Predigt MCC Köln 27. Nov. 2016
Ines-Paul Baumann
Jesaja 2,1-5 & Matthäus 24,36-44
Auf den Covern der Meditationsmusik-CDs versprechen süßlich lächelnde Gesichter Harmonie und Frieden. Selig, wer seinen Frieden in sich selbst trägt. Ich tue es nicht. Meine Trauer, mein Klagen, meine Angst, meine Verzweiflung haben in ihrer beseelt lächelnden Welt keinen Platz.
Von ihnen erwarte ich nicht den Frieden, den ich meine.
„Ich hebe meine Augen auf zu den Bergen.
Woher kommt mir Hilfe?“ (Psalm 121)
Wie kann ich zu dem Berg schauen und die Täler vergessen, in denen Hunger und Krankheit und Flucht und Ungerechtigkeit die Menschen in ein Jammertal stürzen? Das vergeht doch nicht, indem ich einfach nicht mehr hingucke. Wie zynisch kommt mir die Idee vor, dass das alles nur Illusion sein soll.
Von ihnen erwarte ich nicht den Frieden, den ich meine.
„Ich hebe meine Augen auf zu den Bergen.
Woher kommt mir Hilfe?“
Politiker reden ständig vom Frieden – und führen Kriege.
Andere Politiker reden auch ständig vom Frieden – und ignorieren Kriege.
Von ihnen erwarte ich nicht den Frieden, den ich meine.
„Ich hebe meine Augen auf zu den Bergen.
Woher kommt mir Hilfe?“
Religionen reden auch ständig vom Frieden – und wie oft säen sie Hass. Legitimieren und überhöhen Gewalt. Rufen zum Kampf auf, mit Waffen und mit Worten.
Von ihnen erwarte ich nicht den Frieden, den ich meine.
„Ich hebe meine Augen auf zu den Bergen.
Woher kommt mir Hilfe?“
Das Matthäus-Evangelium beschreibt die Wiederkunft Christi wie das Kommen eines Diebes in der Nacht. Was soll mich an diesem Bild trösten? Von zwei Männern wird einer mitgenommen. Von zwei Frauen wird eine mitgenommen. So wie im Krieg, wenn es die einen trifft und die anderen nicht, und keine Mensch weiß warum? Oder wie eine Staatspolizei, die wie aus dem Nichts auftaucht und den Nachbarn mitnimmt, „zum Schutz der Sicherheit“? Wachsamkeit in einem Umfeld von Misstrauen, Unterdrückung und Angst? In manchen Gemeinden gehört das tatsächlich zum Lebensgefühl.
Das ist nicht der Friede, nach dem ich mich sehne.
„Ich hebe meine Augen auf zu den Bergen.
Woher kommt mir Hilfe?“
„Ihr sollt nicht meinen, dass ich gekommen bin, Frieden zu bringen auf die Erde. Ich bin nicht gekommen, Frieden zu bringen, sondern das Schwert. Denn ich bin gekommen, den Menschen zu entzweien mit seinem Vater und die Tochter mit ihrer Mutter und die Schwiegertochter mit ihrer Schwiegermutter. Und des Menschen Feinde werden seine eigenen Hausgenossen sein.“ (Mt 10,34-36)
Des Menschen Feinde werden seine eigenen Hausgenossen sein – das entspricht schon eher meiner Erfahrung.
Aber wieso sagt ausgerechnet Jesus, dass er nicht gekommen sei, Frieden zu bringen auf die Erde?
Ausgerechnet er, der erhoffte Friedefürst?
Spricht aus diesen Versen die Erfahrung der ersten Christen, dass ihr Glaube sie oft entzweit hat von einem Umfeld, das sich längst damit abgefunden hatte, wie es in der Welt zugeht? Wo in Frieden gelassen wird, wer die Mächtigen in Frieden lässt?
In mir keimt ein Funke auf. Finde ich hier Raum für meine Sehnsucht nach einem Frieden, der nicht bloß darauf beruht, dass keiner widerspricht? In dem es nicht nur darum geht, dass der Handel von Waren und Macht ungestört vonstatten gehen kann?
Meine Sehnsucht ist noch lange nicht gestillt.
Ich sehne mich nach Frieden.
Ich weiß nur nicht, von wem ich ihn erwarten soll. Von mir? Ich trage keinen Frieden in mir. Von Politik, von Religion und Lebensanschauungen, vom Warenhandel?
Nein. Der Friede, nach dem ich mich sehne, ist ein Friede, den ich von mir und anderen nicht mehr erwarte. Meine Friede kann nur noch unerwartet kommen. Um so dankbarer bin ich, dass er verheißen ist. Nicht versprochen, als Teil einer Abmachung oder eines Deals – sondern verheißen, als Teil einer Erlösung, die viel mehr umfasst als nur meine individuelle Garantie auf ein Ticket für meinen Seelenfrieden.
„Ich hebe meine Augen auf zu den Bergen.
Woher kommt mir Hilfe?
Meine Hilfe kommt vom Herrn, der Himmel und Erde gemacht hat.“
(Psalm 121,1+2)
Wenigstens dieser Gott möchte von meiner Sehnsucht nach Frieden nicht in Frieden gelassen werden. Im Gegenteil. Wenn ich versucht bin, keinen Frieden mehr zu erwarten und dementsprechend „realistisch“ zu werden, lässt mich die Verheißung Gottes damit nicht in Frieden davonkommen.
War Jesus „realistisch“? Hat er „realistisch“ gedacht und gehandelt?
Ist er in den Augen der Gläubigen bis heute der Friedefürst,
… weil er seinerseits mit Macht und Gewalt Frieden „durchgesetzt“ hat?
… weil er eine Welt aufgebaut hat, in der alle so sind wie ich und meiner Meinung sind? (Manche hätten das gerne; seien sie konservativ oder progressiv oder queer….)
… in der Menschen weggenommen werden müssen, damit der Rest in Frieden leben kann? (Womit das Matthäus-Evangelium eine Überlegung ausspricht, die ich in vielen Situationen gut verstehen kann….)
… in der Menschen in ständiger Angst vor einem Gott leben müssen, der wie ein Dieb in der Nacht in ihre Häuser und Herzen einfällt, um ihnen das Wertvollste wegzunehmen? (Durchaus ein Gottesbild, das immer noch Teil von vielen Glaubensgebäuden ist, genau so wie es Teil der Bibel ist….)
Keinem dieser Bilder hat Jesus entsprochen. Keiner dieser Erwartungen hat er gehorcht.
„Frieden lasse ich euch, meinen Frieden gebe ich euch. Nicht gebe ich euch, wie die Welt gibt. Euer Herz erschrecke nicht und fürchte sich nicht.“ (Joh 14,26+27)
Zumindest mit meinem Wunsch nach Frieden kann ich Frieden schließen.
Und zumindest versuchen, auch mit denen in Frieden zu leben, die anders und anderer Meinung sind als ich.
Und denen etwas von dem Frieden zuteil werden zu lassen, die dem Unfrieden in unserer Welt als erste zum Opfer fallen.
In diesem Sinne bleibe ich gerne wachsam.
1 Dies ist das Wort, das Jesaja, der Sohn des Amoz, schaute über Juda und Jerusalem.
2 Es wird zur letzten Zeit der Berg, da des Herrn Haus ist, fest stehen, höher als alle Berge und über alle Hügel erhaben, und alle Heiden werden herzulaufen,
3 und viele Völker werden hingehen und sagen: Kommt, lasst uns hinaufgehen zum Berg des Herrn, zum Hause des Gottes Jakobs, dass er uns lehre seine Wege und wir wandeln auf seinen Steigen! Denn von Zion wird Weisung ausgehen und des Herrn Wort von Jerusalem.
4 Und er wird richten unter den Nationen und zurechtweisen viele Völker. Da werden sie ihre Schwerter zu Pflugscharen machen und ihre Spieße zu Sicheln. Denn es wird kein Volk wider das andere das Schwert erheben, und sie werden hinfort nicht mehr lernen, Krieg zu führen.
5 Kommt nun, ihr vom Hause Jakob, lasst uns wandeln im Licht des Herrn!