Daniel Großer
Christi Himmelfahrt
Was du heute kannst besorgen, das verschiebe nicht auf morgen. Die Eigenschaft, etwas sofort zu erledigen, ist ein preußisches Ideal. Die Ungeduld der Deutschen und ihr Tatendrang (und -zwang) sind auf der ganzen Welt berüchtigt. Vielleicht ist der Text des Liedes ja gerade deswegen so lustig, denn die Sängerin Sandra Kreisler wendet sich gegen Stress und Hektik. Erst mal einen Kaffee! Immer mit der Ruhe! Kann doch alles bis morgen warten! Hetz mich nicht! Ich lass es “chillig” angehen! Dummerweise wartet sie in ihrem Lied zu lange darauf, etwas anzupacken – und sieht sich schließlich als alte Frau, der die Lust und Kraft zur Gestaltung fehlt und die am Ende erkennt, dass sie nichts geschafft hat.
Ein Freund von mir hat mir einmal von seinem Studium erzählt, und dass es damit schleppend vorangeht. Die Prüfungen legte er nur langsam ab, und so verging Jahr um Jahr, ohne dass sich sonderlich viel an seiner Lage tat.
“Ich bin ein Prokrastinierer!”, sagte er mir.
“Du bist ein WAS?”, fragte ich überrascht zurück.
“Ein Prokrastinierer!”
Offenbar gibt es also sogar ein wissenschaftliches, hochtrabendes Wort dafür, etwas ewig auf die lange Bank zu schieben.
Am vergangenen Donnerstag haben wir Christi Himmelfahrt gefeiert. Auch im Glaubensbekenntnis, das wir eben miteinander gesprochen haben, haben wir uns daran erinnert. Christen glauben, dass Jesus Gottes Sohn war, also ganz Mensch und ganz Gott. Wir glauben, dass er auf dieser Welt gelebt und gewirkt hat, dass er von Menschen zum Tode verurteilt wurde, am Kreuz hingerichtet wurde. Wir glauben, dass er von den Toten wiederauferstanden ist. Das ist Ostern. Wir glauben, dass er seinen Jüngern und Jüngerinnen noch einen guten Monat lang erschien und Zeit mit ihnen verbrachte, bevor er diese Welt verließ und in den Himmel zurückkehrte. Daran gedenken wir zu Christi Himmelfahrt.
Seither ist Gott bei uns durch den Heiligen Geist, die uns leitet und begleitet, die uns inspiriert und uns Gottes Gegenwart versichert. In dieser Zeit leben wir. Und als Christen glauben wir, dass Jesus wiederkommt, dass wir Menschen eine Vollendung finden in der Nähe Gottes. Für die Christen, die davor sterben, heißt das: Wir glauben an ein Leben nach dem Tod.
Als Christen leben wir also in einer Zeit zwischen Christi Himmelfahrt und Christi Wiederkunft. Und Christi Wiederkunft lässt ganz schön auf sich warten. Inzwischen sind es zweitausend Jahre! Ist Jesus ein Prokrastinierer, schiebt er etwas vor sich her?
Statistisch gesehen verhält sich die Wahrscheinlichkeit dafür, dass Christus wiederkommt, genauso wie die Wahrscheinlichkeit, dass eine Glühbirne durchbrennt. Egal, wie lange die Glühbirne schon brennt: Es ist immer gleich wahrscheinlich, dass sie im nächsten Augenblick kaputt geht.
In Matthäus 25, 13 sagt Jesus: “[Deshalb] schlaft nicht ein und haltet euch bereit, denn ihr kennt weder den Tag noch die Stunde meiner Wiederkehr.” (nach: Neues Leben)
Schön und gut. Jesus ist fort, wir wissen nicht, wann er wiederkommt. Wir hängen also hier im Diesseits herum. Und nun? Erst mal nen Kaffee, könnte man meinen. Das Beste kommt ja erst noch, oder nicht? Da können wir ja schonmal weitermachen wie gehabt.
Nachdem Jesus gestorben war, ging es seinen Jüngern und Jüngerinnen ganz ähnlich. Zunächst waren sie von Angst erfüllt und fürchteten ständig, verhaftet und womöglich ebenfalls hingerichtet zu werden. Sie versteckten sich. Erst mal nen Kaffee. Sie kehrten in ihre alten Berufe zurück. In Johannes 21 erfahren wir, dass die Jünger wieder in ihre Berufe zurückgekehrt sind. Das Leben zur Zeit Jesu war kein Zuckerschlecken, einen Sozialstaat gab es nicht, und wer nicht betteln oder verhungern wollte, musste arbeiten.
[Lesung: Johannes 21, 1 – 17; eventuell kürzen und inhaltsgetreu nacherzählen]
Die Bibel berichtet uns nicht von allen Jüngern die Berufe, doch es scheint ein guter Schnitt durch die damalige Bevölkerung zu sein. Vier Jünger sind Fischer (Petrus, Andreas, Jakobus, Johannes), einer Zollbeamter (Matthäus), einer Bürgerrechtler/Revoluzzer (Simon Kananäus, Zelot → Aufständischer). Erstmal nen Kaffee. Erstmal in den Beruf zurück, in die alte Sicherheit, das vertraute Leben. Jesus hat zwar versprochen, dass er wiederkommt, aber bis es soweit ist, kann man ja schonmal nach Schema X weitermachen. Der Himmel kommt ja eh erst später, das hat Zeit.
Aber Jesus erscheint seinen Jüngern, um sie an etwas zu erinnern, was sie eigentlich schon wissen sollten:
In Johannes 3,15 wird betont, “dass alle, die an ihn glauben, das ewige Leben haben”
“Wer an den Sohn glaubt, der hat das ewige Leben” (Johannes 3,36).
“Solches habe ich euch geschrieben, die ihr glaubet an den Namen des Sohnes Gottes, auf dass ihr wisset, dass ihr das ewige Leben habt” (1 Johannes 5,13)
Frei übertragen: “Sag mal, worauf wartest du eigentlich? Das ewige Leben hat längst angefangen! Der Kaffee ist längst da! Komm mal in die Puschen, weide meine Lämmer!”
Ich habe euch vorhin also ein wenig über den Tisch gezogen. Wir sitzen hier nicht nur herum, warten auf den Kaffee – den Markus ganz wunderbar kochen kann – und auf Jesus Wiederkunft. Das ewige Leben, dass Jesus uns verheißt, ist längst angebrochen. Bei dir und bei mir.
Vielleicht denkst du gerade: “Ach? War mir gar nicht klar! Ist mir irgendwie nicht aufgefallen oder an mir vorübergegangen.” Aber ganz im Ernst: Jesus begegnet uns in der Bibel als überlegt und fürsorglich. Die Himmelfahrt Jesu bedeutet nicht etwa: “Ich bin dann mal weg, seht mal zu, wie ihr da unten klar kommt. Ich mach mich aus dem Staub und kuck dann später mal, was so draus geworden ist.”
Die Himmelfahrt Jesu ist ein Auftrag an uns. Jesus traut uns zu, das ewige, von ihm verheißene Leben hier und jetzt im Anbruch zu erleben und zu gestalten. Sein Heiliger Geist, die uns tröstet, leitet und begleitet, bewirkt das. Stellen wir uns den Himmel lieber nicht zu passiv vor. Erwarten wir lieber nicht, dass wir dort als süße dicke Engelchen den ganzen Tag passiv auf einer Wolke herumhängen und erst mal nen Kaffee trinken. Erwarten wir lieber nicht, dass Gott alles macht und wir vor fertige Tatsachen gesetzt werden, dass unser Tun und Denken im Himmel keinen Wert hat weil dann alles einfach friedlich irgendwie so passiert.
“Weide meine Lämmer.” Damit spricht Jesus Petrus zu: “Mein Himmelreich bricht jetzt an, lass es uns gemeinsam gestalten, ich brauche dich dafür!”
Christi Himmelfahrt ist eine Aufforderung an uns, endlich mit der Gestaltung des ewigen Lebens anzufangen. Hier und Heute. Nicht alleine, sondern miteinander und mit dem Heiligen Geist, den Gott uns gibt.
Was bedeutet es, das ewige Leben zu gestalten? Muss ich mir dafür Flügel wachsen lassen? Benötige ich eine Harfe? Brauche ich blonde Locken [wird bei meinem Haarwuchs schwierig]? Muss ich den ganzen Tag fromm in die Gegend schauen und erlöst lächeln?
Auch in dieser Sache lässt uns Gott einen Auftrag: Das Doppelgebot der Liebe. Liebe Gott und liebe deinen Nächsten, wie dich selbst. (frei nach Matthäus 22, 37-40) Ich verstehe das nicht als Gesetz, dass ich gefälligst zu erfüllen habe und an dem ich gerichtet werde. Ich verstehe das als ein Werkzeug! Das Doppelgebot der Liebe ist ein Werkzeug, mit dem wir das ewigen Leben gestalten sollen, das längst angebrochen ist.
Gott und unsere Nächsten lieben wollen, lieben lernen, und dieser Liebe Ausdruck zu verleihen, das ist der Auftrag von Christi Himmelfahrt. Er beginnt da, wo wir nach Gottes Gedanken fragen. Wo wir respektvoll mit uns und anderen umgehen. Wo wir helfen, wenn Not ist. Wo wir nicht nach Herkunft, Rasse, Geschlecht und Religion fragen, sondern danach, wie wir Unterstützung geben können. Wo wir treu die Aufgaben erledigen, die uns anvertraut sind. Wo wir auf uns selbst und auf andere achten. Wo wir Gott bezeugen. Wo wir den Frieden Gottes einander zusprechen, und ihn leben wollen.
Denn der Kaffee, das ewige Leben in Jesus Christus, ist längst eingegossen.