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Noah betritt festen Boden, aber wir haben Zweifel und Fragen

Predigt MCC Köln, 29. Okt. 2017
Manfred Koschnick

1. Mose 8,18-22

Geliebte Gemeinde,

Heilig ist Gott Zebaoth! Er, der Herr der Himmelsheere, starker Helfer in der Not! Himmel, Erde, Luft und Meere sind erfüllt von seinem Ruhm; alles ist sein Eigentum.

Als Kind unseres Zeitalters kann ich über den heutigen Bibeltext zunächst eigentlich nur lachen. Wenn man logisch die Wahrscheinlichkeit und die Probleme des Archeprojektes überprüft, entsteht da eine Kabarettnummer vom Feinsten. Was will man uns da verkaufen?! Guten Grund für Wut und Trauer – oder Spott und Häme? Für Menschen wie mich ist dieser Urtext jüdischer Religion auf den ersten Blick ärgerlich, weil er mich anscheinend für blöd hält – und lustig, wenn ich an die Dummheit des Autors denke.

Schippern wir nicht alle jetzt schon wieder auf wankenden Planken in einem Boot, einer Arche namens Weltklimagipfel oder Pariser Klimaabkommen? …und ein platinblonder alter Mann guckt aus der Dachluke, lässt plötzlich alle Tauben fliegen (d.h. er streicht die Finanzierung der Klimaforschung) und sagt: „Alles nur eine Erfindung der Chinesen. Ich steige jetzt und hier aus (dem Boot).“? Haben wir denn noch festen Boden unter den Füssen? Kommt mir nicht so vor. Mein spöttisches Lachen über den Bibeltext verwandelt sich in Trauer und Verbitterung. Helmut Kohl mahnte damals, man solle G. Schröder nicht nur danach beurteilen, was er verspricht, sondern auch danach, was er früher tat oder an Versprechen nicht eingelöst hat. Ist das bei Gott anders? Es verfluchen Menschen Gott wegen seines Verrats an jenen, die ihm unter dem Regenbogen glaubten und vertrauten. „Hau ab, Gott, und tu das nie wieder!“ schreien sie. Andere schütteln verständnislos den Kopf über diese letzten Christen, die Gott, dieses Gespenst, in sich anscheinend erst noch austreiben müssen, um illusionslos bei klarem Verstand zu sein. Die Sintflut gab es übrigens wirklich. Sie entstand nördlich der heutigen Türkei, als sich durch die Anhebung des Meeresspiegels das Mittelmeer in die große Tiefebene ergoss, die man heute das Schwarze Meer nennt.

Gott ändert seine Meinung. Gott verändert sich: „Da reute es den HERRN, auf der Erde den Menschen gemacht zu haben, und es tat seinem Herzen weh.“ Wie er war vor aller Zeit, so bleibt er nicht in Ewigkeit. Was Gott aber von allen launischen Diktatoren und Göttern der Antike unterscheidet, ist seine Selbstkritik und Reue. Dass Gott bereut, was er getan hat, lesen wir öfter im Alten Testament. Gottes Weg ist manchmal Umkehr und Neubeginn .Wider besseres Wissen um die Sündhaftigkeit der Menschen, hat er uns erschaffen – so wie Mütter wissen, dass ihr Kind Probleme bereiten wird, einmal sterben wird, und es trotzdem gebären. Worin Gott derselbe bleibt, ist meines Erachtens seine flexible Anpassungsbereitschaft wie bei allen erfolgreichen Lebewesen. Kann einer, der bereut, allwissend sein? Dies ist seit dem Beginn der Kirchengeschichte umstritten. Der Gedanke, dass auch Gott etwas aus Liebe oder Wut wider besseres Wissen tut, löst den Widerspruch auf.

Vergleicht einmal die Kundgebungen und Paraden Stalins nach dem 2. Weltkrieg auf dem Roten Platz in Moskau mit der Prozession der Familie des Noah. Demütig dankten sie Gott für die Errettung und opferten ihm nach alter Sitte, um sein Herz anzurühren. Und so geschah es. Gott sah ein, dass er diesmal die Grenzen seiner göttlichen Macht überschritten hatte. Er sagte gewissermaßen: „Das tu ich nie wieder. Ich verpflichte mich, meine Allmacht einzuschränken aus Liebe zu den Menschen, die nicht anders können als zu sündigen.“ Gott will uns vor sich, seinen Ansprüchen und seinem Zorn schützen. Er will schützen, was er selbst erschaffen hat. Später sahen die Menschen im Regenbogen einen Hinweis darauf. Die Perikope 1. Mose 8, 18-22 sagt aber nicht, Gott hätte uns dies versprochen. In Vers 21 tut er das diesmal nicht. Und der HERR…“sprach in seinem Herzen….“ Unklar ist, wer der Beobachter war, der Einblick in Gottes geheime Herzensgedanken hatte. Das ist nicht wirklich wichtig, weil die Verse der heutigen Bibellesung kein Tatsachenbericht sein können. Ich vermute, auch damals wussten die Menschen, dass nicht alle (ca.10 Millionen Tierarten) in eine Arche passen. Um den Text auf den zweiten Blick ohne Häme, Spott und Glaubenszweifel zu verstehen, kann man ihn als eine sehr tiefgehend theologisch radikale Reflektion auffassen. Hier nimmt Gott ansatzweise das vorweg, was er später in Jesus Christus über sich noch deutlicher offenbarte. Auch Jesus hätte nicht hilflos sterben müssen. Er hätte wie später Galilei vor der Inquisition seine Erkenntnisse vor Pilatus widerrufen oder leugnen können. Das wäre sehr menschlich gewesen. Aber Gott selbst offenbarte (d.h. zeigte) sich in Christus gerade durch die und in der selbstgewählten Machtlosigkeit Jesu am Kreuz – wie nach der Sintflut. Markus 15, Vers 37: Aber Jesus schrie laut und verschied. Vers 38: Und der Vorhang im Tempel zerriss in zwei Stücke von oben an bis unten aus. Vers 39: Der römische Hauptmann aber, der dabeistand, ihm gegenüber, und sah, dass er so verschied, sprach: Wahrlich, dieser Mensch ist Gottes Sohn gewesen!

So gesehen kann ich auf den zweiten genaueren Blick nicht mehr über die Sintflutgeschichte spotten. Wenn selbst der Schöpfer-Gott und Christus sich selbst freiwillig zugunsten einer spirituellen Ordnung Grenzen auferlegen, wie kann ich dann als Mensch die Grenzen innerhalb seiner Schöpfung (die Reinheit der Luft, der Fischreichtum der Meere oder die Biodiversität einer Wiese) missachten wollen und überschreiten?!  Die Würde in der Selbstbeschränkung Gottes könnte unser Vorbild sein. „Gott, tu das nie wieder!“ sagen die Menschen nach der Sintflut. Reumütig verspricht Gott, so eine Vernichtung allen Lebens nie mehr zu tun. Auch wir Menschen könnten das versprechen. „Nie wieder Faschismus, nie wieder Krieg!“ sagten viele Menschen 1945. „Wir wollen das nie wieder tun!“ sagten reumütig die Väter (und Frauen) des Grundgesetzes und schrieben als 1. Artikel: „Die Würde des Menschen ist unantastbar“! So haben wir in Gottes Selbstverpflichtung zur Selbstbeschränkung quasi ein Grundgesetz der Bibel. Wann immer Gott seinem Vorsatz untreu wurde – beim Tod der Erstgeborenen in Ägypten z.B. und in vielen anderen Situationen – dürfen Menschen Gott an die Sintflut erinnern, dürfen auf den Regenbogen zeigen und sagen: „Tu das nie wieder!“

Wer allerdings heutzutage Gott fragt, warum er nichts gegen die Klimakatastrophe unternimmt, dem wird Gott vermutlich antworten: „Dasselbe wollte ich Dich auch gerade fragen“. Durch Gottes Offenbarung in Jesus Christus bzw. des Jesus von Nazareth könnten wir glauben und hoffen, dass Gott, wenn es ihn überhaupt gibt, mittlerweile als reine Liebe wirksam ist, so wie Paulus die Liebe beschrieben hat. Ubi caritas et amor, ubi caritas Deus ibi est. Von Gott geht für uns keine Gefahr mehr aus. Gott will irgendwie unser Partner im Umweltschutz sein. Nur gemeinsam mit Gott werden wir Christen die Ordnung der Natur zurückgewinnen. Er steht auf unserer Seite und wir auf seiner Seite. Als Gottes Geschöpfe haben wir wie Gott nach der Sintflut die Möglichkeit, uns und die ganze Schöpfung in Gottes Namen zu schützen- – und zwar diesmal vor uns selbst. Gott helfe uns, das umzusetzen, was wir alle längst wissen!

AMEN

Fürbittengebet

Lieber Gott, der Du Dich, wenn es dich gibt, in Frauen und Männern und alledem dazwischen spiegelst, nach Deinem vielfachen Bilde – für diese Vielfalt danken wir, auch für die Zehnmillionen so vielfach unterschiedlichen Tierarten, und dass wir Menschen jedes Jahr allein 10.000 Insektenarten dazu neu entdecken dürfen. Aber viele Menschen zweifeln an Deiner Existenz oder an Deiner Allmacht oder Deinem Allwissen. Mag es auch vielleicht „gerecht“ sein, dass die Nordamerikaner als schwerste Klimasünder mit den schwersten zerstörerischen Hurrikans bestraft werden…; darin zeigst Du Dich (wenn überhaupt) als der vertraute Gott des Alten Testaments, der, wie es ihm gefällt, ganze Völker straft. Ja… „Wie Du warst vor aller Zeit, so bleibst du womöglich in Ewigkeit.“ Aber was ist mit den unschuldigen Indern, die schon jetzt nichts mehr von vertrockneten Feldern ernten, weil der Coca-Cola-Konzern das Grundwasser aufbraucht? Warum müssen sie nun zu tausenden Opfer des sintflutartigen Monsunregens werden, den sie nicht zu verantworten haben? Das ist ungerecht!! Wenn Du die Stadt Ninive verschont hast, in der nur wenige gute Menschen lebten, wie kannst Du dann hunderte der Ärmsten töten, die nichts für den Klimawandel können? Tu das nie wieder! Wir singen zu Weihnachten: „Du bist gerecht, ein Helfer wert; Sanftmütigkeit ist Dein Gefährt.“ Ja bitte wo denn? Wie können wir Dir noch vertrauen? Vater im Himmel, Du lehrst auf diese Weise einige von uns, notgedrungen auch ohne Vertrauen zu beten, denn angesichts der Überforderung durch die Probleme Deiner Schöpfung versagt das Verantwortungsgefühl und die Zuversicht der Menschen. Ängstlich werden wieder alte Nationalismen wiederbelebt. Es bleibt nichts anderes übrig. Da hilft jetzt nur noch beten: Bitte greife durch uns in das Weltgeschehen ein, wie Du Dich im AT als Herr der Geschichte gezeigt hast! Sei den Sündern gnädig! Vater im Himmel, Dein Reich komme, in dem Gnade vor Recht ergeht; Dein Wille geschehe, wie Du es gesagt hast, dass wir gute Herrscher seien über die Pflanzen und Tiere und die Erde (uns untertan), und dass wir bei allem, was wir tun, nach Deinem Willen fragen – wie im Himmel so auf Erden. Unser tägliches Brot gib allen, ob in Asien, Afrika, Europa, Australien oder Amerika. Es ist ja genug für alle da! Vergib uns unsere Schuld, wenn wir meinen, wir müssten mehr als andere haben, und erlöse uns von der Macht der verführerischen Reklame, verlogener Versprechen, zynischer Überzeugungen und dem Bösen, denn Du allein bringst Deiner Verheißung wegen wahren Frieden, Wohlstand und Gerechtigkeit für alle, obwohl z.B.. die Diktatoren in Myanmar, China, der Türkei oder Russland und Männer als solche ihre Macht missbrauchen – auch sexuell. Schütze alle Journalisten und Menschenrechtler, die unschuldig in türkischen Gefängnissen sitzen. Schütze die verfolgten Christen in den muslimischen Gesellschaften wie Ägypten oder Saudi Arabien. Hilf ihnen, dass die Christen dort frei und selbstbewusst Kirchen bauen dürfen, so wie die Moslems in Deutschland Moscheen bauen dürfen. Bring den Demonstrationen im Vorfeld der nächsten Klimakonferenz viel friedvollen Zulauf, damit die Inhalte bekannter werden als die Gewalt. Es gibt so viel, um das wir bitten und beten können und müssen – auch für uns selbst, weil wir es nicht alleine schaffen. Jeder Mensch, der das mag, kann das jetzt versuchen, in der Stille und in Jesu Namen, und hoffen, dass es Dich gibt und Du uns erhörst.
Stille…
AMEN

 

 

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