Predigt MCC Köln, 26. April 2020
Ines-Paul Baumann
Römerbrief 16,1-8
Was sollte ich in meinem Leben nicht schon alles richtig machen. Es gab eine richtige Art, heterosexuell leben zu sollen. Dann begegnete ich einer Art, richtig lesbisch zu sein. Es gab eine Art, richtig Trans zu sein. Es gibt eine Art, einen richtigen Körper zu haben. Wie ich gelernt habe, gibt es eine richtige Art, depressiv zu sein (Pech, wenn du einen feinen Humor hast und dein Therapeut dir nicht mehr glaubt, dass du „wirklich“ depressiv bist). Es gibt auch richtigen Punkrock. Und natürlich gibt es eine Art, richtig zu beten, und eine Art, richtig Lobpreis zu machen.
Ich habe keine Lust mehr, Sachen „richtig“ zu machen oder „richtig“ zu sein.
Und doch ist mir das „Richtig machen“ immer wieder wichtig. Insbesondere als Pastor* freue ich mich, wenn wir als Gemeinde Sachen „richtig machen“. Wie verhalten wir uns also richtig in Zeiten von Corona? Wie machen wir das mit dem Livestream für unsere Gottesdienste richtig, und überhaupt mit den Erweiterungen unseres Gemeindelebens um digitale Möglichkeiten?
Ich habe mich also mal umgesehen, wie andere Gemeinden das so machen. Ein junger evangelischer Pfarrer, der im Internet sehr aktiv ist, hat einiges zum Thema „digitalisierte Gemeinde“ gebloggt. Als „einen der wichtigsten Grundsätze“ sieht er an, sich einen Profi dazuzuholen. „Also, in Kurzform: eine digitalisierte Gemeinde braucht Profis und kostet an diesem Punkt Geld. Punkt.“ Schließlich sei es auch bei der Reinigung, Kirchenmusik und anderen Bereichen „selbstverständlich“, Profis einzusetzen. „Wenn jemand in unsere Kirchen kommt und alles wäre dreckig und unaufgeräumt – klasse Eindruck, oder?“ (https://www.juhopma.de/4-grundsaetze-einer-digitalisierten-gemeinde/)
DAS ist nun wieder die Form von „richtig machen“, die mich total nervt. Zur Info: In der MCC Köln putzen und musizieren und predigen wir unabhängig davon, ob wir dafür ausgebildete Profis sind oder nicht. Wir tun das unbezahlt. Die Grundlage unseres Gemeindelebens ist: MCC ist das, was wir zusammen draus machen – nicht das, wofür wir jemanden bezahlen. Manchmal sieht und hört man das auch. Genau so sieht und hört man aber auch durchaus, wo Profis eingesetzt werden (oft auf eine Art und Weise, die mich überhaupt nicht anspricht). Was dir an Kirche wichtig ist und wie sich das zeigen soll, ist deine eigene Entscheidung. Aber zu behaupten, ein Raum, der nicht von Profis gereinigt wird, sei automatisch „dreckig und unaufgeräumt“, erscheint mir dreist oder lebensfremd (und respektlos). Und ich persönlich finde es ganz wundervoll, dass bei uns Raum ist für alle Menschen und alle unsere Anteile, und dass man das auch sehen und hören kann. In der MCC können wir sowohl Fehler machen und miteinander lernen als auch glänzen mit dem, was uns gelingt. Ich finde beides wichtig. Wichtiger, als dass alles grundsätzlich einen perfekten Eindruck macht (oder grundsätzlich einen UNperfekten Eindruck macht – das ist nun auch nicht besser).
Spontan musste ich beim Lesen des Blogs an ein Plakat denken, das ich neulich sah. Ich war mit der U-Bahn in Berlin unterwegs (VOR Corona, die Älteren unter uns werden sich noch erinnern), und da begegnete mir ein Plakat zu einer Predigtreihe im Berliner Dom. Mit dem Staatsorchester, mit Doktoren und Professorinnen, alles Leute von Rang und Namen. Profis. Alles perfekt! „Klasse Eindruck!“, würde der Blogger vielleicht sagen. Diese Leute machen BESTIMMT alles richtig.
Ich habe das Plakat spontan fotografiert. Ich wollte nochmal in Ruhe darüber nachdenken – genauer: Ich wollte darüber nachdenken, was genau ich darin als so gegensätzlich und unvereinbar empfand.
Ich dachte dabei an die zwölf Jünger. Haben DIE JÜNGER immer alles richtig gemacht? Hat JESUS da alles richtig gemacht mit seiner Auswahl? Waren das Profis im Predigen, Coachen, Beten, Heilen, Wandern? Hätte nicht ein erfahrener Regierungsbeamter mit gutem Draht zum Kaiser mehr „Mindestmaß an Profession“ für die Aufgaben als Begleiter Jesu mitgebracht als ein einfacher Fischer? Stattdessen sind die Evangelien voll von Geschichten, in denen die Jünger Fehler machen, Fragen stellen, sich streiten und sonst alles tun, um sich und Jesus schlecht dastehen zu lassen. Profis? Die Jünger waren Profis als Fischer – aber Jesus setzte sie nicht mehr ein, um Fische zu fangen. Er hat sie genau nicht in ihrem Beruf beschäftigt, er hat sie aus ihrem Beruf herausgeholt. Er baut durchaus auf ihre Erfahrungen – aber nicht im alten, bisherigen Sinne, sondern um damit etwas Neues aufzubauen. In einem neuen Geist.
Ich denke an all die Leute, die im Römerbrief gegrüßt werden. Waren das Profis? Waren das Leute mit Rang und Namen? An die Gemeinde in Korinth schreibt Paulus: „Seht doch auf eure Berufung, Brüder und Schwestern! Da sind nicht viele Weise im irdischen Sinn, nicht viele Mächtige, nicht viele Vornehme, sondern das Törichte in der Welt (…) und das Schwache in der Welt (…) [u]nd das Niedrige in der Welt und das Verachtete hat Gott erwählt (…)“ (1. Korinther 1,26-28) Von sich selbst schreibt Paulus, dass er „in Schwachheit und in Furcht und mit großem Zittern“ (1. Korinther 2,3) nach Korinth gekommen war. „Klasse Eindruck!“ Tolle Profis! So, wie sich Paulus rechtfertigen muss, hat der auf gar keinen Fall immer alles richtig gemacht. WARUM AUCH? Wer erwartet sowas denn?
Ich will damit nicht sagen, dass es grundsätzlich besser ist, ungebildet und schwach und töricht und verachtet zu sein (auch nicht als Masche für „Authentizität“). Paulus ist der erste, der mal nicht so tun soll, als würde er nicht gebildet sein und nicht genau wissen, was er tut und sagt. Aber ich glaube schon, dass es kein Zufall ist, dass er Menschen mit NAMEN grüßt und nicht anhand von ihren Jobs. Er grüßt MENSCHEN, und er bezieht sich auf ihre GESCHICHTEN und GEFÜHLE und BEZIEHUNGEN und ERFAHRUNGEN, nicht auf ihre Titel und Jobs. Aber vor allem: Er grüßt sie nicht als Empfänger_innen von Dienstleistungen einer von Profis betriebenen Kirchengemeinde. Sie SIND die Kirchengemeinde.
Ich denke an die Propheten im Alten Testament. Der eine drückt sich und ist beleidigt (Jona), der andere ist depressiv (Elia), der nächste ist ohne Ende pessimistisch (Jeremia), und wieder einer ist eine einzige Zumutung (Hesekiel). „Klasse Eindruck?“ Ja, und zwar genau, weil sie NICHT immer alles „richtig“ gemacht haben (was auch immer „richtig machen“ nun heißt). Für Glaubende und Zweifelnde sind sie genau so, wie sie waren, seit Jahrhunderten wichtige Wegbegleiter.
Ich denke an manche der MCC-Gemeinden in den USA, die so viel Wert auf ihre Kirchengebäude gelegt haben. Ein eigenes Gebäude war der Ritterschlag! Damit warst du eine RICHTIGE, PERFEKTE Gemeinde! „Klasse Eindruck!“ Und was erzählte eine in unserem Live-Chat am Mittwoch: Diese US-Gemeinden fragen sich gerade, was sie jetzt davon haben…
Das Gemeindezentrum der MCC Köln ist eine umgebaute Schrotthalle. Der Boden ist rissig, voller Brüche. Warum soll das nicht sichtbar und spürbar sein? Wir sind nicht „perfekt“. Gott kennt unsere Geschichten und Gefühle. All unsere inneren Brüche und Umbrüche, unsere Ungereimtheiten, unser Verzagen und Versagen, unsere Ängste und unsere Überheblichkeiten, unser „zu viel“ und unser „zu wenig“. All das zeichnet uns nicht nur, es zeichnet uns auch aus. DEINE Erfahrungen können anderen Raum geben für IHRE Erfahrungen. Im Glauben, im Leben, und in der aktuellen Zeit.
Für das, was sich in unserer Welt gerade tut, gibt es keine Profis. Dass wir uns als MCC Köln nie von Profis abhängig gemacht haben, kann uns jetzt eine Hilfe sein. Wir haben gelernt, selber Wege zu finden statt auf Experten zu starren. Wir haben gelernt, Ziele nicht dadurch zu erreichen, dass wir andere dafür bezahlen, sondern dadurch, dass wir uns selber auf den Weg machen. Wir haben Erfahrung damit, dass wir unsere Ziele oft nicht mal kennen. Wir haben gelernt, Fehler zu machen, Ungewissheiten auszuhalten, Schritt für Schritt durch unsichere Zeiten zu gehen. Wir sind nicht nur Kirche FÜR unperfekte Menschen, wir sind Kirche VON unperfekten Menschen. Wir sind nicht „der bezahlte Profi“, wir sind du und ich. Für die gegenwärtige und zukünftige Zeit kann ich mir kaum etwas wichtigeres und schöneres vorstellen als so eine Gemeinschaft, die durch Miteinander entsteht. In der wir selber machen anstatt machen zu lassen. In der Fehler erlaubt sind. In der Menschlichkeit spürbar ist.
Wie „gut genug“ willst du sein? Wie „sicher genug“ willst du dich fühlen? Wie abgesichert genug? Wie „stabil genug“? Es sind genau deine Erfahrungen, wo du dem Perfektionismus gegenüber versagt oder getrotzt hast, die Gott und deine Mitmenschen jetzt gebrauchen können.
Gebet (und Grundlage für die Predigt. Danke an G.B.)
Gott, wir sind zur Zeit in einer neuartigen, uns unbekannten Situation.
Und was machen wir Menschen dann? Wir versuchen, perfekt zu sein. Wir versuchen, alles richtig zu machen, und strengen uns dafür heftig an. Wir suchen unser Heil in Gewohnheiten.
Gott, könnten wir uns nur immer daran erinnern: Du willst nicht, dass wir perfekt sind.
Was macht Petrus, als Jesus tot ist? Er macht das, was er vor der Begegnung mit ihm auch getan hat. Er geht zum See – Fische fangen.
Dabei hat Jesus seinen Jüngern gesagt, dass er sie zu Menschenfischern machen wird.
Fühlt Petrus sich nicht perfekt genug, um zu predigen, zu heilen, Bedürftigen zu helfen? Geht er deshalb in seinen alten Job zurück?
Aber Fische hat Petrus nicht gefangen. Die Netze blieben leer. Das Alte funktioniert nicht mehr.
Gott, könnten wir uns nur immer daran erinnern: Du willst nicht, dass wir perfekt sind.
Gott, du bist Liebe und Verzeihen. Du nimmst uns die Last, perfekt sein zu müssen.
So gehe nun mit uns in die kommenden Tage und zeige uns, was das bedeuten kann.
Amen.