Predigt MCC Köln 21. Feb. 2016
Ines-Paul Baumann
Markus 12,1-12: „Von den bösen Weingärtnern“
Wenn sich Getreidebauern gegen Monsanto wehren… Wenn Griechenland sich wehrt gegen die Aushöhlung seiner Demokratie, weil jetzt Finanzvertreter über Gesetze bestimmen dürfen… Wenn AIDS-Kranke in Afrika keine Medikamente bekommen, weil die Patentrechte eines Chemiekonzerns wichtiger sind als erschwingliche Preise… Wenn eine Pächterin sich gegen einen Knebelvertrag wehrt…: Wenn sich Menschen aus Not gegen jene wehren, die sie unterdrücken und ausbeuten, neige ich spontan zu Sympathie.
Und wenn der ehemals so gewaltige und übermächtige Herrscher hinterher leer ausgeht, freue ich mich wie Robin Hood als Rächer der Enterbten. Wer in Not ist, darf und soll sich wehren, insbesondere gegen übermächtige Eintreiber. Und wenn es zu Gewalt kommt, erkläre ich mir auch das mit der Not der Beteiligten.
So gesehen müssten auch in dem Gleichnis die wehrhaften Weingärtner meine volle Sympathie haben. Der Besitzer, gegen den sie sich auflehnen, kommt als leichter Gegner daher. Sie treiben ihre Spielchen mit ihm. Offensichtlich ist er nicht Herr der Lage. Offenbar hat er keinen Plan. Er kann oder will sich nicht durchsetzen. Die Vertreter, die er schickt, sind eine leichte Beute. Dann ausgerechnet seinen Sohn zu schicken, ist eher der Höhepunkt seiner Fehleinschätzungen als der Höhepunkt eines Plans. Wie kommt er auf die Idee, dass der Sohn mehr Respekt erfahren sollte? Im Gegenteil, als Erbe bietet er sogar noch einen Grund mehr, ihn zu töten. Was ist das nur für ein naiver, ahnungsloser, planloser Weinbergsbesitzer!
(Und mein innerer Robin-Hood muss seine Feindbilder revidieren: Für einen Besitzer ja schon wieder eine sympathische Figur! Warum sind die Weingärtner so gewalttätig??)
So wie das Markus-Evangelium das Gleichnis einbettet, bleibt nur eine Schlussfolgerung: Wer hier so naiv, ahnungslos, planlos dargestellt wird, ist Gott.
Das soll der Gott sein, der angeblich in einer Art göttlichem Masterplan seinen Sohn in die Welt schickt und am Kreuz sterben lässt, damit wir von unseren Sünden erlöst sind? – So wird im Christentum zumindest sonst meist vom Kreuz gesprochen. „Es war Gottes Wille, dass Jesus am Kreuz für uns sterben musste.“ Schon das Neue Testament verbreitet solche Erklärungen, und bis heute ist der Tod Jesu in vielen Glaubenslehren der Höhepunkt seines Erlösungswerks. (Nur) Dank dieses Opfers ist Gott in der Lage, unsere Schuld zu vergeben und uns mit sich zu versöhnen. Was für eine Weisheit und Gnade göttlicher Planung.
Das Gleichnis, das immerhin in allen drei synoptischen Evangelien vorkommt, wirft ein ganz anderes Licht auf den Tod „des Sohnes“. Dieser Sohn wird nicht getötet, weil das der Plan und der Wille seines Vaters war. Sein Vater rechnet gar nicht damit, dass das passieren könnte!
Wo ist hier der Gott, der alles weiß? Der alles vorherbestimmt hat? Der alles in seiner Hand hat? Der allmächtig und allwissend ist? *)
Markus 8,31 setzt das Thema und die Adressaten in denselben Bezug wie hier im Gleichnis: Es geht um die Frage, warum Jesus sterben musste.
„Und er fing an, sie zu lehren: Der Menschensohn muss viel leiden und verworfen werden von den Ältesten und Hohenpriestern und Schriftgelehrten und getötet werden und nach drei Tagen auferstehen.“
Markus 8,31
Das Gleichnis setzt einen Kontrapunkt zu all den Deutungen, in denen die Kreuzigung Jesu Teil von Gottes Plan ist.
Dieser Sohn wird getötet, weil ein paar Leute darin eine Gelegenheit sehen, für sich was Besseres rauszuholen. Die sich in ihrer Not nicht AN den Sohn wenden, sondern die sich in ihrer Not GEGEN den Sohn wenden. Genau das tun die „Hohenpriester und Schriftgelehrten und Ältesten“, die zunehmend als Gegner Jesu dargestellt werden – also die religiöse Führung seiner Zeit.
Es muss eine Menge passiert sein, dass ausgerechnet die religiösen Vertreter im Gesandten Gottes einen Gegner sehen, nicht einen Verbündeten.
In welcher Not waren sie?
Das Markusevangelium erklärt das in den Versen genau vor diesem Gleichnis: Jesus untergräbt ihre Vollmacht. Sie sind Teil eines Systems geworden, in dem sie ein gute Stellung haben. Sie arbeiten mit dem Römischen Reich zusammen. Sie fürchten sich vor den Konsequenzen, wenn sie Jesu Lehre und Wirken anerkennen müssten. Zu viel würde sich ändern müssen. Besitzstandswahrung ist wichtiger geworden. Auch Besitzende und Profiteure können aus Not heraus handeln. **)
Das ist bis heute ein guter Grund, warum sich Religionsvertreter_innen in der Öffentlichkeit genau überlegen, was sie von sich geben. Sie haben was zu verlieren! Ihre Stimmen haben Gewicht. In der Öffentlichkeit und bei vielen Einzelnen genießen sie Autorität. Und insbesondere die öffentliche Wahrnehmbaren haben oft gute Posten.
Von dem Gleichnis, das Jesus hier erzählt, fühlen sich die damaligen Religionsvertreter angegriffen; sie erkennen sich darin wieder (s. Markus 11,27 und Markus 12,12).
Jesus zeigt sie als Religionsvertreter, die nicht mehr im Namen Gottes sprechen. Die sich abgewandt haben von demjenigen, dem sie alles zu verdanken haben (s. Jesaja 5,1-7!). Ihre Worte und Meinungen entstehen zwischen der Sorge um die eigene Besitzstandswahrung und der Anpassung an die faktische politische und wirtschaftliche Welt (also die Herrschaft des Römischen Reiches, damals). Damit ist ihnen die Autorität genommen, noch im Namen Gottes zu sprechen.
Jesus macht darauf aufmerksam, dass nicht alles, was Gottes Vertreter_innen auf Erden sprechen, Gottes Wort und Gottes Willen ist. (Auch in der MCC, selbstverständlich.) Glaubt nicht alles, was sie sagen! WARUM sagen sie, was sie sagen? WER spricht und mit WELCHER Motivation? Und wenn sie noch so oft sagen: „Es steht geschrieben…“!
Wie oft habe ich mich von Gottes Vertreter_innen an unangemessen Punkten klein und schlecht reden lassen (und an unangemessen Punkten groß und gut reden lassen). Sie wussten genau, wo ich falsch lebe, und überhaupt, dass ich falsch BIN. Und natürlich, dass (vor allem in Bezug auf ihre Anerkennung) am besten alles so bleibt, wie es ist. Dass das Normale das Natürliche ist. Dass es natürlich ist, normal zu sein. (Unnormale sind unnatürlich, will sagen: sie entsprechen nicht Gottes Willen.) Und dass Jesus wegen Gottes Willen und Plan sterben musste, weil ich so schlecht bin, dass es nicht anders ging – ich bin schuld an Jesu‘ Tod, ich habe ihn quasi ans Kreuz genagelt.
Heute weiß ich: Ich muss nicht alles glauben, was im Namen Gottes verkündet wird. Aber der Weg hierher war nicht immer einfach. Wie oft habe ich angeeckt mit meiner Art zu leben. Wurde verworfen. Wurde abgeschrieben und hinausgeworfen.
Und dann ist manchmal genau das passiert, was Jesus aus dem Psalm 118 zitiert und auf sich bezieht: Der Eckstein, der verworfen wurde, wurde zum Grundstein. Er wurde von Gott an einen Platz gesetzt, wo er ein entscheidender Teil wurde von etwas Neuem. Jesus wurde genau mit dem, womit er verworfen wurde, Teil von etwas ganz wunderbarem Neuen.
In der MCC gibt es so manche Menschen, die solche Geschichten aus dem eigenen Leben kennen. Ihr seid angeeckt, wurdet verworfen, wurdet hinausgeworfen. Ihr habt nicht ins Bild gepasst, habt euch nicht angepasst. Aber ihr seid Teil von etwas ganz wichtigem Neuen – in euren Gemeinden (in MCC und oft auch anderswo!), gesellschaftlich, in euren Familien, ….
Als Nachfolgende Jesu sind wir Teil jenes Erben, den die Besitzstandswahrer so gefürchtet haben. Mögen nun wir UNSER religiöses Erbe nicht wieder als einen Besitz betrachten, den wir bewahren müssen. Wo WIR uns vor Veränderungen fürchten. Wo WIR wiederum diejenigen verwerfen, die anecken (sei es in der MCC, in der Heteronormatitivät, in der Homonormativität, in mancher Trans*-Kultur, in der „das-Boot-ist-voll“-Stimmung, im Leistungsoptimieren, in ihrer Selbstdarstellung, …).
Genau darauf läuft das Gleichnis zu: Auf die Auferstehung. Gott baut etwas Neues auf.
Bilder von Gott werden durchgeschüttelt und hinterfragt.
Bilder von religiösen Autoritäten werden durchgeschüttelt und hinterfragt.
Bilder von den „Verworfenen“ werden durchgeschüttelt und hinterfragt.
Was auch immer geschieht und geschehen ist: Ecke ruhig an, solange du nicht am richtigen Platz bist.
Und mögen diejenigen, die ihren Platz gefunden haben, dich darin begleiten, ohne von ihrer eigenen Besitzstandswahrung vereinnahmt zu sein.
Vielleicht hast du gerade gar keinen Plan davon, was in deinem Leben und deinem Glaubensleben passiert. Vielleicht hat auch Gott nicht immer einen Plan. Aber eins ist gewiss: „Vom Herrn ist das geschehen und ist ein Wunder vor unseren Augen“!
DANKE AN:
*) Andreas Bedenbender: „Frohe Botschaft am Abgrund: Das Markusevangelium und der Jüdische Krieg“
**) Christoph Türcke: „Mehr!: Philosophie des Geldes“