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Frei erfunden, unlogisch, abgekupfert, widersprüchlich. Völlig richtig.

Predigt MCC Köln
Ines-Paul Baumann

Mt 2,1-12: Die Weisen aus dem Morgenland

Frei erfunden, unlogisch, abgekupfert, widersprüchlich: Diese Geschichte ist so wertvoll, weil sie so vielem widerspricht, was den christlichen Glauben angeblich so wertvoll macht.

1. Teile dieser Geschichte sind frei erfunden und unlogisch.

König Herodes mag machtbesessen und brutal gewesen sein, aber dumm und naiv war er nicht. Die Fremden, die in seinem Hoheitsgebiet auftauchen, haben eine aus seiner Sicht verdächtige und nicht vertrauenswürdige Herkunft, Religion und Zielsetzung. Ausgerechnet sie sollen wichtige Informanten seiner Politik werden? Nie im Leben hätte er sie ohne Beobachtung ziehen lassen und sich auf ihre Diensttreue verlassen.

– Ein leuchtender Stern bewegt sich lange Zeit langsam am Himmel und steht dann genau über dem Haus, in dem Jesus gerade gewickelt wird?
a) Auch damals standen Sterne nicht ein paar Meter über einem Haus. Und wenn sie es getan hätten, dann hätte es sicher irgendjemand mitbekommen. „Hey, ist das nicht das Haus von Maria und Josef mit dem Stern direkt über dem Dach?!“ Dann hätte Herodes wohl kaum die auswärtigen Fremden als Informanten gebraucht :) (Und das Haus wäre längst versengt gewesen…)
b) Wenn so ein deutlich sichtbarer Stern so lange und so langsam als Wegweiser am Himmel auftaucht, hätte das außer Matthäus auch sicher noch jemand anders bemerkt und erwähnt….

OK, es gibt viele Überlegungen zu den damals vorgefundenen Sternenkonstellationen und so weiter. Vielleicht ist das Ganze ja wirklich von vorne bis hinten erklärbar und wahr und genau so gewesen. Aber darauf kommt es gar nicht an.

2. Teile dieser Geschichte entsprechen gar nicht dem, was in der Bibel angeblich drinsteht.

– Stets ist die Rede von den „Heiligen Drei Königen“. Drei? Ja, es waren drei Geschenke, aber sonst ist keine andere Zahl genannt. Diese drei Geschenke können von zwei, drei oder hundert Menschen überbracht worden sein – in der Geschichte selbst bleibt das ungenannt.

– Stets sehen wir Darstellungen von den drei heiligen Königen in einem Stall. In der Geschichte selbst bleibt der Stern aber nicht über einem Stall stehen, sondern über einem Haus.

– Stets sind bei der Übergabe der Geschenke Maria, Josef und Jesus anwesend.In der Geschichte selbst werden aber nur Maria und Jesus genannt. Josef fehlt.

3. Teile dieser Geschichte waren in ähnlicher Form damals gang und gäbe.

„Was jungfräuliche Geburt oder Sternenverkündungen angeht, so gibt es dies in fast allen alten Religionen. Auch andere Gemeinsamkeiten sind mehr als Zufall. In den Fällen der jungfräuliche Geburt hatte diese zumeist nur den Zweck eine ‚best[immte]Herkunft’zu vergöttlichen; sprich der Sohn [von]Isis u. Osiris – Horus – wurde so in den Status eines Gottes gehoben.. Im übrigen [hat er] am 25. Dez. das Licht der Welt erblickt; wie auch Mithras ;)

alt-ägyptisches – Horus: göttl. Herkunft; geboren am 25. Dez. durch die jungfräuliche Isis
Phoenizer – Tammuz/Griechen – Adonis: geboren am 25. Dez. durch die Jungfrau Mylitta
Hindhu – Krishna: geboren n. Sternverkündung durch die Jungfrau Devaki
Persien – Mithras: geboren am 25. Dez durch eine jungfräuliche Mutter
Mazedonien – Alexander d. Große: geboren durch Olympias Empfängnis des Zeus
Buddhismus – Buddha: kgl. Herkunft; geboren am 25. Dez durch die Jungfrau Maya (Sternverkündung)
China – Lao Tse: geboren durch eine Jungfrau
Anatolien – Attis: geboren am 25. Dez durch die Jungfrau Nana
griech.römisch. Reich – Herakles: geboren am 25. Dez durch eine Jungfrau“

(http://www.religiononline.de/showthread.php?tid=2272)

Ca. 40 Jahre vor Jesu Geburt starb der für göttlich erklärte Julius Caesar. Sein Erbe war sein Neffe und Adoptivsohn Augustus Caesar. Als Sohn des göttlichen Julius trug Augustus den Titel „divi filius“ – Sohn Gottes. Das großartige Leben seines Vaters feierte er mit einem Fest, und auf diesem Fest wurde ein Komet am nördlichen Himmel gesehen. Dieser Komet wurde für die Seele von Julius Caesar gehalten, die zum Himmel aufstieg und ihren Platz einnahm unter den anderen unsterblichen, göttlichen Seelen. Für Augustus war der Komet nicht nur ein Zeichen für Julius‘ Auferstehung und Himmelfahrt, sondern auch ein Zeichen des Segens für seine Herrschaft als Kaiser, dem neuen König aller Könige.

Matthäus kannte die Geschichten über Caesar, Herkules und all die anderen griechischen und römischen Mythen und Götter. Und er kannte diese Stellen der Hebräischen Bibel:
– „Es wird ein Stern aus Jakob aufgehen und ein Zepter aus Israel aufkommen“ (Num 24,17)
– „über dir geht auf der HERR, und seine Herrlichkeit erscheint über dir. Und die Heiden werden zu deinem Lichte ziehen und die Könige zum Glanz, der über dir aufgeht. (…) Sie werden aus Saba alle kommen, Gold und Weihrauch bringen und des HERRN Lob verkündigen.“ (aus Jes 60, 1-6)

Sowohl die Geschichten aus der griechischen und römischen Kultur als auch aus dem Judentum: Matthäus bedient sich dieser Geschichten, um seine eigene Geschichte zu erzählen. Die Bilder, die Matthäus einsetzt, sind nicht neu, im Gegenteil: Gerade weil sie so gang und gäbe sind, dienen sie ihm als Illustration für die Bedeutung Jesu.

4. Teile dieser Geschichte stehen in Widerspruch zu grundlegenden Anweisungen, die Teile des Christentums aus der Hebräischen Bibel übernehmen.

Kommen wir vom Stern zur Sterndeutung. Angeblich wird der Astrologie im Alten Testament eine eindeutige Absage erteilt. In der Tat wird das Anbeten von Sternen als Götter genau so verurteilt wie Wahrsagerei. Nicht nur zu Zeiten Jesu hätten Astrologen aber beides weit von sich gewiesen. Wenn Vulkanforscher heutzutage anhand von Messungen einen Vulkanausbruch ankündigen, würde darin auch niemand eine Anbetung seismischer Wellen oder Wahrsagerei sehen.

Trotzdem können Christen, die aus dem Alten Testament eine Absage an Astrologie lesen, die Sterndeuter im Neuen Testament ganz ohne Probleme davon trennen: „Offensichtlich war es Gott möglich auf wunderbare Weise durch einen Stern zu reden, ohne auf die im Alten Testament strikt abgelehnte Astrologie zurückgreifen zu müssen.“*

Wieso das denn?? „Man bedenke, bei wichtigen heilsgeschichtlichen Ereignissen war das Eingreifen Gottes oft sehr markant.“* Das ist unbenommen, aber warum diese Klimmzüge? Es kann nicht sein, was nicht sein darf?

* Pastor Dietrich Ebeling in der FeG Rhein-Sieg, 24. Dezember 2007

5. Teile dieser Geschichte bezeugen „wahren“ Glauben ohne Bekehrung.

Die drei Fremden waren nicht nur Sterndeuter, sondern entstammen einer anderen Religion (wohl dem Zoroastrismus) und sind darin vergleichbar mit Priestern. Matthäus lässt sie trotzdem in seiner Religion auftauchen, ohne dass sie sich zu seiner Religion bekehren. Sie praktizieren ihre eigenen Traditionen, und darin finden und folgen sie einem himmlischen Zeichen, huldigen dem jungen Jesus, und beschützen Jesus dann, indem sie auf einem anderen Weg nach Hause zurückkehren als sie gekommen sind.

Genau so, wie sie sind, macht Matthäus sie zu Vorbildern in seiner Erzählung über Jesus und wahren Gottes-Dienst. Ganz ohne Bekehrung.

Was ist also „christlich“?


Muss etwas „wahr“ sein, um „christlich“ zu sein?
Muss etwas „zum Christentum passend“ sein, um „christlich“ zu sein?
Muss etwas „einzigartig“ sein, um „christlich“ zu sein?
Muss etwas „widerspruchsfrei“ sein, um „christlich“ zu sein?
Muss etwas „unheidnisch“ sein, um „christlich“ zu sein?

Matthäus beantwortet alle diese Fragen auf einen Schlag mit „Nein“! Gerade weil er diese Geschichte erfindet (als Einziger der vier Evangelisten des biblischen Kanons), wird deutlich, was er damit sagen will und worauf es ihm ankommt.

Matthäus zeichnet die Sterndeuter in ihrer Begegnung mit Jesus als Gegenentwurf.

a) Die Sterndeuter sind der Gegenentwurf zu Herodes: Dessen Machtansprüche machen Jesus für ihn zu einem Gegner. (Auch heute wenden sich manche Menschen gegen jede Form von Gottesbezug, weil sie von ihrer – vermeintlichen – persönlichen Autonomie bloß nichts abgeben wollen.)

b) Die Sterndeuter sind der Gegenentwurf zu Jerusalems Religionskreisen, in denen das Wissen über Gott keinerlei Bezug und Auswirkung auf das eigene Leben hat. (Auch heute bewegt Wissen über Religion und Spiritualität allein noch nix und niemanden.)

Der Gegenentwurf der Sterndeuter dient als Vorbild für Christen und ihren Gottesdienst, wie Matthäus ihn versteht: Die Sterndeuter bringen Gold (einen Teil ihres Einkommens), Myrrhe (Gesundheit und Vitalität) und Weihrauch (Gebete). Geld, Gaben und Gebet, das zusammen ist wahrer Gottesdienst. Die Sterndeuter huldigen Jesus mit allem, was sie sind, und mit allem, was sie haben; in der Tat, darum geht’s beim christlichen Gottes-Dienst.

Der Gottes-Dienst der Sterndeuter findet trotzdem nicht in einem bestimmten „christlichen“ Kontext statt. Und genau das ist der Punkt, um den es Matthäus geht: Ihre Religion, ihre Tradition, die Grundlagen ihres Handelns und ihre gesamte Kultur „passen“ nicht zu den gewohnten religiös-frommen Erwartungen. Aber genau ihnen ruft er zu: Herzlich willkommen!

Herzlich willkommen!


Die Sterndeuter verbleiben in ihrer Religion und ihrer „anderen“ Kultur – aber genau sie erkennen, was/wer wirklich in Jesus steckt: Gott.

„Christus erleben“ ist eines der Anliegen von uns als MCC Köln, und genau das tun die Sterndeuter: Sie erleben Christus. Sie begegnen Christus, sie erkennen Christus, sie beten Christus an. Ohne sich zu bekehren, einfach „nur“ so, wie sie sind, sind sie in der Lage zu erkennen, wo ihr spirituelles Leben sie hinführt. Als Christen erkennen wir in dem menschgewordenen Jesus die Liebe Gottes. Aber diese Erfahrung ist nicht auf Christen beschränkt. Unser Vokabular und unsere Geschichte(n) sind „christlich“, aber die Sehnsucht nach der Begegnung mit dem Göttlichen im Rahmen der eigenen Lebenszusammenhänge ist universal. Menschen aus dem Judentum, dem Islam, dem Buddhismus, Humanismus, Hinduismus, oder – wie bei Matthäus: dem Zoroastrismus –, sie alle können den/die/das Heilige/n erleben, wann auch immer und wo auch immer sie offen dafür sind.

Schwule und Lesben, Menschen aus Köln und anderswo, Menschen aller Geschlecher … alle können Gotteserfahrungen machen.

Matthäus betont das in seinem gesamten Evangelium. Immer wieder sind „die anderen“ willkommen:

– Eine arme Famile ist willkommen – als Familie Jesu.

– Fremde aus einem anderen Land (Perser, die in der Vergangenheit Matthäus‘ eigenes Volk unterdrückt hatten) sind bei Jesus willkommen. Aus früheren Feinden werden bei Matthäus Gottes Freunde.

– Sie sind aber nicht nur aus Persien, sie praktizieren Astrologie, lesen die Sterne und deuten ihre Beobachtungen – und sie sind willkommen.

– Sie sind aber auch nicht nur Sterndeuter, sie sind Magiere, Prieser einer fremden Religion, und sie sind willkommen.

Arme, Fremde, Menschen aus anderen Religionen … bei Matthäus können alle der voraussetzungslosen und bedingunglosen Liebe Gottes begegnen.

Wir als MCC Köln….

Menschen haben unterschiedliche „Sterne“, die sie leiten und an denen sie sich orientieren. Damit können sie zu Jesus finden. Machen wir ihnen Mut, auf ihren Stern achten zu können! (Statt auf Machthaber oder starre Religionskreise!)
Anerkennen wir den Weg, der SIE zu Jesus führt! (Nicht nur den, der dich oder mich zu Jesus geführt hat!)
Erlauben wir ihnen, „Christus zu erleben“ im Rahmen IHRES Lebens/Denkens/Glaubensrahmens, nicht nur als Folge einer Abkehr von ihren eigenen Wurzeln!
Hören wir auf, „das Christentum“ als in allem einzigartig, unheidnisch, faktisch wahr, in sich klar und widerspruchslos ansehen zu müssen!
Was unseren Glauben so einzigartig macht, ist genau das, was Matthäus hier beschreibt: Alle sind willkommen. Egal, wie sie hierher gefunden haben und wohin sie im Anschluss gehen werden.
Egal, ob wir sie jemals wiedersehen oder nicht: Solange sie hier sind, sind sie in der Gegenwart Gottes. Sie sind willkommene und anerkannte Geschöpfe Gottes, von Gott geliebt und wahrgenommen und begleitet. Es ist an uns, diese Liebe und dieses Wahrgenommensein und diese Begleitung weiterzugeben.

… Und du?

– Was ist dein „Stern“? Wie findest du zu Jesus, auch wenn dein Glaubensleben mal völlig im Dunkeln liegt? Wenn keine Sonne dein Herz und deinen Glauben erwärmt und erleuchtet? Was leitet dich dann?
Was sagt das aus über den Jesus, dem du begegnest?
Was macht das aus dem Jesus, dem du begegnest?
Und was macht dieser Jesus dann mit dir? Mit deinen Gaben, deinem Geld und deinen Gebeten?

– Wie kannst du anderen dabei helfen, ihren eigenen Stern wahrzunehmen? Welche Wege gehst du mit ihnen, wenn ihr Glaubensleben im Dunkeln liegt? Wie behandelst du Menschen, wenn sie auf anderen Wegen zu Jesus finden oder im Anschluss an einen Gottesdienst andere Wege gehen als du?

Danke:
– http://sermons.sunshinecathedral.org/2012/it%E2%80%99s-time-for-an-epiphany
– http://sermons.sunshinecathedral.org/2010/a-star-is-born

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