Predigtimpuls MCC Köln, 16. Januar 2022
Ines-Paul Baumann & Teilnehmende
Johannes 6,29-38
Für mich war heute gar nicht so sehr der Inhalt meines heutigen Predigtimpulses wertvoll, sondern der anschließende offene Austausch dazu. Als Hergang dazu sei hier aber beides mit euch geteilt:
Predigtimpuls
EIGENTLICH wollte ich heute ein bisschen theologisch einsortieren, was die Jahreslosung für die biblischen Gottesbilder bedeutet.
EIGENTLICH wollte ich herausarbeiten, wie neu dieses Bild eines Gottes war, der alle Kommenden nicht abweist. Wo ist da der Gott, der sogar eindeutig ihm gewidmete Opfer abgewiesen hat? Der Gott, dem sich nur einzelne Auserwählte nähern dürfen? Der Gott, in dessen heiliger Gegenwart der Boden nicht betreten werden darf? Wie steht dieser Gott der Bewertung (von Opfern, von Taten, von Menschen) zu dem Gott der Begegnung, zu dem ALLE KOMMEN dürfen und der NICHT ABWEIST?
Und EIGENTLICH wollte ich darauf hinweisen, dass diese beiden Stränge von Gottesbildern die ganze Bibel hindurch vorkommen – also beide sowohl im Ersten wie im Zweiten Testament – und wie sie einander ergänzen und korrigieren. (Eine schöne Ausarbeitung – anhand inkludierender und exkludierender Gottesvorstellungen – findet sich hier: https://www.bibelentdeckungen.de/artikel/das-exklusive-judentum-und-der-inklusive-jesus/)
Und EIGENTLICH wollte ich dann fragen, was das jeweils mit unserer Glaubenspraxis macht, wenn wir uns einem bewertenden Gott bzw. hier eben einem begegnenden und begleitenden Gott gegenübersehen.
EIGENTLICH… denn dann las ich, wie der Satz der Jahreslosung weitergeht. Und seitdem hat Störung Vorrang.
Der tolle Teil der Jahreslosung ist ja, dass Jesus keine*n abweisen wird, der*die zu ihm kommt. Aber dann kommt die Begründung dafür:
„Alle, die der Vater mir gibt, werden zu mir kommen, und wer zu mir kommt, den werde ich nicht hinausweisen. Denn ich bin nicht vom Himmel herabgekommen, um das zu tun, was ich selber will, sondern um den Willen dessen zu erfüllen, der mich gesandt hat.“ (Joh 6,37+38 NGÜ)
Die Fragen, die das in mir aufwirft, möchte ich an folgendem Beispiel erörtern (was auch der Grund dafür ist, warum ich beim Lesen dieser Worte Jesu so viele Fragen habe):
Kennt ihr den Spruch, mit dem „offene Gemeinden“ manchmal begründen, warum sie jetzt „auch Homosexuelle willkommen heißen“? Die Begründung ist: „Gott liebt ALLE Menschen, und Homosexuelle gehören da dazu, also müssen auch wir jetzt Homosexuelle lieben.“ Mit anderen Worten: Eigentlich lieben wir diese Menschen gar nicht, aber im Namen Gottes müssen wir sie jetzt wohl lieben (ob wir wollen oder nicht). Also, so höre ICH diese Worte. Deswegen bin ICH auch so empört von dem Vers nach der Jahreslosung.
„Ich tue das nicht aus mir heraus, sondern nur weil Gott es so will“ – klingt Jesus nicht genau so mit seinem „Ich weise euch nicht ab – aber nicht, weil ich das so will, sondern weil Gott das so will“? „Eigentlich würde ich euch gerne abweisen, aber Gott will es anders“, meint Jesus das so?
Wie gesagt, so höre ICH diese Sätze aus den Gemeinden. Vielleicht hört ihr sie ganz anders. Dann hört ihr bestimmt auch die so ähnlich klingenden Worte Jesu ganz anders :)
Und was wäre überhaupt so schlimm daran, wenn Menschen etwas ändern, „nur“ weil Gott es so will? Wenn Jesus so argumentieren darf, warum sollen Gemeinden dann nicht auch so argumentieren dürfen? Ist es nicht toll, wenn sich dadurch was ändert und Wohlwollen einkehrt statt Abweisung? Nun:
Zu den „offenen Gemeinden“: Was an dieser Begründung wohlwollend sein soll, ist mir ein Rätsel. Ich empfinde sie als pure Mikroaggression. Als gnädiges Herablassen von Menschen, die eine Entscheidungsbefugnis darüber beanspruchen, wer ihre Liebe verdient hat. Und dass es für Menschen, die nicht cis, hetero und endo sind, einer extra Portion an Liebe bedarf, zumindest einer extra Begründung. Klingt ja fast schon eine Entschuldigung. „Sorry lieber Gott, selber schuld, dass wir diese Menschen jetzt aufnehmen. An uns lag’s nicht.“
Zu Jesus: Die ganze Stelle hier im Johannesevangelium ist irgendwie komisch. Eigentlich geht es die ganze Zeit gar nicht um die Frage, wen Jesus abweist – sondern darum, dass Jesus abgewiesen wird. Die Menschen um Jesus herum wollen zwar das, was er zu geben hat – aber sie wollen nicht ihn selbst. Sie wollen zwar das Brot, das Körper und Seelen sättigt. Aber wer er selber ist, wollen sie gar nicht hören und nicht wahrnehmen und nicht annehmen.
(Aber meine Güte, lässt sich das denn immer so genau trennen?…)
(Wobei, DAS erinnert mich durchaus wieder an Gemeinden, die zwar gerne begabte, schöne, interessante, wohlhabende und engagierte Leute in ihren Reihen haben – aber von seinem Mann möge der Chorleiter doch bitte lieber nicht dauernd erzählen.)
Jesus versucht den ganzen Abschnitt über händeringend zu erklären, wer er ist. Er sagt es so offen wie es nur geht. Mit dem Ergebnis, dass es zu Empörung und Auseinandersetzungen kommt (6,41.52) und sich ein Teil seiner bisherigen Anhänger*innen von ihm abwendet (6,66).
(Jemals Angst vor Outing gehabt?)
Vor diesem Hintergrund würde ich den Satz von Jesus in Vers 37 vielleicht anders betonen: „Gott möchte zu euch kommen. Hier bin ich. Ihr weist mich ab. Damit weist ihr Gott ab. ICH ABER weise nicht ab, welche*r zu mir kommt.“
(Und Vers 38 dann so: „Und damit ist vor allem etwas ausgesagt über den Gott, über den ihr Bescheid zu wissen meint. MEIN Reden und Tun zeigen GOTTES Worte und Wirken. Dass ICH nicht abweise, die zu mir kommen, heißt: GOTT weist sie nicht ab.“)
Es wirkt ein bisschen provozierend, dass Jesus die Leute dann aber genau bei dem packt, wo ihre Grenzen sind: Gerade denen, die Fleisch und Blut nicht zusammen verzehren, ruft er auch noch zu, dass sie sein Fleisch und Blut verzehren sollen (6,53ff).
Entweder muss hier rückwirkend die bereits entstandene Abendmahlspraxis hineingezwungen worden sein (sie käme im Johannesevangelium sonst GAR nicht vor, das wäre blöd gewesen).
Oder Jesus ist hier tatsächlich nicht gerade entgegenkommend. Wenn es darum geht, dass sie IHN nicht abweisen sollen – warum gehört dann seinerseits dazu, dermaßen grundlegende Gewohnheiten der anderen anzugreifen? Wie kann Jesus sagen, dass er nicht abweist, wer zu ihm kommt – aber gleichzeitig verlangen, dass diejenigen, die zu ihm kommen, ihr halbes Wertesystem über Bord werfen?
(Sind wir hier doch auch wieder bei den „offenen“ Gemeinden? Reicht es vielleicht nicht, „die Homosexuellen“ jetzt willkommen zu heißen, solange das heteronormative System weiterhin und unhinterfragt seine Dominanz beansprucht?)
Vielleicht hätte ich doch über die bewertenden und begegnenden Anteile unserer Gottesvorstellungen reden sollen. Da lägen vielleicht ein paar Schlüssel zu manch meiner Fragen. Wobei sich beide vielleicht genau da treffen: Nämlich dass beide sich nicht abspeisen lassen (und wir uns nicht abspeisen lassen sollten) mit halbherzigen Häppchen und Krümelchen, die das Bestehende und Herrschende nur erhalten – anstatt konsequent und radikal aus einem Leben in Fülle heraus zu denken. Auch wenn das zu Empörung und Auseinandersetzungen und Ablehnung führen mag: Jesus rennt ihnen jedenfalls nicht hinterher.
Predigtnachgespräch
Der Austausch war toll! Hier ein paar Aspekte, an die ich mich bezüglich der Predigt erinnere:
- Gott und Jesus, sind die nicht sonst oft als EINS dargestellt? Wieso unterscheidet Jesus dann hier zwischen seinem eigenen Willen und dem Willen Gottes? Und es gibt ja durchaus mehrere Stellen, die eher darauf hinweisen, dass sich Jesus erst mit dem Willen Gottes verbinden musste – wobei er trotzdem „immer richtig“ gehandelt hat. Aber so glatt war das also vielleicht gar nicht mit Jesus und dem Willen Gottes. Sieht eher so aus, als hätte Jesus auch manchmal mit Gott gestruggelt!…
- Läuft der Verweis auf den Willen Gottes manchmal nicht auch darauf hinaus, die eigene Verantwortung für das eigene Handeln abzugeben?…
- Oder war es hier genau umgekehrt: Jesus ÜBERNIMMT Verantwortung und zieht hier selbst eine rote Linie ein! „ICH vertrete einen Gott, der niemenschen abweist. Wenn ihr einen Gott wollt, der abweist, dann nicht mit mir. ICH stehe für Gott ein nur unter der Bedingung eines annehmenden Gottes. Wenn euch mein Gott nicht passt, dann kann ich euch auch nicht passen.“ Der Glaube, damit vom Willen Gottes abgedeckt zu sein, macht Jesus dann eher stark: „Und wenn euch das nicht passt, dann ist es halt so. Ich werde meine Auffassung von Gott jedenfalls nicht ändern, nur um euch zu gefallen.“
Wow, SO wird für mich ein Dreh draus! DANKE!