Predigt MCC Köln, 3. März 2019
Madeleine Eisfeld
Lukas 10,38-42 („Maria und Marta“)
Liebe Gemeinde!
Jesus und die Frauen. Erneut sehen wir uns diesem außergewöhnlichen Verhältnis gegenüber.
Einmal mehr werden wir Zeugen jener tiefgreifenden Aufwertung, die Jesus den Frauen entgegenbringt.
Die Geschichte von Maria und Martha ist kurz und knapp, aber sie hat uns ungeheuer viel zu sagen.
Maria und Martha sind Geschwister, sie haben noch einen Bruder, Lazarus; den kennen wir aus einer anderen Geschichte des Evangeliums.
Alle drei gehören zum engeren Jüngerkreis Jesu.
Die Zahl der Jünger und Jüngerinnen, die sich zu dieser Zeit um Jesus scharen, liegt bei etwa 70. Alle sind sie gleichwertig. Auch die 12 Apostel sind nur ein Teil davon. Teamwork, wie wir heute zu sagen pflegen. Da ist es wieder. Sie alle erfüllen spezielle Aufgaben, um dem großen Propheten sowohl im Alltag als auch bei seiner Mission zu unterstützen.
Auch Maria, Martha und Lazarus tun das; sie führen sozusagen den Haushalt Jesu.
Wie können wir uns das vorstellen? Wie lebte Jesus überhaupt? Wie sah sein Alltagsleben aus?
Zunächst müssen wir uns von der Vorstellung verabschieden, dass Jesus mit den 12 Aposteln in einer Art Klostergemeinschaft zusammengelebt hat. Zölibatär und keusch, so wie sich das gehört, besitzlos und gehorsam natürlich. Jesus als Klostervorsteher, der ein strenges Regiment führt.
Diese Vorstellung entspricht ebenso wenig den Tatsachen wie jene, die in Jesus und seinen Jüngern die Vorreiter der modernen Hippiebewegung sehen, die sorglos wie die Vagabunden durch die Lande ziehen und sich am Abend ein Bett im Kornfeld suchen. Das alles sind Stereotypen.
Jesus und die Apostel führten ein ganz normales Leben, wie es der damaligen Zeit entsprach. Sie hatten Familien und arbeiteten weitgehend in ihren ursprünglichen Berufen weiter. Jesus als Zimmermann, Petrus als Fischer und so weiter. Von irgendetwas mussten sie ja leben.
Natürlich hielten sie engen Kontakt und bildeten eine Sondergemeinschaft innerhalb der Jüdischen Gemeinde, so wie es in jener Zeit viele weitere gab.
Zu bestimmten Zeiten und Anlässen verließen sie ihre Familien und Werkstätten und zogen durch das Land, um ihren Missionsauftrag zu erfüllen, den ihnen die heilige Ruach erteilte.
Kam Jesus von diesen oft ausgesprochen anstrengenden Wanderungen zurück, erwartete ihn nicht etwa eine kahle, schmucklose Einsiedlerhöhle, sondern eine richtige kleine Familie, mit allem, was dazugehört.
So ist es auch in diesem Fall. Womöglich hat er Gäste mitgebracht. Damit musste bei Jesus immer gerechnet werden. In seinem Haushalt gingen ständig Leute ein und aus, suchten Rat, Heilung oder einfach nur das offene Gespräch.
Martha trifft es unverhofft. Ihr obliegt es, die Runde zu bewirten. Zu ihrem Entsetzen geht ihr Maria dabei nicht zur Hand, sondern gesellt sich einfach der Tischgemeinschaft zu.
Martha übernimmt die Rolle, die man von ihr erwartet, die Rolle der Hausfrau. Maria nicht, sie setzt sich einfach zu den Männern und maßt sich deren Rolle an.
„Martha, du sorgst dich viel und lärmst über die Vielheit,“ schimpft Jesus.
Ein gängiges Bild. Die Herren führen hochgeistige Gespräche, während die Frauen am Herd schuften, um das Essen pünktlich aufzutischen. Wird es dabei hin und wieder mal zu laut, werden sie auch noch ermahnt.
Ein brutales Verhalten Jesu, das überhaupt nicht seinem Wesen entspricht.
So war es auch ganz bestimmt nicht gemeint.
Betrachten wir Jesu Zurechtweisung einmal aus einer positiven Perspektive, nicht als Schelte, sondern als Einladung, bekommt der Sachverhalt plötzlich einen Sinn.
„Martha, setz dich zu uns! Du hast genug gearbeitet! Jegliches zu seiner Zeit. Es gibt Zeiten für die Arbeit und Zeiten zum Reden. Jetzt ist Zeit zum Reden und zum Essen. Die Arbeit kannst du später tun! Nein, wir werden sie später gemeinsam tun! Auch die Männer werden dir dabei helfen.
Jetzt ist es erst einmal wichtig, deinen Platz unter uns einzunehmen. Lange schon steht er dir zu. So wie deine Schwester bist auch du zur Apostelin berufen.“
Jesus, der große Tabubrecher; er fordert dazu auf, die zugewiesenen Rollenklischees beiseite zu schieben.
Martha scheint das unangenehm, so leicht kann sie nicht aus ihrer Haut. Seit Generationen führen Frauen ein Leben ganz im Sinne des Dienens. Die heiligen Bücher brauchen sie nicht einmal zu kennen. Wozu auch? Es sind Bücher geschrieben von Männern für Männer, um diese mit den oft sehr komplizierten Glaubensregeln vertraut zu machen.
Für Frauen reicht es hingegen vollkommen aus, wenn sie ihren Männern zu Diensten sind. Tun sie das, dienen sie damit gleichsam Gott. So die uralte Vorstellung.
Jesus bricht auch diese Regeln. Er lädt alle Frauen ein, sich ebenfalls mit den heiligen Texten zu beschäftigen, sie zu studieren und darüber zu diskutieren. Das ist für ihn eine Selbstverständlichkeit.
Warum aber begreift Maria, Martha jedoch nicht? Oder will sie es nicht begreifen? Was könnte sie wirklich daran hindern, am Tisch Platz zu nehmen?
Was ist das überhaupt für eine eigenartige Lebensgemeinschaft? Jesus lebt mit zwei Frauen unter einem Dach zusammen. Wie funktioniert das? Die Frommen, die Eiferer, die strengen Gesetzeshüter schreien Zeder und Mordio. Jesus ist ein angesehener Rabbi. Er würde seinen Gegnern die Munition geradezu in die Hände legen. Nein, das kann er nicht riskieren. Noch nicht!
Es ist alles geordnet. Maria ist seine Frau. Folglich ist Martha seine Schwägerin, Lazarus sein Schwager.
Maria ist jene Frau, die uns immer wieder begegnet und den Weg Jesu kreuzt. Sie tritt unter vielen Namen auf. Als Maria Magdalena, Maria von Magdala. Erkennt ihr die Ähnlichkeit? Maria von Bethanien, oder auch als die namenlose Sünderin, von Jesus vor der Steinigung bewahrt. Alles ein und dieselbe Person. Sie folgt ihm, heftet sich an seine Fersen, hält sich stets in seiner Nähe auf, bis? Ja, bis sie schließlich ein Paar werden.
Spinnen wir den Faden weiter, nähern wir uns der möglichen Wahrheit. Martha tut das Gleiche. Klar, sie sind Schwestern. Auch Martha möchte an der Seite des großen Meisters leben. Doch Jesus entscheidet sich für Maria. Das tut ungeheuer weh.
Doch es hat einen ganz bestimmten Grund.
Die beiden sind füreinander bestimmt. Seit Anbeginn der Zeiten. Jesus und Maria! Diese Namen gehören einfach zusammen. Sie bilden eine Einheit. Wir kennen das alte Stoßgebet aus katholischen Gebieten: JesusMaria(und Josef). Den alten Josef können wir hier getrost beiseite legen.
Es ist kein Zufall, dass die Frau an Jesu Seite den gleichen Namen wie seine Mutter trägt. Stets gab es eine Maria in Jesu Leben. Als Kind und Jugendlichem stand ihm seine Mutter bei. Nachdem er zum Mann wurde, seine Frau. Maria die Ältere übergibt ihren Sohn gleichsam in die Hände der jungen Maria. Die Frauen an Jesu Seite, sie sind das Salz in der Suppe. Sie sorgen sich um sein Wohlergehen, so dass es ihm an nichts fehlt. Sie schaffen ihm die Atmosphäre, die er benötigt, um seinen Auftrag auszuführen. Um das zu können, muss er sich mit der heiligen Geistkraft verbinden. Er ist umgeben von ihr, sie ist seine Energiequelle von Geburt an, sie wird ihn nie wieder verlassen. Verkörpert zunächst von seiner Mutter und schließlich von seiner Partnerin.
Sie ist ihm Stütze und Ratgeberin. Wenn er nach Hause kommt, so wie in diesem Beispiel, ist sie einfach da. Ein Mensch, der auf ihn wartet. Ein Du! Ein ständiges Gegenüber! Sie nimmt an seiner Seite Platz, legt ihren Kopf an seine Schulter.
„Wie war dein Tag heute? Bist du vielen Menschen begegnet? War es anstrengend?“
„Nicht mehr und nicht weniger als sonst auch! Aber es tut gut, dass du dich danach erkundigst!“, gibt er zur Antwort.
„Hast du dich in Gefahr begeben? Ich will nicht, dass du das tust!“, möchte Maria wissen.
„Sei ohne Sorge! Es wird alles gut!“
Nicht selten begleitet Maria Jesus auf seinen Wanderschaften, sehr zum Missfallen der männlichen Apostel. Martha wartet dann allein zu Hause.
Für Martha ist das alles nur sehr schwer zu ertragen. Die quälende Eifersucht bringt sie um den Verstand. Deshalb stürzt sie sich in die Arbeit, um zu vergessen, doch es gelingt ihr nicht.
Jesus erkennt es: „Martha, du darfst dich nicht so quälen. Eifersucht ist eine sehr schlechte Ratgeberin.“
„Ach und was soll ich tun? Mich zu euch setzen und euch womöglich noch meinen Segen erteilen?“
„Ja! Genau das! Segne Maria und mich! Und indem du das tust, wird der Segen auf dich zurückkommen. Dein Herz wird aufhören zu bluten, und du bist frei. Du kannst unbefangen mit uns umgehen, so wie das unter Verwandten oder Verschwägerten üblich ist, und dich auf die große Aufgabe vorbereiten, die für dich bestimmt wurde. Und du bist frei, dir selbst einen Partner oder eine Partnerin zu suchen.“
Eine Einladung mit erlösender Zuversicht.
Die römisch-katholische Kirche hat, ebenso wie die Orthodoxen Kirchen des Ostens, Marias Bedeutung erkannt und sie in ihre Glaubenslehre aufgenommen. Das ist zunächst einmal zu begrüßen. Doch sie reduzieren die weibliche Ergänzung einseitig auf seine Mutter. Sie degradieren Jesus damit zum Muttersöhnchen. Süßes kleines Jesulein, von Mutter Maria ständig behütet und vor dem Leben bewahrt. Holder Knabe im lockigen Haar, der einfach nicht erwachsen werden darf. Sie berauben ihn seiner Partnerin, verstoßen sie, verunglimpfen sie lange Zeit gar als Hure. Die Reinheit Jesu muss unter allen Umständen gewahrt werden.
Die Kirchen der Reformation, also die protestantischen und die zahlreichen Freikirchen, gehen noch einen Schritt weiter. Sie verleugnen nicht nur Jesu Partnerin sondern sie verbannen seine Mutter gleich noch mit.
Sie kippen das Kind mit dem Bade aus.
Nichts darf den Blick auf den „Herrn“ verdecken. Vor allem nichts Weibliches. Nichts darf uns ablenken. Alles Sinnliche oder gar Erotische ist Sünde und daher fehl am Platz. Jesus, der ewige Junggeselle, das ist das Ideal ganz nach dem Geschmack katholischer oder orthodoxer Traditionalisten wie auch fundamentalistischer Protestanten.
Sie scheinen ihm das bisschen Glück nicht zu gönnen, das ihm während seines kurzen Lebens in Maria von Magdala begegnete.
Für sie ist nur das Schlachtopfer von Interesse. Der Mensch Jesus, sein Leben, sein Alltag, seine Sehnsüchte und Wünsche: ohne Belang.
In dieser Szene erleben wir Jesus als wahren Menschen. „Er wurde uns in allem gleich“, so lautet doch die allzeit verkündete Lehre. In allem? Außer der Sünde natürlich. Versteht sich von selbst.
Was aber genau ist Sünde?
Sinnlichkeit, Erotik, Sexualität, ja ein ganz gewöhnliches Familienleben sind tabu für den Gottessohn, geboren einzig und allein zu einem Zweck: geopfert zu werden.
Sollte er uns tatsächlich in allem gleich geworden sein, dann wäre für ihn ein Leben in Partnerschaft geradezu obligatorisch.
Nur so, nur auf diese Weise, wird uns die Gottesebenbildlichkeit in ganzheitlichem Sinne offenbart. Gott schuf den Menschen nach seinem/ihren Bilde. Als Mann und Frau wurden sie erschaffen. Und als nicht-binäre Wesen, doch das ist eine andere Geschichte.
Maria ist seine weibliche Ergänzung. Gemeinsam sind sie dazu bestimmt, den Menschen das Evangelium zu verkünden. Die Botschaft einer neuen, einer erlösten und erleuchteten Welt.
Jesus weiß auch, dass er nicht mehr lange zu leben hat. Dunkle Wolken am Horizont. Das Imperium schlägt zurück. Sie können ihn nicht am Leben lassen. Er ist zu gefährlich für diese Welt mit seiner Botschaft von Frieden und Gerechtigkeit, von Liebe, Harmonie und Verständigung.
Maria und Martha wird er beide zurück lassen. Dann wird Maria ihre Schwester ganz besonders brauchen, um gemeinsam in der Trauer zu bestehen.
Aus diesem Grund darf er es unter keinen Umständen zulassen, dass Zwistigkeiten das Verhältnis der Schwestern belasten.
Maria wird seine Lehre weitertragen, sie, die Königin der Apostel. Sie ist dazu bestimmt, vom Anfang der Zeiten, sie und kein anderer. Martha wird an ihrer Seite stehen, um sie dabei zu unterstützen. Auch die männlichen Apostel sind berufen, ihr zu folgen. Doch die weigern sich. Sie fühlen sich außerstande, einer Frau zu folgen. Ihr falsches Ego, dem sie noch immer mehr trauen als der heiligen Geistkraft, verbietet es ihnen. Deshalb werden sie das Bild auf den Kopf stellen.
„Maria, Maria, was machst du dir für unnötige Gedanken? Das ist doch gar nicht deine Aufgabe“, wird es von nun an heißen.
„Nimm dir ein Beispiel an Martha! Deine Schwester weiß, was sich für eine anständige Frau gehört. Dienen, dienen und nochmals dienen. Deinen Verstand brauchst du nicht mehr. Der ist dir nur im Weg in deiner zukünftigen Rolle als dienende Magd.“
Die Geburtsstunde der klerikalen Männerkirche.
Die hatte Jesus ganz bestimmt nicht im Sinn, als er mit seinen Jüngern und Jüngerinnen beisammen saß und mit ihnen über die heiligen Schriften diskutierte.
Ihm ging es stets um Befreiung, um Erlösung aus bedrückenden Verhältnissen. Um Erleuchtung schließlich, die uns den Weg zur Erkenntnis weist.
Seine Nachfolger haben die Botschaft nicht verstanden und dementsprechend missdeutet.
Im Gegensatz zu Jesus waren sie nicht erfüllt von der Kraft der unendlichen göttlichen Weisheit. Sie waren keine Sehenden.
Sie blickten nur auf das, was ihre fünf Sinne ihnen offenbarten. Der sechste Sinn scheint ihnen nicht wirklich gegeben, und so ist es bis heute geblieben.
Wollen wir ihnen auf die Sprünge helfen? Es liegt an uns. Wir können etwas ändern und zum Besseren wenden – dann, wenn die rechte Zeit dafür gekommen.
AMEN
Literaturtipps von Madeleine zu ihrer Predigt:
Da wäre zu allererst Christa Mulack zu nennen (Website: http://www.christa-mulack.de ; dort finden wir alle ihre Bücher).
Weiterhin Vera Zingsem, die ebenfalls eine Reihe wichtiger Bücher geschrieben hat.
Ferner haben sich auch Eugen Drewermann, Hubertus Halbfas, Klaus-Peter Jörns und viele weitere männliche Theologen mit dem Thema auseinandergesetzt. Klaus-Peter Jörns ist in dieser Hinsicht sehr zu empfehlen.
Schließlich sei auf die jüdische Theologie hingewiesen, besonders auf das Theologenehepaar Pinchas und Ruth Lapide.