar Gefahren oder Leid in Kauf zu nehmen?
- Troy Perry konnte die MCC erst gründen, als er seine Liebe zu Gott und zu sich wiedergefunden hatte. Die Gründung der MCC war nicht die Fortsetzung davon, sich die Pulsadern aufzuschneiden – es war der Anfang davon, andere davor zu bewahren.
- Janine konnte deswegen das Jugendcafé starten, weil sie als eine der wenigen aus ihrer Glaubenstradition nicht übernommen hatte, dass Gott sie wegen ihrer Liebe zu einer Frau verurteilen würde. Sie weiß sich und andere als von Gott angenommen und möchte diese Anerkennung an andere weitergeben.
- Transgendermenschen können erst dann ihren Weg finden, wenn sie sich annehmen und wertschätzen mit ihrer eigenen Identität. Solange sie gegen sich arbeiten, werden sie nie ihren Weg offen gehen. Sich verstecken, verstellen, verleugnen, um den Erwartungen anderer gerecht zu werden, das ist nicht gerade eine Hilfe dabei, sich selbst als wertvoll und liebenswert anzuerkennen.
Immer vor entscheidenden Wendepunkten erfährt Jesus die Zusage Gottes, dass Gott zu ihm steht und Wohlgefallen an ihm hat. Das war bei Jesu Taufe so, also vor Beginn seines Wirkens; und es ist dieses Mal so. Auch hier beschreibt das Matthäus-Evangelium einen Wendepunkt in Jesu Leben; im wahrsten Sinne des Wortes steht ein Richtungswechsel an. Ab hier führt der Weg Jesu nach Jerusalem, in die Gefahr und ins Leid. Jesus nimmt das auf sich – aber nicht als Strafe oder als Bestätigung dafür, dass er ja nichts Besseres verdient habe im Leben.
Jesus geht seinen Weg nicht, UM Gott zu gefallen – er kann seinen Weg gehen, weil er weiß, DASS Gott Wohlgefallen an ihm hat.
Jesus geht seinen Weg nicht, DAMIT Gott ihn liebt – er kann seinen Weg gehen, weil er weiß, DASS Gott ihn liebt.
Ist das die Gewissheit, die dich antreibt?
Aus welcher Quelle nährt sich dein Handeln?
Wenn du aus vergifteten oder bitteren Quellen trinkst, such dir neue.
Such so lange, bis du die Stimme hörst, die dir sagt: „Du bist mein geliebtes Kind, an dir habe ich Wohlgefallen.“
Gott liebt dich und Gott steht zu dir. Mach das zur Basis deines Handelns, nicht zum Ziel deines Handelns.
Das Licht, das auf dich und dein Leben fällt, muss dann gar nicht mehr von außen hereinstrahlen. Du selbst wirst zu strahlen beginnen.
Die Bezugspersonen
Mehr macht die Stimme aus der Wolke gar nicht. Welche Bedeutung das Leben Jesu konkret hat, dazu sagt sie nichts. Der Weg Jesu erschließt sich trotzdem in dieser Verklärung; aber nicht wegen der Stimme aus der Wolke, sondern weil Mose und Elia an Jesu Seite erscheinen.
Viele lesen das als Zeichen, dass Jesus das Werk von Mose und Elia vollendet und erfüllt: Ab sofort sind nicht mehr das Gesetz (des Mose) oder das Prophetentum (des Elia) maßgeblich, sondern in Jesus finden beide ihren Meister. Oft klingt das ein bisschen so, als wäre das ein Gegensatz: Jesus STATT Mose, Jesus STATT Elia.
Ich kann mir gut vorstellen, dass dieser Gegensatz für Jesus selbst gar nicht im Vordergrund stand. Vielleicht waren Mose und Elia bei der Einordnung von Jesu Leben viel wichtiger als Mitstreiter, die lange vor Jesus schon Wege gegangen sind, die nun für ihn wichtig waren. An den beiden konnte er sich orientieren, mit den beiden konnte er sich vergleichen, konnte Gemeinsamkeiten herausfinden, aber auch Unterschiede. Wie sonst soll jemand seinen eigenen Weg finden können?
(Ob Jesus selbst die beiden sah oder dies eine Wahrnehmung der drei Jünger war, ist letztlich gar nicht ausschlaggebend: Unser Leben wird anderen zeigen, was wir von innen heraus gestalten. Und wie sie uns sehen, wird auch ihrerseits davon abhängen, welche Bezüge sie in unserem Leben wahrnehmen.)
- Troy Perry war nicht der erste, der eine Kirche gründete. Was er im Speziellen getan hat, zeigt sich im Vergleich von Gemeinsamkeiten und Abgrenzungen. Vieles hat MCC mit anderen Kirchen gemeinsam, manch anderes nicht. Am Ende musste Troy seinen eigenen Weg finden und gehen.
- Janine war nicht die erste, die ein Jugendcafé ins Leben gerufen hat. Was sie im Speziellen bewirken möchte, zeigt sich im Vergleich von Gemeinsamkeiten und Abgrenzungen. Vieles hat das Jugendcafé der MCC mit anderen Jugendcafé gemeinsam, manch anderes nicht. Am Ende muss sie ihren eigenen Weg finden und gehen.
- Für viele Transgender-Personen ist es wichtig, sich mit anderen auszutauschen. Wer sie im Speziellen sind, zeigt sich im Vergleich von Gemeinsamkeiten und Abgrenzungen. Vieles haben Transgender-Personen untereinander gemeinsam, manch anderes nicht. Am Ende muss jede ihren eigenen Weg finden und gehen.
Wir brauchen solche „inneren Weggefährten“ – bei der Einordnung unseres eigenen Lebens und bei dem anderer. Manche dieser Weggefährten lernen wir nie persönlich kennen; sie haben lange vor uns gelebt oder leben sehr weit weg. Und doch sind sie an unserer Seite, genau so wie Mose und Elia an der Seite Jesu sind.
Welche Weggefährten würden deine Mitmenschen in deinem Leben erkennen? Mit wem vergleichst du dich selbst, um deinen Weg zu finden? Welche Vorbilder hast du? Welche Gemeinsamkeiten suchst du, die dir weiterhelfen? Und schaffst du es auch, dich ausreichend abzugrenzen, um am Ende deinen eigenen Weg zu finden und zu gehen?
Mitläufer/innen gesucht :)
Nun mögen sich manche sagen: „Ja super, Ines-Paul, das verstehe ich alles – aber was hat das mit mir zu tun? Ich bin nicht Jesus, ich bin kein Troy Perry, keine Janine und kein Transgender. Neue Wege stehen für mich nicht an, offenbarende Erscheinungen und Klarheiten sehe ich auch nicht auf mich zukommen.“
Gut, dass es euch gibt! Ihr werdet gebraucht! Die drei Jünger auf dem Berg haben ja auch keinen eigenen Verklärungsmoment erlebt. Aber sie waren dabei, als sich Gott an Jesu Seite stellte. Sie waren dabei, als sich in Bezug auf Jesus offenbarte, dass sein Weg in der Reihe von Moses und Elia stehen würde. Und Jesus brauchte diese Jünger: als Zeugen, als Mitstreiter, als Unterstützer, als Weggefährten – und als diejenigen, die seinen Weg dann fortsetzten. Zuerst ein paar, dann immer mehr.
- Als Troy Perry die MCC gegründet hat, hätte seine eigene Klarheit auch nichts genützt, wenn nicht andere diesen Weg mitgegangen wären und weitergeführt hätten – zuerst ein paar, dann immer mehr.
- Die größte Klarheit in Bezug auf das Jugendcafé würde Janine nichts nützen, wenn nicht Menschen innerhalb und außerhalb unserer Gemeinde diesen Weg mitgehen – zuerst ein paar, dann immer mehr.
- Das Leben einer Transgenderperson, die sich auf den Weg macht, sieht entscheidend anders aus, je nachdem, wer diesen Weg mitgeht. Und wie schon Jesus es bei seiner Verklärung den Jüngern mit auf den Weg gibt: Nicht die anderen entscheiden, was wann wo von diesem Outing erzählt wird. Jesus entscheidet, wann die anderen davon erzählen dürfen!
Jedes Projekt und jeder persönliche Weg wird davon getragen, dass Menschen zusammenfinden und gemeinsam Leben gestalten. Wenn wir alle eine eigene Vision hätten und alle in unterschiedliche Richtungen rennen würden, wäre nichts gewonnen.
Seien wir froh, dass wir Menschen unter uns haben, die von Gott Klarheiten bekommen, dass Gott sie unterstützt und losschickt.
Und seien wir froh über jede und jeden einzelnen, die solche Wege mitgehen und mit ermöglichen.
Was also erfüllt Gott in dir und durch dich?
Welchen Jesus die Welt heute kennenlernt, hängt mit davon ab, welchen Jesus wir mit unserem Leben als Gemeinde und als Einzelne offenbaren. Wir stehen dabei an unterschiedlichen Punkten heute:
– Wenn du noch aus einer vergifteten und bitteren Quelle trinkst, such dir andere (nicht nur, aber insbesondere auf die Quellen deines Gottesbezugs). Gib nicht auf. Such so lange, bis du die Stimme hörst, die dir sagt: „Du bist mein geliebtes Kind, an dir habe ich Wohlgefallen.“
– Wenn du ahnst, dass du auf den Berg musst, dass da was auf dich zukommt, und du Klarheit suchst inmitten dessen, was dein Leben gerade überschattet: Such dir die richtigen Bezugspersonen, ob in der Gegenwart oder aus der Vergangenheit. In wessen Reihe steht dein Leben? Welche Wege setzt du fort? Was musst du anders machen, damit es dein eigener persönlicher Weg wird – das Leben, zu dem Gott dich berufen hat, für das Gott dich geschaffen hat?
– Wenn du gerade frei bist von eigenen Offenbarungen und Visionen, wenn gerade keine Erscheinungen ein Outing von dir zur Folge haben, das dich und andere auf neue Wege führt: Dann unterstütze andere um dich herum. Sei einfach da, sei dabei, mach mit. Du bist wichtig!
Als Jesus und die drei Jünger auf den Berg gingen, waren sechs Tage vergangen, sagt das Matthäus-Evangelium. Es begann der siebte Tag. Und Gott sah an alles, was sie geschaffen hatte, und siehe, es war sehr gut.