Ines-Paul Baumann
Mose-Bücher & Josua 17: Fünf Töchter kämpfen um Gleichberechtigung im Erbrecht.
4 Mose 27,1-11
Wir sind hier ganz am Anfang in der Bibel. Nicht irgendwo im Neuen Testament, wo Jesus schon Frauen und Männer gleich behandelt. Ganz am Anfang. Hier sind Männer noch Männer und Frauen sind Frauen. Es gibt eine klare Trennung, und es ist klar, wer wie zu handeln hat. Der Fortschritt an diesem Punkt ist inhaltlich nicht so groß, wie der zeitliche Abtand vermuten lassen würde. Wann immer ich beim Blick auf diesen Text von Frauen und Männern rede (= eigentlich in Bezug auf damals), so zeigen unsere Reaktionen und Assoziationen dazu doch, wie geläufig uns das heute noch ist, die Welt in Männer- und Frauen-Rollen aufgeteilt zu erleben.
Um so erstaunlicher ist, was hier passiert ist.
Es ist das erste Mal in der biblischen Geschichte, dass Frauen ihre Grenzen überschreiten – und dafür nicht mit ihrem Leben bezahlen müssen.
Sie sind aufgestanden, haben sich zusammengetan, Gleichbehandlung eingefordert, haben damit die Autoritäten und den Status Quo herausgefordert – und haben damit Erfolg gehabt!
Letztes Wochenende beim CSD wurde auch gesagt: „Ja, ich will“… – und da ging es auch um handfeste Rechte, um einen Status Quo, um Gleichbehandlung. Die eingetragene Partnerschaft ist weit von den Rechten einer Ehe entfernt. Es geht hier nicht nur um einen Lappen, es geht um Geld, um Adoption von Kindern, um Familienmodelle … hier wird gerüttelt an den Ordnungen einer Gesellschaft, die die Verteilung von Rechten abhängig macht vom Geschlecht der Menschen – genau wie damals im Buch Mose geschildert.
Und auch hier, im 4. Buch Mose, sind also Menschen aufgestanden und haben gesagt: „Wir wollen…“
Nun ist hier nicht irgendwer aufgestanden: Es waren FRAUEN.
Und nicht irgendwelche Frauen! Sie haben sogar NAMEN Das ist unüblich; normalerweise werden Frauen entweder gar nicht erwähnt oder bleiben unbenannt. Die hier haben Namen. Es sind: Machla, Noa, Hogla, Milka und Tirza.
Die fünf Frauen sind Schwestern. Sie haben alle denselben Vater: Zelofhad. Ob sie auch alle dieselbe Mutter haben, wissen wir nicht (Auch hier ist wieder mal der Frauenanteil der Geschichte unsichtbar gemacht…)
Diese fünf Frauen gehen nicht irgendwo hin: Sie „kamen zu dem Eingang des heiligen Zeltes und sagten zu Mose und Eleasar vor den Stammesoberhäuptern und der ganzen Gemeinde…“ Hier geht es um den Ort, wo die geballte Macht versammelt ist, die religiöse und die politische Macht, und das auch noch vor Augen aller.
Diese fünf Frauen haben sich also auch nicht an irgendwen gewandt: Sie wandten sich direkt an die mächtigsten Männer.
Es geht auch nicht um irgendwas: Hier hören wir keine romantische Frauengeschichte mit Herszschmerz und Liebe. hier geht es um handfeste Männerthemen. Landbesitz war mit Macht, Einfluss und Rechten verbunden. Landbesitz bedeutete Mitsprache. Die Landverteilung war nicht eine Frage von Privatgrundstücken für’s Eigenheim, sondern über die Landverteilung war die Ordnung der Gesellschaft geregelt.
Bei Mannsein und Frausein geht es ja auch nicht bloß lediglich um ein Geschlecht, sondern auch hier geht es traditionell um die Ordnung der Gesellschaft: Wer macht was, wer darf was, wer bekommt Geld für Arbeit, wer darf mit wem zusammen leben? Wer behält den Nachnamen bei der Heirat? Denn auch nicht geht es ja nicht nur eum einen Nachnamen (bzw. um „die Frau vom Maier“, die „Millionärsgattin“). Nur ein Beispiel von vielen: Bis vor einigen Jahrzehnten durften Frauen kein eigenes Konto eröffnen. Der Nachname zeigte: Die Frau gehört dem Mann und der Mann hat die Rechte. Auch hier geht es also um eine Frage von Besitz, Macht, Rechten, Einfluss und Status Quo, nämlich: Die Frau nimmt den Nachnamen vom Mann an. Der Nachname der Familie des Mannes bleibt erhalten.
Wie wichtig das ist, macht auch das Buch Mose deutlich: Das Hauptargument der Frauen – was die Männer dann auch überzeugt – ist, dass mit der Landvererbung der Name ihres Vaters erhalten bleiben soll. Die Frauen sind ja nicht dumm. Sie sagen natürlich nicht: „Liebe Männer, gebt mal was ab von eurem Besitz und teilt eure Macht mit uns Frauen.“ Wobei auch manchmal unklar bleibt, ob Frauen nur gut argumentieren – oder nicht doch manchmal die eigenen Interessen nicht in dem Maße wahrnehmen wie die Interessen ihrer Mitmenschen. Jedenfalls sind die fünf Frauen hier in der Lage, die Zusammenhänge zu erkennen, in denen sie sich bewegen, und das auch in ihrer Argumentation zu berücksichtigen.
Fassein wir also zusammen:
Diese fünf Frauen wissen, wer sie sind und was sie wollen.Sie wissen, was sie als Gemeinschaft verbindet und wie sie in ihre Gesellschaft insgesamt eingebunden sind; sie kennen die Zusammenhänge. Sie fordern den Staus Quo und die Autoritäten ihrer Macht heraus – und haben vollen Erfolg. Gott selbst, so schildert es das Buch Mose, will, dass die Töchter beim Erbrecht genau so berücksichtigt werden, als wären sie Söhne.
Was für eine tolle Geschichte!
Ein paar Kapitel weiter findet diese Geschichte ihre Fortsetzung:
4 Mose 36,1-12
Was für eijn Rückschritt! Erinnern wir uns an den Anfang von dem Kapitel 27 eben: Die Frauen treten vor Mose, damit das Erbe ihres Vaters – der keine Söhne hat – nicht den Brüdern ihres Vaters, sondern ihnen als Töchtern zufällt. Und nun wird beschlossen, dass sie mit diesem Land nur innerhalb der eigenen Familie heiraten dürfen. Es bleiben also nur ihre Kousins zum Heiraten – und damit geht das Land dann doch wieder in den Besitz der Brüder des Vaters über. Alles wie gehabt? Ein Rückschritt der Geschichte, typisch und ein Zeichen dafür, dass es sich einfach nicht lohnt, sich gegen das Establishment zu wenden und gleiche Beteiligung zu fordern? Selbst kleine Fortschritte werden bei nächster Gelegenheit wieder einkassiert? Und das alles auch noch im Namen Gottes?
Wer von euch hat vor heute schon mal von diesen fünf wagemutigen Töchtern und ihrem Erfolg bei Mose gehört?
Wie lange geht ihr schon in Kirchen und Gemeinden?
Im Internet gibt es zu jeder Menge Bibelstellen jede Menge Predigten als Suchtreffer. Zu dieser Stelle war auf den ersten Seiten der Trefferlisten nur eine einzige Predigt aufgelistet (und die war von einer Frau). Andere Treffer untersuchen den Text höchstens rein theoretisch und weisen vorsorglich direkt darauf hin, dass diee Erzählungen keinfalls historisch zu verstehen sind.
Ich will niemandem böse Absichten unterstellen, aber ich glaube trotzdem , dass es kein Zufall ist, dass diese fünf Frauen so selten erwähnt werden:
Es ist nämlich am Ende von Kapitel 36 keineswegs mehr alles so, wie es am Anfang von Kapitel 27 war. Es ist keinesweges so, dass der Status Quo wiederhergestellt ist. Selbst wenn die Töchter das Land letztenendes wieder an die Männer in der Familie abgeben müssen – was vor als normal galt, hat nun einen deutlichen Beigeschmack. Was vorher selbstverständlich war, ist nun ganz deutlich ein Rückschritt. Was vorher gang und gäbe war, wird nun kritisch gesehen.
Selbst die Rolle der Männer hat an Selbstverständlichkeit verloren: Wo sie bisher unangetastet geblieben waren und in einer Art Naturrecht unhinterfragt die Frauen außen vor gelassen hatten, ist ihr Status NACH dieser Geschichte ein hart erkämpfter. Das Mose-Buch wirft dabei kein gutes Licht auf sie: Wo die Frauen noch mit einem konkreten Problem vor Mose getreten waren und in ihre Argumentation die Anliegen ihrer Mitmenschen mit berücksichtigt hatten, reagiert die Männerwelt nicht aufgrund eines konkreten Problems, sondern voller grundsätzlicher Annahmen – und ihre Argumentation arbeitet mit dem Status Quo, mit Autorität und mit Besitzabgrenzung.
Das Kapitel 36 ist das letzte Kapitel im 4. Buch Mose. Hier wird etwas geschildert, was hängenbleiben soll. Was im Gedächtnis bleiben soll. Was nicht vergessen werden soll. Wie so viele Geschichten in der Bibel lässt auch diese sehr offen, wie wir sie einordnen. Je nach Interessenslage wird das unterschiedlich ausfallen:
– Manche werden sie als Bestätigung dafür sehen, dass es sich nicht lohnt, am System zu rütteln.
– Andere werden es als Kritik verstehen, dass die vermeintliche natürliche Ordnung mit harten Bandagen erkämpft und von Statusdenken geprägt ist.
Und die Geschichte uist auch hier noch nicht zu Ende.
Nach den fünf Büchern Mose kommt in der Bibel das Buch Josua. Und hier tauchen die fünf Schwestern wieder auf:
Josua 17,3-6
Hatten wir das nicht alles schon mal gehört? Damals wurde es Mose vorgetragen, jetzt wird es Josua vorgetragen, aber die Zusammensetzung des Gremiums ist ansosnten dieselbe: der Priester Eleasar saß auch schon bei Mose dabei, dazu die Stammesfürsten.
Was ist das für ein Zeugnis für die religiöse und politische Macht, dass die fünf Töchter erneut auftauchen und an das Gebot erninnern müssen, das Mose ausgespochen hat? Warum tritt nicht die religiöse und politische Macht dafür ein, dass das geschieht, was längst beschlossen war? Eleasar war dabei gewesen, als Mose das Gebot ausgegeben hatte, dieTöchter bei der Landverteilung zu behandlen als wären sie die Söhne ihres Vaters gewesen.
Aber nein, die Töchter selber müssen daran erinnern. Offensichtlich haben SIE sich von dem Beschluss aus Kapitel 37 nicht entmutigen lassen. Sie sind nicht im Jammern versunken. Sie sind ereut aufgestanden, sind aus ihrem Schatten herausgetreten, haben sich wieder mit ihrem Namen eingesetzt und hatten einen ungebrochenen Sinn für Gerechtigkeit.
Wie viele Menschen heutzutage setzen sich mit ihrem Namen ein gegen den Status Quo, gegen Ungleichbehandlung? Wie viele jammern und klagen und beschweren sich jedenTag! Aber statt zu handeln, macht sich Ohnmacht und Resignation breit. „Es ist halt so, wie es ist. Da kann man nichts machen, Wir sind so wenige. Die anderen haben die Macht und das Geld und den Einfluss, was kann ich da schon tun. Es ändert sich doch eh nichts. Die Wirtschaft ist eben ungerecht. Die Finanzwelt ist eben stärker. Als Hartz-4-Mensch hört mich ja eh keiner. Asylanten sollen bleiben wo sie sind. Homosexuelle sollen sich mal nicht so in der Vordergrund spielen. Frauen sollen sich mal nicht so anstellen. Außerdem ist es gefährlich, etwas zu tun.“
Es ist gerade mal ein paar Jahre her, da waren Menschen in der MCC, die nicht auf der CSD-Parade mitgehen wollten, denn da hätten sie ja gesehen werden können – was würde dann aus ihnen werden, als Lehrer auf dem Dorf? Es ist heute noch so, dass sich manche Menschen nicht mal zur MCC hintrauen – es könnte dann ja jemand denken, sie wären homosexuell!
Und ja, manchmal ist es frustrierend, wie langsam sich Dinge verändern. Wie schnell Rückschritte kommen. In den 20er Jahren hatten wir in Europa ein florierende Frauen- und Homosexuellen-Szene. Frauen stritten für ihr Wahlrecht. In den 50er Jahren durften sie nicht den Führerschein machen – als Frauen KÖNNEN sie eben nicht Autofahren.
Ja, Geschichte kann sich wiederholen, und sie wiederholt sich.
Attentate in Europa werden bei weitem nicht nur von religiösen Fundamenatlisten aus dem Islam verübt. Sie berufen sich auch auf die christliche Religion. Und auf den Nationalsozialismus. In allen Ländern Europas haben Rechtsextreme damit Erfolg, wieder Hass gegen „die Fremden“ zu schüren, wo Menschen Angst haben um ihre eigene Existenz.
Ruanda war ein Land, in dem Homosexualität nicht unter Strafe gestellt war. Erst vor ein paar Jahren sollte dann plötzlich ein Gesetz verabschiedet werden, das Homosexualität unter Strafe stellt. Das Gesetz konnte abgewendet werden, aber die wenigen Aktivisten in Ruanda und alle, die ihre Homosexualität nicht verheimlichen, leben gefährlich.
Wie oft denken Menschen: „Ach, in Deutschland wissen doch alle, dass Gottes Liebe allen gilt – wie schön, dass ich die MCC gefunden habe“. Nein, wie viele Menschen in Deutschland wissen gar nichts davon, dass Gott sie liebt! Sondern nur davon,
– dass Kirche Homosexuelle hasst,
– dass Kirche gegen die Evolutionstheorie ankämpft,
– dass laut Kirche Sex nur in der Ehe erlaubt ist (sehr praktisch, die Ehe dann nicht allen zu erlauben) und
– dass in manchen Kirchen Frauen nicht ins Amt düfen (von wegen Erbrecht…).
Kirche ist so vielen Menschen um uns herum eben NICHT bekannt als ein Ort, wo Christen und Christinnen an der Seite Gottes für Gerechtigkeit und Beteiligung für ALLE Menschen eintreten!
Die Töchter, die für ihre Rechte eingetreten sind, geben uns ein anderes Beispiel. Sie haben sich zusammengetan. Sie waren hartnäckig. Sie haben gesagt, „JA, wir wollen“. Sie sind mit ihrem Namen für ihre Anliegen eingetreten. Und nach ihrem Einsatz war nichts mehr wie vorher. Nun war offengelegt, wie die Dinge laufen.
Oh ja, die drei Bibelstellen mit diesen fünf Töchtern sind eine Warnung – aber nicht an diejeingen, die sich einsetzen, dass sich das eh nicht lohnen würde. Sondern an alle, die denken, was bisher so war, wird auch immer so bleiben können. Was als naturgegeben und unveränderlich dargestellt wird, ist oft künstlich aufrechterhalten und mit harten Bandagen erkämpft, Und vor allen nicht unabänderlich. In Gottes Namen bleiben die Dinge nicht so falsch, wie sie sind!
Genauso wie den Leuten damals in der Wüste ist auch uns die Gute Nachricht verkündet worden: die Botschaft, dass wir in Gottes Ruhe aufgenommen werden sollen.
Wer in Gottes Heimat hineinkommt, kann sich ebenso wie Gott auch selbst von den eigenen Taten ausruhen.
(Heb 4,1.2.10)