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Setzt der Welt zu, wo sie euch (oder anderen) zusetzt.

Predigt MCC Köln, 7. Mai 2017
Ines-Paul Baumann

Johannes-Evangelium 16,1.16(17-19)20-23a.33

Menschen haben ihre Gründe, sich bestimmten Bedingungen zu unterwerfen – nicht nur aus „Eigennutz“, sondern auch aus humanitären und religiösen Gründen. Ob es darum geht, heiraten zu dürfen, Bleiberechte, eine OP bezahlt zu bekommen, Rente, politische Mitsprache, zur Bundeswehr zu gehen, einen Beruf auszuüben, Steuern, Ansehen, Sicherheit, Vergünstigung bei der Versicherung, Bonuspunkte, … : Im Rahmen bestimmter Bedingungen geht so manches.

Was heute viele Menschen in Kirchen und Staat machen, machten zu Jesu Zeiten auch Teile des Judentums im Römischen Reich. Die römischen Imperialisten waren da durchaus tolerant. Es gab halt ein paar Bedingungen einzuhalten, aber dann gab es auch keinen Ärger; im Gegenteil. Vieles war dann möglich.

Das Problem der Jünger Jesu war nur: Jesus hatte diese Grenzen überschritten. Sie mussten entweder hinter das zurück, was Jesus so alles gefordert und gelebt hatte – oder sie mussten darauf gefasst sein, dass es ihnen ähnlich ergehen würde wie Jesus (der am Schluss so sehr genervt hatte, dass er per Hinrichtung zum Schweigen gebracht werden sollte).

Kein Wunder also, dass das Johannes-Evangelium seiner Leserschaft einen Jesus vorstellt, der seine Jünger darauf einschwört, in den drohenden Bedrängnissen nicht aufzugeben:

Joh 16,1.16-23.33

Ich glaube, hier geht es um mehr als um die Tage zwischen Jesu Tod und Auferstehung. Nach der Auferstehung befinden sich die Anhänger_innen Jesu in einer insgesamt unklaren Situation. Jesus ist nicht mehr „tot und weg“, aber auch nicht mehr „am Leben und da“. Auch heute erleben Glaubende Jesus mal als „da“, oft aber auch „weit weg“.

Anders als heute konnten sich die Jünger ihres Glaubens dann aber nicht an ihrem Konfirmationsspruch versichern oder bei der Segnung eines Feuerwehrautos oder beim sonntäglichen Kirchenbesuch. All das wird heute vielleicht belächelt, aber durchaus angeboten und akzeptiert.

Wer hingegen damals dem Glauben schenkte, was Jesus von sich gab (und darauf baute!), der/die fand sich ganz schnell in Konflikten wieder mit einer Umwelt, die sich davon eher gestört und herausgefordert und angegriffen fühlte.

Ich glaube, dass der Predigttext sich genau auf diese Situation bezieht: In einer Zeit der Unsicherheit und Angst sollen die Anhänger_innen Jesu ermutigt werden, sich weiterhin an Jesus zu orientieren.

1. Wir leben in einer Zeit, in der sich eine zunehmende Anzahl an Menschen zunehmend verunsichert fühlt.

Heute finden in Frankreich Präsidentschaftswahlen statt. Die beiden verbliebenen Wahloptionen sprechen Bände. Diese Wahl ist entscheidend davon bestimmt, dass Menschen Angst haben.Die einen haben Angst vor der einen Kandidatin („zu rechtsextrem“), die anderen haben Angst vor dem anderen Kandidaten („zu neoliberal“). Beide werden aber auch genau deswegen gewählt, weil sich ihre Wähler_innen von ihnen die besseren Antworten auf ihre Ängste versprechen.

Ängste überall, ob geschürt oder gewachsen. Sicherheit statt Freiheit. Für Menschen aus Kriegsgebieten sollen Grenzen geschlossen sein, für leckeres Obst aus Kriegsgebieten sollen Grenzen offen sein. Unsere Steuereinnahmen sollen in Deutschland bleiben, unsere Waffen sollen Deutschland verlassen.

Mit den Problemen anderswo haben wir nichts zu tun?

  • Konflikte zwischen verfeindeten Ethnien im Kongo? „Weit weg… tia, diese rückständigen Kulturen!“
    Dass es dabei um Erze geht, die für die Herstellung von Handys und Laptops gebraucht werden? „Öhm, ja… aber irgendein Handy brauche ich ja auch… Und mein altes war doch schon fast zwei Jahre alt, damit war ich echt nicht mehr auf dem neuesten Stand!“
  • Wassermangel in vielen Teilen der Welt? „Ja, schlimm, diese Klimakatastrophe, schlimm schlimm schlimm.“
    Dass der Wassermangel in vielen Fällen auch mit der Zerstörung kleinbäuerlicher Produktionsweisen durch agrarindustrielle Unternehmen aus dem globalen Norden zu tun hat? „Naja, aber irgendwie muss der Billigsupermarkt doch an sein Obst und Gemüse kommen… Wo sollen ich und andere Niedrigverdiener denn sonst Brot und Erdbeeren im April kaufen??“
  • Menschen aus Afrika flüchten nach Europa? „Da ist doch gar kein schlimmer Krieg! Diese Flüchtlinge sind illegal! Unser Asylrecht gilt für Leute, die mit ihrer politischen Meinung nicht hinter‘m Berg halten (recht so!) – aber unser Asylrecht gilt nun mal leider nicht für Leute, die Hunger leiden oder womöglich einfach nur genau so leben wollen wie wir hier! Na gut, das mit dem Hunger ist schlimm, jaja… aber illegale Flüchtlinge sind schlimmer.“
    Dass die dortigen Märkte und Einkommensmöglichkeiten auch deswegen zerstört sind, weil es wichtiger ist, dass die EU ihre hochsubventionierten Produkte DORT verkaufen kann? „Ist nicht mein Problem, die Landwirtschaft hier muss schließlich auch von was leben! Und wie soll das gehen, solange ich nicht bereit bin, mehr als 79 Cent für den Liter Milch zu bezahlen?“

Wenn wir in Europa denken, mit Kriegen und Klimawandel und Flüchtlingen nix zu tun zu haben, stimmt das so nicht. Es ist zu einfach, diese Kriege als „Probleme weniger entwickelter Kulturen“ abzutun, oder den Klimawandel als „dumm gelaufen für die Betroffenen“, oder Flüchtlinge als „Illegale, die von Schlepperbanden eingeschleust worden sind“ (es gab mal Zeiten, da hatten Fluchthelfer ein hohes Ansehen, wenn sie Menschen außer Landes verhalfen oder ihnen Unterschlupf gewährten).

Fakt ist: Der Lebensstil in Deutschland hat auch damit zu tun, dass er auf Kosten anderer geht, die hier weder mitreden noch daran teilhaben dürfen – obwohl sie davon betroffen sind, obwohl sie dazu beitragen (und sei es „nur“ genau dadurch, dass sie davon ausgeschlossen sind). Menschen außerhalb UND innerhalb Deutschlands leiden zunehmend Not, Krankheit und Unsicherheit – für einen Lebensstil, der mittlerweile auch denen oft zu schaffen macht, DIE eine Arbeit und eine Familie und ein Auto haben.

2. Setzt der Welt zu, die euch (und/oder anderen) zusetzt.

Warum sage ich das alles?
Weil mir nicht nur diese Umstände Angst machen.
Sondern weil mir auch Leute Angst machen, die eine solche Welt als normal und hinnehmbar empfinden und sich gut darin einrichten können.

Ich sage das, weil ich glaube, dass uns so eine Welt zurecht zusetzt.
Und weil ich glaube, dass wir so einer Welt zusetzen müssen.

Das ganze Hin und Her, in dem Jesus seine Anhänger_innen einschwört, dass er bei ihnen sein wird, erleben Christen auch heute manchmal.
Im Gottesdienst haben wir Gott vor Augen, alles ist toll und friedlich und wohltuend und schön. (Oder zumindest hat es so zu sein – denn wenn es das mal nicht ist, nehmen sich viele umgehend das Recht, sich zu beschweren oder eben NICHT mehr in die Gemeinde zu gehen.) Jedenfalls gehen Menschen in Gottesdienste, weil es da schön sein soll.
Und dann gehen wir in eine Woche voller Montage und Dienstage und Mittwoche, und da soll es uns ja auch gut gehen. Und damit das so ist, muss vieles, was im Sonntags-Gottesdienst noch wichtig war, halt auch mal für ein paar Tage in den Hintergrund treten…
Nein, eben nicht!

  • Sagte Jesus etwa: „Liebe Jünger. Auf ein Wort. Bald wird mir mein ständiges Anecken zum Verhängnis. Seid also gewarnt. Betet mich an, aber bitte nur so, dass euch daraus kein Schaden entsteht. Diese Welt ist fürchterlich und beängstigend. Kommt also gerne gelegentlich zu mir und tankt auf. Aber bitte schaut dann, wie ihr möglichst gut durch die Woche kommt. Gott will, dass es euch gut geht, also tut gefälligst, was die Leute von euch wollen und was erwartet wird. Dann passiert euch auch nichts.“
    NEIN, genau das sagte Jesus nicht.
  • Oder sagte Jesus zu seinen Jüngern: „Im Moment läuft alles darauf hin aus, dass ich bald gekreuzigt werde, also hört mal kurz zu. In der Welt habt ihr Angst, ja, aber das ist nur vorübergehend. Das ist nur jetzt so, solange ich noch nicht auferstanden bin und ihr noch nicht vom Heiligen Geist erfüllt seid. Wenn ihr erst mal wahre Christen geworden seid, werdet ihr keine Angst mehr kennen.“
    NEIN, genau das sagte Jesus nicht.
  • Oder sagte Jesus zu seinen Jüngern: „Seht ihr jetzt endlich, WIE schlecht diese Welt und die gesamte Schöpfung ist? Seht ihr endlich, wie verloren ihr seid und wie verdorben ihr seid und dass ihr den Rest eures ewigen Lebens in der Hölle schmoren werdet? Also bekehrt euch zu mir, dann habt ihr ein gutes Leben und nicht nur eine gute Rente, sondern auch euer Ticket für den Himmel nach dem Tod.“
    NEIN, genau das sagte Jesus nicht.

Inmitten der Ängste und Unsicherheiten schwört Jesus seine Anhänger_innen darauf ein, dass er bei ihnen sein wird. Dass sie IHM glauben sollen. Dass Angst verständlich und ok ist, sie aber nicht lähmen soll.

Mir geht es nicht darum, dass wir ab sofort keine Laptops mehr benutzen und keine Angst mehr haben vor Männlichkeiten, die meinen, dass Frauen und Autos nur dazu da sind, sie nach Belieben zu benutzen und damit anzugeben (oder vor solchen Eindringlingen, die meinen, dass Äcker und Arbeitskräfte in anderen Ländern nur dazu da sind, sie zu benutzen).

Mir geht es nicht darum, dass wir uns ab sofort aus der Welt zurückziehen und zu anti-weltlichen-Superhelden werden. (Viele Totalverweigerer drehen sich genau so wenig um Gott – und genau so sehr um sich selbst – wie diejenigen, von denen sie sich abgrenzen.)

Ich meine aber sehr wohl, dass wir im Namen Jesu bereit sein müssen, ein paar Konsequenzen zu ziehen aus dem, was Jesus gelebt und gewirkt hat.

3. Also, was tun?

„Das ist unrealistisch!“ war eine der typischsten Reaktionen, die Jesu Worte und Taten hervorgerufen hatten. Wir können zumindest nicht behaupten, dass Jesus sich der Haltung angeschlossen hat, dass die Welt halt so ist, wie sie ist (und dass diejenigen, die ausgeschlossen sind, nun mal auch ausgeschlossen gehören).

Wenn du hörst, eine bessere Welt sei nicht möglich: Das entspricht NICHT der Botschaft Jesu. Glaube es nicht.
Wenn du hörst, Fremde seien nicht unser Problem: Das entspricht NICHT der Botschaft Jesu. Glaube es nicht.
Wenn du hörst, der Zugang von Menschen zu existenziellen Grundlagen müsse an Bedingungen geknüpft werden: Das entspricht NICHT der Botschaft Jesu. Glaube es nicht.
Wenn du hörst, dass du nur ein bisschen mehr Erwartungen erfüllen sollst, damit auch du dein gottgewolltes Stück vom Kuchen abbekommst: Das entspricht NICHT der Botschaft Jesu. Glaube es nicht.

Ich verstehe die Aufforderung Jesu im Predigttext heute so, als wollte Jesus damit sagen:

„Mal werdet ihr mitbekommen und spüren, dass ich bei euch bin, manchmal nicht. Haltet es euch also bewusst immer vor Augen. Denkt und handelt so, dass ich als der Auferstandene euch immer vor Augen stehe. Eine Welt, die sich nach anderen Regel richtet, wird euch dafür zusetzen, euch Angst machen, euch bedrängen. Lasst euch von dieser Angst nicht leiten und nicht einschüchtern. Setzt dieser Welt zu, wo sie euch zusetzt. Widersprecht dieser Welt, wo sie dem widerspricht, was ich verkündet und gelebt habe. Es ist nicht diese Welt, die am Schluss Bestand haben wird. Ich habe diese Welt besiegt. Also verlasst euch nicht auf sie und räumt ihr nicht mehr Macht ein, als sie hat. Ich bin bei euch.“

Wenn du dich fragst, was du mitmachen kannst/sollst/musst, und was nicht: Halte dir Jesus als den Auferstandenen vor Augen, der mächtiger ist als unsere Angst. Bete. Und dann entscheide.


Danke für Infos und Anregungen:

  • Markus Wissen und Ulrich Brand: „Unsere schöne imperiale Lebensweise“ in: „Blätter für deutsche und international Politik“ Ausgabe 5/17 (gibt‘s aktuell im Buchhandel, z.B. am Bahnhof)

 

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