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Muss das alles sein? Was sollen wir stehen lassen? Wo sollen wir einschreiten?

Predigt MCC Köln, 3. August 2014
Ines-Paul Baumann

Mt 13,24-30.36-43 Das Gleichnis vom Unkraut unter dem Weizen

Unerwünschtes Verhalten…
Abweichende Meinungen…
Unterschiedliche Reaktionsmuster auf Stress- und Konfliktsituationen… (die einander oft genug auch noch triggern…)

Von ihrer Gemeinde erwarten Menschen andere und bessere Erfahrungen als verletzendes Verhalten, ausgrenzende Sprache und vergiftende Impulse. Als Pastor stehe ich oft vor der Frage, welche Verantwortung ich da mit trage. Was soll ich stehenlassen? Wo soll, wo muss ich einschreiten?

In der MCC gestalten Menschen ihr Glaubensleben unterschiedlich. Es gibt unterschiedliche Frömmigkeitskulturen, Musikstile und Gebetsformen. Viele stellen sich auch angesichts solcher Erfahrungen die Frage: Was soll ich stehenlassen? Wo soll, wo muss ich einschreiten?

Das gilt auch für unsere Gottesdienste: Sollen hier alle predigen dürfen? Soll ich als Pastor mir die Predigten vorher zeigen lassen? Sollen hier Sachen verkündigt werden, die ich so nicht von mir geben würde? Sollen wir Liedtexte singen, mit denen ich mich unwohl fühle? Soll ich das alles stehenlassen? Wo muss ich einschreiten?

Wo soll ich hinweisen auf Sprachformen, die ausgrenzen und unterdrücken?
Wo soll ich warnen vor Menschenbildern, die unbewusst dazu einladen, sich oder anderen Gewalt anzutun?
Wo soll ich Gottesbilder verbannen, die aus meiner Sicht geprägt sind von Gewalt und/oder zeitgeschichtlich der Vergangenheit angehören?

Wo setze ich noch bereichernde Impulse?
Wo setze ich hilfreiche Grenzen?
Wo fange ich an zu zensieren und zu gängeln?

Und was sagt das eigentlich über mein Vertrauen zu euch und zu Gott?
Ist es meine Aufgabe, Gottes Wirken hier „durchzusetzen“?
Ist es unsere Aufgabe, Gottes Wirken auf Erden „durchzusetzen“?

Jesus erzählt ein Gleichnis über das Himmelreich, in dem es genau um solche Fragen geht:

Mit dem Himmelreich ist es wie mit einem Mann, der guten Samen auf seinen Acker säte.
Während nun die Leute schliefen, kam sein Feind, säte Unkraut unter den Weizen und ging wieder weg.
Als die Saat aufging und sich die Ähren bildeten, kam auch das Unkraut zum Vorschein.
Da gingen die Knechte zu dem Gutsherrn und sagten: Herr, hast du nicht guten Samen auf deinen Acker gesät? Woher kommt dann das Unkraut?
Er antwortete: Das hat ein Feind von mir getan. Da sagten die Knechte zu ihm: Sollen wir gehen und es ausreißen?
Er entgegnete: Nein, sonst reißt ihr zusammen mit dem Unkraut auch den Weizen aus.
Lasst beides wachsen bis zur Ernte. Wenn dann die Zeit der Ernte da ist, werde ich den Arbeitern sagen: Sammelt zuerst das Unkraut und bindet es in Bündel, um es zu verbrennen; den Weizen aber bringt in meine Scheune.

Mt 13,24-30

1. Es ist nicht alles gleich.

Jesus macht Weizen und Unkraut nicht gleich. Es GIBT Weizen und es GIBT Unkraut. Die Arbeiter in dem Gleichnis können das unterscheiden und benennen.

Es ist kein „geistliches Gebot“, dass wir nicht unterscheiden und bewerten dürften, was wir in unseren Zusammenhängen erleben.

2. Es ist nicht alles gut.

Um eins direkt klarzustellen: Jesus meint sicher nicht, dass wir alles hinnehmen müssen, wie es ist. Auch Jesus hat nicht alles stehenlassen. Zum Beispiel hat er Kranke geheilt und Dämonen ausgetrieben.

Mit diesem Gleichnis räumt Jesus ebenfalls mit einer Krankheit bzw. einem Dämon auf: nämlich damit, alles gut oder alles schlecht sehen zu müssen.

Wenn ich in meiner Gemeinde alles nur gut finden darf, stimmt was nicht.
Wenn ich in meiner Gemeinde nur noch alles schlecht sehe, stimmt was nicht.

Wenn ich in meiner Beziehung alles nur gut finden darf, stimmt was nicht.
Wenn ich in meiner Beziehung nur noch alles schlecht sehe, stimmt was nicht.

Wenn ich in Bezug auf meine Eltern nur alles gut finden darf, stimmt was nicht.
Wenn ich in Bezug auf meine Eltern nur alles schlecht sehe, stimmt was nicht.

Wenn ich im Blick auf mich selbst nur alles gut finden kann, stimmt was nicht.
Wenn ich im Blick auf mich selbst nur alles schlecht sehe, stimmt was nicht.

Wenn mein Gott nicht schlecht sein darf, stimmt was nicht.
Wenn mein Gott nicht gut sein darf, stimmt was nicht.

Es ist nicht „alles gut“ oder „alles schlecht“.
Beides darf sein.

Ich muss nicht alles „gut“ reden.
Es muss nicht „alles gut“ sein.

Auch inmitten des Unkrauts bringt der Weizen seine Frucht.
Auch inmitten des Unkrauts wächst der Weizen und wird weder überwuchert noch erstickt.
Das Böse muss mir keine Angst machen.

3. Wir können das Gute nicht vom Bösen trennen.

Was die Arbeiter in dem Gleichnis unterscheiden und benennen können, können sie trotzdem nicht voneinander trennen (Mt 13,29). Wenn die Arbeiter das Böse ausreißen, reißen sie auch das Gute mit aus.

Oft wird in diesem Zusammenhang darauf hingewiesen, dass sich die Pflanzen in dem Gleichnis zum Verwechseln ähnlich sehen. Angeblich soll es sich dabei um Weizen und den „Taumel-Lolch“ handeln. *) Die Arbeiter sollen deswegen nichts herausreißen, weil sie wegen der Ähnlichkeit der beiden Pflanzen nie sicher sein können, was sie da erwischen. In dem Gleichnis erzählt Jesus aber durchaus von den Arbeitern, dass sie das Unkraut inmitten des Weizens erkennen können. Dass sie das Böse nicht herausreißen sollen, liegt nicht an mangelnder Unterscheidungsgabe.

Der Grund dafür, dass die Arbeiter das Böse nicht vom Guten trennen können, liegt viel tiefer (im wahrsten Sinne des Bild-Wortes). Der Weizen und das Unkraut kommen aus demselben Acker. Sie haben nicht dieselbe Wurzel, aber sie gedeihen auf demselben Boden. Und warum auch immer: Wenn die Arbeiter das Unkraut dadurch aufhalten wollen, indem sie einzelne Exemplare davon isolieren und vernichten, stoppen sie auch das Wachstum des Weizens.

Wir können also sehr wohl Böses erkennen und benennen, aber wir dürfen nicht einzelne Menschen (oder Menschengruppen) als „die Bösen“ isolieren und „zum Vernichten freigeben“.

Freilich gibt es durchaus Mächte und Prinzipien, die sich dem Himmelreich in den Weg stellen wollen. Aber gefährlich wird es, wenn wir diese Mächte anhand konkreter Menschen bekämpfen wollen. Die ganze Geschichte hindurch wurde die Welt mit Gewalt und Unterdrückung überzogen, weil die einen meinten, dass sie eine bessere Welt schaffen, wenn sie die „anderen“ als Träger des Bösen identifizieren und vernichten. („Die einen“ waren meistens diejenigen mit mehr Macht oder Wohlstand oder Waffen oder Gewissheit oder Religion – aber auch das nicht immer.)

Auch wer sich in der Unterscheidung des Bösen vom Guten sicher fühlt, kann aus diesem Gleichnis nicht das Recht für sich ableiten, seine Vernichtung anhand einzelner Exemplare in die Hand zu nehmen!

(An dieser Stelle bin ich bin froh, dass ich nicht Claus Schenk Graf von Stauffenberg heiße und Offizier unter Hitler war.)

(Das Beispiel der Verfolgung von Homosexuellen und Transgendern passt hier übrigens gar nicht, denn sie sind damit nicht im Entferntesten Träger von etwas „bösem“.)

Das Ganze bedeutet trotzdem nicht, dass ich alles ertragen und mitmachen muss. Jesus hat sich nicht mal seinen Mördern mit Gewalt entgegengestellt, aber auch Jesus hat nicht alles mitgemacht.

Vielleicht muss ich mich manchmal von Menschen trennen.
Vielleicht muss ich mich manchmal von Gemeinden trennen.
Vielleicht muss ich mich manchmal von Ansichten trennen.
Vielleicht muss ich mich manchmal von Bildern trennen, die ich mir von Gott gemacht habe oder von mir und der Welt.
Aber ich muss nicht diejenigen in der Gemeinde bekämpfen, die das für sich anders entscheiden.
Alle diese meine Entscheidungen darf ich nicht überhöhen. Das hat mit mir zu tun, nicht mit einem göttlichem Gericht. Das sind Abschnitte auf meinen(!) Wegen, nicht Endgerichte auf dem Weg Gottes mit meinen Mitmenschen.

Wer also darf „Unkraut“ definieren und vernichten?

Jesus ist drei Jahre mit den Jüngern unterwegs. Wer drei Jahre Gemeindeerfahrung hat, kann sich ansatzweise ausmalen, was das heißt. Und tatsächlich erzählt das Neue Testament von den Anhängern Jesu (die Anhängerinnen bleiben wahrlich viel zu unerwähnt) so einiges, was auch wir heute erleben mit Menschen, die sich als Anhänger/innen Jesu verstehen:

  • Konkurrenzgerangel.
  • Verrat.
  • Misstrauen.
  • Gewalt, Gruppendruck und Manipulation.
  • Überzogene Erwartungen.
  • Zwietracht (bis dahin, dass sich einige voneinander trennen müssen, um an derselben Sache weiter arbeiten zu können).
  • Unverständnis und Entsetzen angesichts der Radikalität, mit der Jesus sich den Erwartungen des Status Quo verweigerte.
  • Diejenigen, die diese Radikalität direkt abschwächen, um sie gesellschaftstauglicher zu machen.
  • Diejenigen, bei denen unklar wird, ob sie spirituelle und soziale Belange nicht zu sehr vermischen (oder zu sehr trennen).
  • Diejenigen, die nur die halbe Geschichte erzählen.
  • Die Lieblinge.
  • Die Wortführer.
  • Die Übergangenen und Übersehenen.

Alles davon lässt das Neue Testament stehen; im wahrsten Sinne des Wortes. Inmitten dieser ganzen Ansammlung von Problemen verkündet Jesus das Himmelreich als nahe herbeigekommen. Und dazu muss keiner der problematischen Menschen die Gemeinschaft Jesu verlassen. Ja, manche der Problematischsten sind von Gott offenbar durchaus gesegnete und bevollmächtigte Mitarbeitende auf Gottes Acker.

Wir sollten uns als Gemeinde davor hüten, in einzelnen Menschen oder einzelnen Ansichten oder einzelnen Frömmigkeitskulturen oder einzelnen Theologien „das Böse“ zu isolieren und diese herauszureißen.

  • Die einen brauchen heute vielleicht einen allmächtigen Vater, bei dem sie Schutz und Sicherheit finden. Soll ich es ihnen verbieten? Bei anderen weckt genau das vielleicht eher Bilder von einem egozentrischen Übervater, dessen Ego mit Lob und Dank gefüttert werden muss. Sie beziehen sich auf Gott vielleicht lieber als „Quelle allen Lebens“. Soll ich ihnen das verbieten?
  • Manche empfangen beim Abendmahl vielleicht das „Blut Christi“, andere den „Kelch des Heils“: Sollen wir eins davon verbieten?
  • Manche finden unsere Andachtsecke mit den verschiedensten Gegenständen und Symbolen als Brücken zur Gegenwart Gottes ganz toll, andere finden sie ganz schlimm. Sollen wir eins davon verbieten?
  • Manche predigen auch hier manchmal von Opfertheologie, andere eher aus progressiven Theologien heraus: Haben wir wirklich was gewonnen, wenn das eine oder andere den Gesinnungstest nicht besteht?

Ja, auch in unserem Gemeindeleben sprießt manches Unkraut unter dem Weizen. Und ja, so manchmal bekommen wir Vergiftungserscheinungen, wenn wir das mit aufnehmen.

Aber können wir deswegen genau festlegen, wer oder was „das Böse“ ist und anschließend zum Herausreißen schreiten? Jesus beantwortet die Frage ganz eindeutig: Nein! Wir müssen so manches stehenlassen, weil wir sonst das Gute mit herausreißen.

(Übrigens ist es auch rein praktisch gar nicht so einfach, Giftquellen zu isolieren. Was der einen Kopfschmerzen bereitet, hinterlässt bei der anderen ein beschwingtes Gefühl. Nicht jedes Hochgefühl religiöser Erfahrung muss giftfreien Ursprungs sein…)

Muss ich also in der Gemeinde auch mit Ansichten und Verhaltensweisen klarkommen, die ich als lästiges Unkraut empfinde und die mir Kopfschmerzen bereiten? Sind wir als MCC Köln damit nicht zu beliebig? Können wir das wirklich alles stehenlassen?

Ja. Wir haben Jesu Zusage: Genau auf diesem Acker finden wir das Himmelreich Gottes. Mitten unter uns.
*) An sich ist der Taumel-Lolch übrigens gar nicht giftig. Das „Taumeln“ ist die Folge der Vergiftung durch einen Pilz, von dem der Taumel-Lolch früher oft befallen war. Heutzutage sorgen Herbizide dafür, dass das nicht mehr passiert.

 

 

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