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Heilige Vielfalt statt vielfältigem Unheil

Predigt MCC Köln, 24. Mai 2015 (Pfingsten)
Ines-Paul Baumann

Apg 2,1-13: „Das Pfingstwunder“

„Gott ist tot. (Und das ist gut so.)“ „Kirche ist gefährlich.“ „Glaube ist überflüssig.“ Nicht nur Menschen außerhalb von Kirchen vertreten solche Ansichten. Auch innerhalb von Kirchen verlieren Menschen ihren Glauben. Für viele ist das ein schwerer und langer Prozess. Diese Vorstellung macht erst mal Angst. Es ist ein Verlust. Ein Verlust von Sicherheiten, Gewissheiten, Überzeugungen. Aber ihr alter Glauben trägt nicht mehr. Er ist ein Gefängnis geworden, un-glaub-würdig, überholt, eine Belastung. Viel von dem, was sie im Glauben vermutet hätten, findet sich anderswo: In der Natur, in der Stille, im Chor, in sozialem Engagement.

Pfingsten scheint hier ein unpassendes Fest zu sein. Werden da nicht aus unsicheren, zurückgezogenen Anhängern und Anhängerinnen Jesu mit einem Mal überzeugte Christen, die voller Energie und Tatendrang ihren Glauben in die Welt hinausposaunen? Der Heilige Geist ist in denen mächtig, die ab nun scheinbar immer eine Antwort haben, ihren Glauben überall bezeugen und Gewissheit gefunden haben? Sie beten in Zungen (eine „übermenschliche“ Sprache, die nur im Geist geredet und verstanden werden kann) und ihre Gemeinden wachsen unaufhaltsam?

Ja, schon die Bibel bezeugt das Zungengebet, und ja, das Gemeindewachstum in der Apostelgeschichte und von Pfingstgemeinden weltweit ist beeindruckend. Und ja, ich bezeuge meinen Glauben an die Kraft und Wirksamkeit Heiligen Geistes! Auch die MCC vor 40 Jahren und unser Jugendcafé sind von Menschen gegründet worden, die sich diesem Geist anvertraut haben.

Das Pfingstwunder hält aber auch für diejenigen etwas bereit, die im Zusammenhang mit Kirchen mehr geistliches Unheil als Heiligen Geist erfahren haben. Oder die ihren Glauben vielleicht gerade verlieren.
Auf diejenigen, die bereits auf den Heiligen Geist schwören (oh sorry, wahre Christen schwören ja nicht mehr *hehe*), setze ich dabei meine Hoffnung, dass die Heilige Geist uns auch heute damit begabt, die Botschaft von Pfingsten zu empfangen und zum Ausdruck zu bringen.

Geisterfüllte Kirche redet verständlich und passt sich verschiedenen Kulturen an

An Pfingsten haben die Christen eben NICHT angefangen, in unverständlichen Sprachen zu reden. Im Gegenteil: Alle Außenstehenden haben eine Kirche erlebt, die sich so ausgedrückt hat, dass sie alles verstehen konnten:

Und sie wurden alle erfüllt von heiligem Geist und begannen, in fremden Sprachen zu reden, wie der Geist es ihnen eingab. […]
Als nun jenes Tosen entstand, strömte die Menge zusammen, und sie waren verstört, denn jeder hörte sie in seiner Sprache reden. Sie waren fassungslos und sagten völlig verwundert: „Sind das nicht alles Galiläer, die da reden? Wie kommt es, dass jeder von uns sie in seiner Muttersprache hört? (…) Römer, Juden und Proselyten, Kreter und Araber – wir alle hören sie in unseren Sprachen von den grossen Taten Gottes reden.
Sie waren fassungslos, und ratlos fragte einer den andern: „Was soll das bedeuten?“

aus Apostelgeschichte 2,1-13

Die Leuten hören also ihre eigene Sprache. Sie VERSTEHEN diese Sprache. Und die Worte reden von den großen Taten Gottes, auch das ist ihnen klar. Und doch gucken sich alle nur an und fragen: „Was soll das bedeuten?“

Diese Frage ist doppeldeutig:

  • Für Kirche: Was soll das bedeuten, dass die Kirche ihre Botschaft plötzlich im Rahmen kultureller Vielfalt ausdrückt?
  • Für die einzelnen Hörenden: „Was soll das bedeuten, was wir da hören? Wir verstehen die Worte, aber nicht den Inhalt!“

Die beiden Fragen sind nur zusammen zu beantworten. Ich glaube, wir sind hier ganz nah am eigentlichen Pfingstwunder. Ich glaube nicht, dass es an Pfingsten darum geht, eine Schar überzeugter und selbstgewisser Christen auf die Welt loszulassen und zum Maßstab für wahres Christentum zu machen. Ich glaube, es geht um viel mehr.

Es ist der Neuanfang der Gegenwart Jesu in der Welt. Der Körper Jesu ist für uns nicht mehr leiblich erfahrbar. Ab nun sind die Anhänger und Anhängerinnen Jesu sein Leib. SIE verkörpern ab sofort sein Leben und sein Wirken. Der Heilige Geist haucht dem neuen Leib Christi sein Leben ein.
Alles, was ab nun geschieht, muss in dem Licht dessen betrachtet werden, was von Pfingsten aus seinen Ausgang nimmt.
Und der Kern dieser Botschaft lautet: Ab hier findet die Botschaft Jesu auf unterschiedliche Arten und Weisen ihren Ausdruck.

Halten wir uns die Leute in der Apostelgeschichte vor Augen, die ihre eigene Sprache hören und trotzdem nichts verstehen. Sprache allein reicht offensichtlich nicht. Sprache sind nicht nur Worte. Jede Sprache hat ihre eigenen Bilder, Bezüge, Gottesbilder, Menschenbilder. Hinter jeder Sprache steht eine eigene Kultur. INNERHALB dieser Kulturen soll sich die Anhängerschaft Jesu nun verständlich machen.

Genau das macht die Apostelgeschichte ab hier vor. Ein paar Beispiele:

Petrus sprach: Ihr Juden und all ihr Bewohner Jerusalems, dies sei euch kundgetan, vernehmt meine Worte! […] hier geschieht, was durch den Propheten Joel gesagt worden ist: …
Apostelgeschichte 2,14-16

Da stand Paulus auf und sprach: Israeliten und Gottesfürchtige, hört! Der Gott dieses Volkes hier..
Apostelgeschichte 13

Da stellte sich Paulus hin, mitten auf dem Areopag, und sprach: Männer von Athen! (…) In Gott nämlich leben, weben und sind wir, wie auch einige eurer Dichter gesagt haben …
Apostelgeschichte 17

(s.a. 1. Korintherbrief 9,20-22)

Immer wird erwähnt, ZU WEM geredet wird. Erst DANN kommt der Inhalt. Und je nachdem, in welchem kulturellen Kontext nun gesprochen wird, werden andere Bezüge hergestellt:

  • Juden und die Bewohner/innen Jerusalems bekommen Bezüge zum Alten Testament. Das kennen sie, daran können sie anknüpfen.
  • Israeliten und Gottesfürchtige bekommen Bezüge zu ihrer Frömmigkeit und ihrem Selbstverständnis als Gottes Volk. Das kennen sie, daran können sie anknüpfen.
  • Die Mäner in und von Athen bekommen bezüge zu ihren Dichtern und ihren Kulten. Das kennen sie, daran können sie anknüpfen.

Alle Reden arbeiten mit den Begriffen, Bezügen und Zusammenhängen der Kultur, zu der sie sprechen. Damit können diejenigen, die zuhören, arbeiten. Das verstehen sie. Bezüge aus anderen Kulturen kennen sie nicht, sind ihnen fremd, funktionieren nicht – und sie werden nicht gezwungen, diese zu übernehmen.

Die Einleitungen könnten wir also auch so lesen:

  • „Ihr Juden und all ihr Bewohner Jerusalems! Vernehmt meine Worte! Alle anderen, vernehmt sie NICHT!
  • „Israeliten und Gottesfürchtige, hört! Alle anderen, hört NICHT!
  • „Männer von Athen! Alle anderen, euch verkündige ich das NICHT!“

Damit, dass die Apostelgeschichte allen folgenden Reden das Pfingstfest voranstellt, sagt sie also: Alles, was ihr ab jetzt vernehmt, ist bezogen auf den Kontext der jeweiligen Kultur. Es ist nicht automatisch allgemeingültig. Ab hier versucht Kirche, in der Sprache der Zuhörenden zu sprechen. Es sind kulturell gebundene Worte, die ihr ab hier lesen werdet.

Die Römer bekommen römisches Denken, die Juden bekommen jüdisches Denken, die Griechen bekommen griechisches Denken. Nichts davon ist automatisch „spezifisch christliches“ Denken. Es sind einfach die Kulturen, mit denen wir es im Neuen Testament gerade zu tun haben – also sprechen wir IHRE Sprache. Benutzen IHRE Begriffe. Verwenden IHRE Bilder und Vorstellungen.

Hier ein paar Beispiele:

  • Sohn Gottes (=> mit Gott als „Vater“)
    Hebräische Bibel: 1) jeder gottesfürchtige Israelit 2) Volk Gottes 3) König Israels
    Altägypten: Pharao
    Hellenismus: Alexander der Große
    Römischer Kaiserkult
    – keine Selbstbezeichnung Jesu
  • Herr
    griechisch „Kyrios“:
    – mächtige Götter antiker paganer Religionen
    – antikes Griechenland: Familienoberhaupt, der Hausherr
    Hebräische Bibel: Adonaj (= anstelle des Gottesnamens; die Anrede als „Gott“ bleibt davon unberührt)
  • Menschensohn
    Hebräische Bibel: 1) ein Angehöriger der Gattung Mensch 2) transzendenter Heilsmittler der Endzeit
  • Heiler, Heiland
    griechische Mythologie: Asklepios (Äskulap; macht Blinde sehend und Lahme laufend), u.a.
  • Jesus
    griechische Form des hebräisch-aramäischen Vornamens Jeschua oder Jeschu
  • Christus
    hebräisch: Maschiach
    griechische Übertragung: Messias
    griechische Übersetzung: Christos
    lateinisch: Christus
    – deutsch: „Gesalbter“ (= Könige und Hohepriester)
    – Bezeichnung für Jesus im Islam (dort auch: Gesandter, Prophet, Wort Gottes)
  • Gott
    – Jesus nannte sich nie Gott.

Diese Begriffe und Bilder sind pfingstgemäße Anpassungen an die Sprache der damals aktuellen Kulturen (jüdisch, römisch, griechisch)! Es sind keine spezifisch christlichen Begriffe, oder gar „Definitionen“ für Jesus. Diese Begriffe und Titel sind bereits Übersetzungen. Sie sollen schlichtweg versuchen, das zu beschreiben, was die Leute damals mit Jesus erlebt haben.

(Wie hätten diese Titel und Begriffe ausgesehen, wenn die erste Christen es mit Buddhisten, Humanistinnen, Agnostikern und Burn-Out-Patienten zu tun gehabt hätten?)

Wenn wir Pfingsten ernst nehmen wollen, können wir nicht die Begriffe zu Definitionen erheben, sondern müssen darauf achten, welche INHALTLICHEN AUSSAGEN ÜBER JESUS damit gemacht werden sollen:

  • Gattung Mensch
  • zugehörig zu Gott / verbunden mit Gott
  • vergegenwärtigt die Gegenwart Gottes
  • „wehrlose“, aber „wahre“ Macht („Lamm Gottes“; statt der Herren und Herrschaften dieser Welt)
  • verwirklicht Heil inmitten dieser Welt
  • benennt Unrecht, wo andere schweigen und mitmachen

Ist es das, was Leute erleben, wenn sie mit uns und unserer Kirche zu tun haben? Ist das der Jesus, der hier lebendig und erfahrbar ist? Ist das der Jesus, den wir als seine Nachfolger/innen verkörpern?

Wenn Begriffe aus der Zeit des griechischen und römischen Denkens uns heute nichts mehr davon vermitteln, brauchen wir nicht an ihnen festzuhalten. Pfingsten ruft uns geradezu dazu auf, mit neuen Bildern, Begriffen und Titeln zu arbeiten, wenn wir von Jesus so reden wollen, dass sein Leben und Wirken darin auch heute zum Ausdruck kommen.

Von Pfingsten her sind genau die Kirchen geistgeleitet, die sich EINLASSEN auf die Assoziationen, Weltbilder und Lebensmuster ihrer Zeitgenossen.

Pfingsten gibt uns somit auch eine Erklärung dafür, warum es immer wieder Neugründungen für Kirchen gab: Neue Zeiten haben neue Kirchen gebraucht. Kulturen in der Menschheitsgeschichte ändern sich. Die Heilige Geist möchte in jeder dieser Kulturen das Leben und Wirken Jesu vergegenwärtigen. Also haben neue Weltbilder neue Kirchen gebraucht, mit neuen Dogmen. Veränderte Menschenbilder brauchten veränderte Frömmigkeitsstile.

Vor 40 Jahren gab es wieder eine Kirchengründung – eine historisch einmalige. Dieses Mal brauchte es keine neue Kirche mit einem neuen Dogma oder einem neuen Frömmigkeitsstil. Dieses Mal brauchte es eine Kirche, die bereit war, den anstehenden kulturellen Wandel zu einer pluralistischen Welt mitzugehen. Die bereit sein würde, die Einladung Jesus radikal inklusiv weiterzutragen. Die mit einer fast verletzlichen Offenheit Vielfalt aufnehmen, gestalten und würdigen würde. Die Zeit war reif für die MCC.

Auch heute schauen viele um uns herum (oder Anteile in uns drin) fassungslos auf Kirche und fragen: „Was soll das bedeuten?“ Werfen wir unsere Christus-Verständnisse mit allen (vielleicht neuen und fremden) Sprachen zusammen. Der Geist von Pfingsten lebt!


mehr dazu z.B. bei:
– Helmut Fischer: „Sprache und Gottesglaube“ (Zu kulturell bedingten Sichtweisen in der Bibel und wie sie als „Definitionen“ ins Christentum eingeflossen sind.)
– Vincent J Donovan: „Christianity Rediscovered“ (Ein Missionar versucht, in einer ihm gänzlich neuen Kultur von Jesus zu erzählen.)


 

Danach aber wird es geschehen, / dass ich meinen Geist ausgieße über alles Fleisch

(auch über Fleisch mit AIDS, mit Krebs, mit Depressionen, mit Narben, mit Schmerzen, mit Süchten, mit Dickleibigkeit, mit Abmagerungen, mit mehrdeutigen Geschlechtsmerkmalen, mit unterschiedlichen a-/sexuellen Orientierungen, mit geritzten Armen, mit Alzheimer, …).

Eure Söhne und Töchter werden Propheten sein, eure Alten werden Träume haben / und eure jungen Männer haben Visionen. Auch über Knechte und Mägde / werde ich meinen Geist ausgießen in jenen Tagen.

aus und zu Joel 3,1

 

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