Predigt MCC Köln, 19. Juli 2020
Arne Siebert
Galaterbrief 5,22-23.26-6,5 & Matthäus 7,1-5
„Hör mal, du weißt schon, dass das nicht gut ist. Wie fändest du das, wenn Jesus dir dabei zuschauen würde? Da gibt es nichts zu diskutieren, ich hab‘ mir das ja nicht ausgesucht. Das steht so in der Schrift.“
Wieso glauben gut meinende Leute immer wieder, es besser zu wissen? Wie war das mit dem Balken vorm Auge, dem Brett vorm Kopf und dem Splitter im Auge? Wie sieht‘s denn bei denen selbst aus? Und worum geht‘s wirklich? Ist das ein guter Ratschlag aus Sorge? Oder will sich da jemand profilieren als Gutchrist, ja vielleicht als Türsteher des Paradieses?
Die MCC ist u.a. aus dem Bedürfnis entstanden, dass das auch anders gehen kann. Man glaubt zum Beispiel an Formen von Familie und Sexualität, doch die Formen waren während der Entstehung der Heiligen Schrift Tabu oder unbekannt. Vielleicht hat man eine beim besten Glauben unheilbare körperliche oder seelische Einschränkung und ist der Auffassung, dass die Wunderheilungen nicht bedeuten: „Wer krank ist und krank bleibt, ist dann also kein guter Christ.“ Doch wer so unbeirrt als Christ weiterleben möchte, wird manchmal als falsch abgestempelt, wenn er behauptet, dass Gott das so gewollt hat.
Glücklicherweise sind wir da längst auf einem gemeinsamen Weg mit vielen anderen christlichen, jüdischen, muslimischen und weiteren Glaubensgemeinschaften. Denn wir verändern uns, wir glauben immer noch an Gott, und wir haben Vertrauen, dass wir uns mit Gott verändern dürfen, obwohl es sogar die eignen Glaubensgeschwister wütend und leider auch gewalttätig gegen uns macht.
„Jeder Jäck ist anders und damit musste leben?“ Paulus zeigt im Galaterbrief, dass es keine Lösung sein kann, wenn wir einander nicht mehr kritisieren, uns nicht mehr hinterfragen. Auch Jesus meinte das nicht. Aber wichtig ist, warum ich Kritik äußere. Und da reicht natürlich nicht die Antwort, dass das irgendwo in der Schrift steht. Das haben die Gelehrten bei Jesus auch versucht und durften lernen: Die Schrift ist nicht das Ende, sondern ein Anfang der göttlichen Fahnenstange, wenn es um Lebenspraxis geht. Auch Paulus ermutigt zur gegenseitigen Kritik als Unterstützung, obwohl er seine Ratschläge so überzeugt schreibt, als wären sie alles.
Wer in der MCC Köln Mitglied wird, beschäftigt sich ebenfalls mit dieser Frage. Das eine ist, dass zum Beispiel ich akzeptiert werde, wie ich bin. Das ist für viele der Grund hierhin zu kommen, wenn man woanders vielleicht nicht einmal mehr erwünscht ist. Andere Besucher und Mitglieder in der Gemeinde machen aber vielleicht Sachen, die ich nicht gut finde und vielleicht nie verstehen werde. Oder sogar Sachen, die absolut nicht zu meinem Glauben passen. Und sie finden vielleicht umgekehrt bei allem Verständnis für mich, dass ich es mit meinem Verhalten den anderen Gemeindemitgliedern sehr schwer mache, und dass ich nicht wirklich wie ein Vorbild für christlichen Umgang aussehe. Ja, vielleicht trauen sie mir zu, ich könnte Sachen verändern, aber ich kann und vor allem will das gar nicht: Gott liebt mich doch auch so! Was ich glaube, ist Privatsache zwischen Gott und mir. Als Gemeinde in Jesu Nachfolge an einem Strang zu ziehen, ist nicht privat. Wie sollen wir sonst den Gottesdienst, unsere bezahlte Arbeit, Familie, Nachbarschaftsleben, unseren Freundeskreis und die vielen Begegnungen unterwegs pflegen, wenn es eh jeder selbst wissen soll? Wie ist denn Entwicklung möglich, wie verhindern wir vor allem Gewalt, wenn wir akzeptieren müssen, dass jeder das anders sieht?
Gott hat uns doch nicht aufgetragen, dass wir alle Richterinnen werden, oder? Ich darf trotzdem sehr wohl Kritik äußern, ja, sogar jemanden korrigieren. Aber der Grund ist für Gott nicht: „Ich weiß es aber besser.“ Der Grund für Kritik ist: „Was gehört zur Gemeinschaft und zur göttlichen Ordnung? Und was kann dabei helfen, dass wir diese Planung besser und respektvoller miteinander umsetzen?“ Kritik ist dann fragen statt mitteilen, ein Gespräch: Was denke ich, was denkst du? Man überlegt zusammen, was man ändern kann, obwohl man dachte, alles wäre gut.
Ein profanes Beispiel: Ich rede und rede manchmal ohne Punkt und Komma, aber mein Gegenüber hört nur ungeduldig zu, weil es hofft: „Es ist irgendwann endlich vorbei.“ Aber wenn das immer wieder passiert, dann wird es zu viel. Nicht nur, weil du als Zuhörer keine Lust hast. Sondern weil es wirklich zu viel wird. Du kannst dich nicht mehr konzentrieren – was hab‘ ich vorhin überhaupt gesagt? Oder du bist mit den Themen überfordert und hast ganz viele Sachen, die du mir noch erzählen möchtest. Und ja, vielleicht möchtest du nicht einmal, dass ich überhaupt etwas dazu sage. Musst du das alles über dich ergehen lassen, weil wir halt verschieden sind? Nein.
Mir fällt umgekehrt Kritisieren mit Respekt sehr schwer. Ich habe einfach zu viele Dinge beobachtet und Ideen. Alle sehen sinnvoll, effizient und förderlich aus, und es ist vor allem alles dringend und wichtig. Aber oft bringe ich es so an, als wenn der andere nie gut genug sein wird, weil es ja immer noch etwas besser sein kann. Und ja, ich möchte es manchmal einfach besser wissen.
Moment, dazu sagt Paulus doch auch etwas. Man sollte sich dabei nicht wichtig nehmen, und sich nicht überlegen, wie man vor anderen Leuten dasteht, sondern bei sich selbst schauen: Brett vorm Kopf trifft Splitter im Auge – und ich selbst bin immer noch kein Kind von Traurigkeit.
Also nicht nur die MCC Köln oder die Weltkirche sagen das, sondern Gott selbst macht uns immer wieder Mut: Übt Kritik, im Kleinen und im Großen. Aber konstruktiv und fair. Bescheiden, aber nicht minderwertig sein, du selbst hast deine eignen Baustellen, und du hast deine Grenzen – ich meine nicht Bequemlichkeiten. Kritik und Korrektur im Guten sind außerdem wichtig, damit wir überhaupt wissen, was andere stört, was ihnen guttut, was sie brauchen und was wir ändern können.
Für uns Kritisierte die Einladung und Chance, mitzuarbeiten: Ich bin so, aber wie mache ich es anderen leichter? Denn Kritik heißt: Andere wollen dich dabei haben, aber wie klappt das besser? Und du möchtest dabei bleiben, also packst du‘s doch mit an, oder? Und wenn‘s doch nicht geht, bist du hoffentlich sicher, du hast wirklich alles, was irgendwie geht, versucht. Und du versuchst es bestimmt noch einmal: Auferstehung in Gemeinschaft.
Bei allem ist das Bild vom Balken vor dem eigenen Auge und dem Splitter im Auge des anderen sicher auch humorvoll gemeint. Ich kann einem Filmstudenten Kamera-Einstellungen empfehlen, solang ich weiß, dass ich nicht einmal ein riesiges Brett vor seinem Gesicht wahrnehmen würde – und Vögel zu fotografieren ist vielleicht auch nicht so ganz erfolgreich.
Da kommt ins Spiel, dass Jesus sagte: Dein Glaube hat dir geholfen. Dein Vertrauen entscheidet, wie du die Kritik siehst, die du empfängst oder gibst.
Wenn ihr möchtet: Ich habe zum Weiterdenken allein oder gleich im Gemeindezentrum und im Videochat noch drei Fragen. Natürlich bekommt ihr die nachher nochmal und ihr könnt die ganze Predigt wie auch alle anderen Predigten später im Internet auf unserer Webseite nachlesen.
- Was ist die schönste und beste Art, in der du in letzter Zeit Kritik bekommen hast? Was hat dir gezeigt, dass jemand es gut meint und auch wirklich gut gemacht hat?
- Was hat dir geholfen, dass du jemanden kritisiert hast und dieser Mensch dich verstanden und ernst genommen hat? Falls du unsicher warst: Was hat dir Mut gemacht, überhaupt etwas zu sagen?
- Was würde es dir leichter machen, Kritik anzunehmen und zu verteilen?