Predigt MCC Köln, 19. April 2015
Ines-Paul Baumann
Nicht alle Familien bestehen aus Mama-Papa-Kind. Manche bestehen aus Mama-NeuerPapa-Kind mit Kontakt zum Ex und dessen neuer Familie. Oder nur aus Papa-Kind. Oder eben auch aus Mama-Mama-Kind oder Papa-Papa-Mama-Mama-Kind-Kind – so genannte „Regenbogenfamilien“.
Wenn es um Regenbogenfamilien geht, gibt es drei Aspekte, die insbesondere aus „christlicher“ Sicht oft als fragwürdig betrachtet werden:
- Die Geschlechter der Beteiligten
- Wege und Mittel der Zeugung
- Formen des Zusammenlebens (wie viele, wer-wo-mit-wem, …)
Nach weit verbreiteten Moralvorstellungen müssen sich Regenbogenfamilien (und viele Beteiligte auch anderer Formen des Zusammenlebens) fragen lassen: „Ist es nicht eigentlich der Kombination von einer (!) Frau und einem (!) Mann vorbehalten, im romantisch-verliebten Geschlechtsakt eins zu werden um der Fortpflanzung willen und damit eine Familie zu gründen?“
Da unser Jugendcafé „KreuzWaise“ dieses Wochenende zu einer Tagung zum Thema Regenbogenfamilien eingeladen hat, möchte ich auch in dieser Predigt auf dieses Thema eingehen.
Vorbemerkung: Zwei (unsägliche) Lieblings-Bibelstellen
Ich möchte zuerst zwei Stellen aus einem Brief des Neuen Testaments zitieren: dem Korintherbrief. Dieser Brief enthält so wichtige, elementare, zeitlos grundlegende Stellen wie das „Hohelied der Liebe“ (1. Kor. 13), „Viele Gaben – ein Geist“ (1. Kor. 12), „Alles ist erlaubt, aber nicht alles dient zum Guten“ (1. Kor. 6).
Darin stehen auch zwei meiner absoluten Lieblingsstellen der Bibel:
- „Die Frau schweige in der Gemeinde.“ (1 Kor. 14,33-35)
- Sklaven sollen ruhig Sklaven bleiben. (1 Kor. 7,21f)
Aus heutiger Sicht sind solche Aussagen einfach unsäglich. Selbstverständlich dürfen und sollen Frauen reden und tun das auch. Sklaverei und Menschenhandel gelten heutzutage als verpönt. (Außer in der neoliberalen Variante, wo wir uns ganz freiwillig unterwerfen -äh, „in der Arbeit selbstverwirklichen“ natürlich…)
Genau deswegen sind diese Bibelstellen so wichtig. Hier wird ein ganz großer Graben spürbar zwischen dem, was wir heute als „normal“ betrachten, und der damaligen Zeit. Wir können diese Verse nicht einfach zitieren und behaupten, dass das auch heute ungebrochen Gültigkeit hat („In der Bibel steht…!“). Ja, es steht in der Bibel – aber da darf es auch stehenbleiben. Ein emotionaler und intellektueller Riss zur biblischen Zeit tritt offen zutage.
Hier zeigt sich, wie wir Bibeltexte insgesamt aus unserer heutigen Zeit lesen und trotzdem ernst nehmen können. Die Frage muss immer wieder lauten: Was ist kulturell bedingt – damals, aber auch heute? Wann und warum ist es angemessen, kulturelle Gewohnheiten zu übernehmen? Und welche Anliegen und Werte stecken in dem Bibeltext – zu denen wir darin Statements und Erfahrungen finden können, die auch heute wichtige Hinweise geben können?
Bibelstellen müssen also vor ihrem zeitlichen Hintergrund gelesen werden. Sowohl den heutigen „Zeitgeist“ als auch den damaligen „Zeitgeist“ sollten wir mit wahrnehmen.
Paulus und das Homo-Problem
Der (angebliche oder tatsächliche) Verfasser der eben zitierten Bibelstellen gilt auch als Verfasser von Bibelstellen, die gerne als „biblischer Beweis gegen Homosexualität“ angeführt werden (nachzulesen z.B. im Römerbrief 1,22-27).
Im Vergleich des heutigen und damaligen Zeitgeistes wird schnell klar: Unsere heutige Auffassung von Homosexualität gab es damals noch gar nicht (die ist ja erst ein paar Jahrzehnte alt).
Damit sage ich nicht, dass Paulus sich nicht tatsächlich gegen das gewandt hat, was er damals an gleichgeschlechtlichem Sex beobachtet und damit verbunden hat – z.B. Prostitution, Götzendienst und Vergnügungssucht.
Aber was Paulus so auf die Palme gebracht hat, war also wahrscheinlich weniger das monogame, spießige Zusammenleben zweier berufstätiger Kirchengänger in der Neubausiedlung, als vielmehr eine Art „demonstrative Provokation gegen die christliche Bewegung“, die er in dem damaligen Treiben gesehen hat. (Wobei Paulus da vielleicht auch etwas drin gesehen hat, was diejenigen selber gar nicht so vorrangig damit gemeint haben; Gläubige sind da manchmal sehr empfindlich…)
Wer weiß, vielleicht würde Paulus sich auch heute schwer tun mit dem, was sich als Homosexualität entwickelt hat – kann sein.
Zurecht steht es auch heute jedem Menschen frei, sich irgendwelche Formen von Sexualität NICHT vorstellen zu können oder zu wollen (was eben z.B. auch für Frauen gilt, die sich Sexualität mit einem Mann eben NICHT vorstellen können). Nur würde Paulus heute hoffentlich auf etwas größere Skepsis stoßen, wenn er seine persönlichen Sichtweisen direkt als göttliche Gebote ausgeben würde.
(Wer sich näher mit diesen und anderen Bibelstellen auseinandersetzen möchte, kann dazu gerne unsere „Handreichung zu DEN Bibelstellen“ herunterladen.)
Welche Familienmodelle finden wir in der Bibel?
Gibt es denn nun ein biblisches Ideal für ein bestimmtes Familienmodell? Eine Art göttlichen Aufruf zum Ehe-Ideal? Schauen wir doch einfach mal rein in die Bibel (ein Klick auf das Bild öffnet eine Großansicht):
Biblische Beispiele für Lebens- und Liebesformen, die „nicht verurteilt“ werden:
- Polygynie: 5 Mose 21,15-16 / 1 Samuel 25,42+43 && 2 Sam 5,13 / 1 Könige 11,1-3 / 2 Chronik 11,21
- Heteropaar mit Leihmutter: 1 Mos 16,1- 4 && 17,5 / 1 Mose 30,1-13
- Zwei sich liebende Männer: 1 Samuel 18,1-4 & 20,35-42 & 2 Samuel 1,26
- Frau liebt Frau und zeugt Kind mit Mann für diese Frau: Rut 1,16f & 4,13.16
- Familie ohne Heirat und ohne „Blutsverwandschaft“: Mk 3,31-25 / Joh 19,26.27
- Wohngemeinschaft: Joh 11,1.2.20
- Kommune: Apg 2,44-47
- Single: 1 Korinther 7,7-8.26-27
Nicht zu vergessen die Heilige Familie, in der ein Josef ein Kind großzieht, das er nicht gezeugt hat.
Welche dieser Lebensformen wird nun biblisch-göttlich verurteilt? KEINE.
Zwei Formen allerdings finden wir NICHT in der Bibel:
- die monogame Hetero-Liebesehe mit Kinderglück
- das homosexuelle Paar mit Kind als Regenbogenfamilie
Das heißt nicht, dass diese beiden Formen „unbiblisch“ sind. Ob sie darin vorkommen oder nicht, sagt nichts darüber aus, ob sie „biblisch“ sind oder nicht. Sie kommen schlichtweg nicht darin vor, weil es sie damals nicht gab (genau so wenig wie Atomkraft und Windräder oder wie Orgelmusik und Elektropunk). Zu diesen beiden Modellen KANN es also keine Bibelverse geben, mit denen sie sich „biblisch“ begründen oder verwerfen ließen.
Wir können höchstens versuchen, Hinweise auf Werte und Haltungen zu finden. Aber auch dabei müssen wir sehr vorsichtig sein, wenn wir Begriffe aus der damaligen Zeit auf heute übertragen. Eine „normale Ehe“ damals bedeutete z.B., dass der Mann der Besitzer war von Frau, Eigentum, Sklaven und Tieren, und jede Nacht mit einer anderen Frau verbringen konnte, ohne dass dies irgendwie als unmoralisch, ungerecht oder bedenklich gegolten hätte. „Ehebruch“ für verheiratete Männer gab es damals nicht. Wenn wir heute von „Ehebruch“ reden, verbinden wir das also einseitig mit der damaligen Verurteilung, die ausschließlich FRAUEN erfuhren. (Wir hätten auch die Sicht auf Ehebruch aus der Perspektive des Verhaltens der Männer übernehmen können. Haben wir halt nicht. Aber das hat seine eigenen Gründe…)
Aber was ist denn nun mit der monogamen Liebesehe samt Kinderplänen: Ist das nicht auch das christliche Ideal von Beziehungsleben?
Kurze Frage vorweg: Was ist mit heterosexuellen Paaren OHNE Kinder? Leben die dann auch „verfehlt“? Tatsächlich müssen sie sich manchmal so behandeln lassen, auch mit Unterstützung „christlicher“ Argumente. Wie „christlich“ ist das also tatsächlich? Wo kommt diese Vorstellung her?
Was wir heute als „Familienglück“ kennen, ist keine göttlich-christliche Verordnung, in der seit Ewigkeit EINE Frau mit EINEM Mann EINS-KOMMA-SECHS Kinder „hat“. Ein Blick in die Geschichte zeigt, dass sich diese Vorstellung von Ehe-Ideal erst vor 200 Jahren zum Ideal entwickelt und allmählich als Norm durchgesetzt hat.
Bis ins vorletzte Jahrhundert galten noch ganz andere Lebensformen als „normal“ und „gottgewollt“: Ehen wurden arrangiert anhand von gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Vorteilen. Ehepaare waren eher kollegial-freundschaftlich verbunden als romantisch-exklusiv verliebt. Materielle Sicherheit und Stabilität waren wichtiger als die emotionale Unzuverlässigkeit von Gefühlen oder sexuelle Exklusivität.
Im Mittelalter war Heiraten nur denen erlaubt, die eine Familie ernähren konnten (was mehr als die Hälfte der Bevölkerung ausschloss – auch vom Kinderkriegen).
Vorstellungen von „Besitz“ und „Kontrolle“ in Bezug auf Partnerschaften entwickelten sich also genau zu der Zeit, als sie auch in Bezug auf Wirtschaft und Staat aufkamen („Privateigentum“, …).
Von Kirchenseite aus diente die „Christliche Ehe“ stets auch dem Zementieren von geschlechtergetrennten Aufgabenbereichen.
Selbstverständlich sollte es heute jeder und jedem freistehen, in monogamer, exklusiver Zweisamkeit mit Haus und Kind leben zu wollen. Nur sollten wir das bitte nicht als „biblisches Modell für alle“ propagieren – sondern lieber so ehrlich sein wie Janine, die ganz offenherzig bekennt: „Ja, Marianne und ich wollen total spießig leben!“ :)
Was ist mit Jesu‘ Familienverständnis?
Tatsächlich finden wir auch von Jesus Äußerungen zu Familie. Können wir vielleicht aus ihnen auf ein bestimmtes Familienverständnis schließen? Hier zwei Beispiele, lest selbst:
Da kamen seine Mutter und seine Brüder; sie blieben vor dem Haus stehen und ließen ihn herausrufen. Es saßen viele Leute um ihn herum und man sagte zu ihm: Deine Mutter und deine Brüder stehen draußen und fragen nach dir. Er erwiderte: Wer ist meine Mutter und wer sind meine Brüder? Und er blickte auf die Menschen, die im Kreis um ihn herumsaßen, und sagte: Das hier sind meine Mutter und meine Brüder. Wer den Willen Gottes erfüllt, der ist für mich Bruder und Schwester und Mutter.
Markus-Evangelium 3,35-38 Einheitsübersetzung
Bei dem Kreuz, an dem Jesus hing, standen seine Mutter und ihre Schwester sowie Maria, die Frau von Klopas, und Maria aus Magdala. Als Jesus seine Mutter sah und neben ihr den Jünger, den er besonders geliebt hatte, sagte er zu seiner Mutter: »Liebe Frau, das ist jetzt dein Sohn!« Dann wandte er sich zu dem Jünger und sagte: »Sieh, das ist jetzt deine Mutter!« Da nahm der Jünger die Mutter Jesu zu sich und sorgte von da an für sie.
Johannes-Evangelium 19,25-27 NGÜ
Klingt nicht gerade nach einem Familienverständnis, das „Blutsverwandtschaft“, „eigene leibliche Kinder“ und „echte leibliche Eltern“ benötigt, um in Gemeinschaft und Verbindlichkeit füreinander und miteinander da zu sein.
Fazit
Zu allen drei eingangs genannten Aspekten komme ich zu dem Schluss, dass wir uns aus „christlich-biblischer Sicht“ freimachen können von Bedenken:
- Gibt es nur eine „richtige“ Möglichkeit bezüglich des Geschlecht der Beteiligten?
Nein:
Wir können es zwar heute aus vielerlei Gründen ablehnen oder befürworten, wenn sich Menschen aufgrund ihres Geschlechts in diesen oder jenen Kombinationen zusammentun – aber die Bibel dient schlecht als Zeugnis dafür, dass nur EINE Form davon im Sinne Gottes und des Lebens sei. Die Bibel kennt eine Vielzahl an Geschlechtern im Miteinander. - Gibt es nur eine „richtige“ Möglichkeit bezüglich der Wege und Mittel der Zeugung?
Nein:
Schon im Alten Testament wurde das durchaus „kreativ“ gehandhabt; durchaus mit den schönen UND problematischen Aspekten, die innerhalb und außerhalb der gängigen Erwartungen liegen können. Die Bibel kennt eine Vielzahl an Wegen und Mitteln der Zeugung. - Gibt es nur eine „richtige“ Möglichkeit bezüglich der Form des Zusammenlebens?
Nein:
Damals wie heute ist das vorrangig eine Frage der herrschenden Kultur (Zwänge, Freiheiten, Rechte, Pflichten) und der eigenen Lebensumstände (Klasse, Werte). Die Bibel kennt Vielzahl an Formen des Zusammenleben.
Gott segne euch alle!