Predigt MCC Köln, 31. März 2019
Ines-Paul Baumann
5. Mose 23,2 & Jesaja 56,4-5
“Macht Gott Fehler?” In Bezug auf Transgender höre ich diese Frage öfter. Wie können Menschen “im falschen Körper geboren sein”, wenn Gott doch vollkommen ist? Insbesondere GEGEN Transgender wird das als Argument ins Feld geführt: “Deine Gefühle sind falsch. Gott hat dich geschaffen wie du bist! Gewöhne dich an den Körper, mit dem du geboren bist!” Aber auch Transmänner und Transfrauen schlagen sich oft mit dieser Frage herum. “Darf ich eine OP machen, wenn Gott mich doch mit dem Körper geschaffen hat, den ich jetzt habe?”
Macht Gott Fehler? Oh ja! :) Zumindest Gott selbst glaubt das. Zumindest steht es so in der Bibel. Gott bereut und Gott bedauert ihr Tun, immer wieder kommt das vor. Und tatsächlich: Das erste, was Gott bedauert, ist, die Menschen erschaffen zu haben – aber nicht einige seltsame Transgender-Exemplare, die irgendwie nicht ganz gelungen sind, sondern die Menschheit insgesamt: “Da reute es Gott, dass er die Menschen gemacht hatte auf Erden, und es bekümmerte ihn in seinem Herzen.” (Genesis 6,6) Nun, der Rest der Bibel erzählt davon, wie Gott darüber hinweggekommen ist und gelernt hat, uns zu lieben. (Was auf sehr tiefgehende Weise einige der Probleme widerspiegelt, die wir selbst damit haben, uns und unsereins lieben zu lernen.)
Macht Gott Fehler? Ja, und die Gute Nachricht ist: Gott kann ihre Meinung ändern! Im 5. Buch Mose heißt es noch: “Kein Entmannter oder Verschnittener soll in die Gemeinde des HERRN kommen.” (5. Mose 23,2) Mit den Begriffen hier lassen sich durchaus auch solche Menschen verbinden, die wir heute als Transgender oder Intersex bezeichnen: Menschen, deren Körper nicht ganz den Erwartungen entsprechen, wenn es um’s Geschlechtliche geht. Im 5. Buch Mose sind solche Menschen ganz klar ausgeschlossen aus der Gemeinde Gottes.
Aber dann, einige hundert Jahre später, hatten die Menschen das Bedürfnis, eine andere Geschichte zu erzählen. Und was ich so toll finde an der Bibel: Anstatt jetzt einfach die alte Geschichte zu löschen und so zu tun, als hätte das da nie gestanden, wird das Neue einfach neben das Alte DAZU gesetzt. Die Bibel ist VOLL von so Widersprüchen – was für ein Segen!
“Kein Entmannter oder Verschnittener soll in die Gemeinde des HERRN kommen.”
No one who is emasculated or has his male organ cut off shall enter the assembly of the LORD.
Deuteronomy 23:2 (New American Standard Bible)
“Denn so spricht der HERR: Den Verschnittenen (…), denen will ich in meinem Hause und in meinen Mauern ein Denkmal und einen Namen geben; das ist besser als Söhne und Töchter. Einen ewigen Namen will ich ihnen geben, der nicht vergehen soll.“
For thus says the LORD, “To the eunuchs (…) I will give in My house and within My walls a memorial, And a name better than that of sons and daughters; I will give them an everlasting name which will not be cut off.
Isaiah 56:4-5 (New American Standard Bible)
In diesem Fall hat sich die Haltung gegenüber Geschlechts-Exoten nicht einfach dahingehend geändert, dass sie nun gnädigerweise ertragen werden, nach dem Motto: “Ja, gut. Wir haben ja eingesehen, dass es falsch war, sie auszuschließen. Gott liebt ALLE Menschen. Jesus war zu ALLEN nett (was er nicht war, aber das ist ein anderes Thema). Also müssen auch wir jetzt gnädig sein und sie akzeptieren. Natürlich hassen wir die Sünde weiterhin, aber die Sünder sind jetzt trotzdem willkommen. Schließlich sind wir gute Christen, nicht wahr!”
(So argumentieren viele Gemeinden, in denen mittlerweile z.B. Homosexuelle “willkommen” und toleriert sind. Ich persönlich habe keine Lust darauf, ihnen dafür in Dankbarkeit ergeben zu sein. Immerhin beanspruchen sie damit immer noch, bestimmen zu dürfen, wer dabei sein darf und wer nicht!)
In der Bibel findet nicht einfach ein oberflächlicher Wandel statt. Sie wechselt nicht einfach vom Ausschluss der Gender-Unpassenden zu gnädiger Toleranz. Sie wechselt radikal davon, sie auszuschließen, dazu, sie zu feiern. Damit werden sie immer noch nicht als “normal” angesehen. Aber nach einem jahrhundertelangem Ausschluss ist das vielleicht der einzige Weg, ein Statement zu setzen, dass sie nun WIRKLICH angenommen sind. Manchmal reicht es halt nicht, den ehemals Ausgeschlossenen jetzt einfach nur zu erlauben, dabei zu sein.
In Jesaja sieht es so aus, als müsse Gott fast überbetonen, dass auch diejenigen einen Platz bei ihm haben, deren Geschlechtskörper nicht ganz den Maßstäben entspricht. Ein einfaches “Klar dürft ihr dabei sein” hätte nicht genügt.
Es scheint so, als versuche Gott, wirklich ALLE davon zu überzeugen, dass es vorher falsch war, sie auszuschließen – und Gott sich damit insbesondere an diejenigen wendet, die jetzt die Bibel zitieren würden: “Aber Gott, nein! Du liegst falsch! Wer nicht ganz den körperlichen Geschlechtserwartungen genügt, hat KEINEN Platz in deinem Hause! Hast du selbst gesagt!” Und dann zitieren sie 5. Mose 6,6 und können auch genau sagen, wo der Vers steht. (Glaubt mir, manchmal laufen diejenigen mit der besten Bibelkenntnis am ehesten Gefahr, Gottes Willen misszuverstehen.)
Und genau deswegen muss Gott sogar dieselben Wort aufgreifen wie in 5. Mose, um wirklich allen klarzumachen, dass diese alten Worte nicht mehr gelten. “Einen ewigen Namen gebe ich einem jeden, / der nicht ausgetilgt wird“ (Jesaja 56,4-5) – und dieses „ausgetilgt“ greift genau das „Austilgen“ auf, das in 5. Mose den Körpern zuteil wurde, die damit nun nicht mehr den Geschlechtserwartungen entsprachen. Was damals ausgetilgt war, führte zum Ausschluss aus der Gemeinde – und nun sorgt Gott dafür, dass diese Menschen einen Namen bekommen, der nie wieder ausgetilgt wird.
Heute ist der “International Transgender Day of Visibility” (Internationaler Tag der Sichtbarkeit für Transgender). Heute wird der Transgender-Menschen gedacht, sie werden beim Namen genannt, ganau wie in Jesaja. Die Erinnerung daran, dass sie ausgeschlossen werden (genau wie in 5. Mose), gehört auch zu diesem Tag dazu. Dieser Tag ist ein Tag zum Feiern UND zum Erinnern der Diskriminierung.
Christliche Kirchen sollten sich ihre Bibel schnappen und sie als Vorlage nehmen: Die Diskriminierung wird nicht totgeschwiegen oder unter den Teppich gekehrt. Die Diskriminierung zu ignorieren und zu verschweigen würde Transgendern nur erneut einen Teil ihrer Erfahrungen und Geschichten rauben. Und Gott setzt dem nicht nur entgegen, dass es halt irgendwie falsch war, sie auszuschließen, und dass sie jetzt dabei sein dürfen (zumindest solange sie nicht auch noch beanspruchen, in der Gemeinde mitarbeiten zu dürfen…). Gott stellt die Dingen radikal auf den Kopf. Gott FEIERT diejenigen, die in seinem Namen ausgeschlossen wurden (in IHREM Namen passiert das tatsächlich weniger).
MCC-Gemeinden feiern heute weltweit Gottesdienste, in denen beides Raum hat. Wir benennen und beklagen die Diskriminierung von Transgendern und Intersex-Menschen – UND wir feiern sie und ihre Erfahrungen. Beide Aspekte haben Platz in der Bibel, beide Aspekte haben Platz in unserer Mitte.
Also – macht Gott Fehler? Ja. Aber nicht da, wo sie uns geschaffen hat, wie wir nun mal sind. Aus meinen eigenen Erfahrungen heraus finde ich, dass Transgendersein etwas ganz wunderbares ist, eine ganz besondere Gabe und Aufgabe. Manchmal auch ein besondere Last, sicher. Aber wir sind keine Fehler. Nimm dich auch ALS Transgender oder Intersex so an, wie Gott dich geschaffen hat (nämlich als Trans* oder Inter-Mensch!). Nimm deinen Körper an, der nicht ganz den Maßstäben an Mannsein oder Frausein entspricht. Nimm deine Narben an. Stell dich deiner Verantwortung, die Schritte zu gehen oder NICHT zu gehen, wie es FÜR DICH am besten ist (manchmal mit OP, manchmal ohne). Niemand weiß besser als du, was gut für dich ist. Der Körper, mit dem du geboren bist, war vielleicht genau der richtige Plan Gottes für dich. DU entscheidest, was du daraus machst. Nicht die Erwartungen anderer. Gott begleitet dich auf deinem Weg.
Ich hoffe, dass irgendwann alle Menschen zusammen den Pslam 139 beten können – cisgender, transgender, intersex, non-binary, non-conforming, alle zusammen:
Du hast alles in mir geschaffen und hast mich im Leib meiner Mutter geformt. Ich danke dir dafür, dass ich wunderbar gemacht bin (…) Du sahst mich schon fertig, als ich noch ungeformt war.
Psalm 139,13-16 (Neues Leben, Luther, Gute Nachricht)