Zum Inhalt springen
Home | Die Folgen struktureller und persönlicher Gewalt in sich tragen und sichtbar machen… (wie und als der „Leib Christi“)

Die Folgen struktureller und persönlicher Gewalt in sich tragen und sichtbar machen… (wie und als der „Leib Christi“)

Impuls MCC Köln, Ines-Paul Baumann
3. Nov. 2024

Jesu Leib ist gezeichnet von der Gewalt, die er (auf struktureller und schließlich auch auf körperlicher Ebene) erfahren hat. Auch nach seiner Auferstehung trägt er diese Wunden mit sich – womit diese Wunden auch „im Himmel“ präsent und sichtbar sind. Wenn nun Kirche seit Paulus als Leib Christi verstanden werden kann: Wo finden diese Verletzungen in christlichen Gemeinschaften ihren Ausdruck? Sind vielleicht die Erfahrungen, die auch wir mit struktureller und persönlicher Gewalt machen, ein nicht unwichtiger Teil von Kirche als Verkörperung des Leibes Christi?

Ausgehend vom Intersex Awareness Day hatten wir uns letzte Woche damit beschäftigt, inwiefern utopische Vorstellungen von auferstandenen Körpern vor allem deswegen spannend sind, weil sie viel über die Maßstäbe aussagen, mit denen wir VOR dem Tod Körper sehen.

In der christlichen Tradition ist Jesus das am häufigsten dargestellte Beispiel dafür, was für Vorstellungen sich Glaubende von Auferstehungskörpern machen. Darin gibt es einige Bilder von dem auferstandenen Jesus, in denen sein Leib von den Wunden, die ihm bei seiner Hinrichtung zugefügt wurden, auch nach seiner Auferstehung sichtbar gezeichnet ist. Hier zwei von vielen Beispielen:

„Es sind die auch in seinen Auferstehungsleib noch eingeschrieben Spuren der Passion des menschgewordenen Gottessohns, in denen Gott in sich selbst das Leiden der Schöpfung vor Augen steht.“, fasst Magdalene L. Frettlöh hierzu zusammen, und stellt fest: „In der vom Kreuzestod gezeichneten Auferstehungsleiblichkeit des Sohnes lässt der trinitarische Gott das Leiden der Geschöpfe in sich selbst hinein.“ (in: „Dies ist mein Leib“, Gütersloh 2006, S. 221f)

Wenn also ausgerechnet die „himmlische“ Version des Leibes Christi nicht nur für Perfektion und Macht steht, sondern gleichzeitig weiterhin ganz irdische Verwundungen und Verletzungen in sich trägt, dann sind Perfektion und Verwundung keine Gegensätze mehr. Susannah Cornwall spricht von „wounded power“ und „imperfect perfection“. (in: „Sex and the Uncertainty in the Body of Christ“, New York 2014, S. 106ff).

Im himmlischen Sinne von Heil, Heilung und Heiligung beziehen sich Perfektion und Verwundung also vielleicht eher so aufeinander wie Vorstellungen von der Allmacht und Ohnmacht Gottes: Beide (= Allmacht und Ohnmacht, genauso wie Perfektion und Verwundung) sind nur zu ertragen, wenn sie einander ergänzen, korrigieren und begrenzen – und dadurch vielleicht überhaupt erst ermöglichen. Nur in dieser Verzahnung können sie Raum haben.

Nun gibt es seit Paulus aber auch umgekehrt die Vorstellung, dass in der Auferstehung Christi nicht nur irdische Leiblichkeit im Himmlischen präsent ist, sondern auch, dass dieser Leib Christi (seit seiner Auferstehung) auf Erden verkörpert wird durch die Gemeinschaft der Glaubenden; also von Kirche als Leib Christi:

Überfordert euch nicht bei dem, wofür ihr euch einsetzt, achtet auf eure Grenzen bei dem, was ihr vorhabt. Denn Gott hat jedem und jeder ein bestimmtes Maß an Kraft zugeteilt, Vertrauen zu leben. Denkt an unseren Körper. Er ist eine Einheit und besteht aus vielen Körperteilen, aber nicht jedes Teil hat dieselbe Aufgabe. So sind wir, obwohl wir viele sind, doch ein einziger Körper in der Gemeinschaft des Messias. Einzeln betrachtet sind wir Körperteile, die sich füreinander einsetzen.

Brief an die Gemeinde in Rom 12,3b-5 (Bibel in gerechter Sprache)

Ihr seid der °Leib °Christi und – einzeln genommen – Angehörige Christi.

An die Gemeinde in Korinth: Erster Brief, Kapitel 12, Vers 27 (Bibel in gerechter Sprache)

Christus hat keine Hände, nur unsere Hände,
um seine Arbeit heute zu tun.

Er hat keine Füße, nur unsere Füße,
um Menschen auf seinen Weg zu führen.

Christus hat keine Lippen, nur unsere Lippen,
um Menschen von ihm zu erzählen.

Er hat keine Hilfe, nur unsere Hilfe,
um Menschen an seine Seite zu bringen.

Gebet aus dem 14. Jahrhundert

Wenn also der Leib des auferstandenen Christus die Spuren von Gewalt weiter in sich trägt (und Irdisches damit im Himmel präsent ist), was bedeutet das dann für die Verkörperung des auferstandenen Christus (als Präsenz des Himmlischen auf Erden)?

Wenn Kirchen, Gemeinden und Gläubige den „Leib Christi“ auf Erden darstellen, wenn unsere Hände die Hände Christi sind: Dann muss doch auch in Kirchen, Gemeinden und Glaubenden der Leib Christi verkörpert werden als Leib mit Wundmalen als Folge seiner Kreuzigung – also als ein Leib mit Auswirkungen institutioneller und religiöser Gewalt. Ein Leib, der die Folgen hegemonialer und normativer Gewalten in sich trägt und sichtbar macht – verletzt, solidarisch, kritisch und anklagend.

(Die MCC hatte in den 80er und 90er Jahren nicht umsonst den Namen „Kirche mit AIDS“!)

„Erlöster müssten mir die Christen aussehen“, höhnte Nietzsche. Reicht das, wenn der erlöste Leib der Erlösers nicht von den erlittenen Verwundungen erlöst auftritt?

Ist die Sichtbarkeit der Spuren von Gewalt, die in uns selbst eingeschrieben sind, vielleicht nicht nur wichtig für ein solidarisches und wahrhaftiges Miteinander (weil Jesus immer so solidarisch war und G*tt uns eh wahrhaftig ansieht und annimmt)? Sondern auch, weil sich hierin etwas ausdrückt als Verkörperung von G*tt selbst angesichts einer verletzenden und gewaltvollen Welt?

Wie/wo sind die Wundmale des Leibes Jesu bei uns sichtbar in dem, was wir als Kirche, Gemeinde und Glaubende vom Leib Christi sichtbar machen? Wo haben sie Raum und Präsenz in unseren Leben, in unserer liturgischen Gestaltung der Sonntage, in unseren Räumlichkeiten (z.B. der rissige Boden im Gemeindezentrum?)?

 

 

Skip to content