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Das Gleichnis vom verlorenen Vater(-gott)

Impuls MCC Köln, 24. April 2022
Ines-Paul Baumann

Lukasevangelium 15,11-32

Ich habe mehrere Menschen begleiten dürfen, die ihren Glauben verloren haben. Ihr Mut und ihre Kraft verdienen Respekt. Ich danke Ihnen für ihr Vertrauen in unsere Gemeinde.

Angesichts ihrer Erfahrungen lese ich das „Gleichnis vom verlorenen Sohn“ heute mal als „Gleichnis vom verlorenen Vater“.

Was mich dabei interessiert: Angenommen, G*tt hat selbst die Schnauze voll von dem Gottesbild, das einer glaubenden Person beigebracht wurde. Zum Beispiel weil der Gottesbezug auf Angst- und Kontrollstrukturen aufgebaut ist. Wie soll sich G*tt von diesem Bild lösen können? Auf den Tisch hauen und ein neues Gottesbild kundtun geht ja nicht – dann ist die glaubende Person ja immer noch darin verhaftet, Gott „zu gehorchen“. An der emotionalen (Angst- und Kontroll-)Struktur ändert sich nichts.

Vielleicht hilft also manchmal tatsächlich nichts anderes, als das Glaubensleben hinter sich zu lassen? Den Glauben zu verlieren?

Die Fragen, anhand derer ich das Gleichnis durchgehe, sind die Impulsfragen aus unserem Osterspaziergang.

1) Wovor will der Sohn weglaufen?

Der Sohn will sein Erbe ausgezahlt bekommen und in die große freie Welt ziehen. Offenbar sieht er im Zuhause seines Vaters keine Zukunft für sich. Er kann sich dort nicht entfalten. Er kann dort nicht leben. Nur, wenn er diesen Vater hinter sich lässt, kann er zu sich finden.

Das entspricht tatsächlich vielen Erfahrungen, die mir anvertraut wurden von Menschen, die ihren Vater-Gott hinter sich lassen. Nur ohne diesen Vater sehen sie eine Zukunft für sich. Können sie zu sich finden. Unter dem ständigen Blick dieses Gottes und immer mit seiner Stimme im Ohr können sie das nicht.

2) Welche Begegnungen oder Informationen braucht der Sohn auf seinem Weg, um seine Erfahrungen in einem neuen Zusammenhang sehen zu können?

Was der Sohn erlebt, nachdem er vom Vater weggeht, wurde mir immer gepredigt mit moralischer Wertung: Der egoistische Sohn tobt sich aus. Anschließend landet er zurecht in Armut und Not.

Hier ist eindeutig das alte Gottesbild am Werk: „Wehe, du willst ohne Gott leben! Nur Egoisten denken so! Und sei gewarnt: Ohne Gott (bzw. ohne unsere Gemeinde) wird es dir schlecht gehen!“

Wie sehr der Sohn dieses Vaterbild verinnerlicht hat, zeigt sich selbst bei seiner Rückkehr noch. Er rechnet damit, sich seinen Platz verdienen zu müssen. Er glaubt, nichts wert zu sein. Er glaubt, er habe verdient, dass es ihm schlecht geht.

Er kann seine Erfahrungen noch nicht in einem anderen Zusammenhang sehen. Er würde sich nicht wundern, von seinem Vater kleingemacht und in Dienst genommen zu werden. Manchmal erwarten auch Glaubende nichts anderes, wenn sie sich Gemeinden (erneut) anschließen. (Oder Menschen gehen genau deswegen gar nicht erst hin.)

3) Wo kommt er an? Gibt es ein Zurück für ihn? Wie könnte ein Ort aussehen, der seinem Weg und seinen Erfahrungen gerecht wird?

Der entscheidende Moment ist der, wo der Vater eben NICHT so handelt wie erwartet. Das Vaterbild wird ent-täuscht. Von Sündenbekenntnissen und Selbstanklage will dieser Vater gar nichts wissen. Stattdessen begegnet ihm ein entgegenkommender Vater. Einer, der sich freut über den, der da kommt. Der ihn feiert. (Kommt dein G*tt dir entgegen, freut sich über dich und feiert dich?)

Der Bruder des zurückkommenden Sohnes zeigt aber auch: Alte Strukturen können bei denen, die bei dem alten Vaterbild geblieben sind, immer noch am Werk sein. Vergleichen, Bewerten, Leistungsdenken, Belohnung und Strafe…: Selbst wenn die eigene Erfahrung eines neuen G*ttesbildes das alles nicht mehr hergibt, tragen andere Glaubende es vielleicht doch noch in eine Gemeinde hinein.

Aber vielleicht steckt auch hier eine berechtigte Kritik in dem Gleichnis: Was ist da los, wenn diejenigen, die immer da sind und die ganze Arbeit mitmachen, so gar keine Anerkennung erfahren? Offenbar soll auch das nicht unwidersprochen bleiben. Für lange Zeit mag so eine Haltung selbstverständlich gewesen sein – aber mit dem neuen G*ttesbild vor Augen wird auch das fragwürdig und kritikwürdig.

Das Gleichnis vom verlorenen Vater ringt um die Bilder, die den Glauben von Menschen prägen. Manche Menschen müssen sich lossagen und ihren Glauben verlieren, um die ihnen gepredigten Bilder hinter sich lassen zu können. Andere fangen innerhalb ihrer Gottesbeziehung an, Zweifel und Kritik zu formulieren. In diesem Gleichnis dienen jedenfalls beide Wege dazu, dass G*tt sich von alten Bildern lösen kann.

 

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