Predigt MCC Köln, 20. April 2014 (Ostersonntag)
Ines-Paul Baumann
Mk 16,1-8: Die Botschaft des Engels im leeren Grab / Die Auferstehung Jesu
Lasst uns heute einstimmen in das Fest, das den Mächten und Mächtigen dieser Welt bis heute Anlass gibt, einschüchterungs-resistente Christen zu fürchten!
Lasst uns einstimmen in das Fest, das Religion bis heute alle Argumente dafür nimmt, Gewaltopfer und Sühnopfer als gottgewollt zu rechtfertigen!
Lasst uns einstimmen in das Fest, mit dem Gott unsere Existenz verwandelt in Leben!
Lasst uns feiern, dass es nichts mehr gibt, was uns von der Liebe Gottes trennen kann,
dass sich selbst der Tod dem Leben nicht mehr in den Weg stellen kann,
dass der Tod nicht mehr das letzte Wort hat und dass Gewalt niemals siegen wird.
Lasst uns feiern, dass Jesus lebt, und dass wir mit ihm leben sollen.
Lasst uns das Fest der Auferstehung feiern!
Um dies in aller Fülle feiern zu können, fehlt nur noch eins: Die Auferstehung selbst aus den Fesseln des Todes zu befreien.
Ausgerechnet die Auferstehung nämlich ist es, die in manchen Köpfen aus der gewaltvollen Hinrichtung Jesu dann doch wieder etwas gottgewolltes macht:
Die Auferstehung scheint manchmal das Gültigkeitsdatum der christlichen Botschaft in umgekehrter Richtung zu sein; nicht „gültig bis“, sondern „gültig ab“ der Auferstehung:
Erst mit der Kreuzigung und Auferstehung habe all das, was Jesus zu Lebzeiten gelehrt und gewirkt hat, Gültigkeit bekommen. Nur durch Jesu Tod sei all das möglich geworden, was er zu seinen Lebzeiten gelehrt und gewirkt hat.
Und dafür schubsen wir Jesus dann doch immer wieder rein in den Tod, wo Jesus durch die Auferstehung doch gerade herausgerissen wurde aus der Macht des Todes.
Ich glaube hingegen, dass alles, was Jesus gelehrt und gewirkt hat, nicht so lange auf Stand-By stand, bis sein Tod dem Ganzen endlich Wirksamkeit verschafft hat.
- Wenn Jesus gesagt hat, dass wir zu Gott als unserem Vater beten sollen und uns damit klargemacht hat, dass wir alle gleichermaßen Kinder Gottes sind, hat er nicht gesagt: „Und wenn ich erst mal gestorben bin, dann sollt ihr so beten.“
- Wenn Jesus gesagt hat: „Kehrt um und ändert euer Leben“, dann hat er nicht gesagt: „Nach meinem Tod sollt ihr umkehren und euer Leben ändern.“
- Wenn Jesus Kranke geheilt hat und im Namen Gottes Sünden vergeben hat, dann hat er nicht gesagt: „Hier ist der Gutschein mit der Heilung, und hier ist der Gutschein für die Vergebung; nach meinem Tod könnt ihr das einlösen.“
Ich glaube an die Auferstehung, nicht DAMIT im Nachhinein Jesu Leben mit Wirksamkeit ausgestattet wird, sondern WEIL Jesu Leben so wirksam ist.
Genau darauf verweist das seltsame ursprüngliche Ende im Markus-Evangelium Kapitel 16,1-8. Es fängt aber auch schon vorher an. Die erste „Frohe Botschaft“ aus dem Markus-Evangelium kann somit auch allen ein Trost sein, die sich schwer tun mit der Auferstehung. In dieser Szene reicht es, auf Jesus als den Gekreuzigten zu blicken:
1) Der Blick auf den Gekreuzigten
Der erste, der im Markus-Evangelium davon überzeugt ist, dass der gekreuzigte Jesus tatsächlich Gottes Sohn ist, ist der römische Hauptmann – noch während Jesus am Kreuz hängt. »Dieser Mann war wirklich Gottes Sohn.«, stellt er fest.
(Manche Auslegungen sehen hierin einen höhnischen Kommentar; daran können meine Beobachtungen dann NICHT anknüpfen. Vielleicht hat der Hauptmann es tatsächlich höhnisch gemeint. Die Christen und Christinnen, die bis heute vor dem Kreuz stehen und sagen, der gekreuzigte Jesus „war wirklich Gottes Sohn“ und darüber zum Glauben gekommen sind, habe ich allerdings eigentlich NIE höhnisch erlebt. Vielleicht sehe ich SIE in dem Hauptmann, vielleicht unberechtigterweise. So oder so, meine Gedanken dazu sind direkt übertragbar.)
Es ist eine erstaunliche Situation, in der er zu dieser Erkenntnis kommt. Vor sich sieht er einen sterbenden Mann bei einer Hinrichtung, und dessen letzte Worte waren: »Mein Gott, mein Gott, warum hast du mich verlassen?«
Was für ein „Dialog“! Da schreit der eine seine Einsamkeit und Verzweiflung heraus, und der andere kommt daraufhin zum Glauben.
Von Auferstehung weit und breit keine Spur, und trotzdem geschieht hier Erkenntnis und Gottesbezug. Offensichtlich kann es auch ohne gehen, und zwar ohne beides:
– Es kann ohne die Auferstehung gehen: Der römische Hauptmann erkennt in Jesus den Sohn Gottes nur aufgrund dessen, was er von Jesu Leben und Sterben weiß. Ich glaube nicht, dass Jesus den römischen Hauptmann von der himmlischen Bettkante schubst, nur weil der mit seinem Glaubensbekenntnis nicht brav abgewartet hat, bis die Auferstehung stattgefunden hat.
– Und zweitens zeigt diese Szene, dass es nicht an unserer „Überzeugungskraft“ liegt. Ich finde es sehr entlastend, dass Jesus seine Gottesverlassenheit so offen zeigen kann. Dann müssen auch wir mit unseren Zweifeln und Fragen nicht mutieren zu Felsen, die in allem „gewiss“ und „siegessicher“ sind. Unsere Botschaft ist eben nicht nur dann überzeugend, wenn wir selbst restlos überzeugt rüberkommen.
Die Szene hier am Kreuz entlastet uns davon, und damit setzt sie auch die Auferstehung frei. Die Auferstehung ist kein Mittel zum Zweck, um beim Bezeugen unseres Glaubens alle Zweifel auszuräumen.
Wenn sogar Jesus solch eine große Gottverlassenheit fühlen und kundtun darf, dann müssen wir uns nicht verstecken mit unseren eigenen Erfahrungen von Gottverlassenheit. Weder als Kirche noch als Einzelne müssen wir unsere Glaubenserfahrungen schönreden oder uns stärker geben, als wir sind.
Auch ein Bekenntnis zur Gottverlassenheit kann ein Bekenntnis sein, das in anderen den Glauben weckt, dass Gott in Jesus am Werk ist.
Es berührt mich jedes Jahr sehr, wie viele und vor allem wer alles zu unseren Karfreitags-Andachten kommt. Kaum welche von ihnen sind zur MCC gekommen als „restlos überzeugte Gläubige“, die frei von Problemen, Zweifeln und Fragen sind. Aber sie sind da, an Karfreitag. Mit ihren Kämpfen, mit ihren Zweifeln, mit ihren Fragen. Sie sind da. Bei der Kreuzigung Jesu.
Und dann lesen wir, was in den Evangelien von der Kreuzigung Jesu berichtet wird: Die ganzen Jünger, die sonst immer in der ersten Reihe standen, sind nicht da. Diejenigen, die da sind, sind diejenigen, die sonst kaum im Mittelpunkt stehen in den Evangelien: Die Frauen. Ein Mitglied des Hohen Rates. Ein römischer Hauptmann. Sie stehen zu Jesus, als die ganzen Jünger aus der ersten Reihe das nicht tun.
Christen, habt Mut, auch über Gottverlassenheit zu reden, auch damit könnt ihr Zeugen und Nachfolger Jesu sein! Die restlose Überzeugung der Auferstehung ist kein alleiniges Zugangskriterium.
2) Tradition & Rituale
Auch die Szene aus dem Predigttext beginnt VOR der Auferstehung Jesu:
Nachdem Jesus ins Grab gelegt worden und der Stein davor gerollt worden war, machen sich zwei Frauen auf den Weg dorthin, um den Leichnam Jesu zu salben.
Aus „christlicher“ Perspektive könnte alles, was sie da tun, als „falsch“ interpretiert werden: Sie halten sich fest an Ritualen einer nicht-christlichen Religion. Sie machen etwas, was damals einfach alle gemacht haben; sie pflegten eine uralte Tradition. Sie konzentrieren sich auf den toten Jesus statt auf den lebendigen. Prompt führt ihr Weg sie nicht zu Jesus, sondern zu einem leeren Grab.
Ist das nicht bis heute so mit Ritualen, in denen wir Traditionen pflegen, viele davon mit Ursprüngen aus nicht-christlichen Religionen? Konzentrieren sich viele dieser Rituale nicht ebenfalls auf den toten Jesus statt auf den lebendigen? Müssen diese Rituale nicht auch heute zwangsläufig im Nichts enden, anstatt dass sie zum lebendigen Jesus führen?
Eben nicht! Hier kommt die zweite „Gute Nachricht“ für alle, die sich mit dem Glauben an eine faktische Auferstehung schwer tun:
Auch der Weg der uralten Rituale führt die beiden Frauen zu Jesus. Sie haben keine Erwartungen an einen auferstandenen Jesus, sie rechnen nur mit einem gestorbenen Jesus, aber für sie wird auch das zum Weg, auf dem Gott ihnen weitere Wegweiser schenkt: In diesem Fall ist das ein „junger Mann in einem weißen Gewand“; wahrscheinlich sollen wir darin einen Engel sehen. (Das wird ja immer schlimmer: Tradition, Rituale, Engel, das wird nicht überall als „wahres Christentum“ in seiner Reinform angesehen.)
Der Auferstandene selbst kommt in diesem Geschehen nicht vor, auch nach der Begegnung am leeren Grab nicht. Nach dem Engel (oder dem jungen Mann) sind nun die beiden Frauen dran. Sie sollen zu den Jüngern gehen und ihnen sagen, wo sie Jesus finden. Gott redet durch die beiden Frauen zu den Jüngern, nicht durch Visionen, Gebete, Bibeltexte, Heilige, Priester – einfach durch die beiden Frauen, die ihren Mund aufmachen sollen. Weit und breit kein Auferstandener zu sehen, und trotzdem ist Gott am Werk.
Und wohin sollen sie nun gehen, um Jesus zu finden? Nach Galiläa – also genau dahin, wo das Wirken Jesu anfing!
Die Botschaft lautet also:
Ihr findet Jesus in seinem Wirken, in seinen Worten, in seinen Taten – in all dem, was das Markus-Evangelium vom Leben Jesu berichtet, darin findet ihr den Auferstandenen:
- Lest das Evangelium, darin findet ihr den Auferstandenen.
- Jesus geht euch voraus, geht genau denselben Weg, darin findet ihr den Auferstandenen.
Der Auferstandene lebt in dem, was ihr in seinem Wirken zu seinen Lebzeiten findet.
Auch hier – und nun immerhin schon ausgestattet mit der Botschaft um die Auferstehung – finden wir übrigens keine Glaubenszeugen, die im Namen der Auferstehung „stark“ sind: Die Frauen zittern vor Angst und kriegen den Mund nicht auf.
Das Markus-Evangelium hat ursprünglich an dieser Stelle aufgehört. Mit Zeuginnen und Verkünderinnen der Auferstehung, die schon wieder so gar nicht dadurch überzeugend auftreten, dass sie selbst so überzeugt wirken.
Wie gesagt, ursprünglich hat das Markus-Evangelium genau hier einen Schlusspunkt gesetzt. Es hat ihm offenbar gereicht, auf das Leben Jesu zu verweisen, um seine Botschaft anzubringen, dass Jesus lebt: Seht euch das Leben und Wirken Jesu zu seinen Lebzeiten an; dort findet ihr den Auferstandenen.
Alles, was ihr über den Auferstandenen wissen müsst, findet ihr im Evangelium: im Leben Jesu.
Alles, was ihr mit dem Auferstandenen erleben werdet, findet ihr im Evangelium: im Leben Jesu.
Alles, was euch der Auferstandene geben kann, findet ihr im Evangelium: im Leben Jesu.
Die Auferstehung verweist zurück auf die Lebzeiten Jesu – weil in seinem Leben seine Wirkung liegt. Sein Leben verschafft der Auferstehung Lebendigkeit und Gültigkeit, nicht umgekehrt. Die Auferstehung gibt es nicht DAMIT, sondern WEIL Jesu Leben so wirksam ist.
Nicht die Auferstehung macht Jesu Leben wirksam,
sondern Jesu Leben macht die Auferstehung wirksam.
Dieser Unterschied ist fundamental, denn damit stehen die Erfahrungen mit dem Auferstandenen nicht nur denen zu, die dem Auferstandenen selbst begegnen. Wer Jesus sieht oder spürt oder Visionen hat, ist nicht näher dran als jene, die sich quasi „mit Berichten über das Leben Jesu begnügen“ müssen. Wir finden den Auferstandenen nicht in unseren geistlichen Erfahrungen, sondern in dem Weg, den die Erzählungen über sein Leben weisen – und diese Erzählungen sind uns allen gleich zugänglich. Das Evangelium lesen und sich auf diesen Weg einlassen, das steht uns allen offen!
Genau wie zu seinen Lebzeiten darf also auch nach Jesu Auferstehung niemand behaupten, der Zugang zu Gott sei irgendjemandem verschlossener oder offener als anderen.
Selbst die Berichte von Begegnungen mit dem Auferstandenen laufen darauf hinaus. Auch dem Markus-Evangelium wurden sicherheitshalber schon bald noch welche hinzugefügt. Und die haben es in sich:
3) Begegnungen mit dem Auferstandenen
Wer sich nicht schon ohne die Berichte von Erscheinungen mit dem Auferstandenen schwer tut mit der Auferstehung, müsste es spätestens dann tun, wenn er/sie diese Berichte in den Evangelien liest. Wirrwarr, Widersprüche, Durcheinander. Wer versucht, diese ganzen Erzählungen auf eine historisch-faktisch nachvollziehbare Linie zu bringen, kann den Glauben an die Auferstehung glatt verlieren.
Ist der Auferstandene den Jüngern nun in Jerusalem (Lukas) begegnet oder in Galiäa (Matthäus)? Und wie sollten die Jünger innerhalb so kurzer Zeit den Weg nach Galiläa geschafft haben, ohne Bus und Bahn? Ist Jesus als Vision erschienen oder mit seinem Körper auferstanden? Warum wird Jesus von seinen Vertrauten dann dauernd nicht erkannt?
Es passt alles nicht zusammen.
Es scheint so, als würden es die Evangelien geradezu darauf anlegen, dass unser Verstand hier platt macht. (Wie bei manchen buddhistischen Sprüchen, die unsere Logik übersteigen, um uns damit etwas zugänglich zu machen, was nur außerhalb dieser Ebene zu finden ist.)
Damit möchte ich nicht sagen, dass die Auferstehung nicht trotzdem faktisch-historisch wahr sein kann. Es kann genau passiert sein. Es kann aber auch nicht genau so passiert sein. Fakt ist: Wir wissen es nicht, und Fakt ist: Das ist auch egal. Denn wahr ist: Jesus lebt.
Was die Jünger zu seinen Lebzeiten mit ihm erlebt haben, haben sie auch kurz nach seinem Tod wieder mit ihm erlebt.
Und was die Jünger kurz nach seinem Tod wieder mit ihm erlebt haben, erleben Christen bis heute und auf der ganzen Welt mit ihm.
Jesus lebt. Seine Botschaft lebt. Seine Verheißungen leben. Sein Aufruf zur Umkehr lebt. Seine Heilungen leben. Seine Mahnung zur Gerechtigkeit lebt. Sein Blick für diejenigen am Rand lebt. Seine Einladung an die Ausgegrenzten lebt. Seine Seligpreisungen leben. Und mit ihm das Reich Gottes mitten unter uns. Und mit ihm Gott selbst, mitten unter uns.
Damit meine ich nicht, dass „die Sache Jesu“ lebt. Das wäre wieder von uns abhängig. Davon, dass wir „die Sache“ weitertragen. Die „Sache Jesu“ wäre stark, wenn wir stark sind. Jesus am Kreuz und die verängstigten Frauen zeichnen ein anderes Bild.
Nicht wir tragen die Auferstehung, sondern die Auferstehung trägt uns!
Das macht uns auch so unabhängig von den „Methoden“ und Mitteln, auf denen wir zum Auferstandenen finden. Wenn der Auferstandene im Evangelium zu finden ist, dann reicht es, wenn wir beim Evangelium landen – egal wie wir dorthin kommen:
Manche kommen dazu, indem sie auf den Gekreuzigten blicken.
Manche kommen dazu, indem sie Ritualen folgen und auf Engel hören (oder auf junge Männer *g*).
Manche kommen dazu, indem sie an die Gegenwart des Auferstandenen glauben.
Das Markus-Evangelium lässt keinen Zweifel daran: Für sie alle beginnt aufgrund ihres Glaubens ein neuer Weg. Der Weg, der nicht mehr von den Gewalten und Gewaltigen geprägt ist, die mit der Angst vor dem Tod arbeiten (auch wir als Kirchen sollten nicht mit der Angst vor dem Tod arbeiten!) – sondern der Weg des Lebens, unwiderbringlich erschaffen von Gott selbst.
Jesus lebt für dich, mit dir, in dir und durch dich.
Der Weg Gottes in unserer Mitte – für dich, mit dir, in dir und durch dich.
Nicht wegen seines Todes, sondern wegen seines Lebens: Jesus lebt.
Halleluja!