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Weder Weihnachts-Wonneproppen noch Endzeit-Terminator („Wiederkunft“ Teil 2: Wer kommt?)

Predigt MCC Köln 6. Dez. 2015
Ines-Paul Baumann

Lukas 21,25-36: „Die Wiederkunft des Menschensohnes“

Im Christentum gibt es zwei sehr unterschiedlichen Jesus-Figuren. Anscheinend durchläuft Jesus eine ziemlich krasse Mutation, während er nach seiner Himmelfahrt auf seine Wiederkunft wartet. Beide Figuren dienen oft dazu, mit unseren Gefühlen zu spielen.

Ich komme auf diese Jesus-Bilder zu sprechen, weil ich einen Aspekt von Manfreds Predigt letzten Sonntag aufgreifen möchte. Manfred wies darauf hin, dass wir zwar nie wissen können, WAS da kommt, wenn unsere (persönliche oder gesamt-materielle) Welt untergeht, aber WER da kommt. Genau darauf möchte ich heute einen Blick werfen: WER kommt denn da, wenn wir davon sprechen, dass wir Jesus erwarten?

a) Advent: Jesus kommt an Weihnachten

Der Jesus, den wir an Weihnachten erwarten, wird meist als süßer Wonneproppen mit Heiligenschein dargestellt.

b) Endzeit: Jesus kommt bei seiner Wiederkunft

Der Jesus, den wir in der Endzeit erwarten, wird meistens ganz anders dargestellt:

Nach seiner Auferstehung fährt Jesus bei seiner Himmelfahrt wie mit einem Weltraum-Aufzug in den Himmel. (Es gibt ein Gemälde dazu, da gucken nur noch seine Füße aus einer Wolke hervor!) Bei seiner Wiederkunft fährt Jesus dann wieder herunter und erscheint vor aller Welt, um die Welt zu richten und die Menschheit aufzuteilen in diejenigen, die dazugehören, und diejenigen, die NICHT dazugehören.

In manchen Bildern vermischt sich diese Wiederkunft Jesu mit der sogenannten „Entrückung“, d.h. die Heiligen und Gerechten (die „wahren Christen“) werden ihrerseits zu Jesus in den Himmel gezogen. Das müsste eigentlich einen Plätzetausch zufolge haben (Jesus kommt auf die Erde, die Gerechten kommen in den Himmel, und nun sind sie wieder getrennt voneinander). Das passiert aber nicht, wenn die Entrückung VOR der Wiederkunft Jesu stattfindet: VOR der Wiederkunft Jesu verschwinden zuerst irgendwann alle Heiligen und Gerechten in den Himmel, und nur die armen Sünder werden übrig bleiben.

(Hierzu gibt es eine Bildmontage von einer Parkbank im Grünen mit zwei Männern, von denen nur noch der eine da sitzt, und über dem Bild steht: „Behold, I come quickly“. Was wohl neun von zehn Schwulen bei so einem Szenario denken?)

Für die Gerechten und Bekehrten soll diese Entrückung natürlich ein Ereignis sein, dem sie mit Freude entgegenblicken. Für die Sünder und Unbekehrten aber ist die Entrückung natürlich eine Bedrohung.

Die Bilder zum Entückungs-Szenario sind oft dementsprechend furchterregend ausgemalt, als wäre ihr eigentliches Anliegen eine Art „Drückerkolonnen-Versicherungsmakler-Bekehrung“:
„Willst du bei den Geretteten sein, die in den Himmel aufgenommen werden? Oder willst du bei den Verlorenen-Verlassenen-Verurteilten sein, die Gottes vollen Zorn und seine (sic!) volle Strafe zu spüren bekommen? Nun, hier wäre deine Absicherung: Bekehre dich und alles wird gut! Entscheide dich jetzt! (Und da die Welt eh bald untergeht, musst du ansonsten auch nichts weiter tun – alles Elend, alle Umweltzerstörung, alle Kriege sind nur der Beweis dafür, dass wir uns in der Endzeit befinden. Willst du dich etwa für die Umwelt engagieren und damit die Vollstreckung des Urteils Gottes hinauszögern?)“

Kommen wir zurück zu meiner Eingangsfrage: Wer ist es, den wir da erwarten?

Bemerkenswert ist, dass aus dem weihnachtlichen süßen Wonneproppen-Jesus mit Heiligenschein bei vielen Wiederkunft-Szenarien nun ein Jesus geworden ist, der eher an Szenen aus Terminator-Filmen erinnert:

  • Waffenstrotzend kommt er zur Rettung der Welt [in Gemälden z.B. als gerüsteter Reiter],
  • der Verlauf der restlichen Zeit liegt in seiner Hand [in Gemälden z.B. mit Sanduhr],
  • übermenschengroß klopft er an [in Gemälden z.B. am Hochhaus],
  • um einzuziehen mit seinem Heer [in Gemälden z.B. als Reiterheer mit Fahnen].

Menschen, die diese Schreckensszenarien nicht so attraktiv finden, halten es als Alternative dazu gerne mit Bildern, die solche Assoziationen gänzlich vermeiden und z.B. nur noch Wolken und Himmel zeigen. In einer Predigt nach diesem Muster habe ich gelesen, dass Jesus ja eh schon da ist (in uns und in allen Menschen), und dass es jetzt nur noch darum geht, auch in Zeiten der Trübsal den Kopf hoch zu tragen (als wären wir auf Wolke 7), um mit unserer ungebrochenen Menschlichkeit ein für alle sichtbares Zeichen zu setzen. (Die in der Bibel genannten „Wolken“ und die „Sichtbarkeit für alle“ sind also da, aber nur in dem Kontext, dass wir quasi immer nur die Wiederkunft „wiederholen“, die mit Jesu Auferstehung längst geschehen ist.)

Ich kann aktuell beiden Szenarien nicht wirklich meinen Glauben schenken. Damit meine ich nicht, dass die Wahrheit irgendwo dazwischen liegt. Ich glaube, dass die Wahrheit irgendwo daneben liegt.

Ich glaube durchaus, dass es nochmal eine andere Form des Erscheinens Jesu geben wird als bei seiner Geburt oder seiner Auferstehung oder seiner Einkehr in das Leben der einzelnen Gläubigen. Aber der Jesus, den ich erwarte bei seiner Wiederkunft, ist immer noch der Jesus, dessen Leben und Wirken die Evangelien überliefern.

Da die Himmelfahrt den irdischen-Evangelien-Jesus mit dem Evangelien-Wiederkunfts-Jesus verbindet, werfe ich zuerst einen Blick auf die Himmelfahrt:

1) Himmelfahrt Jesu

Was ist mit der Himmelfahrt Jesus besagt? Kurz gesagt: Jesus ist jetzt nicht mehr richtig da, aber auch nicht richtig weg.

Das geht durchaus zurück auf Erfahrungen, wie sie in den Evangelien bereits zu irdischen Lebzeiten schon von Jesus gezeichnet werden. Auch hier ist Jesus zwar da, aber oft auch nicht.

Interessant ist, zu welchen Momenten Jesus genau NICHT da ist:
Wenn er am dringendsten gesucht wird, läuft Jesus weg.
Wo Leute meinen, eine Ahnung davon zu bekommen, wer er ist, verschwindet er.
Es wirkt fast so, als WOLLE Jesus gar nicht gefunden oder gekannt werden; als solle niemand ihn beherrschen oder besitzen dürfen. („Unwilling to be found, to be known, to be contained or owned.“ http://progressivechristianity.org/)

Nach seinem Tod und seiner Auferstehung ändert sich nichts an dieser Erfahrung, sie bekommt aber eine neue Dimension. Genau das wird mit der Himmelfahrt gesagt: Jesus ist zwar nicht mehr leiblich sichtbar, aber damit ist Jesus nicht aus der Welt.

Christen glauben an die Gegenwart Jesu in unserer Welt, z.B.

  • in Wort und Sakrament,
  • im Heiligen Geist,
  • wo 2 oder 3 in seinem Namen versammelt sind,
  • in den Armen, Kranken, Mittellosen („Nackten“), Gefangenen,
  • in den Seinen.

Auch das läuft also auf die Erfahrung hinaus, dass Jesus mal da ist und mal nicht. (Im Gegensatz zu Gott übrigens, den/die Christen in aller Welt ja durchaus als allgegenwärtig bezeugen! Gott ist also NIE „weg“ – auch wenn Jesus nicht erfahrbar in Erscheinung tritt.)

Für das ständige Kommen und Gehen Jesu gibt es noch ein weiteres Anzeichen, das man so verstehen könnte: Immer wieder im Lauf der Geschichte gibt es Menschen, die anhand des Geschehens in der Welt (Krieg, Erdbebeben, Not, …) auf das nahende Kommen Jesu schließen. Haben sie sich jedes Mal getäuscht? Nicht unbedingt; vielleicht haben Menschen solche Zeichen zurecht immer wieder als Zeichen für nahende Erscheinungen Jesu erkannt, tatsächlich WEIL Jesus auch vor diesem Hintergrund immer wieder Menschen erschienen ist: inmitten von Umständen, die sie als Weltuntergang erlebten.

Vom irdischen Jesus über die Himmelfahrt bis zu den Anzeichen seiner Wiederkunft finden sich dieselben Erfahrungen:

  • Jesus entzieht sich unserem Zugriff und unseren Schubladen immer wieder.
  • Jesus taucht immer wieder da auf, wo wir es vielleicht gerade nicht erwarten.
    (Auch das läst sich natürlich nicht als „Regel“ verstehen: Jesus taucht ja durchaus auch dann auf, WO Menschen ihn suchen und brauchen und erwarten.)

Jesus ist keine Knopfdruck-Erfahrung, die sich automatisch einstellt, wenn Menschen nur das Richtige tun oder sagen oder fühlen oder singen. Jesus begegnet MENSCHEN, nicht METHODEN.

Genau diesen Weg Jesu aus dem Zugriffsdenken und aus den Verfügbarkeits-Erwartungen unserer Welt heraus beschreibt die Himmelfahrt (und ist damit auf einer Linie mit dem irdischen Jesus aus den Evangelien).

2) Wiederkunft Jesu

Wenn die Wiederkunft Jesu quasi als Umkehr seiner Himmelfahrt zu verstehen ist, dann bedeutet das:

In seiner Wiederkunft verbindet Jesus diese Welt nun tatsächlich für alle sichtbar und für immer erfahrbar mit seiner Gegenwart und dem Himmelreich Gottes.

In seiner Wiederkunft verwirklicht Jesus „end-lich“ alle Hoffnungen auf eine bessere Welt (= „Retter“) und bringt die Welt ins Lot (= „Richter“).

Allerdings glaube ich, dass wir auch hier nicht einem „Terminator-Jesus“ begegnen, sondern dem Jesus, wie die Evangelien ihn zeichnen in seinem Leben und Wirken!

In den Evangelien begegnet Jesus den Menschen dort, wo sie sind. Für den Jesus der Wiederkunft gilt das unverändert. Jesus kommt wieder, und zwar auf die Erde, d.h. DIE ERDE wird ins Lot gebracht – anstatt dass wir uns aufmachen (oder uns auflösen) müssen, um in den Himmel zu Jesus kommen.

Spätestens jetzt wird klar, dass Himmel und Erde nicht verschiedene Orte sind, zwischen denen Jesus Aufzug fährt, sondern verschiedene Dimensionen, was Raum und Zeit und Materie angeht. Jesus war und ist in beiden Dimensionen gegenwärtig.

Von der Gegenwart und dem Wirken Jesu haben sich Menschen schon immer berühren und verändern lassen. „Das Reich Gottes ist nahe“, sagte Jesus immer wieder. Und wo er erschien, verwirklichte sich das so: Kranke wurden geheilt, Dämonen wurden ausgetrieben, inmitten von Schuld(en) öffneten sich neue Wege, Menschen ließen ab von zerstörerischem Handeln.

Nur ein Punkt hat sich nicht erfüllt: Die Erde ist immer noch voller Unrecht, Lüge und Gewalt. Mit der Wiederkunft Jesu in Bezug auf die Himmelfahrt wird sich genau das ändern. Dann erfährt die ganze Erde die heilende und heiligende Transformation, wie sie einzelne Menschen jetzt schon erfahren durch Jesus Christus.

Dies ist genau der Knackpunkt gerade auch für Menschen, die nicht mehr hoffen können, dass diese Welt überhaupt jemals ins Lot gebracht werden kann: „So viel Glaube habe ich nicht. Dafür fehlt mir die Hoffnung. Diese Welt wird sich nie zum Guten wenden. Außerdem wird es diese Erde ja nicht ewig geben!“ Nicht umsonst ist die Transformation bei der Wiederkunft Jesu verbunden mit einer NEUEN Erde und einem NEUEN Himmel (!!!). Genau das meint „Messiashoffnung“. Und deswegen können Glaubende durchaus zu dem Schluss kommen, dass sie sagen: „Ich weigere mich, aufzugeben!“

(Diese Messiashoffnung erfüllt sich dann übrigens auch für diejenigen, die mit Jesus und dem Christentum bisher nichts anfangen können, weil sie von einem Messias erwarten, dass er die Welt sichtbar zum Guten umkrempelt anstatt am Kreuz zu sterben.)

Anselm Grün beschreibt das so, „dass diese Welt mit ihren Möglichkeiten zu Ende kommt, dass sie nicht endgültig ist. (…) Die Naherwartung relativiert die Welt. Wir gehen nicht nur in die Zukunft, die wir selbst schaffen. Wir haben eine Zukunft vor Augen, die Gott schaffen wird.“

(Das Wort „schaffen“ lässt sich im Deutschen übrigens schön doppelt verstehen: Gott schafft eine Zukunft. Und Gott schafft das.)

Das kann am Ende der Zeiten geschehen.
Oder wenn unsere Zeit zu Ende ist.
Oder mitten im Leben, wenn wir eine tiefe Gotteserfahrung machen.
Wann auch immer es geschieht (und für alle diese drei Möglichkeiten gilt, dass wir den Zeitpunkt nicht vorherbestimmen können):

  • Der Jesus, der uns erwartet, ist der Jesus, der Menschen auf dieselbe Art begegnet wie in seinem Leben in den Evangelien.
  • Auch das „Reich Gottes“, das Jesus mitbringt, wird genau so sein wie in seinem Leben in den Evangelien, nicht wie im „Kaiserreich“ oder im „Dritten Reich“.

Gerade im Angesicht von Unrecht und Gewalt finde ich die Aussicht darauf, dass diese Welt ins Lot gebracht (= „gerichtet“) wird, so wichtig, so befreiend, entlastend, erleichternd. Sie zeigt, dass eben NICHT egal ist, was heute geschieht.

In Erwartung seiner Wiederkunft mögen wir Jesus dann sogar tatsächlich entgegenkommen wie auf Wolken, um ihn hier auf Erden zu empfangen. Als Kinder haben meine Schwester und ich uns oft aus dem Haus begeben, um unseren Vater freudig und gebührend zu empfangen, wenn er nach Hause kam. Unseren Vater hat noch niemand gesehen (auch wir nicht), aber uns und unser erwartungsfrohes Gehopse und unsere Kreide-Willkommens-Grüße auf dem Asphalt haben alle gesehen. Genau so sind wir als Gemeinde und das, was wir heute tun, ein für alle sichtbares, lebendiges Zeugnis dafür, dass die Dimension eines himmlischen Lebens ALLEN Menschen auf Erden zugesagt ist.

 

 

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