Impuls MCC Köln, Ines-Paul Baumann
17. September 2023
Matthäusevangelium 6,25-34
Ohne Nahrung ist nix mit Leben. Und in einer transfeindlichen Umgebung reicht manchmal schon die Kleidung, um leiblich angegriffen zu werden. Und da sollen wir uns keine Sorgen machen??
Essen, Trinken, Kleidung: Jesus wusste das sehr wohl zu schätzen. Vielleicht weist er genau deswegen darauf hin, dass diese nicht an Vorleistungen geknüpft sein dürfen – und dass sich kein Mensch darum sorgen sollen muss.
„Sorgt euch nicht um euer Leben, was ihr essen und trinken werdet; auch nicht um euren Leib, was ihr anziehen werdet. Ist nicht das Leben mehr als die Nahrung und der Leib mehr als die Kleidung?“ (Matthäus 6,25-34)
„Wenn jede*r an sich denkt, ist an alle gedacht.“ Was für ein furchtbarer und zynischer Spruch. Das Gegenteil kann aber ja auch nicht sein, dass keine*r mehr an sich denkt. Wie sollen wir das Gebot der Nächsten- und Selbstliebe erfüllen, wenn wir uns um nichts und niemanden mehr sorgen sollen? So ein Ansatz passt überhaupt nicht dazu, wie aufmerksam auch Jesus mit sich selbst und mit anderen umgegangen ist. Meint Jesus wirklich, dass wir nicht zu Vorsorge-Untersuchungen gehen sollen („das beweist nur deinen Unglauben!“)?
Der Autor N. T. Wright hat sich ebenfalls mit dieser Bibelstelle befasst. Ich kann seinem Text nicht in allem zustimmen, aber ein paar Gedankengänge darin finde ich doch ganz inspirierend. Insbesondere bin ich hängengeblieben bei den Gedanken,
- dass es manchmal vielleicht wirklich reicht, ich selbst zu sein, dass ich genau so wunderschön bin …
(„Die Blume verbrachte nicht Stunden vor dem Spiegel, für das Make-up. Sie kaufte keine elegante Kleidung. Sie war nur sie selbst: herrlich, von Gott gegeben, wunderschön.“ – S. 83) - dass G*tt Freude hat an der Welt und IN der Welt …
(„[Jesu] Spiritualität ist meilenweit entfernt von den Lehrern, die darauf bestehen, die gegenwärtige Welt sei ein Ort von Schatten, Dunkelheit und Eitelkeit, und die wahre Philosophie bestehe darin, dieser Welt zu entfliehen und sich auf die Dinge des Geistes zu konzentrieren. (…) Er redet nicht von einem Gott, der weit von der Welt entfernt ist, dem Schönheit, Leben, Essen und Kleidung völlig egal sind.“ – S. 83) - und dass Jesus offenbar die Fähigkeit hatte, den Moment zu genießen, ohne dass der Wert dieses Moments davon abhing, welchen Nutzen er für morgen hat.
(„Bei [Jesus] zählte der gegenwärtige Moment nicht nur im Blick darauf, was als Nächstes kam.“ – S. 83)
Wie wäre das, wenn es nicht immer darum gehen muss, erst etwas leisten müssen? Wenn nicht „das Zusätzliche“ zählt, sondern das, wie es ist? Mir fallen auf Anhieb ein paar Beispiele dafür ein:
- Früher habe ich oft erlebt, dass ich erst dann „trans genug“ gewesen wäre, wenn ich das komplette Programm „von Frau zu Mann“ durchlaufen wäre. Heute ist das anders: Auch ganz ohne Maßnahmen kann ich trans* sein. Es kommt auf mich an, nicht auf meine zusätzlichen Leistungen. Beides ist möglich und ok!
- Vielleicht meint Jesus mit seinem Aufruf „kehrt um!“ nicht immer nur, dass wir alles anders machen müssen, sondern vielleicht auch, einfach mal weniger zu machen – sowohl vor/für G*tt, aber z.B. auch im Sinne von Nachhaltigkeit, Klima, etc (die Vögel und die Blumen hatte Jesus ja vor Augen!).
- Wie ist das eigentlich mit Kirchengebäuden und Liturgien: Wie sehr sprechen SIE eine Sprache von Leistung? Bzw. inwieweit geben sie Raum dafür, dass „Zusätzliches“ nicht nötig ist? Darf hier sein, was einfach ist? Gibt es in ihnen ein Auge dafür, wie schön das ist, was ist?
- Inwieweit kann ich tatsächlich Entscheidungen treffen für heute, ohne die Konsequenzen für morgen mitbedenken zu müssen? Wenn ich mich z.B. heute zeige, wie ich wirklich bin, wird das zu einem Outing, das mir morgen zum Verhängnis wird?
Im Nachgespräch wurde das vertieft und konkretisiert – von Diskriminierung bis zur Sorge um die eigene Leibesfülle, die in der Schwulensauna plötzlich Begehren weckt genau so, wie sie ist.
Entscheidend dafür, dass wir uns weniger Sorgen machen müssen, wäre ein Umfeld, in dem das möglich ist: weil es mitsorgt, sich um einander sorgt und Fürsorge aufteilt. Nicht umsonst erwähnt Jesus dauernd, dass G*tt weiß, wessen wir bedürfen – dieses Mitsorgen von außen ist für Jesus der Schlüssel. Die Sorgen um das eigene Morgen sollen uns eben nicht davon abhalten, die heutigen Sorgen miteinander ins Auge zu fassen und anzugehen.
Dieser Text ist zusammengestellt aus der Vorbereitung, dem Buchausschnitt von N. T. Wright und dem Austausch beim Gottesdienst heute.
N. T. Wright: „Matthäus für heute. Band 1.“ Brunnen Verlag 2013