Impuls MCC Köln, Ines-Paul Baumann
16. Feb. 2025
Matthäus 20,1-16
Ich kann nichts dafür, dass am Sonntag vor der Bundestagswahl ausgerechnet dieser Predigttext in der Lesereihe auftaucht…
Thema an dieser Stelle im Evangelium ist: WER verdient WAS? Was lohnt sich? Wofür lohnt es sich? Was zählt mein (Nicht-)Einsatz am Ende? Werde ich belohnt? Oder abgestraft? Was ist gerecht?
Das ergibt sich aus dem Kontext:
- Davor: Wir haben alles für dich aufgegeben; was haben wir denn nun davon? Lohnt sich das?
- Danach: Jesus kündigt an, dass sein Weg damit enden wird, von allen verspottet und am Ende hingerichtet zu werden (und anschließend aufzuerstehen).
- DAnach: Zwei Mütter von zwei Jüngern bitten Jesus um eine himmlische Belohnung für den himmlischen Einsatz ihrer Söhne auf Erden. (Antwort Jesu: „»Ihr wisst, dass in dieser Welt die Könige Tyrannen sind und die Herrschenden die Menschen oft ungerecht behandeln. 26 Bei euch soll es anders sein. Wer euch anführen will, soll euch dienen“ Mt 20,25+26)
In diesen Fragenkomplex fügt das Matthäusevangelim also dieses Gleichnis ein:
1 Denn das Himmelreich ist vergleichbar mit dem Besitzer eines großen Gutes, der früh am Morgen hinausging, um Arbeiter für seinen Weinberg einzustellen.
2 Er vereinbarte mit ihnen den üblichen Tagelohn[1] und schickte sie an die Arbeit.
3 Um neun Uhr morgens ging er über den Marktplatz und sah einige Leute herumstehen, die keine Arbeit hatten.
4 Er stellte auch sie ein und sagte ihnen, sie würden am Abend den ihnen zustehenden Lohn erhalten.
5 Am Mittag und dann noch einmal nachmittags gegen drei Uhr tat er dasselbe.
6 Um fünf Uhr abends ging er noch einmal in die Stadt und sah immer noch ein paar Leute herumstehen. Er fragte sie: ›Warum habt ihr heute nicht gearbeitet?‹
7 Sie antworteten: ›Weil uns niemand angestellt hat.‹ Da sagte der Gutsbesitzer zu ihnen: ›Dann geht zu den anderen Arbeitern in meinem Weinberg.‹
8 Am Abend schließlich beauftragte er seinen Verwalter, die Leute zu rufen und sie zu entlohnen. Er sollte mit den Arbeitern beginnen, die als Letzte eingestellt worden waren.
9 Als die, die erst um fünf Uhr eingestellt worden waren, bezahlt wurden, erhielten sie alle einen vollen Tagelohn.
10 Als die, die früher eingestellt worden waren, an der Reihe waren, dachten sie, dass sie mehr bekommen würden. Aber auch sie erhielten einen Tagelohn.
11 Als sie ihr Geld bekamen, beschwerten sie sich.
12 ›Diese Leute haben nur eine Stunde gearbeitet und doch bekommen sie genauso viel wie wir, die wir den ganzen Tag in der sengenden Hitze schwer gearbeitet haben.‹
13 Einem von ihnen antwortete er: ›Mein Freund, ich war nicht ungerecht! Warst du nicht damit einverstanden, dass du den ganzen Tag für den üblichen Lohn arbeitest?
14 Nimm dein Geld und gib dich zufrieden. Ich will aber diesem letzten Arbeiter genauso viel geben wie dir.
15 Oder ist es mir nicht erlaubt, mit meinem Geld zu machen, was ich will? Willst du dich etwa darüber beklagen, dass ich gütig bin?‹
16 Genauso ist es bei Gott: Viele, die jetzt die Ersten sind, werden die Letzten sein, und die, die jetzt die Letzten sind, werden dann die Ersten sein.«Matthäus 20,1-16
(Neues Leben. Die Bibel)
Nun gilt ja auch in unserer Gegenwart: Leistung und Verdienst sind in unserem neoliberalen und partiarchalen Kapitalismus längst voneinander entkoppelt.
Die Vermögendsten lassen nicht mal mehr Arbeitskräfte für sich arbeiten, sondern Kapital (das bringt viel mehr). Reich werden Menschen durch Geldanlagen, Erbschaft, Steuerhinterziehung bzw. Steuervermeidung. Dazu kommen Ehegattensplitting, Pendlerpauschalen, Dienstwägen, Eigentum etc.
Denjeingen, die „hart arbeiten“, kommt wenig davon zugute. Lohn für Arbeit ist eine andere Liga als Boni für Vorstände und Aktionäre (ja, meistens ohne *innen).
Schon gar nicht können diejenigen auf angemessenen „Lohn“ hoffen, die Fürsorgearbeit leisten. Ob in der Kita oder im Pflegeheim, ob zuhause mit Kindern oder mit pflegebedürftigen Angehörigen oder anderen Mitbewohnis: Gesamt gesehen hat der Maßstab an „Belohnung“ den Bezug zu „Arbeit“ verloren. (Von „sinnvoller“ Belohnung für „sinnvolle“ Arbeit brauchen wir gar nicht zu reden.)
Dass „Lohn“ und „Leistung“ entkoppelt sind, spüren und erleben und beklagen viele. Fragen danach stehen im Raum; Antworten tun aber immer noch oft so, als wäre der Zusammenhang von Lohn und Leistung für die „Guten“ und „Gerechten“ weiterhin gegeben – wenn da nicht diejenigen wären, die „noch tiefer auf der sozialen Leiter“ stehen:
Dabei fehlt Geld für alle in der öffentlichen Diskussion nicht etwa deswegen, weil immer weniger Privatleute immer mehr Milliarden horten, sondern weil ein paar Sozialhilfeempfänger*innen und Geflüchtete Leistungen erhalten, „obwohl sie gar nicht arbeiten gehen“. (Dass sie oft gar nicht arbeiten DÜRFEN, fällt dann auch beiläufig unter den Tisch.)
Wer kann sich als „Lohn“ noch die Wohnung in der Innenstadt leisten? Wo ist der bezahlbare Wohnraum? Wenn drei kapitalorientierte Immobiliengesellschaften den gesamten Wohnungsmarkt unter sich aufteilen, dann steigen die Mieten nicht deswegen, weil ein paar Geflüchtete in Containern untergebracht werden.
Schauen wir also mal unter der Voraussetzung auf den Predigttext, dass etwas gründlich in Schieflage geraten ist mit den Prinzipien von Leistung und Lohn. Von Einsatz und Belohnung.
Der Predigttext bezieht dabei auch die mit ein, die nicht Vollzeit arbeiten KÖNNEN. Manche werden gar nicht erst gefragt. Aber sogar die, die sich anbieten, werden des Müßiggangs beschuldigt. Für manche mag das stimmen (fühlt euch willkommen in diesem Text!), aber in anderen Fällen ist das die klassische erste Schuldzuweisung: „Wenn du nicht genug bekommst, hast du halt nicht genug gemacht.“ Auch diese Polemik bekommt im Predigttext eine Antwort.
Es gibt also sehr unterschiedliche Erfahrungen davon, wie wir auf Einsatz und Lohn blicken können.
– „Ich habe doch für meinen Einsatz mehr verdient als ich bekomme, oder?!“
passt zum Text genau so wie:
– „Puh, danke, dass ich nicht dasselbe Pensum einbringen muss, um zum Leben genug zu haben!“
Aber egal, von welcher Perspektive wir auf diesen Text blicken:
Zunächst ist festzuhalten, dass in dem Gleichnis nur so viel gearbeitet wird, wie gearbeitet werden MUSS, damit alles erledigt ist. Die Frage ist nicht: Sind alle den ganzen Tag am Arbeiten – und verrichten vielleicht Arbeit, die gar nicht nötig ist? „Hauptsache, alle machen gleich viel und bekommen gleich viel“? Nein, eben nicht! Hauptsache, es wird erledigt, was zu erledigen ist; und es müssen eben nicht alle gleich viel dafür tun.
(Womit übrigens auch aus dem Weinberg nicht mehr „rausgeholt“ wird als ihm gut tut!)
Der Punkt ist nun: Auch vom Text her ist ein „gerechter Lohn“ also entkoppelt von dem vorher zu leistenden Einsatz. Aber es gibt sehr wohl einen anderen Maßstab: Am Ende bekommen alle so viel, wie sie zum Leben brauchen – unabhängig davon, wieviel sie vorher geleistet haben.
Und zwar in beide Richtungen:
1) Die Leistungsstärkeren bekommen NICHT MEHR, als sie zum Leben brauchen.
2) Die Leistungsschwächeren bekommen NICHT WENIGER, als sie zum Leben brauchen.
Entlohnung, Anerkennung und Lebenssicherung passen als Konzepte nicht zusammen.
Ob irdisches Leben oder Leben im Glauben: Der Sinn von „Belohnung“ ist nicht, dass unterschiedliche Leistungen zu unterschiedlichen Lebensstandards führen. Der Maßstab beim Verteilen dessen, was verteilt werden kann ist: Dass ALLE genug haben zum Leben,
– unabhängig davon, ob sie viel geleistet haben,
– unabhängig davon, ob sie gefragt und eingebunden wurden,
– und unabhängig davon, ob sie (aus welchen Gründen auch immer) sich nicht einsetzen konnten oder wollten.
Was hat das aber nun mit den Fragen der Jünger und ihrer Mütter(!) zu tun? Die Jünger HABEN ja offensichtlich VIEL geleistet – vielleicht nicht im Sinne der herkömmlichen Regeln (ihre Arbeit, ihre Rolle als Ernährer der Familie und ihren Staatsgehorsam haben sie ja aufgegeben), aber zumindest im Sinne ihres Glaubens SIND die Jünger doch an erster Stelle der Leistungsträger!
Ich frage mich auch manchmal, ob es sich „lohnt“, was ich in der MCC mache und worauf ich dafür „verzichte“. Was messe ich als „Lohn“ dafür? Sicherheit in Sachen Wohnung und Besitz, so wie die Jünger? Die besten Plätze am Tisch von Macht und Einfluss und Gesehenwerden, so wie ihre Mütter? Wenn ich mein Tun und meine „Belohnung“ WIRKLICH mal entkoppelt voneinander wahrnehmen könnte – von was (und zu was) würde mich das befreien? Hätte ich dann immer noch manchmal diese Neidgefühle auf religiöse Platzhirsche, auf hegemoniale Kirchenstrukturen, auf ressourcenstarke und reichweitenrelevante Szenestars, …?
Ich glaube: Jesus erzählt deswegen ein (mit heutigen Begriffen:) „marktwirtschaftliches“ Gleichnis als Antwort auf eine religiöse Frage, weil diese „religiöse“ Frage verwurzelt ist im marktwirtschaftlichen Denken. Und die Antwort ist handfest:
Die Aufgabe und die Verantwortung derer, die Arbeit und Geld zu verteilen haben, ist:
Was zu verteilen ist, muss Unterschiede ausgleichen, nicht verstärken.
Das Gleichnis Jesu ist ein Hinweis darauf, dass Jesus dieses Prinzip nicht nur in einem spirituellen Sinne wichtig findet, sondern im ganz „realen“ materiellen Miteinander für anwendbar hält.
Segen (vor der Bundestagswahl…)
Der Segen Gottes-der-Heiligen komme über euch,
über euren Mut und über eure Angst,
über eure Ratlosigkeit und über eure Zuversicht.
G*ttes Segen trage euch durch die Müdigkeiten des Alltags
und feiere mit euch die Verbundenheit allen Lebens.
G*ttes Segen bewahre euch vor Resignation und Zynismus
und halte euer Zutrauen wach –
in euch selbst, in die Menschen um euch herum
und in Gott, die alles bewahrt:
Seid gesegnet – seid gesegnet in Gott hinein
Auf Basis von Annette Jantzen:
https://www.bistum-aachen.de/Frauenseelsorge/Frauenseelsorge-Aachen/nachricht/24.-Sonntag-im-Jahreskreis-B—-zum-Segen/
https://www.bistum-aachen.de/Frauenseelsorge/Frauenseelsorge-Aachen/nachricht/6.-Sonntag-im-Jahreskreis-C—-Segen/
Weitere Links:
Podcast von #theoversity: „Klassenbewusste Theologie“
https://www.theoversity.com/podcast/
oder
https://www.podcast.de/episode/669434708/klassenbewusste-theologie