Predigt MCC Köln, 10. Mai 2020
Ines-Paul Baumann
Matthäusevangelium 4,8-11
„Wir bejahen Deinen Auftrag an die ganze Menschheit, für Land, Meer und Luft zu sorgen. Daher werden wir aktiv Systemen und Strukturen widerstehen, die Deine Schöpfung zerstören.“
UFMCC Glaubensbekenntnis
Letzte Woche ging es in unserem Gottesdienst um „Raum geben“. Als MCC Köln wollen wir genau das: Raum geben. Für Menschen und Gott. Für Glauben und Zweifel. Für unterschiedliche Gottesbilder und Glaubenswege. Am liebsten für alle und alles! Irgendwann haben wir aber gemerkt, dass „Raum geben“ nicht reicht. Wir mussten uns auch damit auseinandersetzen, wofür in der MCC Köln KEIN Raum sein soll.
Was haben Coronaviren und Frühlingspflanzen gemeinsam? Sie brauchen Raum, um sich zu entwickeln. Bevor sie im Leben sichtbar werden, vergeht Zeit.
Manches, was im Lauf der Zeit in unserem Leben sichtbar wird, tut uns und anderen gut (wie die Früchte vom Acker). Anderes tut uns und anderen nicht gut (wie das Coronavirus; außer für sich selbst und wer-weiß-was-noch).
Manchmal tragen wir dazu bei, dass sich etwas ausbreiten kann, ohne dass wir bewusst dazu beitragen. (Wie die Infizierten, die ganz symptomfrei bleiben.)
Auch Ideologien und Ideen und Werte können sich „in uns einnisten“, in uns wachsen, uns und unsere Gesellschaft bestimmen.
Es kann entscheidend sein, wie wir uns verhalten – auch wenn wir meinen, von etwas gar nicht betroffen zu sein. Nicht nur beim Coronavirus. Du bist halt keine Frau, was gehen dich dann feministische Themen an? Du hast halt keinen Lederfetisch, was gehen dich dann die Schließungen von Szenetreffs an? Du bist halt nicht in einer Selbsthilfegruppe, was betrifft es dich dann, dass auch sie sich derzeit nicht treffen dürfen? Du bist halt keine Geflüchtete, was betreffen dich dann Fluchtgründe oder die Zustände in Unterkünften? Du sitzt halt nicht im Rolli, was betreffen dich dann fehlende Zugangsmöglichkeiten?
„Als die Nazis die Kommunisten holten, habe ich geschwiegen; ich war ja kein Kommunist. Als sie die Sozialdemokraten einsperrten, habe ich geschwiegen; ich war ja kein Sozialdemokrat. Als sie die Gewerkschafter holten, habe ich geschwiegen, ich war ja kein Gewerkschafter. Als sie mich holten, gab es keinen mehr, der protestieren konnte.“
Martin Niemöller
Vorgestern war der 8. Mai, „Tag der Befreiung“ vom Nationalsozialismus beim Kriegsende 1945. Heute ist der 10. Mai, „Muttertag“. Nationalsozialistische Ideologien verschwinden nicht einfach mit Kriegsende. Prägungen durch Eltern lassen wir nicht einfach zurück, wenn wir zuhause ausziehen. Beides sind Beispiele dafür, wie sich Sachen bei uns einnisten, für unser individuelles Leben und als Gesellschaft.
Für was WOLLEN wir „Wirt“ sein, für was NICHT? Was wollen wir in uns tragen, was wollen wir NICHT in uns tragen? Was WOLLEN wir mit uns herumtragen, was wollen wir NICHT mit uns herumtragen?
Von den derzeitigen Änderungen in Gesellschaft, im Kirchenleben, im Berufsleben, im persönlichen Leben: Was soll bleiben? Was soll NICHT bleiben?
Nicht immer ist es so einfach wie mit Hände waschen und Gesichtsmasken. Was sich so alles in uns eingenistet hat, geht nicht einfach weg, indem wir sagen: „Ich will das nicht.“
Aber dieses Wollen ist ein entscheidender Anfang.
Zu benennen, was sich nicht bei uns einnisten soll, ist ein Bekenntnis. Es ist wie beim Glaubensbekenntnis: Natürlich führt ein Glaubensbekenntnis nicht automatisch zum Glauben. Es benennt auch manches, was noch Zeit braucht. Viel Arbeit. Manches darin wirkt vielleicht sogar utopisch.
Genau so ist es mit dem Bekenntnis, was wir NICHT mehr glauben wollen: Damit ist das nicht alles einfach weg. Manches braucht Zeit. Viel Arbeit. Wirkt utopisch. Aber es ist ein Bekenntnis. Ein Statement.
In dem Moment, wo Jesus den benennt, der über ihn die Macht haben will, verlässt der ihn. Das Benennen entzaubert das, was sich deinem Leben in den Weg stellen will. Dein Bekenntnis stärkt dich. Deine Position, deine Perspektive, deine Anliegen bekommen Stimme und Raum.
Ich lade uns heute ein, zu benennen, was in uns und über uns Macht gewinnen will, was sich aber bei uns AUSNISTEN soll. Wir können die Frage auf unser persönliches Leben genau so beziehen wie auf unsere Gemeinde(n) und als Menschheit.
(NICHT ALLES von dem, was wir benennen, ist GRUNDSÄTZLICH schlecht! Für andere Menschen oder in anderen Situationen kann das auch mal ganz anders aussehen! Aber trotzdem kann es für dich heute wichtig sein, dich bewusst von etwas zu distanzieren. Dann benenne es!)
Kriegsende und Muttertag: Befreiung, Erinnerung, Prägung.
Klimawandel, Frühling, Coronavirus: Raum nehmen, Raum geben. Für das Leben. Gegen das Leben.
Womit bist du in deinem (Glaubens-/Arbeits-/Sex-/Beziehungs-/Familien-/…) Leben in Berührung gekommen, was sich NICHT „in dir einnisten“ soll?
Oder was hat sich in dir eingenistet, was nun aber NICHT weiter Raum in dir bekommen und dein Leben bestimmen soll?
Gott stärke, was in dir wachsen will.
Gott schütze, was dich lebendig macht.
Gott schenke dir, was für dich heilsam ist.
Gott schaue darauf, was du freigibst.
(nach einem Segen aus der feministischen Theologie)