Impuls MCC Köln, 16. Oktober 2022
Ines-Paul Baumann
2. Korinther 11,5-11
Was auch immer dieser Briefabschnitt aussagen wollte – zumindest bricht er mit Eindeutigkeiten und stellt Ansprüche infrage.
Als wir vorletzte Woche aus Versehen einen Teil dieser Textstelle (anstatt des eigentlich vorgesehenen Predigttextes) vorgetragen bekamen, machte sich im Gemeindezentrum eine hohe Aufmerksamkeit und Teilnahme breit. Nehmen wir uns heute also die Zeit, uns mit der Stelle eingehender zu beschäftigen.
5 Dabei bin ich überzeugt, dass ich mich in keiner Beziehung vor diesen Superaposteln[4] verstecken muss. 6 Mag sein, dass es mir an rhetorischen Fähigkeiten fehlt[5] – an Erkenntnis fehlt es mir ganz sicher nicht! Das haben wir im Umgang mit euch bei jeder Gelegenheit[6] und in jeder Hinsicht bewiesen. 7 Oder habe ich etwa eine Sünde begangen, als ich mich erniedrigte, um euch zu erhöhen? Ich spreche davon, dass ich auf mein Recht als Apostel verzichtet[7] und euch das Evangelium Gottes verkündet habe, ohne etwas dafür zu verlangen. 8 Verglichen mit euch, habe ich andere Gemeinden geradezu ausgeraubt, indem ich mich von ihnen unterstützen ließ[8], um euch unentgeltlich dienen zu können. 9 Und als ich bei euch war und meine Mittel knapp wurden, bin ich keinem von euch zur Last gefallen; die Brüder, die aus Mazedonien kamen[9], brachten mir das, was mir fehlte. Ich habe mich also davor gehütet, eure Hilfe auch nur im Geringsten zu beanspruchen, und werde mich auch weiterhin davor hüten. 10 So gewiss die Wahrheit[10] von Christus mich erfüllt: Niemand in der ganzen Provinz Achaia wird mir diesen Ruhm nehmen können. 11 Warum nehme ich kein Geld von euch an? Weil ich euch nicht liebe? Gott weiß, wie es mit meiner Liebe zu euch steht![11]
2. Korinther 11,5-11
(Neue Genfer Übersetzung)
Der Text ist eingebettet in einen Briefteil, in dem Paulus zum Teil sehr ironisch und polemisch argumentiert (2. Kor. 10-13). Anders als manche Kommentare, die ich hierzu kenne, vermag ich mich nicht festzulegen, was Paulus an welcher Stelle nun wirklich wie genau gemeint hat. Die Wahrnehmungen und Auslegungen dieser Kapitel fallen übrigens äußerst unterschiedlich aus (vgl. nur mal die Kommentare dazu im „Kompendium Feministische Bibelauslegung“ und in „The Queer Bible Commentary“!…). Hier nun MEINE aktuellen Perspektiven und Beobachtungen:
Der Inhalt in den Kapiteln 10-13 ist davon bestimmt, dass Paulus sich angegriffen fühlt, und zwar an diesen Punkten:
- „Dein Auftreten ist total schwach!“
- „Du bist kein guter Redner!“
- „Dass du kein Geld für deine Gemeindearbeit nimmst, zeigt doch schon, wie schlecht du deine Arbeit machst!“
- „Du hast ja gar keine Empfehlungsschreiben für dich und deine Arbeit!“
- „Du hast Jesus ja gar nicht zu seinen Lebzeiten gekannt!“
Damit ist auch klar, was Paulus für ein Bild von denen zeichnet, von denen er sich angegriffen fühlt. Sie sind
- beeindruckend im äußeren Auftreten,
- rhetorisch geschult,
- der hervorragenden Qualität ihrer Reden entsprechend hervorragend bezahlt, *)
- bringen Empfehlungsschreiben mit,
- und kannten Jesus zu seinen Lebzeiten.
Zwischenfragen:
– Welche Art von Leuten haben WIR lieber hier vorne stehen? Wem hören wir lieber zu? Wem würden wir eher Glauben schenken? Was erwarten WIR von Prediger*innen, Pastor*innen, Gemeindemitarbeiter*innen?
– Wie wirken WIR auf andere? Wie wirkt unser Auftreten? Wo stehen wir (als Einzelne oder als MCC Köln) im Namedropping in Köln und Kirchen? Was kursiert über uns?
– Wovon fühlen WIR uns angegriffen? (Als Gemeinde, als Einzelne, …)
Der Clou ist nun, wie Paulus damit umgeht, was er hier alles als Vorwurf skizziert. In mancherlei Hinsicht fängt er gar nicht erst an, sich mit dem zu messen, was die anderen angeblich „besser“ macht. Stattdessen stellt er deren Maßstäbe infrage bzw. auf den Kopf (= „queeren“):
- Ihr seid beeindruckend im äußeren Auftreten, aber mein Auftreten ist schwach?
Ich erniedrige mich mit Absicht vor der Gemeinde! Inwiefern können denn Äußerlichkeiten ein Zeichen dafür sein, wer dazu gehört und wer nicht? (10,7) Im Gegenteil, die Stärke meines Handelns ist direkt die Stärke Gottes; davon muss ich nicht mit starkem Auftreten nach menschlichen Maßstäben ablenken! (10,3+4) - Ihr seid rhetorisch geschult, aber ich bin kein guter Redner?
Wichtiger als rhetorische Raffinesse sind ja wohl der Inhalt und die Erkenntnisse, die in und durch die Rede fließen! - Ihr werdet der hervorragenden Qualität eurer Reden entsprechend hervorragend bezahlt, aber ich nehme kein Geld für meine Gemeindearbeit, weil sie so schlecht ist?
Anders als euch ist mir eine Verbindung zur Gemeinde wichtig, die sich nicht am Geld festmacht, sondern an Vertrauen und Miteinander! Das Evangelium lässt sich doch nicht kaufen! (11,7)
(Wie empfindlich – oder auch zerrissen bzw. undogmatisch – Paulus bei dem Thema ist, zeigt seine Wortwahl gegenüber Gemeinden, von DENEN er Geld angenommen hatte. Da die Annahme von Geld auch eine gewisse Portion Entscheidungsbefugnis freisetzt **), könnte die Gemeinde in Korinth sich durchaus gekränkt fühlen, dass er von ihr kein Geld annimmt – und ihr damit keine Entscheidungsbefugnisse über ihn einräumt. Damit die Gemeinde in Korinth also gar nicht erst auf die Idee kommt, sich auf dieser Ebene mit anderen Gemeinden zu vergleichen, verwendet Paulus das krasse Bild, die anderen Gemeinden „ausgeraubt“ zu haben.) (Was DIE wohl gedacht haben, als sie das gelesen haben…?) - Ihr bringt Empfehlungsschreiben mit, aber ich nicht?
Mein „Empfehlungsschreiben“ kommt nicht von Außenstehenden, sondern meine Empfehlung ist ganz direkt diese Gemeinde hier – ICH habe sie gegründet, und IHR rühmt euch jetzt MEINER Arbeit (10,14+15) und wildert hier herum?! - Ihr kanntet Jesus zu seinen Lebzeiten, aber ich nicht?
Die meisten der Menschen hier haben Jesus nicht zu seinen Lebzeiten gekannt. Viel wichtiger ist deswegen unsere Beziehung zu Jesus NACH seinem Tod und Auferstehung – und DIESEM Jesus BIN ich persönlich begegnet.
Leider gelingt es Paulus allerdings nicht wirklich, die Maßstäbe von Konkurrenz und Macht wirklich aufzugeben. Das ist schade, denn die Gelegenheit wäre so gut gewesen:
Paulus lebte in einer Kultur, die Männlichkeit mit Stärke und Weisheit verbindet. Sich selbst als schwach und töricht darzustellen: Geht da nicht MEHR, als Schwachheit und Torheit nur als „bessere Stärke“ anzupreisen? ***)
Oder was ist mit Äußerlichkeiten? Paulus argumentiert damit, mit seiner eigenen „Schwachheit“ und „Erniedrigung“ ein Statement für Christus zu setzen (für einen Mann in einer patriarchalen Kultur wie gesagt eine starke Erfahrung von Gegenkultur!). Und genau wegen seines äußeren Auftretens wird ihm abgesprochen, im Einsatz für Christus zu sprechen. Sind Äußerlichkeiten also wichtig oder nicht?
Was ist z.B. auch mit den ganzen Codes (Haarschnitte, Klamotten, Körpersprache, Stimmführung, …), mit denen Menschen ihre sexuellen Orientierungen und geschlechtlichen Identitäten zeigen können bzw. müssen – wie sollen sie sich zu erkennen geben? ****)
Tatsächlich ist der Wortlaut des Paulus in 10,7 doppeldeutig; die BigS (Bibel in gerechter Sprache) übersetzt z.B: „Doch ihr seht auf Äußerlichkeiten.“ Die NGÜ (Neue Genfer Übersetzung) zeigt die Doppeldeutigkeit in einer Anmerkung immerhin auf und entscheidet sich dann (mit vielen anderen Übersetzungen) für: „Seht doch auf das, was offensichtlich ist!“ (womit das Vergleichen trotzdem seinen Lauf nimmt in den anderen Versen).
Vielleicht sind es genau diese unabgeschlossenen Fragen und die uneindeutigen Blicke auf Maßstäbe, die diesen Briefabschnitt so wertvoll machen – nicht nur bezüglich mancher Ansprüche an Geschlechterrollen und Äußerlichkeiten im Zusammenhang mit Glaubensfragen, sondern auch hinsichtlich manch direkter grundlegender Glaubensaspekte:
„H. S. Shoemaker (…) bezieht die in 11,1-21 geäußerte Polemik auf die Gegenwart. Eine Christologie des Über-Christus sei die falsche Christologie, eine Theologie der Herrlichkeit die falsche Theologie, ständiger eitel Sonnenschein die falsche Spiritualität, der Über-Pastor das falsche Bild des Pastors, die Über-Kirche die falsche Ekklesiologie“
https://www.welt-der-bibel.de/bibliographie.1.3.zweite_Brief_Paulus_Korinther.97.html
Was auch immer dieser Briefabschnitt aussagen wollte in Bezug auf Glaubens- u. Gemeindeleben – zumindest bricht er mit Eindeutigkeiten und stellt Ansprüche infrage. Allein dafür mag ich ihn.
Segen
G*tt segne dich und lasse dich zum Segen werden:
G*tt eröffne dir heilsame Perspektiven
im Blick auf Äußerlichkeiten,
im Umgang mit Geld als Mittel von Anerkennung,
in der Einordnung von rhetorischen und anderen Fähigkeiten,
und beim Einschätzen von Ansprüchen, die andere an dich stellen (oder die du selbst an dich stellst) oder die du an andere stellst – in der Gemeinde, in deinem Glauben, im gesellschaftlichen Kontext, und mit den Menschen, denen du nahe bist.
Amen.