Predigt MCC Köln, 19. Feb. 2017
Ines-Paul Baumann
Lukas 17,7-10 „Vom Knechtslohn“
Versuch 1: Privilegien zu öffnen hebt das Prinzip der Ausgrenzung nicht auf.
Ein Selbstversuch:
1) Schreibe deine Antworten auf:
An wen denkst du, wenn es um Leute geht, die von anderen gering geachtet werden?
(1) ____________________
Was bekommen sie zu hören?
(2) ________________________________________
Welche Selbstbilder und Stimmen verinnerlichen sie dadurch?
(3) ________________________________________
Hier ein Beispiel von mir:
Bei Geringgeachteten denke ich an: Transfrauen.
Das bekommen sie zu hören: „Guck dir die mal an. Hey, Süße! Na, gehörst du mir heute Nacht?“
Diese Selbstbilder und Stimmen verinnerlichen sie dadurch: „Nirgends bin ich sicher, nicht mal in der Bahn. Besser, ich gehe erst gar nicht mehr raus.“
2) Setze deine Antworten unten ein.
Hier erst noch das Gespräch, in dem sich Jesus und seine Jünger gerade befinden (Lukas 17,1-9 – inkl. frei übertragener Teile):
Jesus sagte zu denen, die ihm nachfolgten: „Es ist unvermeidlich, dass Dinge geschehen, durch die Menschen zu Fall kommen. Doch wehe dem, der daran schuld ist! Es wäre besser für ihn, man würde ihm einen Mühlstein um den Hals legen und ihn damit ins Meer werfen, als dass von solchen gering Geachteten wie diesen hier auch nur einer durch ihn zu Fall kommt!“
Jesu Nachfolger fragten sich insgeheim: „Was sollen wir dann machen, wenn wir solches Unrecht mitbekommen? Sollen wir einschreiten und tun, wovon er spricht – ihnen einen Mühlstein um den Hals legen und sie ins Meer werfen?“
Jesus fuhr fort: „Wenn dein Bruder sündigt, weise ihn zurecht, und wenn er sein Unrecht einsieht, vergib ihm. Selbst wenn er siebenmal am Tag gegen dich sündigt und siebenmal wieder zu dir kommt und sagt: ›Ich will es nicht mehr tun‹, sollst du ihm vergeben.“
Da sagten sie zu Jesus: „Also bitte! Das glaubst du doch selber nicht! Das geht zu weit. Das ist unrealistisch – SO gläubig kann doch kein vernünftiger Mensch sein!“
Jesus antwortete: „Selbst wenn euer Glaube nur so groß wäre wie ein Senfkorn, könntet ihr zu diesem Maulbeerbaum hier sagen: ›Heb dich samt deinen Wurzeln aus der Erde und verpflanze dich ins Meer!‹, und er würde euch gehorchen.“
„Angenommen, einer von euch kennt ein paar (1) _____________________.
Wie oft habt ihr mitbekommen, dass zu ihnen gesagt wurde:
(2) ________________________________________________________ .
So ist das heutzutage nun mal. Das ist nun mal das, was solch Geringgeachtete zu hören bekommen.
So auch ihr! Wenn ihr mit Leuten zu tun habt, die andere so gering achten, denkt daran, wie es ihnen damit gehen muss. Sagt auch ihr euch:
(3) ___________________________________________________________ .
Welcher Ansatz wird hiermit verfolgt?
Wenn sich alle an die Seite derjenigen stellen, die unten stehen, steht irgendwann keine_r mehr oben. Hier werden Verhältnisse von Wertschätzung und Geringschätzung also nicht einfach bloß umgedreht. Hier gibt es am Ende gar kein „oben“ und „unten“ mehr. Keine Privilegierten und keine davon Ausgeschlossenen.
Was würde so ein Ansatz praktisch bedeuten?
Verheiratete genießen Steuervorteile, bekommen Auskünfte im Krankenhaus, dürfen ins Pfarrhaus einziehen etc. Manche sagen, das Problem daran sei, dass diese Form der Heirat nur Heterosexuellen vorbehalten ist. Auch homosexuelle Paare sollten heiraten dürfen (schließlich seien sie doch auch „ganz normale Paare“). Was ist mit denjenigen, die dafür nicht „normal genug“ sind? Die ihre Lederkluft nicht nur im Keller auf der Fetischparty tragen wollen? Die auch als selbstbewusste Lesbe einfach nicht weiblich sein wollen? Das Prinzip, dass manche Beziehungen anerkannter sind als andere, wird mit einer Öffnung der Ehe nicht aufgehoben.
In manchen Kirchen genießen Priester besondere Vollmachten und Befugnisse. Manche sagen, das Problem daran sei, dass nur Männer Priester werden dürfen. Auch Frauen sollen Priester werden dürfen. Aber das Prinzip, dass Priester eine hohe Entscheidungsbefugnis über andere Menschen haben, wird mit einer Öffnung des Priesteramts für Frauen nicht aufgehoben.
Was ist mit dem Privileg, in Sicherheit leben zu können? Als Transfrau unterwegs auf der Straße? Als psychisch Angeschlagene im Job? Als Depressiver im Glauben? Als Mensch ohne legale Papiere? Welche Bedingungen müssen Menschen erfüllen, um ein Recht auf Sicherheit zu haben? Und diejenigen, die diese Bedingungen nicht erfüllen, sind „zurecht“ weiterhin Unsicherheiten ausgesetzt? Das Prinzip, dass Menschen sich nur unter bestimmten Voraussetzungen sicher fühlen dürfen, wird mit einer Erweiterung der Voraussetzungen nicht aufgehoben.
Solange es irgendein Recht auf Geringschätzung gibt, werden Menschen unterteilt sein in Würdige und Unwürdige. In Eingeschlossene und Ausgeschlossene. In welche, die dazugehören, und welche, die nicht dazugehören. In welche, die auf andere angewiesen sind, und welche, die über andere bestimmen dürfen.
Sich auf die Seite derjenigen zu schlagen, die dazugehören und Sicherheit und Privilegien genießen, ändert nichts an solchen Verhältnissen – gar nichts.
Hören wir nun, was Jesus im Lukas-Evangelium selbst erzählt:
Wer unter euch hat einen Knecht, der pflügt oder das Vieh weidet, und sagt ihm, wenn der vom Feld heimkommt: Komm gleich her und setz dich zu Tisch? Wird er nicht vielmehr zu ihm sagen: Bereite mir das Abendessen, schürze dich und diene mir, bis ich gegessen und getrunken habe; danach sollst du auch essen und trinken? Dankt er etwa dem Knecht, dass er getan hat, was befohlen war? So auch ihr! Wenn ihr alles getan habt, was euch befohlen ist, so sprecht: Wir sind unnütze Knechte; wir haben getan, was wir zu tun schuldig waren.
Lukas 17,1-10
Konkret bezogen auf unser Leben als Glaubende: Dienen darf im Glaubensleben kein Verdienst sein. Es darf Einzelne nicht zu Herren über andere machen (indem sie sich hochgedient haben). Und es darf kein Weg sein, Gott gegenüber irgendwelche „Rechte“, „Sicherheiten“ oder „Würden“ zu beanspruchen, von denen andere immer noch ausgeschlossen sind.
Das Prinzip, sich „nach unten“ zu orientieren (statt selbst „oben“ dazugehören zu wollen), sieht das Neue Testament bei Gott selbst am Werk:
- In Jesus ist Gott selbst zum „Knecht“ geworden (Phil 2,7).
- Jesus hat sich NIE darauf eingelassen, inerhalb der Welt der Mächtigen dafür einzusetzen, Privilegien für die Geringgeachteten zu öffnen.
- Jesus sagt von sich, er sei gekommen, um zu dienen.
Damit wäre auch gegenüber Gott jede Einteilung in „unten“ und „oben“ aufgehoben.
(Der „Herr“ in der Erzählung Jesu kann also nicht einfach mit Gott gleichgesetzt werden!)
Eine Kirche, in der geflissentliches Dienen dazu führt, selber ganz nach oben zu kommen, um dann über andere zu herrschen, ist hiermit ausgeschlossen.
Eine Kirche, in der ein Kirchenvolk meint, „die da oben“ seien dazu da, ihre Wünsche zu erfüllen, und damit nur noch ihre Bedürfnisse herrschen (auf Kosten der wenigen, die sich engagieren), so eine Gemeinde ist damit ebenfalls ausgeschlossen.
Versuch 2: Dienen als Selbst-Verständlichkeit
Was meint Jesus dann mit „Dienen“ – ohne dass dadurch doch wieder ein System von „oben“ und „unten“ gestützt wird?
Ich persönlich habe zwei sehr unterschiedliche emotionale Bezüge zum „Dienen“:
1. Es gibt ein Dienen, bei dem mir die Hutschnur hochgeht. Klischees hierfür wären beispielsweise:
– Ein Ehemann geht selbstverständlich davon aus, dass sein Ehefrau ihm die Hemden bügelt und sein Pausenbrot fertigmacht.
– Eine Firma „empfiehlt“ einer Angestellten, ihre Eier zur Befruchtung einfrieren zu lassen.
2. Ganz andere Gefühlswelten dazu rufen diese Klischees bei mir ab:
– Morgens sagt der eine Mann zum anderen: „Hier ist dein gebügeltes Hemd und dein Pausenbrot, Schatz!“
– In einer abgesprochenen BDSM-Szene dient eine Sklavin hingebungsvoll ihrer Herrin.
– Eine alte Frau im Rolli wird von einer mindestens ebenso alten Person über die Straße geschoben.
Dienen ist nicht gleich Dienen. Wo liegen die Unterschiede?
1) Geht es um Erwartungen anderer GEGEN mich, OHNE mich, auf meine Kosten, an mir vorbei?
So ein Dienen verbleibt innerhalb eines Oben und Unten. Hier bleibt die Frage wichtig, wo im System wir mitmachen. Jesus und seine Jünger damals sind ein Vorbild dafür, nicht nach Privilegien zu streben – sondern MIT jenen und ALS jene zu leben, die von diesen Privilegien ausgeschlossen sind. Jesus hatte kein Interesse an Privilegien, Sicherheit, Ansehen und Status.
Nicht alle Christen können oder wollen in diesem Sinne Nachfolger Jesu sein. Als und innerhalb der MCC finde ich es aber wichtig, immer wieder daran erinnert zu werden, dass auch der Verzicht auf Privilegien Teil der Nachfolge Jesu sein kann (und manchmal sein soll oder muss).
2) Geht es um ein Dienen im MITEINANDER, Dienen als Teil des Auftrags „ich selbst zu sein“?
Ich glaube, es gibt manchmal duzchaus so eine innere Stimmigkeit, die sagt: „Ich habe doch nur getan, was ich tun musste.“ Transmenschen auf ihrem Weg kennen das Gefühl manchmal: Andere loben sie für ihren Mut und ihr Durchhaltevermögen, und die Antwort darauf sagt (ganz tief von innen): „Lobt mich nicht – ich habe nur getan, was ich tun musste.“ So ist das, wenn wir am richtigen Platz sind und der richtigen Sache dienen.
„Ich kann gar nicht anders“ – ein solches Dienen wird schon mir selbst so selbstverständlich sein, dass ich dafür keine Belohnung erwarte.
Jede andere Form von Dienen möchte ich in Frage stellen. Um so wichtiger, dass ich mir meine Selbst-Verständlichkeit nicht kaputtmachen lasse, wann und wo und wem ich diene.
Zum ersten Ansatz s.a.:
„Sich an den Platz der Allerletzten stellen“ von Sabine Bieberstein in: „Gott ist anders – Gleichnisse neu gelesen“ (S. 338-347), hg. v. Marlene Crüsemann, Claudia Jenssen, Ulrike Metternich – Gütersloher Verlagshaus 2014