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Decolonize Christianity! Aber wie?

Impuls, 19. März 2023
S.

Lukas 5,36-39

[Content Note: Erwähnung von Rassismus und kolonialen Gewaltverbrechen]

Heute ist der Textimpuls ein wenig anders, denn ich möchte einen Vorschlag machen. Ich merke, dass mich gerade viel die Frage beschäftigt, wie ich mit der kolonialen Vergangenheit und Gegenwart des christlichen Glaubens umgehen will, und wie ich mein Bemühen, als weiße Person Verbündeter*r mit rassismuserfahren(d)en Menschen zu sein, denn verantwortungsbewusst mit meinem Glauben vereinbaren kann. Ich fände es schön, wenn das eine Frage wäre, mit der wir uns als MCC gemeinsam auseinandersetzen. Im heutigen Impuls werde ich daher etwas dazu sagen, warum ich es wichtig finde, dass wir das tun und wie wir damit anfangen könnten – daher an der Stelle vorab eine kurze Content Note, dass ich Rassismus und christliche koloniale Gewaltverbrechen thematisiere. Wenn das Thema euch heute aus verschiedenen Gründen nicht guttut, dann sorgt auf jeden Fall für euch und zieht euch gerne raus. Es gibt viele Wege, heute Teil unserer Gottesdienstgemeinschaft zu sein und ihr müsst dafür nicht die ganze Zeit körperlich und mental anwesend sein. Ich werde vor und nach der Stelle, in der es um christliche Gewaltverbrechen geht, ein kurzes Handsignal geben, sodass ihr euch ausklinken könnt, wenn ihr dabeibleiben möchtet, aber das heute nicht hören wollt.

36[Jesus] forderte sie auf, zu vergleichen: »Niemand nimmt von einem neuen Kleid ein Stück weg und setzt es auf ein altes Kleid. Sonst würde das Neue verschnitten, und das Stück vom neuen Kleid würde nicht auf das alte passen. 37Und niemand füllt jungen Wein in alte Schläuche – sonst wird der junge Wein die Schläuche zerreißen, und er wird verschüttet, und die Schläuche sind auch verloren. 38Jungen Wein füllt man in neue Schläuche. 39Und keine Person, die alten Wein getrunken hat, will jungen. Denn sie sagt: Der alte ist gut.«

Lukasevangelium 5,36-39 (Bibel in gerechter Sprache)

 

Übermorgen, am 21. März, ist der Internationale Tag gegen Rassismus. Viele der rassistischen Ideen und Machtdynamiken, die unsere Gesellschaften und globale Machtverhältnisse bis heute massiv prägen, stammen aus der Zeit des Kolonialismus. Viele rassistische Theorien wurden deshalb formuliert, um koloniale Gewaltverbrechen wie z.B. Sklaverei zu rechtfertigen. Im Kolonialismus und in dessen Rechtfertigung haben christliche Missionar*innen eine zentrale Rolle gespielt. Desmond Tutu fasste das zum Beispiel so zusammen: „Als die ersten Missionare nach Afrika kamen, besaßen sie die Bibel und wir das Land. Sie forderten uns auf zu beten. Und wir schlossen die Augen. Als wir sie wieder öffneten, war die Lage genau umgekehrt: Wir hatten die Bibel und sie das Land.“. Neben und im Landraub übten christliche Missionare vielerorts brutalste Gewalt aus. [Handsignal Anfang] Ein Beispiel von vielen ist das der katholischen Internate im heutigen Kanada, in denen von 1895 bis 1975 indigene Kinder von ihren Familien getrennt und brutal zur Anpassung an eine europäisch-christliche Kultur gezwungen wurden. Die Kinder erfuhren Gewalt und sexuellen Missbrauch, und viele Kinder starben – so viele, dass hinter den Internaten Massengräber gefunden wurden[1]. [Handsignal Ende] Diese Gewalt ist nicht eine schreckliche Ausnahme, sondern ein Beispiel von vielen und fester Bestandteil der kolonialen Gewalt christlicher Mission. Mit der Gewalt wurden auch koloniale bzw. rassistische Gedanken und Theorien aufgestellt, die bis heute wirkmächtig sind. Dazu zählt der Gedanke, dass christlich-europäische Religion und Kulturen anderen Religionen und Kulturen überlegen sind. Eine Rechtfertigung, die christliche Missionare angebracht haben und die bis heute fortwirkt ist die, dass sie „Zivilisation“ bringen. Das ist eine Idee, die sich bis heute in Mission, in „Entwicklungshilfe“ von christlichen Organisationen bis hin zu Kirchenliedern findet.

Das Glaubensbekenntnis der MCC beginnt mit dem Satz: „Metropolitan Community Church ist ein Kapitel in der Geschichte der Kirche, des Leibes Christi.“. Wir setzen uns also bewusst in die gleiche Glaubenstradition, die kolonialistische Gewalt mithervorgebracht, ausgeübt und gerechtfertigt hat. Gleichzeitig sind einige christliche Glaubensgemeinschaften stärkende Ressource für manche Menschen geworden, die Gewalt und Unterdrückung erfahren. Und auch MCC ist aus der Erfahrung entstanden, dass bisherige Kapitel der Geschichte der Kirche und des Leibes Christi viele Menschen ausschließen, unterdrücken und verletzen. Die Idee von MCC ist ja gerade, mit Althergebrachtem, das Menschen schadet, zu brechen. Hier finde ich das Gleichnis von den Weinschläuchen passend. MCC ist junger Wein – zum einen, weil wir tatsächlich einfach eine recht junge Kirche sind (die MCC Köln gibt es seit dem 12.03.1994, also fast 30 Jahre), zum anderen, weil wir bewusst noch „reifen“ müssen – indem wir immer wieder aushandeln, was es bedeutet, eine „Kirche für/mit Vielfalt“ zu sein. Jungen Wein füllt man in neue Schläuche. Was ich damit meine, ist, dass wir unserem eigenen Anspruch nicht gerecht werden können, solange wir unsere Ideen und unsere Aushandlungen auf ein Fundament fußen, das gewaltvoll ist und bis heute massiven Schaden für Menschen bewirkt. Die koloniale Vergangenheit des christlichen Glaubens (und ihre Ausläufer in der Gegenwart) sind alte Schläuche. Und ich würde mir genau wünschen, dass junger Wein alte Schläuche zerreißt.

Was können wir als MCC genau tun? Das ist auf jeden Fall ein Prozess, der nicht mit 1-2 Gottesdiensten beendet ist. Ich möchte vorschlagen, dass wir uns die Frage, wo sich innerhalb der MCC Köln und im Weltbund kolonialistische Kontinuitäten finden (also Denkmuster, Machthierarchien und Verhaltensweisen, die an kolonialistische Ideen anknüpfen), über einen längeren Zeitraum und auf verschiedenen Ebenen angucken. Zum Beispiel haben wir Dienstag regelmäßig das Bibellesen. Vielleicht wäre es gut, passend zu den Bibelstellen dort auch kurze Impulse und Einordnungen von Menschen zu lesen, die in ihrer Familiengeschichte und/oder Gegenwart durch das wirtschaftliche, politische, kulturelle und soziale Erbe des Kolonialismus unterdrückt werden. Gerade weil wir als MCC Köln trotz unseres Anspruchs, eine Kirche für/mit Vielfalt zu sein eine ziemlich weiß- und deutschdominierte Kirche sind, wäre es wichtig, diese Perspektiven gezielt mit einzubeziehen, wenn wir uns heute kritisch mit der Bibel auseinandersetzen wollen. Eine andere Ebene, die wir uns anschauen könnten, ist der Weltbund. Im Weltbund sind Gemeinden des Globalen Nordens und des Globalen Südens Teil einer gemeinsamen Kirche. Was sind Themen, die MCC-Gemeinden aus ehemals kolonisierten Gebieten in den Weltbund einbringen? Finden sie gleichermaßen Gehör? Vielleicht wäre es gut, mehr in Austausch mit anderen MCC-Gemeinden zu gehen. Eine dritte, ganz konkrete Ebene, ist unser Liederbuch. Es gibt in unserem Liederbuch mehrere Texte und Lieder, die an kolonialistische Gedanken anknüpfen. Daher trifft sich am 23. April eine kleine Gruppe an Menschen, um das Liederbuch in Ruhe durchzugehen und zu überarbeiten. (Wer sich dem anschließen möchte, ist natürlich herzlich eingeladen!)

Das sind erstmal nur drei Ideen, die ich in den Raum stellen würde, um meinen Vorschlag mit konkreten Inhalten zu füllen. Vielleicht habt ihr ganz andere Punkte und Ideen, an denen ihr ansetzen würdet. Mich würde auch interessieren, ob ihr Lust hättet, sich diesen langfristigen Prozess als MCC vorzunehmen. Klar ist, dass das nicht von heute auf morgen passiert und ein andauernder Lernprozess ist – ich fänd’s voll schön, wenn wir den gemeinsam gehen könnten. Klar ist auch, dass das erstmal nach Arbeit klingt. Auch da finde ich das Gleichnis mit den Weinschläuchen ganz passend – „Und keine Person, die alten Wein getrunken hat, will jungen. Denn sie sagt: Der alte ist gut.“. Die Antirassismus-Trainerin Tupoka Ogette beschreibt diesen Zustand, in dem weiße Menschen keinen Bedarf sehen, sich mit (eigenem) Rassismus auseinanderzusetzen, als Happyland. Das Happyland der einen bedeutet aber das Fortbestehen der rassistischen Diskriminierung und Benachteiligung der anderen. Und ich möchte nicht, dass das Kapitel der MCC in Happyland geschrieben wird.

[1] Quelle: https://www.tagesschau.de/ausland/amerika/kanada-papst-indigene-101.html

Passender Lesetipp: A blessing for letting go and stretching beyond von M Jade Kaiser, Quelle: https://enfleshed.com/poems-blessings-spells-etc/

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