Impuls MCC Köln, Ines-Paul Baumann
10. September 2023
Lukasevangelium 17,11-19
„Dein Glaube hat dir geholfen.“ Auch beim Bibellesen letzten Dienstag lasen wir diesen Satz. Jesus sagt ihn öfter. Als würde er jeweils rückblickend ein Fazit zu einer Heilungsgeschichte ziehen: „Dein Glaube hat dir geholfen.“
Aus den kirchlichen Zusammenhängen, von denen ich herkomme, habe ich keine guten Erinnerungen an diesen Satz. Seine Wirkung entfaltete er vor allem dadurch, dass er umgedreht wurde. Was Jesus ursprünglich NACH einem Heilungsgeschehen sagte, wurde in Situationen herangezogen, in denen KEINE Heilungsgeschichte passiert war: Wenn du KEINE Heilung erlebt hast, hast du offenbar NICHT geglaubt. Oder jedenfalls NICHT GENUG. Denn WENN du geglaubt hättest, dann WÄRE dir ja Hilfe widerfahren.
Jesus hat den Satz nie so umgedreht. Deswegen habe ich mich auf die Suche danach gemacht, wie Jesus ihn stattdessen gemeint haben könnte.
Die Situation, in der Jesus etwas darüber aussagt, dass Glaube geholfen hat, erscheint mir wichtig. Bleiben wir beim Beispiel in Lukas 17. Hier passiert vorher ganz viel: Menschen machen sich auf den Weg. Sie wenden sich an Jesus. Ihr Bild von Jesus und von sich selbst ist: „Da ist einer, der es gut mit uns meint. Dem wir uns so zeigen können, wie wir sind. Wir sind es wert, dass wir ihn ansprechen.“
Jesus heilt sie dann allerdings erstmal gar nicht, sondern schickt sie wieder los. Ausgerechnet zu den Priestern – denen sie eigentlich erst dann begegnen dürfen, NACHDEM sie heil geworden sind. Aber sie machen sich erneut auf den Weg – immer noch MIT allem, was sie belastet, quält und isoliert.
So gesehen verstehe ich die Aussage Jesu über ihren Glauben eher als ein „Qualitätsurteil“ über Glauben: WAS für ein Glaube hat hier gewirkt?
Offenbar war das kein Glaube, der Menschen kleingehalten, eingeschüchtert und wertlos gemacht hat.
Stattdessen begegnen wir hier einem Glauben, in dem Menschen ihre Situation als verbesserungs-würdig und Jesus als ansprechbarerlebt haben: Sie haben daran geglaubt,
dass sie es wert sind, sich auf den Weg zu machen,
dass sie es wert sind, Hilfe zu suchen.
dass sie es wert sind, dass etwas geschieht.
Immer wieder begegne ich Menschen, deren Glaube NICHT so ist. Denen ihr Glaube einredet, dass sie „falsch“ sind, so wie sie sind. Dass sie so, wie sie sind, sich Jesus NICHT nähern dürfen. Dass sie selber schuld sind, wenn es ihnen schlecht geht. Dass ihre körperlichen und seelischen Leiden Ausdruck mangelnden Glaubens seien. Dass sie keine Hilfe verdienst haben. SO ein Glaube hilft NICHT.
Manche müssen zu ihrem Glauben erst auf Distanz gehen, bevor sie sich auf den Weg machen, die Hilfe in Anspruch zu nehmen, die ihnen gut tut.
„Dein Glaube hat dir geholfen.“ Das heißt nicht, dass Glaube IMMER hilft! Aber Jesus widerspricht hier zumindest dem Glauben, dass Glaube uns grundsätzlich dabei im Wege stehen sollte, Gutes zu erleben (weil das „weltlicher Kram“ ist, weil wir „nicht würdig“ sind, dass es uns besser geht, weil weil weil…). Manche christlich geprägten Menschen scheinen Gutes eher TROTZ ihres Glaubens zu erleben statt WEGEN ihres Glaubens.
Wenn ich zurückblicke auf die letzten Tage, Jahre, Jahrzehnte:
Wie ging es mir in meinem Leben?
Wurden Sachen schlimmer oder besser?
Was blieb unverändert?
Unterstützt mich mein Glaube darin, mich auf den Weg machen und Hilfe zu suchen, wenn es nötig ist?
Gibt es Dinge in meinem Glauben, die mich eher noch abhalten von mir selbst, von anderen, von G*tt, vom Leben?
Unterstützt mich mein Glaube darin, mich mir selbst, anderen und G*tt so zu zeigen, wie ich bin – und das mit dem Gefühl, damit bei G*tt gehört, angenommen und safe zu sein?
Hilft mir mein Glaube dabei, mich anzunehmen mit allem, was ich bin und wie es mir geht?
Unterstützt mich mein Glaube darin, mit mir ins Reine zu kommen?
Wenn mein Glaube all DAS nicht einhalten kann, wird es jedenfalls KEIN Glaube sein, der hilft.
G*tt segne dich mit einer Glaubensreise, auf der du erleben kannst: „Dein Glaube hat dir dabei geholfen, dir Hilfe zu suchen. Dein Glaube hat dir geholfen, anstatt dir im Wege zu stehen.“
Heute (10. Sept.) ist Welttag der Suizidprävention.
https://www.telefonseelsorge.de/suizidpraevention/
Die Telefonseelsorge hat ein offenes Ohr für alle Anliegen!
https://www.telefonseelsorge.de/telefon/
Nachtrag (Zitate von einem Austausch per Messenger)
Person: (…) zur Bibelstelle noch: ich mochte, dass die anderen 9, die nicht nachher zu Jesus gekommen sind, auch geheilt wurden. Ich glaube das find ich voll die wichtige Ergänzung zu dem, was du danach darauf gezogen hast, weil ich das Teil von einem stärkenden Glauben finde – dass nicht daran geglaubt werden muss, damit er stärkt.
Ines-Paul: Ja, so gesehen schon, aber wer sagt denn, dass die anderen neun nicht geglaubt haben? / Vielleicht muss Glaube wie der vom Samariter oder von Frauen umgekehrt deswegen so betont oder bekräftigt oder anerkannt werden, weil sie vom damaligen „richtigen“ Glauben ausgeschlossen waren. Also weniger STATT der anderen, sondern in Ergänzung dazu. Nach dem Motto: „Yo, DEIN Glaube HAT dir geholfen – auch wenn das im Glaubenssystem der Gläubigen so nicht vorgesehen war“ 🤣
Person: …ich sag das! 😁 also ja und nein, ich glaube, ich brauche das für die Stelle. Vielleicht bin ich da verbrannt, weil ich diese „und XYZ kam danach zu Jesus und bedankte sich/schloss sich ihm an/etc.“-Stellen vor allem als „Hinkehr zum RICHTIGEN Glauben“ interpretiert kenne. Und mit der Brille finde ich, dass die Bestätigung von „die Hilfe ist nicht an eine Bedingung geknüpft“ nochmal verstärkt an die geknüpft ist, die danach nicht zu ihm kommen, aber trotzdem Unterstützung erfahren haben. Also mir geht immer das Herz auf, wenn Stellen so enden – Leute kommen nicht zu Jesus, ändern ihren eigenen Glaubensbezug nicht, aber erfahren trotzdem Unterstützung und werden in ihrer freien Entscheidung gelassen. Ich sehe das auch voll als Ergänzung zu dem Glauben der Frauen und der Samariter, und da kann ich voll mit dir mitgehen – also Stärkung durch einen Glauben, der im Glaubenssystem der Gläubigen nicht vorgesehen ist – und zusätzlich dazu Stärkung einfach bedingungslos, weil Unterstützung gebraucht wurde, die frei gegeben wird, ohne dass dafür ein neues Glaubenssystem angenommen werden muss. Für mich braucht es da diese Abgrenzung zum Bild von der Glaubensbekehrung, damit es nicht eine Abgrenzung vom einen ~richtigen~ Glauben zum nächsten ~richtigen~ Glauben ist, weißt du, was ich meine?
Ines-Paul: Ja, kann ich nachvollziehen!