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Darf Gott sich unseren Belohnungs-Prinzipien einfach so entziehen?

Predigt MCC Köln, 2. September 2018
Ines-Paul Baumann

1. Mose 4,1-16a („Kain und Abel“)

Christa und Christian gehen der gleichen Tätigkeit nach. Allerdings ist der Job von Christian anders benannt, und er bekommt auch mehr Geld dafür.
Maria und Marius gehen der gleichen Tätigkeit nach, und der Job hat auch bei beiden denselben Namen. Maria bekommt dafür aber weniger Geld als Marius.
Kevin und Maximilian bringen in der Schule die gleiche Leistung. Allerdings wird Maximilian leistungsstärker eingeschätzt als Kevin.
Zwei Menschen tun dasselbe – aber sie bekommen dafür nicht die gleiche Anerkennung. Es gäbe noch sehr viel mehr Beispiele für solche Ungleichbehandlungen.

Genau so bei Kain und Abel. Kain bringt Gott ein Opfer dar. Dann kommt sein Bruder Abel und macht dasselbe, auch Abel bringt Gott ein Opfer dar. Und was passiert? Das Opfer von Abel (dem Nachmacher) findet Anerkennung, das Opfer von Kain (der es immerhin aus eigener Initiative gemacht hat) nicht.

Auch im Gemeindeleben kommt das vor. Menschen bringen sich ein, und die einen werden gesehen und gewürdigt, andere nicht.
Und wir kennen das nicht nur IN der MCC, sondern auch ALS MCC. „Super Arbeit“, bekommen wir bescheinigt, und wer wächst? Die fundamentalistischen Gemeinden (weltweit am meisten). „Wenn Kirche immer so wäre wie MCC, würde ich wieder kommen“, wird mir gesagt, und ich antworte: „Wir SIND immer so, jeden Sonntag!“ Und was passiert? Begeistert davon, wie Kirche sein kann, beantragen sie ihren Wieder-Eintritt in die evangelische Kirche ihrer Kindheit.

Wie bei allen Erzählungen ganz am Anfang der Bibel geht es im heutigen Text um grundlegende menschliche Erfahrungen. Sie stehen am Anfang der Bibel, nicht weil sie so alt sind, sondern weil sie zu den Grundlagen unseres Menschseins gehören, bis heute. Und dazu gehört offenbar auch: Zwei Menschen tun dasselbe, und das Tun des einen findet Anerkennung, das des anderen nicht.

Fair ist das nicht. Es ist ungerecht.

Nun steht die Geschichte mit Kain und Abel allerdings nicht in einem Soziologiebuch über die Ungerechtigkeiten dieser Welt, sondern in der Bibel. Hier ist es ausgerechnet Gott, dem die Ungleichbehandlung zur Last gelegt werden müsste. Das ist jetzt blöd, denn Gott muss doch fair und gerecht sein. Und wenn Gott fair und gerecht sein muss, muss es halt DOCH Unterschiede zwischen Kain und Abel und ihren Opfern gegeben haben – oder? Tatsächlich wurden schon früh diverse Lösungsansätze dafür entwickelt; auch in der Bibel finden sie sich schon (z.B. 1. Joh 3,12):

  • Kain war von Grund auf ein schlechter Mensch, Abel ein von Wesen her guter Mensch. Gott weiß sowas natürlich, und gerecht wie Gott ist, belohnt er nur das Opfer des guten Menschen.
  • Das Opfer von den beiden war halt doch nicht gleich. Tatsächlich opferte der eine von seinen Tieren, der andere von den Früchten des Feldes. Dass Gott das eine Opfer angenommen hat und das andere nicht, das beweist doch: Das Tieropfer ist richtig, das andere ist falsch. Und was für ein Zufall: Genau das entsprach den Regeln der damaligen Opfer-Ordnungshüter.

Von Ungerechtigkeit könnte dann in beiden Fällen keine Rede mehr sein. Hurra! Wenn Leute unterschiedliche Anerkennung erfahren, sind sie selber schuld. Entweder grundsätzlich („Frauen KÖNNEN halt nicht so gute Manager sein wie Männer! Schon von ihrem WESEN her nicht!“) oder halt doch wegen unterschiedlicher Leistungen („Tia, wenn Maria weniger Geld bekommt als Marius, dann wird sie wohl auch weniger Leistung gebracht haben. Ist doch klar.“).

UND WENN NICHT?

Bis heute ist es nicht nur ungerecht, dass Frauen weniger bekommen für ihre Leistung – sondern dass sie auch noch selber dafür verantwortlich gemacht werden. Das ist dann nicht nur strukturelle Ungleichheit, sondern auch das Leugnen von Privilegien. „Tia, wenn Kevin nur eine 4 hat und Theodor eine 2, dann wird das schon gute Gründe haben, oder?“ / „Wenn die Frau mit dem türkisch klingenden Nachnamen gar nicht erst zum Vorstellungsgespräch eingeladen wird, dann wird das schon seine Gründe haben, oder?“ / „Wenn in Köln alle möglichen Kirchen Anerkennung finden, die MCC aber nicht, dann wir das schon seine Gründe haben, oder?“ / „Wenn Kains Opfer nicht anerkannt wurde, das von Abel aber schon, dann wird das schon seine Gründe haben, oder?“

Nein! Vielleicht hat es KEINE Gründe! Vielleicht sehen wir nur, was wir sehen WOLLEN. Anstatt anzuerkennen, dass unsere Leistungsprinzipien unterhöhlt sind von Vorurteilen und Ungerechtigkeiten, glauben wir den Ergebnissen. „Die Ergebnisse MÜSSEN STIMMEN – also MUSS mit denen, die keine Anerkennung bekommen, etwas NICHT stimmen.“ So einfach ist das aber nicht. Heute nicht und damals nicht.

In der Erzählung von Kain und Abel gibt es keinerlei Hinweis darauf, dass Kain ein schlechterer Mensch gewesen sein soll als Abel. Nichts. (Nur in den späteren Interpretationen.) Es gibt auch keinerlei Hinweis darauf, dass Kains Opfer schlechter gewesen sein soll als Abels. Nichts. (Nur in den späteren Interpretationen.) Es wird lediglich erzählt, dass Abels Opfer Anerkennung fand (was wohl heißen soll, dass seine Arbeit anschließend Erfolg brachte, seine Tierhaltung also super lief), und dass Kains Oper KEINE Anerkennung fand (sprich: er konnte KEINE erfolgreiche Ernte einfahren).

Ich denke, wir müssen der Wahrheit ins Auge sehen:

Entweder sorgt Gott selber dafür, dass Abels Arbeit Erfolg bringt und dass Kains Erfolg ausbleibt. Oder er tut zumindest nichts dagegen. So oder so, dieser Gott ist ungerecht. Oder unwillens und unfähig, für Gerechtigkeit zu sorgen.

Es kommt noch schlimmer, wenn wir Kain und Abel nach der Logik von Gut und Böse bewerten. Abel – „der Gute, der alles richtig macht“ – ist am Ende der Geschichte tot. Kain hingegen – „der Böse, der alles falsch macht“ – lebt am Ende der Geschichte weiter, und zwar mit Gottes besonderem Schutz. Wenn Abel (oder Abels Opfer) wirklich besser war als Kain (oder Kains Opfer), warum ist ABEL dann am Ende derjenige, dem Gottes Schutz versagt bleibt? Soll das Gottes Lohn sein für die Guten und deren Opfer? Dass sie von den Bösen erschlagen werden?

Ich fasse zusammen:

  • Hier sorgt Gott nicht für Gerechtigkeit (das hieße hier: BEIDEN Erfolg/Anerkennung zu gewähren).
  • Oder hier schützt Gott den Guten nicht vor dem Bösen. (Hier schützt Gott nur den Bösen vor Bösem.)

Was wäre also das Fazit?
Wenn Gott nicht für Gerechtigkeit sorgt?
Wenn Gott nicht immer die Guten vor den Bösen schützt?
DANN MÜSSEN WIR ALL DAS SCHON SELBST MACHEN:

  • Mit den Unterschieden in dem umgehen, was wir als Menschen einbringen. Kain und Abel haben unterschiedlich gelebt, also haben sie unterschiedliches eingebracht. Diese Unterschiede gilt es anzuerkennen, nicht zu bewerten.
  • Unseren Selbstwert und den Wert dessen, was wir tun, nicht am Erfolg und an Anerkennung messen. Wenn wir das, was wir tun und sind, nur daran messen, was uns im Leben gelingt oder zuteil wird, führt das zu einem Bewerten, das uns und/oder andere vernichtet. Das gilt auch in Zeiten, in denen uns alles mühelos gelingt. Gott sei‘s gedankt, aber nicht zugeschrieben als „verdiente Belohnung“ für unser ach-so-verdienstvolles Tun.
  • Andere darauf hinweisen, wo uns Anerkennung und Erfolg fehlen, und Worte dafür finden, wie es uns damit geht. Wir können nicht darauf warten, dass andere das schon irgendwann von alleine erkennen – auch nicht, wenn sie doch nur endlich mal mehr Bibel lesen würden: Was (und ob) Kain zu Abel redet, steht nicht in der Bibel. In der Bibel ist hier eine Leerstelle! „Die Bibel sagt…“ hilft hier nicht weiter. Es ist an uns, Worte für unsere Situation zu finden. Am besten im Miteinander. „Dann gehe ich eben – dann werden die schon sehen, was sie an mit hatten!“ mag dir selber gut tun, wird aber nicht unbedingt was ändern.
  • Nicht glauben, Erfolge hätten wir verdient gegenüber anderen, die keinen Erfolg haben. Dazu gehört auch: Privilegien eingestehen, auf die uns andere hinweisen. Und, bitte bitte bitte: Nicht aus einem eigenen Erfolg Rezepte für alle machen. Ich kann sie nicht mehr sehen, die Bücher von erfolgreichen Kirchenmännern (ja, meistens sind es Männer), die dem Rest der Welt erzählen, wie man es richtig macht (nämlich so wie sie; der Erfolg zeigt das ja). Wenn deine Gemeinde im Gegensatz zu ihrer NICHT durch die Decke geht – tia, selber schuld. Aber das hatten wir ja schon.
  • Uns gegenseitig helfen, wenn der („verdiente“ oder „unverdiente“) Erfolg ausbleibt. Wie gut, dass Kain und Abel unterschiedliche Gaben verwaltet und eingebracht haben. Wenn das eine mal nicht klappt, kann der andere aushelfen. Anerkennung darf nicht nur gründen in dem, was uns gelingt und wo wir stark sind. Anerkennung beinhaltet auch das Wahrnehmen von Misserfolgen und Mangel. Anerkennung im Sinne von Belohnung ist das eine (was mit dem Gott bei Kain und Abel nicht funktioniert), Anerkennung im Sinne von „ich sehe dich“ das andere. Und ALLE(S) SEHEN, das tut der Gott bei Kain und Abel.

Vielleicht hält sich Gott aus gutem Grund aus dem ganzen Opfer-Belohnungs-Ding heraus. Unsere Abhängigkeit von Belohnung und Anerkennung ist vielleicht vergifteter als wir denken, zumindest die Art und Weise, mit der wir damit umgehen. Ich muss die ganze Zeit an Jesus denken. Jesus hat sich konsequent aus allem rausgehalten, was Gewalt und Macht anging. Es hätte jede Menge Mittel gegeben, die ihm geholfen hätten, seine Sache besser durchzusetzen und sich selbst besser zu schützen. Er hätte mit den Mächtigen seiner Zeit kooperieren können. Er hätte rhetorisch geschickter auftreten können. Nichts davon hat er getan. Was nicht von vorne bis hinten zu der Liebe Gottes gepasst hat, die er verkündete, das hat er nicht mitgemacht. Es hat ihn ans Kreuz gebracht – aber lieber das, als falsche Spielchen mitzuspielen. Es hätte seine Botschaft und sein Wirken und unseren Glauben von Grund auf vergiftet.

Dazu gehört auch, dass Jesus seine Jüngerinnen und Jüngern nicht mit tollen Versprechen ins Boot geholt hat. Er keine Belohnungen in Aussicht gestellt. Er hat ihnen nicht gesagt: „Kommt mit mir, dann werdet ihr glücklich, reich, schön, sorgenfrei, gelassen, erfolgreich, berühmt, ….“ Er hat ihnen gesagt: „Kommt mit mir. Ich will euch zu Menschenfischern machen“. Er hat ihnen gesagt: „Wer mir nachfolgt, wird Entbehrungen auf sich nehmen müssen.“ Er hat ihnen offen gesagt, was sie AN ERFAHRUNGEN zu erwarten haben, aber nicht, was sie AN BELOHNUNGEN zu erwarten haben.

Die Nachfolge Jesu war keine zweckgebundene Reise. „Glaube an Jesus, dann kommst du in den Himmel und rettest deine Seele!“ Das sind Verkaufsargumente und Drohgebärden. Jesus ist nicht ans Kreuz gegangen, weil er sich eine Belohnung dafür erhoffte. Was würden wir halten von einem Jesus, der nur deswegen zur Umkehr aufrief, weil er sich davon etwas erhofft hätte? Was würden wir halten von einem Pastor, der nur deswegen Pastor geworden ist, weil er sich davon etwas erhofft? Was halten wir von Politikerinnen, die sich in Kirchen in die erste Reihe setzen, sobald das Fernsehen dabei ist? Von Firmenchefs, die nur dann spenden, wenn sie mit Foto in die Zeitung kommen? Von Leuten, die nur deswegen Gutes tun, weil sie sich etwas davon erhoffen? Wir spüren, dass da was falsch ist. Ich möchte nicht an einen Gott glauben, der Belohnungen und Anerkennungen verteilt, und uns damit „kriegt“. Der solche Mechanismen benutzt, um uns zu binden. Der sich unser Grundbedürfnis nach Anerkennung und Belohnung zunutze macht.

Die Erzählung von Kain und Abel verkündet nicht nur etwas Grundlegendes über unsere Menschlichkeit. Sie hadert auch früh mit einem Gott, der unseren Menschlichkeiten nicht immer erwartungsgemäß gerecht wird. Gerade deswegen dürfen wir Ungerechtigkeiten „in Gottes Namen“ nicht rechtfertigen oder gar behaupten, die Benachteiligten hätten das „verdient“ – und die Hände in den Schoß legen. Mögen wir tun, was wir tun können. Im Namen Gottes und im Namen der Gerechtigkeit – insbesondere, solange das nicht immer dasselbe ist.

Gott sehe und segne dich – und öffne uns die Augen für einander und für uns selbst: mit der Vielfalt dessen, was wir einbringen können, und was wir miteinander teilen können, wo Mangel herrscht.

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