Predigt MCC Köln, 16. Juli 2017
Manfred Koschnick
Johannes 1,35-42: „Die ersten Jünger“
Guten Morgen allen Spätaufstehern,
Guten Tag allen Frühaufstehern!
Im Predigerseminar der MCC habe ich gelernt, dass man Fragen an den Text stellt und dann Antworten finden sollte, die Zuspruch und Anspruch enthalten. So machen wir’s! Der Zuspruch ist: Jesus interessiert sich für Dich. Der Anspruch ist: Nimm sein Interesse ernst und beantworte die Frage „Was suchst Du bei ihm und mit ihm?“
Ich muss gestehen, als ich den Bibeltext zum ersten Mal las, war meine erste spontane Frage: “Häh?“ – Was soll dies Geplänkel: Was suchst Du? – Hey Alter, was geht? Wo wohnst Du?“. Insgesamt werde ich 4 Fragen stellen.
Ich wiederhole die 1. Frage, denn sie erschließt sich nicht gleich: „Häh?“ -!
Aber diese Dialogstruktur kenne ich doch… aus dem Internet. Sie ist wie in den Singlebörsen von Planet Romeo und Gayroyal. Dies sind Chatforen, in denen schwule Männer Kontakt zwecks Sex und/oder Freundschaft und/ oder eine Liebes-Beziehung suchen. Ich betone dass es schwule Männer sind, denn viele Frauen wollen sich lieber mit einem Menschen sexuell vereinigen, weil sie sich mit ihm wohl fühlen, ihn oder sie bewundern oder sich sicher fühlen in seiner oder ihrer Nähe. Viele Männer aber wollen sich mit einem Mann oder einer Frau vereinigen, damit sie sich wohl fühlen. Wenn ich nun also einen typischen Chat vorstelle, ist dies ein Chat unter schwulen Männern, die 1. Sex suchen, um ggf. daraus 2. eine Freundschaft oder Beziehung entstehen zu lassen.
Johannes 1,35-42 im Vergleich mit einem Chat
Nickname Täufer schreibt: Hab gestern einen tollen Typ gesehen. Mann- ich dachte der Heilige Geist schwebt auf ihn herab. Ich glaube, das ist genau der Typ Mann, auf den Du immer gewartet hast, – ein Traumprinz zum Verlieben! Ich zeig‘ Dir mal sein Profil bzw. nenne Dir seinen Nickname. Sein Nickname ist bei Planetromeo Christus, bei Gayroyal Messias. Wie er normalerweise heißt, kann er Dir selber sagen.
Nickname Jünger Andreas: Danke, ich seh’s mir mal an.
nochmal „Andreas“: Ach der! Ich war jetzt schon ein paar Mal auf seinem Profil (seiner Internetdarstellung) und damit auch in seiner Besucherliste. Das muss er gemerkt haben. Ah! jetzt meldet er sich!
Nickname Christus: Was suchst Du?
Nickname Andreas: Worauf stehst Du; in welchem Bereich bist Du denn „quasi“ zu Haus?
Nickname Christus: Schau’s Dir an! Ich schick mal ein paar Bilder.
Nickname Jünger: Mann, Du bist ja megascharf, ein König unter den Typen hier! Deine Augen – stark wie David und klug wie Salomo! Ich sehe mir noch die anderen Bilder von Dir an. O, o! Der liebe Gott hat’s aber gut mit Dir gemeint!
Nickname Andreas: Das muss ich meinem besten Freund erzählen. Er heißt Simon.
Nickname Christus: Kenn ich! Er sollte sich lieber Petrus nennen. Passt besser…
PAUSE im Chat
Nickname Christus: Besuch mich mal in meiner Herberge. Ich zeig sie Dir. Heute hätte ich Zeit! Ich heiße übrigens Jesus. OK – Wir sehen uns.
2. Frage. Was kann uns so ein banaler Dialog von der frohen Botschaft, dem Evangelium, verkündigen?
Es war einmal ein kleiner Prinz, der zeigte einem abgestürzten Flieger, einem gewissen Sait Exuperi, ein Bild. Der Flieger sah darauf einen Hut mit breiter Krempe. Die Geschichte kann man in einem berühmten Buch nachlesen. Der kleine Prinz fand die Antwort des Erwachsenen sonderbar – es sei doch ganz offensichtlich kein Hut sondern eine Schlange, die einen Elefanten verschluckt habe! Der abgestürzte Pilot lächelte überlegen , wie es Leute tun, die meinen, sie hätten Ahnung bzw. den Durchblick und glaubte, er wisse nun, was der kleine Prinz mit dem Bild zeigen wollte. Auch viele Theologen machen dies so. Und auch die Leser der Geschichte vom kleinen Prinzen gaben sich mit der Antwort zufrieden. Keiner fragte, wer der Elefant sei und wer diese Schlange ist, die erstaunlicherweise einen ganzen Elefanten schluckt und warum die Schlange das denn tut.
Ist der kleine Prinz das Ich des Menschen ?, der Elefant das in der Silhouette immer noch von einigen erkennbare Göttliche im Menschen ? und die Schlange die gesellschaftliche Rolle, das Ego, das alles Göttliche schluckt?
Ich glaube, dass die Schlange stellvertretend die aus der Biografie bekannte übermächtig dominante Mutter des Autors darstellte und Saint Exuperie zeichnete sich als den kleinen Elefanten.
So liegt hinter jeder Antwort die nächste Frage, die ich mir oft nicht gestatte, weil die Antwort unangenehm sein könnte oder noch häufiger, weil ich anderen gern glauben möchte, weil durch ein vermeintlich ehrliches Gespräch die andern, die Welt etwas verlässlicher und vertrauenserweckender und weniger beängstigend erscheinen lässt und ich anderen deshalb gern vertrauen möchte, auch um den Preis der Wahrheit. Auch denke ich, es gehöre sich gerade bei Respektspersonen wie Lehrern oder Pfarrern nicht, nachzufragen und etwas nicht verstanden zu haben und nachfragen zu müssen ist mir peinlich. Ich denke in dem Moment, ich werde doch wohl alleine darauf kommen, was der andere gemeint hat. Die nächste Frage bleibt mir jeweils im Halse stecken.
Was ein banaler Dialog verkündigen kann, erschließt sich also, wenn man nachfragt!
3. Frage „Was suchst Du wirklich“?
Ist es im schwulen Chat wirklich in erster Linie nur um Sex gegangen? War es in der biblischen Erzählung wirklich nur der Schlafplatz, die Herberge des Gesalbten, des Lamms Gottes, für die sich die zukünftigen Jünger interessierten? Suchen hatte immer andere Bedeutungen
Im 19. Jahrhundert suchte man zum Beispiel das Schöne in allen Dingen oder eine geistige Heimat oder die Einsicht.
Im 20. Jahrhundert suchten die Menschen nach etwas, das man haben kann. „Was suchen Sie? Zur Damenbekleidung nächster Stock rechts!“ Wer nichts haben wollte hatte nichts zu suchen. „Dies ist keine Lesehalle sondern eine Bücherei!“ …Was suchst Du?
Im 21. Jahrhundert definieren Suchmaschinen der Computersoftware den Begriff des Suchens. Es wird keine Richtung , kein Weg gesucht sondern Wahrscheinlichkeiten anhand von Rastern. Das Suchen als solches kann vom PC nicht in Frage gestellt werden. Die meisten Suchentscheidungen finden im Computer statt. Die Software von Google lenkt den Blick des Users automatisch zuerst auf Googleprodukte. Der User glaubt, sein Suchen gelte also diesen Produkten. Folgende Frage stellt der PC nie: „Was suchst Du wirklich und was versteckt sich hinter Deinem Suchen? Was sucht in Dir, wer ist es wirklich, der da sucht? (was habe ich davon, wenn ich, Deine Suchmaschine Dein Meister bin? Auch diese Frage stellt Google nicht.) Diese Fragen können wir aber mit Jesus angehen.
Jesus (so der Mythos) war nicht der Sohn des Josef. Was tut so ein vaterloses Kind? Es sucht seinen Vater. Wenn Menschen einen Rabbi oder Guru suchen, suchen sie m.E. in Wahrheit eine Vaterfigur, der sie vertrauen können und (die) sie das Wesentliche lehrt. Sie fragen „Vater, wo bist Du? Wie finde ich zu Dir. Ich bin ein Teil von Dir. Aber wo kann ich Dich finden, wenn schon nicht in mir selbst? Wo ist Deine Herberge, Dein starker Arm, deine schützende, liebevoll zärtliche Hand, die ich so vermisst habe, Deine stolze Freude über Dein Kind, die mir Mut zum Leben gibt, Deine ewige Loyalität, (egal wie trotzig ich mich von Dir entfernte), die mir das Urvertrauen schenkt? Das waren vielleicht auch die Fragen, die Jesus sich stellte.
Zunächst fand er Johannes den Täufer, vermuten die Historiker. Er suchte seinen Vater schließlich im Himmel. Er fand Gott und nannte ihn Vater. Gott ist natürlich mehr als das, auch wenn Christen das gern verdrängen. Die Moslems sagen, Gott, also Allah ist der Allerbarmer, der Gerechte, der unendlich liebende Gott und noch viel mehr. Aber ein Vater ist Allah nicht, da er kein Geschlecht hat. Wir Christen sagen Gott ist unser Vater, unsere Mutter, unser Freund, unser Helfer und Heiler , ist Christus und der Heilige Geist, die Ruach, und so fort. Jesu fragte nicht „Was willst du?“. Er weiß, dass Menschen bei Gott nicht immer nur das finden, was sie wollen sondern manchmal eher sogar das, was sie brauchen. „Was suchst Du?“ ist eine endlose Frage. Die Werbung redet Menschen ein, dass sie ein derzeit modisches Auto brauchen, ein Markenprodukt, usw. Sie kanalisiert was Menschen brauchen. Menschen suchen und brauchen Anerkennung. Sie suchen dafür ein geeignetes Auto oder Markenkleidung. Was wollen sie wirklich? Was steckt verborgen hinter der Anerkennung? Was suchst Du? Es ist zunächst die Ehre und der Respekt der Menschen vor Menschen. Und was brauchen sie in Wahrheit, auch wenn sie das nicht mehr suchen, weil der Wunsch / die Suche verschüttet wurde? Die unveräußerliche Würde. Ist diese nicht gesichert, muß um die Ehre gekämpft werden z.B. in Duellen oder bis hin zu „Ehrenmorden“ Und wer kann uns die Würde eindringlicher und glaubwürdiger zuerkennen als alle anderen? Der eigene Vater / die eigene Mutter. Der Respekt der Geschwister ist dagegen zweitrangig. Doch was, was suchst Du? Diese Frage könnten wir uns auch einander stellen. Als christliche Gemeinde sind wir ständig auf der Suche, auch wenn wir das einander nicht immer offen zugeben. Es könnten sich daraus ja weitere Fragen ergeben. Auch in der Singlebörse sagt man im Chat einander nicht wirklich, was man eigentlich sucht und noch viel weniger das was man in Wahrheit braucht. Aber Du kannst es hier in der Gemeinde üben!
Im Chat könntet Ihr auf die Frage „Was suchst Du?“ antworten: „Die Glückseligkeit“ Ich wäre gespannt auf die Reaktion des andern. Vermutlich ein„Häh???“
Stellt Euch folgendes vor (vielleicht hilft es, dabei die Augen zu schließen): Wer mag, kann sich gleich einem seiner Sitznachbarn zuwenden und ihn fragen, ob er ihm eine persönliche Frage stellen darf. Ist der Andere einverstanden, fragt ihr Sage mir was Du suchst? Es gibt keine falschen oder richtigen Antworten. Der gefragt hat, sagt nach der Antwort DANKE, egal was geantwortet wurde. Er stellt die Frage immer wieder bis nach 5 Minuten das Signal, die Glocke ertönt Dann bittet Ihr „Sage mir was Du willst! Nach der Antwort. Sagt Ihr “Danke“, auch dann wenn die Antwort vielleicht „Ameisenscheiße“ war. Dann fragt Ihr „WAS BRAUCHST DU?“ Nach der Antwort sagt Ihr wieder DANKE. Dann wechselt ihr die Rollen.. Dann stellt Euch vor das Jesus Euch die Frage stellt „Was suchst Du?“ Was werdet Ihr ihm antworten? Sage ihm, was Du suchst!…
Die kleine Übung kann Euch den wichtigen Impuls geben, im Gemeinde-Alltag miteinander weiter einander Jesu Frage an die Jünger zu stellen und gemeinsam weiter nach Antworten zu suchen. Wir belassen diese Übung in der Vorstellung. Auch da kann sie schon als Impuls wirken wie jedes andere Wort dieser Predigt auch. Als praktische Übung machen wir das vielleicht mal irgendwann in einem christlichen Workshop, wenn Ihr mögt. Und wenn jemand demnächst im Chat fragt „Was suchst Du?“, fällt Euch vielleicht diese Predigt wieder ein. Es würde mich freuen.
Eine letzte 4. Frage an den Text: Was suchte der Jünger Jesu wirklich?
Im Text steht, er suchte den, den Johannes so beschrieb: der mit dem heiligen Geist tauft, den der Täufer Johannes einer der theologischen Deutungen nach Ostern vorgreifend „Gottes Lamm“ , das Opferlamm nannte, das alles auf sich nimmt, was wir untereinander böses tun, um uns davon zu befreien.
Also suchte Andreas wahrscheinlich erstrebend die eigene Unschuld, die Versöhnung mit seinen Ansprüchen, die er von einer höheren Macht ableitete. Viele kennen das. Sie wollen es ihr ganzes Leben lang dem Vater recht machen oder der Mutter oder stellvertretend dem Chef oder Gott.
Was suchst Du wirklich. Warum? Andreas glaubst Du, dass Du die Unschuld brauchst? , …weil Du meinst nur als Unschuldiger hast Du Liebe und Respekt verdient? Weil hinter allem die heimliche Hoffnung aber auch der Zweifel liegt, bedingungslos oder eben nur bedingt geliebt zu werden?
Die Antwort “ Gottes Lamm trägt die Sünden der Welt“ ist doch nur eine Station auf dem Weg der suchenden Fragen und Erkenntnisse und weiterführenden Fragen. Sie ist wie das Bild vom Hut, nein- von der Schlange, die einen Elefanten frisst, nein eigentlich ein Lebensdrama verpackt in die Fantasie des Autors.
Gott-Vater ist seit Isaak weit mehr als ein Gott, der Menschenopfer braucht – wie z.B. das Menschenopfer Jesu. Für Moslems, die fernen Verwandten im Glauben an den Gott Abrahams, ist Allah kein Vater, da er keinem Geschlecht zuzuordnen ist. Folglich hat er auch keinen Sohn. Und noch weniger würde ein liebender Vater im normalen Islam den Opfertod seines Sohnes begrüßen. Manchmal lohnt sich ein Besuch bei Verwandten. Wirklich – die ihre Kinder liebenden Väter versuchen, ihre Söhne davon abzubringen, sich z.B. beim IS als Märtyrer zu opfern. Sie würden verhindern wollen, dass der Sohn sein Leben dem Rauschgift opfert oder einem anderen gefährlichen Lebensstil. Aber manche liebende Väter lassen ihren Kindern ab der Adoleszenz auch ihren freien Willen.
Stellt Euch vor, Jesus würde zu Gott sagen: „Vater, ich will Dir und den Menschen zuliebe das Leben wegwerfen, das Du mir geschenkt hast. Ich bin nämlich mehr wert und wichtiger, als alle Schuld und Sünde der ganzen Menschheit – und Josef ist gar nicht mein echter Vater.
Was würde der Gott-Vater seinem Sohn antworten? … ? Wie schaut nach der Antwort der Sohn seinen Gott an…? Wie schaut der väterliche Gott nach seiner Antwort auf den Sohn…? Wie schaut Maria nach der Antwort auf Gott und wie auf ihren Sohn…? Wie schaut Joseph zu Gott? Bei welcher Antwort käme die Liebe Gottes spontan zum Ausdruck…? Was suchst Du?
„Vater, nicht mein sondern Dein Wille geschehe, nicht wie ich will sondern wie Du willst“, kann auch die Antwort eines Sohnes sein, der nicht erwachsen werden will, um dem Konflikt aus dem Wege zu gehen. In Vater-Sohn Beziehungen gibt es wechselseitig manche ungeprüfte Unterstellungen bezüglich der Wünsche und Absichten. Der kleine Prinz findet, dass die großen Leute sehr merkwürdig und sonderbar sind.
Die Christen sind es auch. Sie lassen sich z.B. in einer Predigt Antworten auf Fragen geben, die sie gar nicht gestellt haben… „Hä?“
Ich werde einen Zettel mit dem Predigttext der nächsten Predigt auslegen. Ihr könnt, wenn Ihr mögt, auf den Zettel Eure Frage und Kommentare schreiben auf die ich dann in der Predigt eingehen werde.
Bei Gayromeo in dem Internetclub CHRIST&SCHWUL las ich folgende Zeilen: Manchmal ist eine neue Suche notwendig. Veränderung bringt voran und oft brauchen wir dazu die Hilfe Gottes. Was ist zu tun? Altes und Schlechtes ablegen. Befreiung erfahren. Neue Schritte wagen im Vertrauen auf einen guten, neuen Weg. Im Vertrauen, dass ER uns dabei trägt. Im Aufbruch erkennen, dass es für unser Leben einen ungefähren Plan gibt. – Amen