Karfreitagsandacht mit Impuls, 7. April 2023
Ines-Paul Baumann
Matthäusevangelium 26,30 – 27,56
Wir werden nicht auf das Kreuz blicken, um zu schauen, was uns rettet. Weigern wir uns, die Gewalt des Imperiums zu verherrlichen oder zu versuchen, ihren Schrecken abzustumpfen. Sicherlich dreht sich Gott der Magen um bei jedem Gebet, das über diese Tragödie nins Namen ausspricht. Heute ist ein Tag, an dem wir Zeugnis ablegen für all die Leben (und das Leben), die zerstört wurden durch Theologien der Dominanz, institutionelle Opfer, imperiale und kolonisierende Kräfte und Geschichten, die von innen heraus sabotieren. Landstriche und Völker, Geister und Zukünfte, Geschöpfe und Gemeinschaften. Gesegnet ist all dieses Fleisch Gottes. Wir erinnern uns. Wir weinen. Wir bleiben Nachfolgende der trotzigen Liebe.
We will not look to the cross for what saves us. Let us refuse to glorify empire’s violence or try to blunt its terror. Surely, the stomach of god turns at every prayer casting this tragedy in their name. This is a day for bearing witness to all the lives and life destroyed through theologies of dominance, institutional sacrifices, imperial and colonizing forces, and stories that sabotage from the inside out. Lands and peoples, spirits and futures, creatures and communities. Blessed is this flesh of god. We remember. We weep. We remain followers of defiant love.
Impuls
Es gibt eine Charakterisierung von Gemeinschaften anhand der Dimensionen von Schuld, Scham und Angst. *) Tatsächlich passen die Erfahrungen, die Jesus auf dem Weg zum Kreuz gemacht hat, in diese drei Kategorien:
- Jesus wird beschuldigt.
- Er wird bloßgestellt.
- Ihm soll Angst gemacht werden
Wenn wir am heutigen Karfreitag auf den Weg Jesu zum Kreuz schauen, mit welchem Blick schauen wir darauf? Geschieht hier Gottes Wille? Immerhin betet Jesus genau das kurz vorher inbrünstig: „Dein Wille geschehe“!
Die Prozesstheologin Catherine Keller schlägt eine andere Sichtweise vor:
„Eine Theologie des Werdens nimmt also die Schwäche Jesu am Kreuz im Licht von Jesu Gebet in Getsemani wahr: „Nimm diesen Kelch von mir.“ Er wollte wirklich nicht sterben. Er hoffte noch, schmerzlich, dass ein anderes Ergebnis, ein anderer Weg möglich sein könnte. „Aber deine Wille soll geschehen“ muss nicht heißen: Wenn du willst, dass ich sterbe, Herr, so sei es. Lass dich an mir aus. Stattdessen können wir es so verstehen: „Aber nicht mein, sondern dein Wille soll geschehen“, was auch passiert (Lk 22,42). Wenn es nicht möglich ist, die bevorstehenden Schrecken abzuwenden, dann lass es mich in Liebe ertragen. Wenn unser Versteck verraten wurde, wenn ich diesmal nicht mehr entkommen kann, ohne die Bewegung zu betrügen, dann lass mich nicht umsonst leiden. Lass mich deinen Willen verwirklichen – durch meine Sterben und meinen Tod hindurch. Lass aus diesem Bösen etwas Gutes entstehen.
Catherine Keller:
„Über das Geheimnis – Gott erkennen im Werden der Welt. Eine Prozesstheologie“
S. 133
Gottes Wille geschieht dann nicht in dem, was Jesus angetan wird (= also: „G*tt wollte, dass Jesus gekreuzigt wird“), sondern Gottes Wille geschieht in dem, wie Jesus damit umgeht („Ich, Jesus, möchte festhalten an dem, was du, G*tt, stattdessen willst“).
Was ist dann dieser Wille Gottes, an dem Jesus festhalten möchte? DAS können wir ablesen an dem Wirken Jesu zu seinen Lebzeiten. In seinem Umgang mit Menschen und mit dem Inhalt seiner Verkündigung zeigt Jesus ja sehr ausdrücklich, was er unter dem Willen Gottes versteht. Und Schuld, Scham und Angst gehören bei Jesus gerade NICHT zu den Elementen, die er als Gottes Wille verkündet oder mit denen er selber arbeitet. Wenn nun auf dem Weg zum Kreuz auch bei ihm selbst Schuld, Scham und Angst erzeugt werden sollen, kann sein eigener Umgang damit aufzeigen, wie Gutes nicht durch Böses überwunden werden kann.
Dazu zwei Punkte:
1) Manche mögen jetzt einwerfen: „Jesus WAR in seinem Leben ja frei von Sünde – kein Wunder, dass Schuld, Scham und Angst bei Jesus nicht verfangen!“ Nun, Jesus hat aber auch alle Menschen um sich herum genau so behandelt: Schuld, Scham und Angst hat er nicht erzeugt oder in den Mittelpunkt gestellt, sondern überwunden. Sein Ziel war nie, Schuldige mit Strafen auszugrenzen, Einzelne bloßzustellen oder Ängste zu schüren, sondern immer, dass Menschen wieder Teil ihrer Gemeinschaft werden konnten.
2) Nichts von dem, womit Jesus Schuld, Scham und Angst überwunden hat, war von seinem Kreuzestod abhängig. Gottes Wirken breitete sich aus inmitten von Jesu LEBEN, nicht erst NACH seinem Sterben. Vergebung der Sünden, mit G*tt in einer so vertrauensvollen Beziehung zu stehen wie ein Kind, Menschen als Kinder G*ttes zu betrachten, als Grundlage für meine Handeln und meine Entscheidungen die Liebe in den Mittelpunk zu stellen (zu G*tt / zu anderen / zu sich selbst), … ALLES, was angeblich erst durch Jesu Tod möglich geworden sein soll, hat Jesus VOR seinem Tod gewirkt.
Dass Jesus auf dem Weg zum Kreuz mit Schuld, Bloßstellen und Angstschüren konfrontiert wird, erinnert mich ein bisschen an seine Versuchung in der Wüste. Auch dort ging es darum, dass er sich beugen und mitmachen sollte, dass er seine Macht zu seinem Vorteil nutzen sollte und dass er seine Macht den Mächten der Welt gegenüberstellt (also Macht nach ihren Regeln definiert und darstellt). Schon damals hat Jesus dem allen abgesagt. Ihm geht es um einen ganz anderen Machtbegriff – um eine Macht, die sich nicht mit den Mitteln von Schuld, Scham und Angst durchsetzen muss. Damit ergibt sich auch ein anderer Blick auf die „Allmacht“ und den „Willen“ Gottes:
„Die Alternative zur Allmacht liegt in der risikoreichen Interaktivität der Beziehung. (…) Wenn Gottes Macht eine ver-antwortliche [response-able] Macht ist, dann ermächtigt sie andere – zur Antwort. In ihrer Freiheit. Gottes Wille ist tatsächlich Gottes Wille! Aber der Begriff Wille [will] stammt von vlountas, von dem auch das englische Wort „voluntary“ [freiwillig] kommt, und bedeutet nicht Kontrolle, sondern Wunsch, Sehnsucht. Was Gott will.
(…)
In welcher Hinsicht ist der göttliche Prozess dann mächtig? (…) Es handelt sich um eine völlig andere Macht, eine qualitativ andere Macht, eine Macht, die schwach erscheint, wenn die Herrschaft das Ideal ist.“Catherine Keller:
„Über das Geheimnis – Gott erkennen im Werden der Welt. Eine Prozesstheologie“
S. 137f
Der Weg Jesu zum Kreuz ist nun wie bei seiner Versuchung wieder von all diesen Stimmen begleitet, die mit diesem herrschaftlichen Machtbegriff arbeiten. Aber mögen diese Stimmen um ihn herum noch so laut, noch so verlogen, noch so höhnisch sein: Weder Leben noch Tod können Jesus trennen davon, dass er sich G*tt zugehörig weiß. Wo Jesus daran festhält, dass GOTTES Wille geschehe, ist Gottes Wille das Kontrastprogramm zu dem, was vor und mit der Kreuzigung geschieht.
Entscheidend ist, dass Jesus weiterhin aus der Perspektive der ihm wichtigen Beziehungen handelt und für sein Tun (und Nicht-Tun) Bezüge herstellt, in denen er STATTDESSEN G*ttes Wille am Werk sieht. Bis zum Schluss hat er ein Auge für seine Mitmenschen: Maria und Johannes, die er zueinander in verwandtschaftliche Beziehung setzt, oder der Mitgekreuzigte, dem er vor dessen Tod noch erleichternde Gewissheit zuspricht. Nicht im Weg zum Kreuz ereignet sich G*ttes Wille, sondern G*ttes Wille ereignet sich in all dem, wo Jesus dem, was mit ihm gemacht wird, etwas ganz anderes entgegenstellt: Schuld, Scham und Angst eben nicht annimmt – und auch nicht bei anderen erzeugt, auch hier nicht, immer noch nicht.
Dieser Jesus ist heute kein anderer als damals. Jede Theologie und jede Kirche, die mit Schuld, Scham und Angst als Grundelementen von „Gottes Willen“ arbeiten, nageln Jesus erneut ans Kreuz.
Andacht
Mt. 26,30 – 46
Die erste Kerze wird ausgelöscht.
– Stille –
Mt. 26,47-56
Die zweite Kerze wird ausgelöscht.
– Stille –
Mt. 26,57-75
Die dritte Kerze wird ausgelöscht.
– Stille –
Mt. 27,1-5
Die vierte Kerze wird ausgelöscht.
– Stille –
Mt. 27,6-23
Die fünfte Kerze wird ausgelöscht.
– Stille –
Mt. 27,24-31
Die sechste Kerze wird ausgelöscht.
– Stille –
Mt. 27,32-44
Die siebte Kerze wird ausgelöscht.
– Stille –
Mt 27, 45-50
Die achte Kerze wird ausgelöscht.
– Stille –
(„Im Dunkel“:) Mt. 27,51-56
– Stille –
*) Die Typisierungen nach Schuld, Scham und Angst sind übernommen aus dem Buch „Mit anderen Augen – Perspektiven des Evangeliums für Scham-, Schuld- und Angstkulturen“ von Jayson Georges. Das Buch ist mit Vorsicht zu genießen; aber die Darstellung unterschiedlicher christlicher Sichtweisen in Bezug auf das Evangelium knüpft tatsächlich an manches an, was ich in Gemeinden erlebt habe.