Predigt MCC Köln, 5. Mai 2019
Daniel Großer
Johannesevangelium 10,11-16
Jesus, der gute Hirte, der sein Leben lässt für die Schafe.
Es ist eines der starken und bekannten Bilder, wir finden es wieder auf Gemälden, auf Fresken, auf Bildern in christlicher Literatur, als Statuen, in geistlichen Liedern, und vielem mehr. Es gibt Menschen, die das sogar als Tattoo auf dem Leib tragen.
Das Johannesevangelium walzt das Bild von Hirte und Herde voll aus. Mal bezeichnet es Jesus selbst als Lamm (Joh 1,29 EU, Joh 1,36), mal ist Jesus die Tür zum Stall (Joh 10,19), mal ist Jesus der vom Besitzer bestellte Hirte (Joh 10,11). Davon jedoch noch nicht genug, denn die Poesie der Bibel liegt oft in abgewandelter Wiederholung, und so prägt das Bild von Hirten und Schafen auch Jesu Lebenslauf: Seine ersten Besucher sind die Hirten, denn er soll in einem Stall geboren worden sein; sein Tod fällt, wenn wir den Evangelien glauben wollen, in die Zeit der Schlachtung der Opferlämmer zu Pessach. Man könnte sagen: Im Neuen Testament blökt es an jeder Ecke, von den ersten Seiten bis zum Schluss, denn auch in den Endzeit-Berichten der Offenbarung spielt das Lamm eine gewichtige Rolle (Offb 5,5)
In unserem heutigen Predigttext betont sich Jesus als guter Hirte. Er sagt das in Abgrenzung zu den schlechten Hirten, die hier als “Mietlinge” bezeichnet werden. Jesus ist zu diesem Zeitpunkt bereits mit den Pharisäern aneinandergeraten – das sind die Schriftgelehrten, Sittenwächter und Eliten des damaligen Volkes. Jesu Wunder und Lehren stoßen den Pharisäern bitter auf, und sie beginnen, ihn und seine Anhänger_Innen zu drangsalieren: durch Verhöre oder gar Ausstoßungen aus der Gemeinschaft des Volkes (Joh 9, 24.34), und durch Wortgefechte mit Jesus (Joh 8). Von ihnen grenzt sich Jesus nun deutlich ab.
Das Gleichnis von Hirten und Schafen dürfte seiner Hörerschaft sehr nah gewesen sein, denn die Menschen seiner Zeit lebten in großer Nähe und Abhängigkeit von Ackerbau und Viehhaltung. Ganz anders die Pharisäer, die nur noch wenig Bezug hatten zu dieser Arbeit, geradezu weltfremd.
Und dann ist Jesus obendrein auch noch ein guter Hirte. Mir bleibt bei diesem “gut” immer ein Kloß im Hals, denn Jesus betrachtet es als gut, wenn der Hirte mit seinem Leben für die Schafe einsteht. In einer Zeit, in der noch wilde Raubtiere wie Bären oder Löwen über eine Schafherde herfallen konnten, war dieses Bild zwar nicht weit her geholt; aber heute würde man einwerfen: “Für meine Arbeit setze ich doch nicht mein Leben auf’s Spiel!” Genau das unterscheidet für Jesus die bezahlten Dienstleister, die Mietlinge, von ihm, dem guten Hirten. Jesus sagt: “Für das Wohlergehen der Herde gebe ich alles – und sei es mein Leben! Die Schafe sind es wert, von mir verteidigt und geschützt zu werden!”
Spätestens an dieser Stelle beginnt der Bibeltext, mich in Tiefe zu berühren.
Jesus ist nicht etwa gut zu mir, weil ich so ein schmutziges, krankes, kaputtes, bemitleidenswertes, erlösungsbefürftiges, hilfloses Schaf wäre! Jesus ist gut zu mir, weil er in mir ein wunderbares, kostbares und wertvolles Geschöpf sieht, dessen Leben er um jeden Preis – und sei es der höchste – erhalten und fördern will.
Das geht weit hinaus über den Arbeitsvertrag eines Hirten – Jesus ist kein billiger Dienstleister, kein Auftragnehmer Gottes. Nein, er lässt sich mit vollem Einsatz ein auf sein Werk.
Und ja – es gibt sie, die Gefahren und wilden Tiere, ebenso wie die treulosen Mietlinge. Wir tragen sie in uns.
Bist du schon einmal verletzt worden? Hat jemand dein Vertrauen ausgenutzt, dich hängen lassen? Warst du schon mal so richtig enttäuscht von jemandem? Hast du jemals erleben müssen, wie jemand über dich hinweg gelebt hat, während du geglaubt hast, es ginge diesem Menschen wirklich um dich?
Wenn du diese Frage mit “Ja” beantworten kannst, dann bist du einem wilden Tier begegnet. Seine Krallen können dich zerfetzen, so gefährlich ist es.
Und wahrscheinlich hast du auch den treulosen Mietling kennengelernt. Wenn du bitter geworden bist, dich in dich zurück ziehst, wenn jede deiner Begegnungen vom Misstrauen überschattet ist, wenn du dich im teilnahmslosen Schweigen verbarrikadiert hast, wenn du Gemeinschaft aus dem Wege gehst, dann hat der Mietling in dir Gestalt gewonnen. Er tut so, als würde er auf dich achten und dich schützen. Aber gegen das wilde Tier kann er nichts ausrichten.
Hast du schon einmal erlebt, wie alles, was du tust, nicht gut genug ist? Hat jemand deine Freundschaft preisgegeben, um sich cooleren, erfolgreicheren Menschen anzuschließen? Hast du jemals vergeblich darum gekämpft, dass dich jemand sieht?
Wenn du diese Frage mit “Ja” beantworten kannst, dann bist du einem wilden Tier begegnet, dessen kalte Augen dir nachstellen, so gefährlich ist es.
Und wahrscheinlich hast du auch den treulosen Mietling kennengelernt. Wenn du dich überall bis zur Erschöpfung eingebracht hast, wenn du im Aktionismus versunken bist und immer die Beste sein musst, wenn du niemandem eine Bitte abschlagen kannst, wenn du dich überall anpasst, dann hat der Mietling in dir Gestalt gewonnen. Er tut so, als würde er dir die Herde erschließen. Aber gegen das wilde Tier kann er nichts ausrichten.
Hast du schon einmal erlebt, wie du nicht die Liebe gefunden hast, die du suchtest? Hast du jemals erlebt, wie dich jemand abgelehnt hat für dein Aussehen oder deine Art? Hast du schonmal darunter gelitten, dich ungenügend zu fühlen?
Wenn du diese Frage mit “Ja” beantworten kannst, dann bist du einem wilden Tier begegnet, das dir auflauert, so gefährlich ist es.
Und wahrscheinlich hast du auch den treulosen Mietling kennengelernt. Wenn du jeder Gelegenheit auf Sex hinterher hechelst, wenn du dauernd mit deiner Frisur und deiner Kleidung beschäftigt bist, wenn du dich tröstest mit Essen, mit Schmuck, mit Luxus, dann hat der Mietling in dir Gestalt gewonnen. Er tut so, als würde er dir die saftige Wiese zeigen. Aber gegen das wilde Tier kann er nichts ausrichten.
Gefahren und wilde Tiere gibt es genug, um in der Bildersprache von Hirte und Herde zu bleiben.
Ich bin dagegen, hinter jedem Impuls, hinter jeder Freude, hinter jeder Leidenschaft eine Gefahr zu wittern – zum Leben gehört auch das Fest, die Leichtigkeit, die Ausgelassenheit.
Alles das gehört zum Leben ganz selbstverständlich dazu. Aber sie sind nicht das ganze Leben. Das Leben ist Jesus Christus, der sagt: “Ich bin der Weg, und die Wahrheit, und das Leben” (Joh 14, 6a).
Das ist unsere Weide! Auf ihr stehen wir, als Schwestern und Brüder und allem darüber hinaus, und wir laben uns an der entlarvenden Klarheit in Jesus, an der Tiefe und Unverzerrtheit seiner Liebe, an seiner unerschütterlichen Treue.
An Jesus können unsere Tränen strömen, unsere Wunden auf Heilung hoffen. An ihm zerschellen aber auch unsere Lebenslügen, unsere Ausreden und die Zuschreibungen, die wir und andere auf uns gelegt haben. Diese Art von Weide brauchen wir, um innerlich lebendig zu sein.
Ich wünsche MCC, dass sie jede Woche eine solche Weidegemeinschaft ist!
Ist wünsche dir, dass Jesus die Mietlinge in dir ablöst, die wilden Tiere in dir bezwingt, deine Seele schützt und dich bewahrt.