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Gott schütze uns vor Gott

Predigt MCC Köln, 15. Jan. 2017
Ines-Paul Baumann

Exodus 33,18-23 & Genesis 32,25-32

Dass Gott ihre Hand über uns halten möge, ist Teil auch vieler christlicher Gebete und Segens-Zusprüche. Auch heute noch ist damit gemeint, dass Gott uns schützen möge. „Halte deine Hand über uns – zum Schutz in allem, was uns begegnet. Schütze uns vor allem, was unser Leben bedroht.“

In der Geschichte des Mose bedeutet das auch: Gott hält seine Hand vor Moses Augen, um Mose vor Gott selbst zu schützen. Gott schützt Mose vor seinem Angesicht, weil Moses Leben sonst vergehen würde. Gott schützt Mose vor einem Gott, in dessen Angesicht er vergehen würde.

Mose wollte noch mehr, er sagte: „Lass mich jetzt bitte deinen göttlichen Glanz sehen!“ Gott antwortete: „Ich werde in meiner unermesslichen Schönheit dicht an dir vorbeigehen und meinen Namen ICH-BIN-DA vor dir ausrufen. Ich will allen wohl, denen ich Wohlwollen schenken will. Ich leide mit allen, die ich bemitleiden will.“ Und weiter: „Du darfst mein Gesicht trotzdem nicht anschauen, denn kein Mensch, der mein Gesicht sieht, wird am Leben bleiben.“ ER sagte noch: „Hier neben mir ist noch Platz, stelle dich zu mir auf den Felsen. Wenn dann gleich mein Glanz vorbeigeht, dann drücke ich dich in eine Felsnische und halte dir meine Hand vor die Augen, bis ich vorbei bin. Dann ziehe ich sie weg und du kannst mich von hinten sehen, aber mein Angesicht darfst du nicht anschauen.“

Exodus 33,18-23 (Bibel in gerechter Sprache)

Gott schütze auch uns vor einem Gott, in dessen Angesicht wir vergehen würden!
Gott schütze uns vor einem Gott, dem wir nicht standhalten können!
Gott bewahre uns vor Gott, wenn dieser Gott uns gefährlich werden würde!

(Kann Gott uns gefährlich werden? Aus Sicht der damaligen Gottesbilder war das jedenfalls so! Dieser Gott steht dermaßen über und außerhalb unserer Lebenswirklichkeit, dass Gottes Wirklichkeit nur außerhalb dieses Lebens erfahren werden kann. Es ehrt die damaligen Glaubenden, ihrem Gott zuzuschreiben, uns davor zu bewahren.
Ich glaube, es gibt noch jede Menge andere Gottesbilder und religiöse Erfahrungen, die nicht lebensförderlich sind. Mögen wir auch hier einen Gott haben, der uns in solchen Fällen schützt.)

Mose gegenüber offenbart sich also ein Gott, der nicht alles offenbaren will, dabei aber alles offenbart, was zur damaligen Lebensgestaltung nötig war. (Ja, ich unterstelle Mose hier ein „männliches“ Gottesbild.) Hier auf dem Berg, auf dem Mose Gottes Herrlichkeit sehen möchte, wird Mose die Gesetzestafeln mit den 10 Geboten erhalten. Ein paar Kapitel vorher wollte Mose den Namen Gottes offenbart bekommen (und erhielt statt eines Namens die Antwort „‘Ich-bin-der-ich-sein-werde‘; siehe Predigt letzte Woche). In all diesen Kapiteln stellt die Bibel Mose als von Gott berufenen Leiter der Israeliten dar.

Was ist das für ein Leiter, vor allem im Vergleich mit anderen „geistlichen“ Leitern? Erwarten wir nicht gerade von ihnen, dass sie Gottes Namen kennen und Gottes Angesicht gesehen haben? Sind nicht gerade sie es, die uns mit-teilen sollen, wie Gott heißt und wie Gott ist? Was sollte Mose als geistlicher Leiter da sagen? „Wie Gott heißt, wollt ihr wissen? Tia, Gott wird immer die sein, die sich für euch gerade als wirksam erweist. Und wie Gott ist, wollt ihr wissen? Nun ja, kein Mensch kann das so genau sagen, solange er lebt…“

In christlichen Glaubens-Kursen wird das selten so offen gehalten. Die Kurse vermitteln meistens mit großer Gewissheit, wie Gott heißt und wie Gott ist. Warum wissen Christen plötzlich, wie Gott heißt und wie Gott ist? Betonen die Evangelien nicht gerade, dass Jesus genau denselben Gott offenbart, auf den sich Mose und die „Väter“ Israels beziehen? Wenn wir an denselben Gott glauben, der sich Mose und in Jesus offenbart hat, wie können wir da plötzlich so gewiss sein, was den Namen und das „Aussehen“ Gottes betrifft? (Dass Gottes „HERRlichkeit“ Gott zu einem männlichen HERREN machen soll inbegriffen….)

Teilen in der Bibel nicht gerade die geistlichsten Menschen die Erfahrung, mit Gott zu ringen, Gott zu suchen oder sich gar – wie Jesus – von Gott verlassen zu fühlen? Geht nicht aus den biblischen Erzählungen hervor, dass sich Gewissheiten über Gott eben auch ändern (und gar verlieren) können?

Mose gegenüber tut sich ein Gott kund, dessen Angesicht kein Mensch sehen und am Leben bleiben kann. Ein paar Bücher weiter vorne in der Bibel macht Jakob eine ganz andere Erfahrung: Jakob kämpft mit Gott und stellt hinterher fest: „Denn ich habe Gott von Angesicht gesehen, und doch wurde mein Leben gerettet.“

Jakob aber blieb allein zurück. Da rang einer mit ihm, bis die Morgenröte anbrach. Und als er sah, dass er ihn nicht übermochte, rührte er an das Gelenk seiner Hüfte, und das Gelenk der Hüfte Jakobs wurde über dem Ringen mit ihm verrenkt. Und er sprach: Lass mich gehen, denn die Morgenröte bricht an. Aber Jakob antwortete: Ich lasse dich nicht, du segnest mich denn. Er sprach: Wie heißt du? Er antwortete: Jakob. Er sprach: Du sollst nicht mehr Jakob heißen, sondern Israel; denn du hast mit Gott und mit Menschen gekämpft und hast gewonnen. Und Jakob fragte ihn und sprach: Sage doch, wie heißt du? Er aber sprach: Warum fragst du, wie ich heiße? Und er segnete ihn daselbst. Und Jakob nannte die Stätte Pnuël: Denn ich habe Gott von Angesicht gesehen, und doch wurde mein Leben gerettet. Und als er an Pnuël vorüberkam, ging ihm die Sonne auf; und er hinkte an seiner Hüfte.

Gen 32,25-32 (Luther 2017)

Anders als Mose hat Jakob nicht darum gebeten, Gottes Angesicht sehen zu dürfen. Nach dem Kampf wird er für den Rest seines Lebens gezeichnet sein und hinken. Mose hingegen BITTET Gott, sein Angesicht sehen zu dürfen; er bekommt es NICHT zu sehen, geht aber aus seinen Erfahrungen mit Gott mit STRAHLENDEM Gesicht hervor.

Der eine findet sich also ungebeten in der Situation, mit Gott zu ringen, bekommt Gottes Angesicht zu sehen (und zu spüren), und wird für den Rest seines Lebens gezeichnet sein.
Der andere bittet Gott um die Begegnung, sie wird ihm verweigert, aber ab da erfährt er Gott so, dass es ihn strahlend macht.
Beides können bezeichnende Gottes-Erfahrungen sein.

Aber die Bibel sagt damit noch mehr aus. Es wirkt gerade so, als wolle die Bibel das Fazit Jakobs „korrigieren“: „Es soll möglich sein, Gottes Angesicht zu sehen? Dieser veralteten Ansicht muss widersprochen werden. Gott selbst können wir nicht zu Gesicht bekommen. Was wir von Gott erfahren können, sind immer nur Spuren Gottes in unserer Wirklichkeit.“ Anders gesagt: Der Glanz Gottes ist nicht Gott selbst. Unsere Erfahrungen von Gott dürfen nicht mit einem „eigentlichen So-Sein“ Gottes verwechselt werden!

Das Gottes-Verständnis innerhalb der Bibel hat sich hier grundlegend gewandelt. Eine neue Erfahrung hat eine frühere Erfahrung abgelöst. Eine Gewissheit hat sich gewandelt. *)

Das ist nicht nur eine Erfahrung der biblischen Geschichte, sondern kann auch heute noch persönliche Erfahrung von Menschen sein.
Manchmal ringen wir – mehr oder weniger ungebeten – mit Gott. Manchmal gehen wir daraus gezeichnet hervor. Manchmal erfreuen wir uns darin trotzdem an der Gewissheit, Gott „gespürt“ zu haben und Gottes Segen mitzunehmen. Dann machen wir Erfahrungen, die uns diesen Gott entfremden. Aus dem Gott IN unserem Leben wird ein Gott, der sich unserem Begreifen entzieht. Vielleicht flehen wir Gott dann auch irgendwann an, sich uns zu zeigen – und bekommen gerade da, wo Gott ganz nahe ist, nichts von Gott zu sehen (weil dieser Anblick gar nicht mehr Teil unserer Lebenswirklichkeit sein kann). Gott selbst hält uns die Augen zu und ist damit zumindest noch (oder wieder) ein Gott, der es gut mit uns meint.

Vielleicht ist es eh ganz gut, dass selbst im Glanze Gottes nicht immer alles ans Licht gezerrt werden muss. Dass Gott selbst dafür eintritt, dass manches im Verborgenen bleiben darf. Dass Gotteserfahrung nicht immer damit einhergehen muss, Klarheiten zu gewinnen – sondern eben manchmal auch damit, dass Gott uns die Augen zuhält. Dass Gott uns vor Gott schützt. (Und dass Gott sich vor uns schützt.) **)

Heute mag Gemeinde ein Ort sein, an dem Menschen das suchen, was Mose auf dem Berg gesucht hat: Gottes Nähe. Gottes Offenbarung. Gottes Glanz. Christliche Gemeinde blickt dafür auf Jesus. Ich glaube, dass sich an der Art und Weise, wann und wie Gott sich zeigen möchte, auch für uns heute etwas von den Mose-Geschichten ablesen lässt.

Ich blicke dafür auf die drei Phasen, die die Gottes-Begegnung bei Mose hatte. Jede dieser drei Phasen für sich alleine genommen wäre zu wenig. Diese drei Phasen müssen sich ergänzen, ausgleichen und korrigieren.

1) BEVOR Gottes Glanz vorüberzieht:
Mose bittet Gott darum, sich in seinem Glanz zu zeigen. Mose tritt vor Gott mit der Selbstverständlichkeit, Bitten äußern zu dürfen. Die Gottes-Erfahrung des Mose ist eng damit verknüpft, was Mose zu erfahren sucht.
Als Gemeinde brauchen wir auch heute Menschen, die im Ahnen und Erwarten und Suchen nicht darin locker lassen, dass unsere Erfahrungen nicht auf das beschränkt sind, was wir bereits kennen und was uns im (auch Glaubens-)Alltag als „Realität“ gilt. Wir brauchen Menschen, die uns herausfordern, im Glauben nicht stehenzubleiben. Menschen, die uns ermutigen, eigene und neue Gottes-Erfahrungen zu machen.

2) ALS Gottes Glanz vorüberzieht:
Ausgerechnet das ist der Moment, an dem Mose nichts sehen darf. Gerade als Gottes Glanz da ist, hält Gott selbst ihm die Augen zu. Gott selbst verwehrt es ihm, Gottes Glanz zu sehen – der schützende Gott steht in diesem Gottesbild immer noch über dem ansonsten unbegreiflichen Gott.
Mögen wir auch in der Gemeinde eine Gottes-Nähe erleben, in der wir geschützt sind. Möge es Menschen geben, die in der Gemeinde dafür eintreten, dass Gott und wir uns entziehen dürfen. Dass wir manchmal gerade im Verborgenen Bewahrung erleben.

3) NACHDEM Gottes Glanz vorübergezogen ist:
Mose hat zwar in Bezug auf Gott „das Nachsehen“, aber damit, dass er Gott hinterhersehen darf, geht Gott auf seine eigentliche Bitte ein. Moses Bitte wird erhört, wenn auch ein bisschen anders, als von Mose gedacht. Im Blick hinter Gott her zeigt sich Gott dem Mose auf die Art und Weise, die für Mose am besten ist.
Manche Menschen mögen Gott ebenfalls am besten darin erkennen, indem sie dem hinterherblicken, wo Gottes Glanz vorübergezogen ist. Für manche sind es vielleicht Traditionen und Rituale, die gefüllt sind von Gottesspuren und Gotteserfahrungen, und die auch heute noch mehr offenbaren als manch eine Fixierung auf Events und „erfüllte Momente“. Möge Gemeinde ein Ort sein, an dem Menschen auch heute zusammentragen können, welche Spuren Gott in ihrem Leben und im Leben anderer hinterlassen hat, und was wir daraus für Schlüsse ziehen können.

Ich finde es wichtig anzuerkennen, dass Gott in allen drei Stadien „da ist“ und „sich zeigt“.
Gott ist da, als Mose sich an ihn wendet mit seinem Er-Suchen.
Gott ist da, als er Mose die Augen zuhält und Mose nichts sehen darf vom Glanze Gottes.
Gott zeigt sich, als Mose ihm hinterherblickt.

Gott sei auch für dich da und behüte und bewahre dich – auch vor Gott selbst, wo es angebracht ist.


Danke für Anregungen und mehr hierzu:

*) „Die Geschichte von Gott: 4000 Jahre Judentum, Christentum und Islam“ von Karen Armstrong

**) „Gott Gewicht geben – Bausteine einer geschlechtergerechten Gotteslehre“ von Magdalene L. Frettlöh


 

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