Predigt MCC Köln, 5. Nov. 2017
Ines-Paul Baumann
Matthäus 10,34-39: „Entzweiungen um Jesu willen“
Niemand hat das Recht, dich von dem Weg abzuhalten, zu dem Gott dich beruft.
Niemand hat das Recht, dich von dem Leben abzuhalten, das Gott dir schenkt.
Niemand hat das Recht, sich dir in den Weg zu stellen, wenn du dich aufmachst, der/die zu sein, als den/die Gott dich ins Leben gerufen hast.
Zu welchem Leben hat Gott dich berufen?
Wer bist du?
Was tust du, wenn andere damit Schwierigkeiten haben?
Wenn sie deine Entscheidungen nicht akzeptieren?
Bist du unter ihnen nur gelitten, wenn du machst, was sie wollen?
Bist du bei ihnen nur willkommen, wenn du so bist, wie sie dich haben wollen?
Herrscht unter euch nur so lange Friede, wie du ihren Erwartungen entsprichst?
Das ist nicht der Friede, den Gott verheißt.
Das ist überhaupt nicht Friede, das ist Zwang und Unterdrückung und Beanspruchung.
Das ist nicht das Gegenteil von Entzweiung – das ist unsichtbare, unausgesprochene Entzweiung.
Die Entzweiungen, die Jesus hier als Beispiele anführt, deuten auf Generationenkonflikte hin. Vielleicht wünschen sich die Eltern Sicherheit und „nur das Beste“ für ihre Kinder. Aber Sicherheit im Sinne der Elterngeneration ist eben nicht immer das einzige Beste für die Kinder.
Manche empfinden dann das Dilemma, ihre Eltern ehren zu wollen (immerhin eines der Zehn Gebote!). Aber ehren wir sie wirklich, wenn wir ihnen vorenthalten, uns so anzunehmen, wie wir wirklich sind?
Jesus selbst weiß, wovon er spricht.
Als er um die 30 ist und sein Leben ändert, um seiner Berufung zu folgen, hat seine Familie Schwierigkeiten damit. Statt ihn zu unterstützen und loszulassen, möchte sie ihn so bei sich behalten, wie sie ihn kennt. Das ist der Moment, wo Jesus sich von ihnen lossagt – lossagen MUSS. Als seine Familie bezeichnet er ab nun die Menschen, die seinen Weg verstehen und teilen und mitgehen. Jesus muss sich von seiner Herkunftsfamilie lossagen, um der zu sein, als den Gott ihn geschaffen hat.
Das heißt nicht, dass er seine Familie nicht weiterhin liebt und verantwortungsvoll handelt. Im Johannes-Evangelium kümmert sich Jesus noch am Kreuz hängend darum, dass sich jemand nach seinem Tod um seine Mutter kümmert.
Aber seine Mutter durfte ihm nicht dabei im Wege stehen, selber zu werden, wer er ist.
Wenn Jesus im Predigttext sagt, er sei nicht gekommen, um Frieden zu bringen, sondern das Schwert, dann ist das kein Auftrag oder eine Ausrede dafür, sich nicht mehr umeinander zu kümmern. Jesus spricht hier eine Beobachtung aus. Es ist seine Erfahrung, dass es Entzweiung gibt, wenn Friede in Familien nur auf falscher Harmonie beruht – und eine_r der Beteiligten diese falsche Harmonie durchbricht.
Es wird die Erfahrung der ersten Christen sein, dass es Entzweiung gibt, wenn sie das Risiko eingehen, sich lieber zu Jesus zu bekennen als zu einem Leben im Sinne des Status Quo.
Heute mag es zu den Erfahrungen von Homosexuellen und Transgendern gehören, dass es zu Entzweiung kommen kann, wenn sie sich zu dem Leben bekennen, das Gott ihnen schenkt.
Und wie viele Töchter und Söhne plagen sich mit Eltern oder Geschwistern, bei denen sie nur solange gelitten sind, wie sie Erwartungen entsprechen.
DIESE Situationen sind es, in die Jesus hier hineinruft. In denen er sagt: Nein, es NICHT Gottes Wille, alles auszuhalten, was andere von dir wollen. Nein, es ist NICHT Gottes Blick auf dich, was für Bilder sie von dir haben. Nein, es NICHT Gottes Wille, dass sie dir die Luft zum Atmen nehmen. Nein, es ist NICHT Gottes Wille, Anpassung und Sicherheit als höchstes Gut zu bewerten.
Ja, vielleicht bedeutet es, ein Risiko einzugehen, wenn du da nicht mehr mitmachst.
Es mag zu Entzweiung führen.
Aber wie sollen wir je zu einem Leben in Vielfalt und Anerkennung gelangen, wenn wir (und andere) nicht sein dürfen, wer wir sind?
Vielleicht ist die Loslösung manchmal die einzige Möglichkeit, um irgendwann in gesünderen, heilvolleren Bezügen miteinander umgehen zu können.
Vielleicht braucht es manchmal eine Entzweiung, bevor eine Familie eine Einheit sein kann, die nicht auf Einheitlichkeit beruht.
In solchen Situationen kann es viel zu verlieren geben.
Wenn die Lesbe sich outet, kann es sein, dass sie ihre gesamte bisherige Existenz aufgeben muss. Unsicherheiten und Existenznöte können die Folge sein. Jesus macht hier klar, dass er solche Entscheidungen mittragen kann und diesen Weg mit ihr geht.
Wie viel machst du mit, weil es dir Sicherheit bietet?
Jesus wusste, was er sagte, als er davon sprach, das eigene Leben zu verlieren – UND es zu finden. Vielleicht müssen wir manches alte Leben hinter uns lassen, um das Leben zu finden, das Gott uns schenkt – und Entzweiung von Familie gehört vielleicht manchmal dazu.
Diese Entzweiung von der Familie muss übrigens nicht nur unsere leibliche Herkunftsfamilie betreffen (oder nur die Beziehungs-Konstellation, die wir selber aufgebaut haben). Zu Jesu Zeiten herrschte ein Gottesbild vor, das Gott als Vater zeichnet und die Gläubigen als seine Kinder. Konsequent zu Ende gedacht, können wir Jesu Äußerungen auch auf diese „Familienkonstellation“ beziehen:
Vielleicht müssen wir uns manchmal von unserem Glauben entzweien, um das Leben zu finden. Vielleicht sind ausgerechnet andere Gläubige die Hausgenossen, die wir als schlimmste Feinde erleben.
Auch dann gilt: Nur weil sie glauben, haben sie kein Recht, uns von dem Leben abzuhalten, das Gott uns schenkt.
Und nur weil unsere Gottesbilder Jahrhunderte alt und gefestigt erscheinen mögen, haben sie kein Recht, uns von dem Leben abzuhalten, das Gott uns schenken mag.
Auch so manche Entzweiung vom Glauben und von Gott kann vielleicht der erste Schritt sein, mein Kreuz auf mich zu nehmen und den Weg ins Leben zu wagen – in ein Leben, in dem Entzweiung überwunden werden kann, gerade weil sie sichtbar wurde.