Andacht MCC Köln, 8. Mai 2022
S.
CW/TW: In der heutigen Andacht geht es um Schwangerschaft, auch ungewollte oder unfreiwillige Schwangerschaften, reproduktive und körperliche Selbstbestimmung und damit verknüpft auch um gewaltvolle Prozesse, die im Zusammenhang damit stehen – ich werde aber nicht explizit auf Gewalt eingehen. Außerdem geht es um Erwartungen und Zuschreibungen von Mutterschaft an Menschen & Körper mit Uterus.
ANKOMMEN
Schön, dass du da bist. Letzte Woche haben wir uns im G*ttesdienst mit der Vorstellung von G*tt als Vater auseinandergesetzt. Dabei haben wir gemerkt, dass der Begriff Vater für viele von uns gar nicht so passend für unsere G*ttesbeziehung ist. Manche von uns verbinden mit Vater eine sehr negativ belastete, von Machtstrukturen geprägte Beziehung. Für andere passen Begriffe wie Freund*in oder Gefährt*in besser zu G*tt. Wir haben auch kurz über Maria gesprochen, die Mutter Jesu. Heute ist Muttertag, und daher wollen wir uns heute mit Mutterschaft beschäftigen – auf verschiedenen Ebenen. Die Andacht heute ist so aufgebaut, dass wir erst mit einem gemeinsamen Wechselgebet starten, und dann in die Stille gehen. Dabei werde ich immer wieder Textimpulse oder Musik reingeben. Wir schließen dann mit einem gemeinsamen Segen. CW. Wenn das heute nicht dein Thema ist, dann sorg für dich – lehn dich zurück und hör nicht zu, schalte ab oder geh eine Runde spazieren. Du musst weder körperlich noch mental oder emotional anwesend sein, um heute Teil unserer Andachtsgemeinschaft zu sein. Wenn du dabeibleiben oder mitmachen möchtest, dann lass uns jetzt mit einem Gebet beginnen.
G*tt, gib uns nun Raum für gemeinsames Gebet.
G*tt, gib uns nun Raum für das gemeinsame Wahrnehmen deiner Gegenwart.
G*tt, gib uns nun Raum für das ganz unterschiedliche Wahrnehmen deiner Gegenwart.
G*tt, gib uns nun Raum, um uns selbst und unseren spirituellen Anteilen begegnen zu können.
G*tt, gib uns nun Raum, um gemeinsam Kirche sein zu können.
Amen.
1. IMPULS
Heute ist Muttertag. Maria wird oder wurde oft als das Symbolbild für Mutterschaft angeführt. Die von G*tt Auserwählte, die Jesus geboren hat, ist vielerorts kulturell als eine der zentralen Mutterfiguren geprägt und ist eine der wenigen Frauen, die in der Theologie von christlichen Kirchen und Gemeinden Platz findet.
Aber welche Rolle darf sie in ihrer eigenen Geschichte einnehmen? Hat eigentlich irgendwer Maria gefragt, ob sie mit Jesus schwanger sein will?
Im Matthäusevangelium:
18Die Geburt des Messias Jesus geschah so: Seine Mutter Maria war mit Josef verlobt. Ehe sie zusammenlebten, zeigte sich, dass sie von der heiligen Geistkraft schwanger war. 19Josef, ihr Mann, war ein gerechter Mensch. Er wollte nicht, dass sie einem öffentlichen Verfahren unterzogen wurde; deshalb nahm er sich vor, sich stillschweigend von ihr zu trennen. 20Als er dies bei sich erwog, da erschien ihm ein Engel Adonajs im Traum und sprach: »Josef, Nachkomme Davids, scheue dich nicht, deine Frau Maria zu dir zu nehmen. Das Kind, mit dem sie schwanger ist, kommt von der heiligen Geistkraft. 21Sie wird einen Sohn gebären, und du sollst ihm den Namen Jesus geben. Denn er wird sein Volk von seinen Übertretungen der Gebote Gottes retten. 22Das ist alles geschehen, damit sich erfüllt, was Adonaj durch den Propheten so gesagt hat: 23›Seht, die junge Frau wird schwanger werden und einen Sohn gebären und sie werden ihn beim Namen Immanuel rufen, das bedeutet: Gott ist mit uns‹.« 24Da stand Josef aus seinem Schlaf auf und tat, was ihm der Engel Adonajs aufgetragen hatte. Er nahm seine Frau zu sich. 25Und er schlief nicht mit ihr, bis sie ein Kind geboren hatte. Und er gab ihm den Namen Jesus. (Mt 1,18-25)
Im Lukasevangelium:
26Im sechsten Monat aber wurde der Engel Gabriel von Gott in einen Ort Galiläas gesandt, der Nazaret hieß, 27zu einer jungen Frau. Diese war verlobt mit einem Mann namens Josef, aus dem Hause Davids. Der Name der jungen Frau war Maria. 28Als er zu ihr hineinkam, sagte er: »Freue dich, du bist mit Gnade beschenkt, denn die Lebendige ist mit dir!« 29Sie aber erschrak bei diesem Wort, und sie fragte sich, was es mit diesem Gruß auf sich habe. 30Der Engel sprach zu ihr Folgendes: »Fürchte dich nicht, Maria, du hast Gnade gefunden bei Gott. 31Und siehe, du wirst schwanger werden und einen Sohn gebären und du wirst ihm den Namen Jesus geben. 32Dieser wird groß sein und Kind des Höchsten genannt werden. Gott, die Lebendige, wird ihm den Thron Davids, seines Vorfahren, geben 33und er wird König sein über das Haus Jakobs in alle Ewigkeiten und seine Herrschaft wird kein Ende nehmen.« 34Maria aber sagte zum Engel: »Wie soll dies geschehen, da ich von keinem Mann weiß?« 35Der Engel antwortete ihr: »Die heilige Geistkraft wird auf dich herabkommen und die Kraft des Höchsten wird dich in ihren Schatten hüllen. Deswegen wird das Heilige, das geboren wird, Kind Gottes genannt werden. 36Siehe, Elisabet ist mit dir verwandt: Sie hat in ihrem Alter ein Kind empfangen und dieser Monat ist der sechste für die, die unfruchtbar genannt wurde. 37Denn alle Dinge sind möglich bei Gott.« 38Maria sagte: »Siehe, ich bin die Sklavin Gottes. Es soll geschehen, wie du mir gesagt hast.« (Lk 1,26-38)
Stille.
2. IMPULS
Im Matthäusevangelium ist nicht wichtig, was Maria über die Schwangerschaft denkt. Es geht darum, was ihr Verlobter Josef dazu fühlt. Ihr hingegen droht ein öffentliches Verfahren. Ihr Körper ist kein selbstbestimmter Ort, der nur sie etwas angeht, sondern ein Objekt von äußeren Meinungen und Erwartungen, und er wird mit Gesetzen belegt. Das berührt mich gerade sehr. Ich bin keine Frau, aber ich werde fast immer so gelesen, und ich habe einen Uterus. Ich mache aktuell sehr viel die Erfahrung, dass mein Körper und seine Fähigkeit zu gebären mit Erwartungen überhäuft werden. Allen voran die Erwartung, dass ich irgendwann schwanger sein werde und Mutter werde. Dabei wird Elternschaft mit Mutterschaft und Mutterschaft mit Schwangerschaft gleichgesetzt – obwohl Regenbogenfamilien, Pflegefamilien und Adoptivfamilien schon lange zeigen, dass Schwangerschaft, Mutterschaft und Elternschaft drei sehr unterschiedliche Dinge sind, die nicht miteinander zusammenhängen müssen. Mutter ist keine Rolle, die ich in meinem Leben einnehmen möchte. Und ich möchte mich eigentlich gern sterilisieren lassen, aber ich bin erst 26 und es ist fast unmöglich, Ärzt*innen zu finden, die den Eingriff für Menschen unter 30 vornehmen. Ich mache also gerade die Erfahrung, dass eine Entscheidung, die nur meine sein sollte, zu einer Entscheidung vieler wird. Mein Körper ist gerade kein selbstbestimmter Ort, der nur mich etwas angeht, sondern ein Objekt von äußeren Meinungen und Erwartungen, und er wird mit Gesetzen belegt.
Heute ist Muttertag, und aus dieser aktuellen Erfahrungsperspektive heraus frage ich mich: Sieht Maria sich selbst als Mutter? Oder wird sie von außen zur Mutter gemacht?
Stille.
3. IMPULS
Im Lukasevangelium erscheint Maria vorab ein Engel. Aber trifft Maria im Angesicht der Gefahr eines öffentlichen Verfahrens hier eine selbstbestimmte Entscheidung für ein Kind, oder ist das eingeschüchterter Gehorsam gegenüber einem Gott, der nicht fragt, sondern bestimmt? Ich habe gerade schon angesprochen, dass der Körper Marias mit Gesetzen belegt wird. Maria wird schwanger, ungeplant, in einer Situation, in der die Schwangerschaft überhaupt nicht passt – weder in ihre Beziehung noch in den Punkt, an dem sie gerade in ihrem Leben steht. Die Schwangerschaft ist außerdem gefährlich, weil sie rechtliche Konsequenzen mit sich ziehen könnte und ihren Lebensunterhalt gefährdet. Ich habe nicht das Gefühl, dass Maria hier die Wahl gelassen wurde, sich in der Situation für oder gegen die Schwangerschaft zu entscheiden. Und auch das ist eine Erfahrung, die viele Menschen mit Uterus heute mit Maria teilen. Schwangerschaftsabbrüche sind ein extremes gesellschaftliches Tabu und gesetzlich streng geregelt. Je nach Staat dürfen sie gar nicht durchgeführt werden, nur bis zu einem gewissen Zeitpunkt oder nur in Ausnahmefällen. Die Körper von Menschen mit Uterus sind kein selbstbestimmter Ort. Einen Menschen dazu zu zwingen, eine ungewollte Schwangerschaft zu erleben, ist unfassbar brutal und gewaltvoll. Und diese Gewalt geht häufig von Christ*innen aus. Dort, wo Menschen ihr Recht auf körperliche Selbstbestimmung besonders rigide genommen wird, schreiben oft Christ*innen an den entsprechenden Gesetzen mit, stehen Christ*innen vor den Abtreibungskliniken und bedrohen Menschen, die reingehen wollen, demonstrieren Christ*innen beim sogenannten „Marsch für das Leben“ dafür, die körperliche Selbstbestimmung von Menschen mit Uterus noch rigider einzuschränken.
Ich frage mich, ob das damit zusammenhängt, wie wir über Maria sprechen. Dass wir in der Geschichte Marias nur Jesus sehen, und nicht sie, ihre Angst und ihre Zweifel. Unser Glauben beginnt mit der Geschichte einer ungeplanten Schwangerschaft, einer Geburt in einem Stall unter prekärsten Bedingungen und einem Kind, für das seine leibliche Mutter als Erwachsener nicht seine Familie ist (Mk 3, 31-35). Was macht es mit unserem Glauben, wenn wir diese Geschichte nicht länger verklären?
Stille.
MUSIK
(Klavierstück)
GEBET
Du,
wir haben heute viele Fragen aufgeworfen, und einige davon bleiben kritisch dir gegenüber stehen,
Ich möchte dich für die bitten, die in einer ähnlichen Situation sind, die nicht gefragt werden, und für die die Geschichte anders endet.
Ich möchte dich für die bitten, die gewaltvolle Schlüsse aus diesen Geschichten ziehen.
Und ich möchte dich für dich selbst bitten, denn ich frage mich, was du aus der Geschichte gelernt hast und ob du dich darin geändert hast.
Ich möchte mit einem Segen schließen, den du als Aufforderung verstehen sollst:
SEGEN *)
Möge G*tt dich sehen,
möge G*tt dich fragen,
möge G*tt deine Entscheidungen achten und dich in ihnen tragen.
Möge G*tt schützen, was dich lebendig macht,
dir schenken, was für dich heilsam ist,
und auf das schauen, was du freigibst.
Amen.
*) Inspiriert von: https://feministische-theologinnen.ch/segen-2/#more-1138