Predigt MCC Köln, 10. November 2019
Ines-Paul Baumann
Johannesevangelium 20,11-18
Missverständnisse. Aneinander vorbeireden. Leute gänzlich falsch einordnen. Menschen, die einem Gott nicht nahebringen, sondern eher wegnehmen. Man könnte gerade meinen, hier geht es um Erfahrungen in einer Kirche oder Gemeinde!
Wenn die Bibel solche Erfahrungen nicht schönredet, müssen wir es auch nicht tun. Was Maria hier erlebt, ist durchaus Teil von Glaubenserfahrungen bis heute.
Die Situation, in der Maria sich gerade befindet, ist eh schon nicht leicht. Jesus wurde verurteilt und hingerichtet. Die letzten drei Jahre hatte Jesus geheilt, Hoffnungen geweckt, tolle Worte gefunden, Leben verändert – es sah so aus, als könne er tatsächlich die Welt verändern.
Plötzlich ist nichts mehr davon übrig. Viele Menschen, die mit Glauben aufgewachsen sind, kennen so was. An irgendeinem Punkt fällt der Glaube wie ein Kartenhaus in sich zusammen. Ein Umzug, eine Ausbildung, ein neuer Freundeskreis, oder neue Erkenntnisse über sich selbst – und plötzlich passt alles nicht mehr. Wo sie vorher noch zu einem lebendigen Gott beteten, schauen sie plötzlich in ein leeres Grab.
Ich mag die Formulierung in dieser Übersetzung: Maria „beugte (…) sich in die Grabkammer hinein.“ Mich erinnert das daran, wie sich Menschen manchmal in die MCC hineinbeugen (oder in eine andere Gemeinde, die sie zum ersten Mal besuchen). Vorsichtig wagen sie sich vor. Zuerst mit dem Kopf – erst mal Informationen und Eindrücke sammeln. Wie sieht es hier aus? Was finde ich hier vor? Erst mal in Ruhe umgucken!
Ich hoffe, dass der erste Blick in die MCC nicht einem Blick in ein leeres Grab gleicht. Aber tatsächlich ist es so, dass der GLAUBE, mit dem Menschen sich zu uns trauen, sich oft schon wie ein leeres Grab anfühlt. Alles Flauschige und Puschelige ist daraus verschwunden, es ist dunkel und kalt, vielleicht ein bisschen modrig. Und die Leere schreit gerade deswegen so laut, weil sie an das Leben erinnert, das fehlt.
E gibt keine Sicherheit dafür, vor so einer Erfahrung bewahrt zu bleiben. Maria ist das beste Beispiel dafür. Wie nah war sie dran an Jesus! Wie viel Zeit hatte sie mit Jesus verbracht! Wie viel hat sie von Jesus gehört und mitgenommen!
Wir können noch so viel Gottesdienste besucht haben, noch so inbrünstig mit und für Jesus gelebt haben, noch so viel über Jüngerschaft gelernt und gelebt haben – und doch irgendwann vor einem Glauben zu stehen, der einem leeren Grab gleicht.
Wobei, so ganz leer ist das Grab ja nicht. Zwei Engel sitzen darin. Sie markieren immer noch den Raum, den Jesus eingenommen hat – ein Engel am Fuße, der andere am Kopfe. Sie sind immer noch Wegweiser, Hinweisgeber: Sie stellen Maria eine Frage, die ihr hilft, ihre Situation zu verstehen und auszusprechen. Wegbegleiter im besten Engels-Sinne also. Aber Maria erkennt sie offenbar gar nicht als Engel. Sie sieht sie zwar. Aber sie ruft nicht erleichtert: „Oh, zwei Engel, Gott-sei-Dank, Halleluja, euch hat Gott geschickt!“ Es klingt fast eher matt und müde, wie sie fast sachlich-nüchtern von ihrer Situation berichtet.
Und dann steht auch noch Jesus hinter ihr. Und wieder: Sie sieht ihn zwar dastehen, erkennt aber überhaupt nicht, mit wem sie es zu tun hat. Im Gegenteil, sie betrachtet ihn als jemanden, der ihr ihren Jesus WEGGETRAGEN hat.
Das ist schon krass. Da bist du von Jesus und Engeln umgeben und merkst es nicht. Ich denke tatsächlich, das könnte eine typische Gemeindeerfahrung sein. Du bekommst halt Fragen gestellt, erzählst halt ein bisschen von dir, die Gestalten um dich herum sind dir fremd und sagen dir nichts. Ja – auch DAS ist Glaubens- und Gemeindeleben!
Ich finde es gut, dass in der MCC Raum dafür ist, so etwas zuzulassen.
Dass wir hier willkommen sind – egal, wie voll oder leer sich unser Glaube gerade anfühlt.
Dass wir hier von uns erzählen können – egal, ob und was wir im Glauben gerade suchen.
Dass wir uns miteinander unterhalten – auch wenn wir nicht erfassen, mit wem wir gerade reden.
Das gehört zu den Wegen und Geschichten dazu, auf denen dann auch das andere passiert, was Maria in ihren Verlusten und ihrem Suchen erlebt:
Maria wird bei ihrem Namen angesprochen. Sie ist nicht nur irgendjemand. Auch wenn SIE überhaupt nicht weiß, mit wem sie redet – auch wenn sie gar nicht weiß, dass sie gerade mit Jesus redet: JESUS weiß sehr genau, dass es Maria ist, mit der er gerade redet. Jesus kennt sie. Ihre Geschichte mit ihm. All ihre gemeinsamen Stunden. Die vielen Gespräche. Marias Stärken und Schwächen. Marias Schmerz. Aber auch ihre Treue, geradezu Beharrlichkeit – gerade jetzt an Jesus festzuhalten, ihn nicht aufzugeben, auch wenn alles so anders gekommen ist als erwartet und erhofft.
Denn das gehört ja auch dazu: Auch wenn es so AUSSIEHT, als wäre alles umsonst gewesen, als hätte man ihr Jesus weggenommen, als wäre die gemeinsame Zeit mit Jesus vorbei – in Wirklichkeit IST Jesus ja da. In Wirklichkeit STEHT Jesus hinter Maria, bei Maria, zu Maria.
In Wirklichkeit fängt gerade jetzt ein neues Kapitel in Marias Glaubensleben an.
All das steckt in dem einen Wort, mit dem Jesus sie anspricht: in ihrem Namen.
Und umgekehrt: Maria (und die anderen Jünger und Jüngerinnen) haben zu Jesus schon früher oft „Rabbuni“ (= „Meister“) gesagt – aber ab diesem Moment am Grab hat dieses „Rabbuni“, diese Beziehung von Maria zu Jesus, eine neue Bedeutung. Eine neue Dimension.
Heute feiern wir zwei Taufen. Taufe verweist genau auf diese neue Dimension:
- Taufe bedeutet: Was wir mitbringen, enthält viel mehr als wir ahnen. Wer weiß schon, wie oft wir es mit Engeln und Jesus zu tun hatten, ohne es auch nur zu ahnen. Manchmal spüren wir Gottes Gegenwart – aber oft eben auch nicht. Das heißt nicht, dass Gott nicht bei uns war. Gott kennt alles, was wir mitbringen.
- Taufe bedeutet: Gott spricht dich mit deinem Namen an. Gott kennt dich nicht nur, Gott BEkennt sich zu dir. Gott ist nicht nur irgendwie unsichtbar und unbemerkt an deiner Seite. Gott macht sich bemerkbar. Gott steht nicht nur hinter dir, Gott ruft dich als Gegenüber.
- Taufe bedeutet: Wir lassen uns mit hineinnehmen in diese Begegnung Gottes. Gottes Zusage zu uns wird nicht gegen unseren Willen zu einem Miteinander. Ob und welche Bedeutung der liebende Blick Gottes für uns haben soll, vollzieht sich MIT uns, nicht ohne uns oder gegen uns.
Die Maria, die vom Besuch am Grab und aus der Begegnung mit Jesus weggeht, ist eine andere, als sie vorher war. Ihre Vergangenheit, ihre Geschichte mit Jesus, ist versöhnt. Die gegenwärtige Situation hat ein ganz neue Perspektive gewonnen. Und sie geht in die Zukunft mit einer Aufgabe.
Auch das kann in Gemeinden passieren. Deine Geschichte, deine Lebens-Geschichte, deine Wahrnehmung von Zeiten mit und ohne Gott, tritt ein in eine neue Perspektive. Bekommt eine neue Dimension.