Ines-Paul Baumann
Joh 21,1-14: Erscheinung des Auferstandenen vor den Jüngern am See Tiberias
‚Um ein Haar wäre ich so berühmt geworden wie Thomas, der Zweifler. Der, der nicht glauben konnte, dass Jesus den anderen als Auferstandener begegnet war. Thomas ist dank seiner Zweifel in die Geschichte eingegangen, und mit ihm dieser oft zitierte Ausspruch Jesu:“Selig sind, die nicht sehen und doch glauben.“
Im Gegensatz dazu ist meine Geschichte im Verborgenen geblieben. Aber es gibt sie überall, und da ihr in der MCC so offen mit dem umgeht, was euch beschäftigt, möchte auch ich heute mal ganz offen sein. Ich oute mich als der Jünger, der zu früh aufgeben wollte. Der Spruch, der auf ewig mit mir verbunden gewesen wäre, hätte so lauten können: „Selig sind, die mit leeren Händen dastehen und es trotzdem nochmal versuchen!“
Es geschah kurz nach der Geschichte mit Thomas. Wir hatten viel hinter uns in jenen Tagen: Die Euphorie beim Einzug Jesu in Jerusalem, dann der ganze Verrat, die Angst und die Gewalt bei der Hinrichtung Jesu, die Leere, der Schock, die Resignation, und dann plötzlich die Gerüchte und die Erfahrungen der Auferstehung. Was für ein Auf und Ab. Ich war fix und alle.
Wir wollten endlich mal wieder was tun, was einfach gut tat, was Erfolg versprach, was Alltag war. Bitte mal keine aufreibenden Diskussionen, keine Auseinandersetzungen, keine blöden Meinungen von nervigen Personen, keine Konfrontation mit Problemen und Armut und Krankheit. Einfach nur arbeiten. Und uns dann mit einem fetten Frühstück belohnen.
Wir besannen uns also auf das, was wir früher auch getan hatten. Was wir schon immer gut konnten. Was uns vertraut war. Was wir gelernt hatten. Wo wir wussten, wie’s geht. Was uns schon immer geholfen hat. Was sich bewährt hat. Wo wir belohnt wurden für das, was wir taten. Womit wir Anerkennung und Beachtung erfahren hatten. Was uns Sicherheit vermittelte. Wir wollten einfach mal wieder ein Erfolgserlebnis haben.
Wir beschlossen also, eine Runde zum Fischen rauszufahren.
Wir rackerten uns ab, die ganze Nacht.
Aber als der Morgen graute, war unser Netz immer noch leer.
Nach all dieser aufreibenden Vorgeschichte war für mich damit der Punkt erreicht: Ich hatte genug.
Was hatte ich nicht alles getan, nicht erst in den letzten Wochen, sondern seit Jahren schon, in der ganzen Zeit an Jesu Seite, und jetzt? Niemand würdigte meine Arbeit. Das Leben nicht, Gott nicht, meine Mitmenschen nicht. Wie viel hatte ich investiert! Von meiner Zeit, von meinen Kenntnissen, finanziell. Und wurde es gelohnt?? Nein. Ich fühlte mich leer und verraten.
Und statt dass uns wenigstens dieses ein Mal etwas vergönnt war, tauchte ausgerechnet jetzt auch noch dieser Fremde am Ufer auf und wollte auch noch was vom Kuchen abhaben. „Habt ihr was zu essen?“, rief er zu uns hinüber.
Der kam mir gerade recht. Steht nur rum, beteiligt sich nicht an der Arbeit, versteht die Regeln nicht, ist nicht Teil der Gruppe, aber jetzt schön die Hand aufhalten. „Das könnte dir so passen!“, wollte ich zurückrufen, und ich freute mich schon auf unseren Wortwechsel:
Ich: „Wir rackern uns hier ab und jetzt kommst du daher, ja? Das kannst du dir abschminken, unsere Netze sind nämlich komplett leer, und selbst wenn was drin wäre, wären wir ja wohl zuerst dran!“
Er: „Selber schuld! Was kann ich dafür, wenn ihr euch die ganze Zeit abrackert und nix auf die Reihe kriegt! Ihr seid ja selbst zum Fischen zu doof! Mit dem Boot kann das doch gar nix werden! Und wie wär’s, wenn ihr es mal auf dem See ein Stück weiter da unten probiert – dass hier nix mehr zu holen ist, solltet selbst ihr mittlerweile kapiert haben!“
Ich: „Halt dich da mal schön raus, ja? Das haben wir noch nie so gemacht, wir haben schon IMMER so gefischt! Nu glaub mal nicht, dass wir nicht wissen, was wir tun!“
Er: „Soll ich mal laut lachen oder was? Der Super-Erfolg eurer Super-Methode ist ja total offensichtlich! Wenn ihr doch nur mal auf mich hören würdet!“
Ich hatte wirklich große Lust, mich mit dem Fremden anzulegen. Aber es kam anders.
„Habt ihr was zu essen?“, rief der Fremde zu uns hinüber. Bevor ich irgendwas sagen konnte, hatte ein anderer von uns einfach zurückgerufen: „Nein!“ Ohne Erklärung, einfach so. Was mochte der Fremde jetzt denken? Wie die Deppen standen wir da, mit leeren Händen, ohne Erfolg, total überfordert. Ich ging innerlich in Deckung und fuhr meine Schutzmauern hoch.
Aber dann passierte etwas Seltsames. Der Fremde lachte uns nicht aus. Er schimpfte nicht höhnisch. Er wandte sich nicht ab und ging weiter zu anderen, die mehr Erfolg gehabt hatten. Er demütigte uns nicht, er machte sich nicht über uns lustig. Freundlich rief er einfach nur zurück: „Werft das Netz mal auf der anderen Seite aus, dort werdet ihr finden!“
Ich war erstaunt. Der traute uns was zu. Aus seinen Worten sprach Anerkennung für unsere Arbeit und unseren Einsatz. Es war nicht völlig falsch,was wir gemacht hatten. Wir hatten nichts vorzuweisen, und trotzdem war er voller Wertschätzung für uns.
Wir rauften uns also nochmal zusammen und legten nochmal gemeinsam los. Nach kurzer Zeit kehrten wir mit einem vollen Netz an Land zurück. Am Ufer empfing uns Jesus zum Frühstück.
Noch oft musste ich an diese Situation zurückdenken. Gerade hatte ich aussteigen wollen, weil ich genug hatte und einfach nur noch zurück wollte zu dem, was ich von früher kannte. Dann war da auch noch jemand dahergekommen, von dem ich mich provoziert und angegriffen hätte fühlen können. Aber er begegnete mir nicht in Abschätzung, sondern mit Wertschätzung. Durch diese Anerkennung konnte ich zurückfinden in unsere Gemeinschaft. Eine Gemeinschaft, in der alle ihren Platz hatten. Und wir genug für alle hatten.
Manchmal ahnen wir ja gar nicht, was für ein Segen in einer Sache, die gerade schwierig zu werden und schiefzugehen droht, noch liegen soll! Wo Jesus schon am Ufer steht und das Frühstück zubereitet hat.‘
Nachtrag zur MCC
Als ich früher mit meiner Band unterwegs war, haben wir den Weg zu einem Auftritt oft erst nach einem U-Turn gefunden. (Damals gab es noch keine Navis. Aber auch die scheinen U-Turns zur Genüge zu kennen….) Wir kamen also unserem Ziel immer näher, eine war damit beschäftigt, Straßenschilder zu entziffern, eine andere las die Karte, die dritte musste sich auf den Verkehr konzentrieren, und dann gab es die eine, die gar nix tat und nur aus dem Fenster guckte. Und genau die rief dann irgendwann: „Da war es, wir müssen umkehren!“ Ab dem Punkt führte uns der Weg, der bis dahin richtig war, nicht mehr näher hin zum Ziel, sondern vom Ziel weg. Das heißt nicht, dass die ganze Richtung bis dahin falsch gewesen war.
Vielleicht spielte an dem Abend noch eine andere Band und die kamen von woanders her. Die Richtung, auf der sie zum Ziel gefunden hatten, war vielleicht erst mal genau umgekehrt wie für uns. Aber wenn sie ihren „richtigen“ Weg immer unbeirrt fortgesetzt hätten, hätte auch da jemand im Bandbus irgendwann rufen müssen „Da war es, wir müssen umkehren!“ – und dann mussten sie quasi auf „unseren“ Kurs einschwenken , um zum Ziel zu gelangen. So wie wir vorher auf „ihren“ Kurs hatten einschwenken müssen, nachdem wir aus unserer ursprünglichen Richtung kommend über’s Ziel hinausgeschossen waren.
Wenn keine der Bands umgekehrt wäre, hätte es zwar ein schönes Netz an Linien gegeben, aber nur einzelne Bands auf ihrem Weg und keine Begegnung und kein Konzert.
Die Richtungen, aus der Menschen in die MCC kommen, sind unterschiedlich. Dementsprechend nehmen sie MCC auch unterschiedlich war: Viel zu katholisch! Viel zu wenig katholisch! / Spirituell viel zu offen! Spirituell viel zu einseitig! / Viel zu strukturiert! Viel zu wenig strukturiert! / Viel zu viele undurchschnittliche Menschen! Viel zu wenig undurchschnittliche Menschen! / Viel zu wenig leistungsorientiert! Viel zu sehr leistungsorientiert! / Viel zu ruhig, die Gottesdienste! Viel zu unruhig, die Gottesdienste!
Diese Wahrnehmungen entspringen jeweils der Geschichte all dieser Menschen. Nicht nur irgendeiner Geschichte, sondern einer Geschichte, die ihnen Gutes gebracht hat. Mit Bausteinen, die sich bewährt haben. Die sie weitergebracht haben. Die sie immerhin bis hierher gebracht haben. Es wäre falsch, ihnen nun zuzurufen: „Tia, solange du nicht endlich in mein Boot umsteigst und deine alten falschen Wege verlässt, wird dir leider kein Segen widerfahren können.“
Nicht alles an diesen Wegen war falsch, und immerhin sitzen wir alle im selben Boot und fischen alle im selben Gewässer.
Aber wenn alle nur stur geradeaus fahren auf der Spur, die siehierher gebracht hat, passiert dasselbe wie mit den Bands: Wir fahren aneinander vorbei und verpassen das Miteinander. Wir mögen ein schönes „Netzwerk“ bilden, aber es bleibt leer.
Jesus begegnete den Jüngern und ihrem Tun mit Wertschätzung und Anerkennung. Es gab nur eine Kleinigkeit, die sie ändern mussten, um den vollen Segen einzufahren, den Gott für sie bereit gehalten hatte. Diese Kleinigkeit kann für jede und jeden von uns anders aussehen.
Und wir sollten auch nicht vergessen: Nicht alle Menschen wollen etwas ändern. Viele sind zufrieden, mit dem was sie haben. Manche sind auch zufrieden mit dem, was sie NICHT haben. Es gibt so viele Menschen, die über Kirche schimpfen: Die Ungleichbehandlung von Frauen, das Kondomverbot, die Hierarchien, die nicht anerkennende Haltung anderen Kirchen gegenüber, der Ausschluss von Menschen vom Abendmahl, die Trennung von Spiritualität und Sexualität, die Haltung gegenüber Homosexualität, … All das soll „die Kirche“ doch bitte mal anders handhaben! Aber wenn sie mit der MCC eine Kirche kennenlernen, in der genau das praktiziert wird, was sie sich wünschen, ist es ihnen auch nicht recht: zu neu, zu seltsam, zu unbekannt. Bloß nicht auf einer ungewohnten Seite die Netze auswerfen!
Aber ich glaube, dass Jesus uns mehr schenken will. In dem Netz der Jünger befanden sich 153 Fische. Eine der historisch ersten Deutungen für die Zahl der 153 Fische in dem Netz der Jünger lautete, dass das die Zahl der damals bekannten Fischarten war. Die ganze Fülle der Vielfalt und des Lebens im Wasser, alle Arten von Fischen sollen Platz finden in den Netzen, die die Jünger auf Jesu Worte hin auswerfen. Der Ruf Jesu an die Fischer hatte ja schon anfangs gelautet, ab sofort Menschenfischer zu sein, also Menschen einzuladen und teilhaben zu lassen am Reich Gottes. Diese Einladung gilt allen Menschen, und als Jesu Jüngerinnen und Jünger sind WIR heute aufgerufen, ALLEN Menschen Raum zu geben in Gottes Segen und Gottes Fülle.
Mache dich also darauf gefasst, dass unter den 153 Arten der Fülle so manche Art dabei ist, die nicht dazu passt, wie du selbst das Leben siehst und bewältigst. Und hab keine Angst, wenn sie dir begegnet: Dein Netz wird nicht reißen. Du wirst nicht alles verlieren, wenn du sie anerkennst statt bekämpfst. Gemeinsam mit Gott und anderen werden wir die Fülle an Land gezogen bekommen.
Ich glaube, Jesus ruft uns gerade etwas zu. Ich glaube, dass sich Gott in diesem neuen Gemeindezentrum, in unserer Gemeinde und in uns persönlich gerade daran macht, ganz viel an Segen auszugießen. Das Netz-Werk, das Gott mit uns hier aufbaut, birgt ganz viel Fülle in sich.
Wenn wir jetzt nur an alten Strategien und Mustern festhalten, könnte es sein, dass wir am Wesentlichen vorbeischlittern. Wir können aber auch auf Punkte in uns achten, an denen wir merken: Wenn ich jetzt so weitermache wie früher, schieße ich am Ziel vorbei. Vielleicht gibt es gerade so Momente, in denen wir merken: Das, was früher richtig gut war für mich, lässt mich im Moment mit leeren Händen dastehen. Möge es in der Band eures Lebens dann die eine Stimme geben, die einfach nur aufmerksam die Augen offen hat und ruft: „Da war es, wir müssen umkehren!“
So können wir uns zueinander und miteinander auf den Weg machen und neue Seiten kennenlernen von uns selbst, von einander und von Gott. Jesus steht schon am Ufer und bereitet das Frühstück zu.