Andacht 29. Oktober 2022
Katharina Winter
Matthäus 11,28-30
Als ich mich gefragt habe, welcher Text wohl für diese Andacht passend sei, ist mir sehr schnell dieser Text eingefallen, denn er passt so sehr zu Balou. Ich kann mir sehr gut vorstellen, dass er selbst diesen Text gewählt hätte, und sei es nur, weil er es so lustig fand, dass sein Sprachprogramm das Wort „mühselig“ als müüüüh-se-lig ausgab:
28 Kommt her zu mir, alle, die ihr mühselig und beladen seid; ich will euch erquicken. 29 Nehmt auf euch mein Joch und lernt von mir; denn ich bin sanftmütig und von Herzen demütig; so werdet ihr Ruhe finden für eure Seelen. 30 Denn mein Joch ist sanft, und meine Last ist leicht.
Matthäus 11,28-30
Lutherbibel 2017
Mühselig und beladen sind wir alle. Die Einen müssen sich durch einen Alltag schlagen, der sie an vielen Stellen behindert. Die Anderen machen sich Sorgen um die Zukunft, die durch Krieg, Ungerechtigkeit und Armut bedroht ist. Und wir alle sind beladen mit Fehlern und Schuld. Warum habe ich Balou nicht angerufen, als sein Vater gestorben war? Warum nicht spätestens, als Dieter starb? Warum habe ich Menschen – auch ohne es zu wollen – verletzt?
Und am ärmsten sind die dran, die ihre Mühsal und Beladenheit nicht eingestehen wollen. Die, die meinen, sie seien doch anständige Menschen und mehr könne man einfach nicht verlangen. Sie müssen ihre Fehler und Versagen irgendwo in einer dunklen Ecke verstecken, denn sie haben keinen Platz, wo sie diese abladen können.
In diesem kurzen Bibeltext kommt Jesus aus einer Situation, in der er erleben muss, dass die Menschen, an die er sich wendet, ihm misstrauisch gegenüberstehen. Die, die es eigentlich besser wissen sollten, wenden sich von ihm ab und hören ihm nicht zu. Das ist frustrierend. Und er schimpft. Er schimpft auf jene „Anständigen“, die meinen, er habe ihnen nichts zu sagen. Er sagt ihnen, dass es ihnen am Tag des Gerichts schlimmer ergehen werde als denen, die sich zu ihren Sünden bekannt haben.
Doch dann lässt er das Schimpfen sein und fängt an zu beten. Er preist Gott dafür, dass er einen Plan hat und dass sie Jesus in die Welt gesandt hat, um diesen Plan zu erfüllen. Und an die Erfüllung macht er sich dann: Er ruft die Mühseligen und Beladenen zu sich, um sie zu erquicken.
Erquicken ist ein komisches Wort. Fällt Euch dabei auch erstmal „Nesquick“ ein, oder seid ihr gut in Englisch, so dass ihr an das englische „quick“ für schnell denkt?
Bei etwas Nachdenken ist mir noch das Wort „quicklebendig“ eingefallen, voller Energie und Lebensfreude. Und ich glaube, dieser Wortsinn kommt dem „erquicken“ am nächsten. Hier ist nicht nur der schnelle Kaffee gemeint, der uns dann wieder über ein paar Stunden wach hält. Hier ist die Quelle des Lebens gemeint, die uns Leben für heute und morgen und die Ewigkeit gibt. „Lebendiges Wasser“, wie Jesus an einer anderen Stelle sagt.
Als Menschen im eher verregneten Deutschland können wir wahrscheinlich gar nicht ermessen, wie stark dieses Bild für die Bewohner Israels und anderer trockener Gegenden ist.
„Nehmet auf euch mein Joch!“ Ahhhh, da haben wir den Haken, das Haar in der Suppe! Für die, die sich mit altertümlicher Landwirtschaft nicht so auskennen: Ein Joch ist ein leicht gebogenes Stück Holz, dass Ochsen oder Zugpferden auf die Schultern gebunden wurde, damit sie dadurch schwere Lasten bewegen konnte. Kleinere Jochs wurden auch von Menschen – meistens Sklaven, Knechte oder Mägde – auf den Schultern getragen, um an jeder Seite einen Eimer mit Wasser oder einer anderen schweren Lasten tragen zu können.
Wussten wir´s doch: Auch Jesus will uns zur Fronarbeit einfangen. Wir denken an die Zeugen Jehovas, die ihre Pflichtstunden mit dem Wachturm in der Hand an einer Straßenecke ableisten müssen. Neee, danke.
Und dann auch noch „sanftmütig“ und „von Herzen demütig“. Das hört sich an, als ob wir vor allem und jedem buckeln müssen und noch nicht mal unsere Rechte einfordern!
Das soll zu Balou passen? Balou, der laut und deutlich Ungerechtigkeiten ansprach und sie bekämpfte, so gut er konnte? Nie im Leben!
Und doch: An Balous Lebensbeispiel sehen wir, dass er von Jesus gelernt hat. Demut – das wusste er – heißt nicht, vor der Macht einknicken. Demut heißt einfach, jeden anderen Menschen neben sich zu stellen, nicht unter sich. Jeder Mensch war für Balou wie für Jesus gleich viel wert. Und wenn Balou – wie jeder Mensch – darin nicht vollkommen war, so hat er doch versucht, dem Vorbild Jesu darin nachzueifern. Wobei er – auch wie Jesus – mit lauter Stimme darauf hingewiesen hat, wenn Menschen gedemütigt wurden. Das ist nämlich was anderes.
Sanftmütig ist Jesus zu den Schwachen und Beladenen. Er rechnet uns nicht erstmal auf, wie falsch wir doch liegen und wo wir versagt haben. Er nimmt uns in den Arm und tröstet uns, weil er mit seinem Tod und seiner Auferstehung all das Versagen und alle Bosheiten, die wir uns geleistet haben, aus der Welt geschafft hat. Er hat unseren Kredit bezahlt, an dem wir so schwer getragen haben.
Und er gibt uns Ruhe für unsere Seelen. Je älter ich werde, desto wichtiger und größer wird mir dieser Begriff. Als junger Mensch habe ich, wie sicher die Meisten, die großen Gefühle gesucht, die Romantik, die Abenteuer, große Erfolgserlebnisse. Aber wie Balou von Panikattacken heimgesucht wurde, lerne auch ich im Alter die Angst kennen, die Müdigkeit, das Leben bewältigen zu müssen, die Unsicherheit, ob ich in Zukunft so leben kann, wie ich es brauche.
Diese Ruhe für unsere Seelen ist jetzt und hier noch kein permanenter Zustand. Wir finden ihn manchmal im Gebet. Und Gott hat Balou Hilfe gegeben: Menschen, die sich um seine Angelegenheiten gekümmert haben, medizinische Hilfe, das, was er gerade im Augenblick brauchte und annehmen konnte.
Balou hat jetzt die permanente Ruhe für seine Seele. Er ist bei seinem Freund Jesus, einem Freund, mit dem kein menschlicher Freund in puncto Trost, Wärme und Geborgenheit konkurrieren kann.
Und ich bin sehr sicher, wenn er uns jetzt noch eine Nachricht zukommen lassen könnte, dann wäre das die, die er auch in seinem Leben durch Predigt, Gesang, Worte und Taten verbreitet hat:
Kommt zu Jesus, ihr Mühseligen und Beladenen! Werft die Jochs ab, die euch die Gesellschaft, eure verletzungsreiche persönliche Geschichte, Eure Unzufriedenheit und Unzulänglichkeiten auferlegen. Werft sie ab, und nehmt das leichte, sanfte Joch Jesu auf euch, denn dann werdet ihr hier auf der Erde erquickt und geheilt, und in der Ewigkeit erst recht.
Jesus kennt unsere Tränen und unsere Angst. Dafür ist er Mensch geworden und als Mensch gestorben. Balou hat das Lied, das Marsha uns gleich singen wird, sehr geliebt und gerne gesungen. Es spricht von den Tränen einer 16-jährigen jungen Lesbe, die sich in ihrer Verzweiflung an Jesus wendet. Tränen der Verzweiflung und der Verletztheit kennen wir alle, schwul, lesbisch, hetero, nicht binär, blind, Guckies, jung, alt oder was auch immer uns definiert. Und Jesus sagt: Komm her zu mir, für deine Tränen bin ich gestorben.