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NICHT NUR so oder so: wir selbst, aktuelle Entwicklungen, und die Apokalypse

Predigt MCC Köln, 24. Mai 2020
Ines-Paul Baumann

Evangelium nach Lukas 24,50-52 & Epheserbrief 3,14-21

Wenn Jesu‘ Mutter von der Erde kommt und sein Vater vom Himmel – binationale Elternpaare sind nichts dagegen! Jesus, der „Menschensohn“? Äh, ja, schon, aber NICHT NUR… Jesus, „Gottes Sohn“? Äh, ja, schon, aber NICHT NUR…

In der MCC kenne ich viele Menschen mit Erfahrungen von „ich bin nicht nur so“. Nicht NUR „lesbisch“. Nicht NUR „heterosexuell“. Nicht NUR „Mann“ oder NUR „Frau“. Nicht NUR christlich geprägt im Glauben. Nicht NUR so gesund und stark, wie es den Anschein hat. Nicht NUR so krank und unfähig, wie manche denken. Oft nehmen wir von anderen Menschen nicht alle Seiten wahr. Unsere Eindrücke zeigen nur Ausschnitte, nur einzelne Aspekte, nicht das Ganze.

Dasselbe gilt für unseren Blick auf die aktuelle Zeit mit den ganzen Corona-Maßnahmen und globalen Entwicklungen (Klima, Finanzmärkte, Staatsoberhäupter, …). Es gibt so viele verschiedene Wahrnehmungen, Meinungen und Gefühle angesichts der Veränderungen in den letzten Wochen. Nicht nur, dass unterschiedliche Menschen unterschiedliche Aspekte sehen – auch als Einzelne sehen wir manchmal so viele unterschiedliche Aspekte, dass wir nicht mehr das Gefühl haben, die Situation als Ganzes beurteilen zu können. Und das stimmt ja auch; es IST nicht NUR so oder so. Kein Wunder also, dass unsere Gefühle so unterschiedlich sind, zum Teil auch in uns selbst schon.

Während der Corona-Maßnahmen kommt hinzu, dass wir viel Zeit mit uns selbst verbringen (oder im Internet bevorzugt mit Posts, die dieselbe Meinung vertreten – sei es, weil uns das angenehmer ist, oder weil Algorithmen uns das anbieten). Ohne den Ausgleich mit Meinungen und Sichtweisen anderer verstärken sich die eigenen Meinungen und Sichtweisen nur. Für andere Meinungen und Sichtweisen gibt es immer weniger ein konkretes Gegenüber. Um so mehr werden diese dann vermutet in Verschwörungen und unsichtbaren Mächten.

Ich weiß nicht, welche schlechten Nachrichten ihr zuletzt mitbekommen habt. Tatsächlich gibt es ja genug. Aus Sicht mancher gibt es derzeit NUR noch schlechte Nachrichten. Und aus Sicht mancher so dicht, dass apokalyptische Vergleiche gezogen werden.

Auch die Bibel kennt Apokalypse. Sie endet sogar mit einer: mit der „Offenbarung des Johannes“. (Wenn ihr sie mal am Stück durchlesen wollt: das dauert ca. 2 Stunden. Von der Länge, der Fülle an Bildern, der Dramatik und dem Chipskonsum her wie ein Kinoabend.)

Auch für die Apokalypse der Johannesoffenbarung gilt: Sie wird NICHT NUR so oder so wahrgenommen.

  • Manche verstehen sie als Beschreibung der Zukunft am Ende der Welt (aus Sicht mancher also unserer aktuellen Gegenwart).
  • Manche lesen sie in Bezug auf Erfahrungen, wie sie damals historisch aktuell waren (nach dem Römischem Krieg und in Erinnerung der eigenen Geschichte davor schon).
  • Manche finden, die Apokalypse der Johannesoffenbarung insgesamt „geht gar nicht“. Verglichen mit den darin enthaltenen Gottesbildern und Frauen- und Männerrollen stünde zumindest schon mal fest, dass es nicht LGBTIQ* sind, die pervers sind. („The Queer Bible Commentary“)
  • Manche deuten die Apokalypse der Johannesoffenbarung als Vertrauen auf die Gerechtigkeit Gottes: Kein Unrecht ist zu klein, um nicht im Buch des Lebens vermerkt und damit erinnert und korrigiert zu werden. („Wörterbuch der Feministischen Theologie“)
  • Für manche „gewinnt das Grauen mit der Apokalypse eine Sprache“. („Kompendium Feministische Bibelauslegung“)
  • Manche lesen sie psychologisch. (Drewermann…)

Das „nicht NUR so“ der Apokalypse trägt dazu bei, dass sie immer wieder auf die eigene Situation beziehbar ist. Apokalypsen gab es und gibt es immer und überall, in jeder Kultur und in jedem Jahrhundert. Und JEDES Mal sieht es so aus, als ob es DIESES MAL wirklich das Ende der Welt ist.
Und ja: Beispiele für Welten, die zu Ende gehen, gab und gibt es ja auch genug.

In all dem verstehe ich Apokalypsen nicht als Weltflucht. Vielmehr stellen sie Fragen nach der Macht. Wer/was hat die Macht? Und ihr Fazit lautet: Die jetzigen Mächte haben jedenfalls scheinbar das letzte Wort.
Anders gesagt: Die Apokalypse benennt, wen und was sie als Mächte und Mächtige erkennt, und schärft damit den Blick für aktuelle Entwicklungen. Nicht, um sich ihnen zu ergeben, sondern um sie zu bemessen an dem, was uns GOTT verspricht.

Ich persönlich vergleiche das gerne mit den Psalmen:
– Alles fühlt sich so an, als wärst du am Ende? Dann lies Psalmen.
– Alles fühlt sich so an, als wäre die Welt am Ende? Dann lies die Apokalypse.

Beide geben Raum für die Unmengen an Gefühlen, die damit verbunden sind. Diese Bibeltexte nehmen wahr und nehmen ernst, was sich da alles in uns abspielen kann. Zukunftsängste, Sorgen, Verzagen, Klagen, Anklagen, Albträume. Zukunftswünsche, Hoffnungen, Träume. Das ALLES hat in der Bibel Raum (in der MCC hoffentlich auch) – und manches davon, um korrigiert zu werden (in der MCC hoffentlich auch).

Apokalypsen benennen irdische Entwicklungen nicht als Endstationen, sondern als Zwischenstationen – genau wie Christi Himmelfahrt. Der Blick aus der Perspektive der Himmelfahrt ist hilfreich. Der Platz „zur Rechten Gottes“ ist ja kein Platz zum Rückzug von der Welt, in aller Abgeschiedenheit und Ruhe. Im Gegenteil: Genau wie in der Johannesoffenbarung dargestellt wird ALLES (jedes Fitzelchen, das auf Erden geschieht!) erfasst vom Blick von Gottes Thron, wird wahrgenommen, wird gesehen. Mit der Himmelfahrt hat sich Jesus nicht von der Welt abgewandt, sondern ist weiterhin der Welt zugewandt.

Der Blick auf diesen Jesus wirft unseren Blick somit zurück auf unser Leben – aber nun eingefasst von einer Perspektive, die nicht nur das sieht, was vor Augen ist. Was wir (an anderen, an uns, oder andere an uns) gerade für die volle Wahrheit halten, offenbart (!) sich womöglich als Ausschnitt.

Gott möge euch entsprechend dem Reichtum seiner Ehre geben, dass ihr mit Kraft durch Gottes Geist im Innern gestärkt werdet, dass Christus durch den Glauben in euren Herzen wohne, in Liebe verwurzelt und begründet, so dass ihr imstande seid, mit allen Heiligen zu begreifen, was die Länge und Breite und Höhe und Tiefe ist, und die Liebe Christi zu erkennen, die die Erkenntnis übersteigt, so dass ihr mit der ganzen Fülle Gottes erfüllt werdet. Gott, die über alles hinaus überströmend mehr zu tun vermag als das, was wir mit der in uns wirkenden Kraft bitten oder denken, sei Ehre in der Versammlung und in Christus Jesus bis in alle Geschlechter der ewigreichenden Ewigkeit. Amen.

Epheserbrief 3,14-21 (Bibel in gerechter Sprache)

Wenn wir als mal über das hinausdenken, wie es gerade aussieht in unserem Leben auf Erden:

Wenn „durch den Glauben Christus in unseren Herzen wohnt“, wenn „wir in der Liebe verwurzelt und auf sie gegründet“ sind, wenn wir „die Liebe Christi erkennen, die alle Erkenntnis übersteigt“, wenn wir „erfüllt werden in die ganze Fülle Gottes hinein“:
Was sehen wir mit so einem Blick in uns selbst, in unseren Mitmenschen, für unser Zusammenleben, für unsere nächste Schritte (MIT unseren VIELEN verschiedenen Anteilen)?

Wenn der, „der gemäß der Macht, die in uns wirkt, unendlich viel mehr tun kann, als wir erbitten oder erdenken“, wenn der / das / die, die dir (früher oder jetzt) Angst einjagen, NICHT das letzte Wort haben – dann …?

 

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