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Von Kirche und Religion darf keine Furchtmacherei ausgehen.

Pfingsten, Predigt MCC Köln
Ines-Paul Baumann

Denn Gott hat uns nicht gegeben den Geist der Furcht, sondern der Kraft und der Liebe und der Besonnenheit.
(Lesung: 2. Tim 1,6-14)

 

„Gott hat uns nicht gegeben den Geist der Furcht“. Trotzdem kann es manchmal gut sein, sich zu fürchten. Furcht und Angst können angemessene und vernünftige Ratgeber sein. Insbesondere da sollte uns zum Fürchten sein, wo „im Namen Gottes“ ein Geist der Furcht verbreitet wird:

  • Wo gepredigt wird, dass wir uns vor Gott fürchten müssen: „Gott sieht alles! Gott weiß, wie schrecklich und schlimm du bist! Also fürchte dich vor Gott!“ Hier muss uns zum Fürchten sein, denn Gott hat uns nicht gegeben den Geist der Furcht!
  • Wo gepredigt wird, dass wir Angst vor der Hölle haben müssen und wir nur deswegen Probleme haben, weil wir etwas falsch gemacht und „nicht genug geglaubt“ haben. Hier muss uns zum Fürchten sein, denn Gott hat uns nicht gegeben den Geist der Furcht!
  • Wo gepredigt wird, dass wir uns fürchten müssen vor gewissen Menschen und keinen Umgang mit denen haben dürfen, die „voller Sünde und Unreinheit“ sind: mit Homosexuellen, mit Ehebrecherinnen, mit AIDS-Kranken, mit Ungläubigen, … Hier muss uns zum Fürchten sein, denn Gott hat uns nicht gegeben den Geist der Furcht!
  • Wo gepredigt wird, wir dürften nie mit Furcht und Angst zu kämpfen haben und dass „wahre Christen“ keine Depressionen haben (und dass Therapien überflüssig sind, wenn mensch nur genug und richtig glaubt, ja dass Therapien gefährlich sind): Hier muss uns zum Fürchten sein, denn Gott hat uns nicht gegeben den Geist der Furcht!
  • Wo gepredigt wird, dass alles gut ist, wie es ist, und uns Angst gemacht wird vor Veränderungen und Aufbrüchen: Hier muss uns zum Fürchten sein, denn Gott hat uns nicht gegeben den Geist der Furcht!
  • Wo gepredigt wird, dass es genau eine richtige Form von Christentum gibt und wir uns vor allen anderen Formen von Christentum fürchten und fernhalten müssen: Hier muss uns zum Fürchten sein, denn Gott hat uns nicht gegeben den Geist der Furcht!
  • Wo verschwiegen wird,
    – wie viele Widersprüche in der Bibel stecken,
    – wie viele Einflüsse aus nichtchristlichen Religionen sie aufgenommen hat und
    – wie stark beeinflusst sie ist von Gewalt und Sexismus,
    sondern gepredigt wird, dass wir vor der Bibel Respekt und Angst haben müssen, weil sie doch Gottes Wort ist: Hier muss uns zum Fürchten sein, denn Gott hat uns nicht gegeben den Geist der Furcht!
  • Wo in Gemeinden ein Geist der Furcht herrscht, wo Menschen sich verstellen müssen, wo sie immer alles richtig machen müssen (und die Leiterschaft genau weiß, wie „richtig“ definiert wird), ansonsten droht der Ausschluss aus der „wahren Gemeinschaft der Rechtgläubigen“: Hier muss uns zum Fürchten sein, denn Gott hat uns nicht gegeben den Geist der Furcht!

Gott hat uns NICHT gegeben diesen Geist der Furcht, sondern der Kraft und der Liebe und der Besonnenheit:

1) Kraft ohne Furcht

Miteinander statt Übereinander, Füreinander statt Gegeneinander

Manche Menschen sehen in der MCC Köln keine Kirche mit Kraft. Wir haben nicht besonders viele Mitglieder, wir haben keine lange Tradition, wir haben nicht viel Geld. Wären wir ein Auto, hätten wir von außen gesehen keinen breiten Auspuff, keine breiten Reifen und nicht die größte Karosserie. Manche halten uns für schwach und klein – genau so, wie sie sich oder andere für klein und schwach halten, die nicht die „typischen“ Merkmale von Kraft aufweisen.

Kraft wird in unserer Gesellschaft immer noch verknüpft mit Stärke – vor allem mit einer Stärke, die von Sexismus und Gewalt geprägt ist. Stark sein heißt Macht und Einfluss haben. Stark sein heißt vor allem, stärker sein als andere. Oder zumindest so wirken. Mein Handy, mein Computer, meine Wohnung, mein Auto, meine Klamotten, mein Freundeskreis bei Facebook, alles soll Stärke demonstrieren.

Diese Stärke liegt nicht in authentischer Gemeinschaft und einem wahren Miteinander, sondern in einem ständigen Vergleichen, das mich aufwertet und andere abwertet (oder umgekehrt, was auch nicht besser ist). Selbst Beziehungspartner/innen, Sexpartner/innen und Glaubenspartner/innen unterliegen diesem Statusdenken: Was denken andere von mir, wenn sie uns zusammen sehen? Was denken andere von mir, wenn sie wissen, dass ich an Gott glaube? Was denken sie, wenn sie wissen, dass ich zur MCC gehe? Ist die MCC so cool wie ich mich gerne sehe? (Oder umgekehrt: Ist die MCC so unscheinbar wie ich mich gerne sehe?…. auch nicht besser…)

Wo war die Kraft Gottes, als Jesus am Kreuz gestorben ist? Richtig gewehrt hat er sich dagegen eigentlich nie, oder? Wie kann er anschließend behaupten, „mir ist gegeben alle Gewalt im Himmel und auf Erden“? Hätte er nicht vom Kreuz absteigen können? Hätte er nicht der Festnahme entgehen können? Hätte er nicht alle Menschen zu Gläubigen machen können? Warum war es ihm so oft egal, dass Menschen ihn nicht erkannt haben? Warum hat er sich nicht offenbart mit all seiner Macht und allen gezeigt, wo’s lang geht? Was hat das mit Nächstenliebe zu tun, wenn er seine Mitmenschen „als Ungläubige ins Verderben rennen lässt“? Warum ist er nicht vom Dach gesprungen und hat sich vor den Augen aller von Engeln tragen lassen? …. Merkt ihr, aus welcher Ecke solche Fragen kommen? In den Evangelien werden sie als Teil einer teuflischen Versuchung dargestellt.

All dies entspricht nämlich nicht der Auffassung Gottes von Kraft und Stärke. Die Kraft, die der Geist Gottes heute in uns wirken lässt, ist nicht eine Kraft gegen andere oder auf Kosten anderer.

Unsere Kraft liegt nicht im Kräftemessen mit anderen Auffassungen von Gott, wie sie sich in unterschiedlichen Formen von Frömmigkeit zeigt.

Unsere Kraft liegt nicht in Stärke, die auf Gewalt oder Macht beruht, wie sie in unserer Gesellschaft als männlich und durchsetzungsfähig gilt.

Die Kraft, die uns erfüllt, ist die Kraft, in der Jesus gehandelt hat. Unsere Kraft ist nicht unsere Zahl an Mitgliedern oder die Dauer unseres Bestehens oder die Menge des Geldes, das wir einsetzen können. Unsere Kraft liegt in unserer Berufung: Jede und jeder von uns ist ein geliebtes Kind Gottes, und als Gemeinde setzen wir zusammen das Werk Jesu fort: Wir gestalten Miteinander statt Übereinander, wir leben für einander statt gegen einander.

Unsere Kraft liegt im Geist Gottes, nicht in Furchtmacherei.

2) Liebe ohne Furcht

Annehmen statt Ausschließen

Liebe hat ihren Platz in unterschiedlichen Konstellationen: Beziehungspartner/innen lieben sich (und niemand anderen sonst). Familienmitglieder lieben sich (auch wenn sie sich hassen, sind sie doch miteinander verbunden; und wer nicht zu dieser Familie dazugehört, der gehört nicht dazu, Punkt). Es gibt die Liebe zum Vaterland (vor allem im Kampf gegen Bedrohungen aus anderen Ländern oder Kulturen). Es gibt den Lieblingsverein (wobei dem Verein aus der Nachbarstadt nicht nur im Revierderby eine schon wieder liebevoll gehegte Verachtung gilt) und die Liebe zum Detail.

All diese Schauplätze von Liebe beruhen auf Vorlieben und auf Bündnissen: Nähe entsteht durch Gemeinsamkeiten, und zur wahrnehmbaren Verortung der Liebe gehört die Abgrenzung gegen andere. Solche Liebesbekenntnisse bilden exklusive Gemeinschaften: Es gibt diejenigen, die an dem Liebesbündnis beteiligt sind, und andere, die es ganz klar nicht sind. Ja, der Ausschluss von anderen verschafft dem Liebesbündnis erst richtig Geltung: „Ich liebe dich, und mein Beweis ist, dass ich niemanden sonst liebe.“ (Manche wenden das auch auf Glaubensfragen an: „Meine Liebe gilt dem einzig wahren und richtigen Gott, und als Beweis hasse und bekämpfe ich alle Andersgläubigen.“)

Die Liebe Gottes hält sich nicht an solche Grenzen:
Die Liebe Gottes zu mir beweist sich nicht dadurch, dass Gott euch andere in der MCC Köln NICHT lieben würde.
Die Liebe Gottes zu uns in der MCC beweist sich nicht dadurch, dass Gott die Menschen in anderen Kirchen nicht lieben würde.
Die Liebe Gottes zu den Menschen allen Kirchen beweist sich nicht dadurch, dass Gott die Menschen außerhalb der christlichen Kirchen nicht lieben würde.

Die Liebe Gottes teilt die Menschen nicht ein in diejenigen, die dazugehören und dazu passen (und die deswegen liebes-wert sind), und in diejenigen, die „anders“ sind – und denen wir deswegen nicht in Liebe, sondern in Furcht begegnen müssen. Jesus hat sich vor denen, die „anders“ sind, nicht gefürchtet – gerade auf sie ist er zugegangen, insbesondere für sie hat er sich besonders eingesetzt.

Wo Liebe zur Ware wird, müssen sich Christenmenschen demonstrativ abwenden? Jesus hatte keine Scheu, mit Sexarbeiterinnen zusammen den Abend zu verbringen.
Wo Liebe und Sex mit AIDS von Gott „konsequenterweise bestraft werden“, müssen sich Christenmenschen angewidert abwenden? Jesus hatte keine Angst vor den Kranken und Ausgestoßenen (und auch seinerzeit wurde Krankheit als Strafe Gottes für falsches Verhalten angesehen….).
Wo Liebe „nicht verdient“ bzw. riskant ist, weil Menschen nicht zu den Anerkannten gehören, müssen Christenmenschen absichernde Zeichen der Abgrenzung setzen? Jesus hatte keine Angst, die Grenzen von Geschlechtern und Kulturen zu überschreiten.
Wo Liebe nur gepredigt, aber nicht gelebt wird, müssen Christenmenschen aus Loyalität zu den Predigenden halt mitmachen? Jesus hatte keine Angst, diejenigen offen anzugreifen, die ihre Frömmigkeit nur zur Schau gestellt haben zu ihrem eigenen Vorteil.

Die Liebe, auf die sich Christen und Christinnen nach Pfingsten berufen, ist eine Liebe, die nicht nur denen gilt, die den Erwartungen entsprechen. Die Liebe in unserer Gemeinde wird genährt vom Geist Gottes, und wie Jesus selbst ergreift diese Liebe Solidarität mit den „Sündern“, mit den Ausgestoßenen, mit den Unterdrückten, ja selbst mit den Feinden.

Unsere Liebe lebt von und im Geist Gottes, nicht in Furchtmacherei.

3) Besonnenheit ohne Furcht

Besinnung statt Anpassung

Besonnenheit wird oft verstanden als: Wir gehen kein Risiko ein. Wir treffen keine „unvernünftigen“ Entscheidungen. Wir gehen ganz „rational“ vor. Wir denken ganz „realistisch“. Wir achten auf Sicherheiten. Oft ist damit eigentlich gemeint: Das machen alle so, also machen wir das auch so. Pass dich an, mach alles mit, gehorche den Erwartungen, dann bist du auf der sicheren Seite.

Dieses Denken ist tief geprägt vom Geist der Furcht: Wenn du dich NICHT anpasst, wenn du NICHT den Erwartungen gehorchst, dann…. passiert was ganz Schlimmes. Du wirst ausgeschlossen, fällst durch das Raster und endest arm und verlassen, du wirst nicht mehr ernst genommen.

Müssen wir uns als Christenmenschen nicht auch anpassen, damit wir und unsere Botschaft ernst genommen werden können? Im Neuen Testament wird deutlich, wie dieser Ansatz zum Verrat an dem wurde, was Jesus vorgelebt hatte:
Frauen, die Jesus noch gleich behandelt hatte, wurden prompt wieder benachteiligt und zum Schweigen gebracht.
Religiöses Dazugehören anhand von Äußerlichkeiten und Regeln, was für Jesus noch völlig egal war, wurde prompt wieder Thema: (Beispiel Beschneidung:) Wie muss ein christlich gültiger Männerkörper beschaffen sein? (Beispiel Opferfleisch:) Was dürfen Christen nutzen aus anderen Kulten?
Selbst der Zwang, „nicht wie die Welt“ leben zu dürfen, beruhte auf der Angst, dann nicht genug als „das andere Christsein“ wahrgenommen zu werden.

Die Furcht vor dem, was alle anderen machten, führte zum Verrat am Evangelium. Dies war der Geist der Furcht, nicht der Besonnenheit.

Selbst innerhalb von Religion und Gemeinden geht es oft darum, sich sicher zu fühlen durch Anpassung. Sei bloß nicht anders als die anderen…. Rede wie sie, lebe wie sie, bete wie sie, singe wie sie, und widersprich bloß nicht… Offener Konflikt und Streit führen zu Ausgrenzung… (Möge das immer ein Vorteil unserer Gemeinde sein: Eine Anpassung an „alle anderen“ ist schwierig, wo so viele unterschiedliche Auffassungen und Lebensweisen zusammenkommen….)

Wenn es an Pfingsten darum geht, dass der Geist Gottes in uns und durch uns fortsetzt, was Jesus gelebt und gesagt hat, dann kann der Geist der Besonnenheit nicht ein Geist der Anpassung sein. Im Gegenteil, der Geist der Besonnenheit gibt sich dann nicht damit zufrieden, den Sicherheiten Glauben zu schenken, die lediglich durch Mehrheiten geschaffen werden. Und auch wenn es uns noch so oft verkauft wird: Materieller Besitz schützt nicht vor Krankheit und Depression, Beliebtheit schützt nicht vor Einsamkeit und Sinnlosigkeit, und Anpassung schützt nicht vor dem eigenen Selbst und dem Ruf Gottes, sich und andere in Liebe anzunehmen.

Jesus war so besonnen, sich um die Zukunft nicht stärker zu sorgen als um das Heute. Ja, in der Auferstehung hat Gott selbst dem Tod den Stachel gezogen! Wer oder was sollte uns noch Angst einjagen können? Jedenfalls nicht das, was „alle anderen auch so“ machen…

Unsere Besonnenheit liegt im Geist Gottes, nicht in Furchtmacherei.

Keine Furchtmacherei!

Das Fazit mag so simpel klingen, aber es ist eine der wichtigsten Botschaften, die vom Geist Gottes und dieser Gemeinde ausgehen: Von Kirche und Religion darf kein Geist der Furchtmacherei ausgehen. In unserem Leben und in der Gemeinde sind wir aufgerufen, immer dagegenzuhalten, wo Furcht vor irgendwas oder vor irgendwem gelehrt wird. Wir können es einzeln und wir können es gemeinsam, denn in uns und in dieser Gemeinschaft wirkt dank Pfingsten nicht der Geist der Furcht:

– Unsere Kraft kommt ohne Furcht aus; sie liegt im Miteinander statt im Übereinander und im Füreinander statt im Gegeneinander.
– Unsere Liebe kommt ohne Furcht aus; es ist eine Liebe, in der wir uns selbst und andere annehmen können statt ausschließen zu müssen.
– Unsere Besonnenheit kommt ohne Furcht aus; nicht in der Anpassung, sondern in der Besinnung auf das Wesentliche und Ewige finden wir Trost und Sicherheit.

Was Jesus zu seinen Lebzeiten gesagt und getan hat, setzt sich heute und hier fort: „Ich bringe euch GUTE Nachricht! Das Reich Gottes ist mitten unter euch. Fürchtet euch nicht!“

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