Impuls MCC Köln, Ines-Paul Baumann
1. Sept 2024
Matthäusevangelium 17,24-27 („Die Tempelsteuer“)
Ist euch an Jesus jemals aufgefallen, dass er „keinen Anstoß“ erregen wollte?
In allen vier Evangelien tut Jesus nichts anderes, als die religiös und politisch Privilegierten ständig zu nerven, zu hinterfragen, zu ignorieren und ihre Macht in Frage zu stellen – und hier soll es Jesus plötzlich darauf ankommen, „keinen Anstoß“ zu erregen?
In allen vier Evangelien erregt er so konsequent Anstoß, dass er dafür am Ende hingerichtet wird – und hier soll es Jesus auf einmal darauf ankommen, „keinen Anstoß“ zu erregen?
Paulus gründet einen Großteil seiner ersten theologischen Skizzen darauf, dass Jesus zum Stein des Anstoßes wurde (Römerbrief Kap. 9) – und hier soll Jesus als Vorbild dafür dienen, „keinen Anstoß“ zu erregen?
Jesus selbst war es an anderen Stellen durchaus wichtig, dass Menschen sich so verhalten, dass sie anderen nicht im Wege stehen. Aber das war stets eingebunden in Machtverhältnisse: Diejenigen mit Macht und Privilegien sollten sich den Marginalisieren gegenüber so verhalten, dass die Marginalisierten nicht noch mehr ausgeschlossen und herabgesetzt und unter Druck gesetzt werden.
Die Geschichte mit der Tempelsteuer und dem Fisch ist genau in der Mitte solcher Diskussionen platziert.
Direkt vor dieser Stelle geht es darum, dass Jesus bereits klar ist, dass er so viel Anstoß erregt, dass er hingerichtet werden wird.
Direkt nach dieser Stelle geht es um den Umgang mit den vermeintlich „Kleinen“.
24 Als Jesus und seine Jünger nach Kafarnaum kamen, traten die Männer, die die Tempelsteuer [Wörtlich: „Doppeldrachme.“] einzogen, an Petrus heran und fragten: »Zahlt euer Meister eigentlich keine Tempelsteuer?« – 25 »Doch!«, erwiderte Petrus. Als er dann ins Haus kam, fragte ihn Jesus, noch ehe er etwas von dem Vorfall erzählen konnte: »Was meinst du, Simon, von wem erheben die Könige dieser Erde Zölle und Steuern? Von ihren eigenen Söhnen oder von den anderen Leuten?« – 26 »Von den anderen Leuten«, erwiderte Petrus. Da sagte Jesus zu ihm: »Also sind die Söhne davon befreit. 27 Damit wir ihnen aber keinen Anstoß geben, geh an den See und wirf die Angel aus. Nimm den ersten Fisch, den du fängst [Wörtlich: „der heraufkommt“ (d. h. „den du heraufziehst“ )], und öffne ihm das Maul. Du wirst darin ein Vierdrachmenstück finden. Nimm es und bezahle damit die Tempelsteuer [Wörtlich: „und gib es ihnen“. ] für mich und für dich!«
Matthäusevangelium 17,24-27 (NGÜ)
In diesem Kontext ist sehr genau zu fragen, was Jesus damit meint, wenn sein Umgang mit der Tempelsteuer „keinen Anstoß geben“ soll.
Wenn Jesus seiner Linie treu bleibt, wird es ihm nicht darum gehen, innerhalb des etablierten religiösen Systems keinen Anstoß erregen zu wollen. Das hat er davor schon oft genug getan und wird es danach weiterhin tun.
Wenn Jesus seiner Linie treu bleibt, soll sein eigener Umgang mit der Tempelsteuer aber für andere, die im System weiter am Rand oder weiter unten stehen, empowernd sein, ihnen Mut machen, ihnen Kraft geben, sie aufrichten.
Tatsächlich ist die Tempelsteuer eine freiwillige Abgabe gewesen. Wenn Jesus sie nicht bezahlt hätte, hätte er keinerlei Konsequenzen zu befürchten gehabt. Es hätte keine Strafe dafür gegeben, die Tempelsteuer nicht zu bezahlen.
Warum bezahlt Jesus sie trotzdem? Wäre es nicht ein cooles Vorbild gewesen, sie einfach NICHT zu bezahlen? Klar, hätte Jesus so machen können.
Aber dann wäre etwas ganz wichtiges verrutscht. WENN Jesus schon dafür in die Geschichte eingehen wird, sich dem religiösen und politischen System seiner Zeit entzogen zu haben, dann doch bitte mit der richtigen Deutung. Jesus musste unbedingt vermeiden, einen Ruf als „Steuersünder“ zu bekommen. Wenn er nur wegen Formalitäten und Finanzstreitigkeiten in den Fokus geraten wäre, wäre das viel zu wenig gewesen. Jesus war nicht für oder gegen so ein Detail wie die Tempelsteuer. Jesus stellte das System des Tempels insgesamt in Frage.
Heutzutage würde es vielleicht sowas wie einen Begriff von „Tempelnormativität“ geben. Der Tempel ist so selbstverständlich als System, das religiöse Regeln und Inhalte sortiert, dass es als solches gar nicht in Frage gestellt wird. Es ist extrem wirkmächtig, muss aber seine Macht nie begründen, erklären oder überhaupt nur benennen. Und gerade weil diese Macht und Wirkmacht nicht benannt werden müssen, sind sie so mächtig und wirkmächtig.
Jesus stellt diese Tempelnormativität in Frage. Er zeigt sie auf (und macht sie damit angreifbar). Und gleichzeitig entzieht er sich ihr. DAS ist es, womit Jesus Anstoß erregt. DAS ist es, wofür Jesus den Kopf hinhält. HIERFÜR ist er bereit, lieber zu sterben. Ein Leben innerhalb der Tempelnormativität kommt für Jesus nicht in Frage.
Für Leute, die außerhalb einer Normativität leben, ist das Leben oft schwer. Ob Rassismus, Heterosexualität, binäre Geschlechterkategorien, mentale Unauffälligkeit, …: Die, die nicht zu den Normativitäten „dazugehören“, müssen einen Preis dafür zahlen.
So gesehen finde ich auch spannend, dass Jesus als erstes darüber zu diskutieren anfängt, wer eigentlich bezahlen muss und wer eigentlich frei ist. In dem Gespräch mit Simon geht es darum, dass diejenigen bezahlen müssen, die nicht zum System gehören. Ich stimme anderen Auslegungen da durchaus zu: Jesus dreht hier die Maßstäbe um; allerdings in einem anderen Sinne. Er sagt gerade NICHT: „Ich als Sohn bin doch frei.“ Dadurch, dass er bezahlt, sagt er: „Ich gehöre NICHT zur Tempelnormativität. Ich gehöre zu ‚den anderen’. Ich muss einen Preis dafür bezahlen.“ Als Referenz für die Zugehörigkeit sieht er nicht G*tt, sondern den Tempel. Die Tempelsteuer ist eben KEINE Gottessteuer.
Wenn ich die Geschichte mit dem Fisch also aus der Perspektive derer lese, die in einem normativen System nicht dazugehören (z.B. trans* Menschen, BiPOC, Frauen, nicht-Heterosexuelle, nicht-Monogame, Aspecs, …), dann fühle ich sofort den Druck, der entsteht, wenn „das System“ an mich herantritt. Ein Blick, ein Spruch, eine Frage, eine falsche Annahme, und schon zollt das System Tribut von mir. Es erinnert mich daran, dass es einen Preis zu zahlen gibt.
Jesu Strategie hier ist eine von vielen, die ich auch manchmal anwende: Einfach so tun, als würde ich mitmachen. Ich muss nicht jedes Mal in den offenen Widerstand gehen. Ich muss nicht jedes Mal diskutieren. Ich muss nicht jedes Mal in die Auseinandersetzung gehen.
Ich kann mich berufen auf das, was ich kann (Jesus schickt Petrus, den Fischer, zum Angeln). Und ich kann darauf bauen, dass sich darin dann auch etwas findet, was gerade passt (das Geld im Rachen des Fisches). Jesus gibt hier ein Beispiel dafür, dass es nicht immer an meine persönlichen Reserven gehen muss. Und trotzdem muss ich Energie und Aufwand da reinstecken, die Situation zu klären. Die Geschichte mit dem Fisch erkennt das an.
Ich glaube, das allermeiste der Geschichte ist erfunden. Vielleicht musste Matthäus Gerüchten entgegentreten. Gerüchten darüber, dass Jesus nur hingerichtet wurde, weil er innerhalb des Tempelsystems Verhaltensfehler gemacht hätte. Oder Gerüchten darüber, dass das Geld für die Tempelsteuer aus dem (nicht vorhandenen) Vermögen bezahlt wurde, was doch allen Jüngern zur Verfügung hätte stehen müssen. Beiden Gerüchten gäbe diese Geschichte eine Antwort. Und sie zeigt einmal mehr: Da, wo wir herausgefordert sind, uns zu rechtfertigen, sind oft wundersame Geschichten das Ergebnis.