Predigt MCC Köln, 10. Nov. 2013
Ines-Paul Baumann
Lk 20,27-38 „Die Frage nach der Auferstehung“
„In der Bibel steht…!!“ Wenn Menschen so auf mich zukamen, war (und ist) das leider häufig Anfang einer Situation, in der ich mich in die Enge getrieben fühlte. „In der Bibel steht…!“, das stand und steht für eine absolute Autorität, für eine in Ewigkeit gültige Aussage, für eine gottgewollte unverrückbare Ordnung – und das Gespräch dient meistens dazu, mir aufzuzeigen, wo ich falsch liege und dagegen verstoße.
(Wundert euch also nicht, wenn ihr gut gelaunt und wohl meinend und in den besten Absichten etwas anbieten wollt und anfangt mit „In der Bibel steht….“, und euer Gegenüber dann in Hab-Acht-Stellung geht – vielleicht seid ihr auf jemanden gestoßen, der ähnlich schlechte Erfahrungen gemacht hat wie ich. „In der Bibel steht“, das kann ganz wunderbare Verbindungen unter Menschen schaffen, uns als Gleichgesinnte Vertrauen zueinander finden lassen, uns als Teile desselben Glaubens zusammenschweißen, aber statt „Freund“ kann manchmal eben auch „Feind“ das ausgelöste Gefühl sein.)
So ähnlich begann auch das Gespräch der Sadduzäer mit Jesus: „Es steht geschrieben…“. Und auch sie wollen damit argumentieren, dass Jesus falsch liegt – zumindest in der Frage der Auferstehung.
Und was sie da sagen, würde ich sofort unterschreiben: „Jesus, wenn das so ist, wie es da steht: Männer ‚haben‘ Frauen, Frauen ‚gehören‘ Männern, und der Wert ihres Lebens besteht darin, für Nachkommenschaft zu sorgen – wenn das so ist, dann kann das ja wohl nicht in Ewigkeit so weitergehen. Also kann es keine Ewigkeit geben!“
Und Jesus stimmt ihnen zu, allerdings kommt er zu einem ganz anderen Schluss: „Stimmt. Aber das heißt nicht, dass es keine Ewigkeit gibt. Es bedeutet nur, dass die Ewigkeit anders aussieht. Ihr könnt nicht aus jedem Bibelvers auf die Ewigkeit schließen, sondern prüft jeden Bibelvers im Licht der Ewigkeit!“
Im Markus- und Matthäus-Evangelium quittiert Jesus das Bibelzitieren der Sadduzäer sogar noch mit den Worten: „Ihr irrt euch, ihr kennt weder die Schrift noch die Macht Gottes.“ (Mt 22,29 / Mk 12,24)
Jesus sagt damit nicht: Was da steht, ist Quatsch. Sondern er unterscheidet. Für Jesus ist Bibelvers nicht gleich Bibelvers.
Wo es um die Dinge geht, die für die Ewigkeit gelten, können wir nicht immer nur von den Erfahrungen ausgehen, die wir als Menschen in einem bestimmten Zeitalter machen – und seien es die Erfahrungen, die Menschen gemacht haben in dem Zeitalter, als eine Bibelstelle verfasst und festgehalten wurde.
Es gibt viele Stellen im Alten (und Neuen) Testament, die sehr wichtig waren, als sie verfasst und schriftlich festgehalten wurden – aber mit einer Änderung der gesellschaftlichen Umstände muss immer wieder neu überlegt werden, wie sich das inhaltliche Anliegen in den neuen Kontext übertragen lässt. Wir sehen das zum Beispiel bei Jesu Überlegungen zum Ruhetag: Ja, der Ruhetag ist wichtig, aber er soll den Menschen dienen und nicht umgekehrt – also kann Jesus am Ruhetag Dinge tun, die bis dahin als nicht vereinbar galten mit dem Ruhetag. Das inhaltliche Anliegen besteht fort, gesellschaftliche Regelungen zur Umsetzung können sich ändern.
Und dann gibt es die Stellen im Alten (und Neuen) Testament, wo etwas aufscheint von Gott, das unabhängig von allen gesellschaftlichen Veränderungen seine Gültigkeit behält, weil es uns etwas offenbart von Gottes Sein, das sich nicht mal eben ändert, nur weil sich die gesellschaftlichen Umstände ändern. Genau das zeigt Jesus hier, wo er sagt: Was Mose damals von Gott bezeugt hat, lässt uns etwas erkennen, was auch heute noch genau gilt für diesen Gott. Was wir hier von Gott mitbekommen, gilt unabhängig von zeitgeschichtlichen Umständen.
Jesus kennt also beides: den ewig gültigen Kern von manchen Bibelstellen genau so wie zeitgemäße Neuüberlegungen zu ihrer Auslegung. „Ihr habt gelesen, es steht geschrieben: …. Ich aber sage euch…!“, wird er in den Evangelien immer wieder zitiert.
Als er in der Wüste ist, beugt er sich auch nicht einfach vor den Bibelversen, mit denen Satan ihm ankommt („Oh stimmt, das steht in der Bibel, dann mach ich das mal“); sondern Jesus sagt einfach: „OK, das steht da. Aber das muss trotzdem nicht so gelten, wie du denkst!“, und dann zitiert er einen anderen Spruch.
Nun könnten wir sagen: „Naja, mit Verlaub, das ist Jesus. Jesus darf das.“ Aber in der Bibel geht nicht nur Jesus so mit der Bibel um.
Schon im Alten Testament finden wir Stellen, wo ursprüngliche Auslegungen komplett neu interpretiert werden. Im Buch Samuel geht die Volkszählung, die David durchführen lässt, noch auf ein Eingreifen Gottes zurück (2.Sam 24,11). Ein paar Jahrhunderte später, im Buch der Chronik, heißt es dann: nee nee, das war gar nicht Gottes Wirken, da war Satan am Wirken! (1.Chr 21,1) Was die einen als Gottes Wirken sehen, interpretieren die anderen als das Wirken Satans. Wo die einen Einflüsse Satans am Wirken sehen, das verstehen die anderen als ein Handeln Gottes. Innerhalb ein- und derselben Bibel!
Auch in der Zeit nach Jesus werden Bibelverse in der Bibel unterschiedlich gehandhabt. Paulus zum Beispiel kennt wie Jesus sowohl die grundlegenden Worte Jesu, führt diese aber auch manchmal mit eigenen Gedanken in die eigene Erfahrungswelt weiter: Mal zitiert er fröhlich Verse hier und da, begründet seinen Glauben mit den Aussagen Jesu zu diesem und zu jenem, als hätten sie immer und ewig Gültigkeit, und dann kommen mal eben seine eigenen Ergänzungen dazu: „Den Übrigen aber sage ich, nicht der Herr“ … (1. Kor 7.12)
Das ist freilich manchmal heikel, und Paulus sagt leider auch ziemlich viel Mist aus heutiger Sicht und tritt auch damit recht häufig in Widerspruch zu den Anliegen Jesu. Aber das macht es um so wichtiger, dass wir so weitermachen, wie es die Bibel vormacht: Nachfragen, weiterführen, neuinterpretieren, ergänzen – je nachdem, was die Bibelverse im Sinne der Bibel bedeuten.
Ob Neues oder Altes Testament: Die Unterscheidung von Versen, die wir zeitbezogen interpretieren müssen, und anderen, die auch für uns heute noch genau so gültig sind, sollten wir beim Bibellesen immer mit bedenken.
Mit den Versen, die von den Leuten zitiert wurden, die mit der „Aber in der Bibel steht“-Einleitung auf mich zukamen, verhielt es sich meistens anders. Da diente nicht die Ewigkeit dazu, unser Dasein im Sinne Gottes zu beleuchten. Sondern aus Beobachtungen wurden Zuweisungen, und aus Überzeugungen wurden Glaubenssätze.
Solche Situationen fangen auch inhaltlich oft an wie bei den Sadduzäern:
– Männer „haben“ Frauen, so wie ihre Autos und anderes Spielzeug;
– Sexualität hat ihren Platz nur da, wo sie Kinder zeugt (selbstverständlich nur in heterosexuell gedachten Möglichkeiten der „Prokreation“);
Und dann ergänzen sie:
– und das Ganze ist gottgewollt und gilt für alle Ewigkeit.
Nun ja, Jesus behauptet hier gerade das Gegenteil. Jesus erkennt zunächst mal den zeitgeschichtlichen Kontext an, in dem die Bibelstelle entstanden ist, die die Sadduzäer zitiert haben: Ja, Menschen heiraten und lassen sich heiraten, richtig beobachtet (Was für ein schönes Beispiel inklusiver Sprache: Jesus berücksichtigt mehrere Seiten in diesem Geschehen!). Und ja, das hatte damals seinen Sinn – für die Menschen dieses Zeitalters. Es ist eine zutreffende Beschreibung ihres Handelns, und sie haben ihre Gründe, warum ihnen das wichtig ist.
Aber: Diese Gründe sind rein menschliche Gründe. Das macht sie nicht weniger wichtig (!), aber sie gelten nun mal nur im Rahmen der Umstände, in denen wir uns als Menschen wiederfinden. Was ihr als eine Ordnung betrachtet, die für alle Ewigkeit gelten soll, ist eine zeitbezogene menschliche Lebensweise – mit der Ewigkeit hat das nichts zu tun.
1) Es ist eure JETZIGE Lösung, im Rahmen vom Ehe für Nachkommenschaft zu sorgen. Dies ist keine gottgewollte Anweisung. (Was Jesus nicht explizit sagt, aber auch nicht ausschließt: Es gibt auch andere Möglichkeiten, Kinder in die Welt zu setzen.)
2) Es ist eure JETZIGE Meinung, dass Sexualität der Nachkommenschaft dienen soll. In der Ewigkeit braucht ihr euch um Nachkommenschaft nicht mehr zu kümmern, also entfällt die Zweckgebundenheit eurer Sexualität.
3) Es ist eure JETZIGE Sichtweise, dass ihr euch darum Gedanken macht, wer wem gehört. Im Leben mit Gott hat niemand mehr das Recht, dich zu „haben“; du bist frei von allen Besitzansprüchen. (Und auch davon, jemanden „haben“ zu müssen!)
Es gibt die Auferstehung. Unser Leben ist nicht durch unsere Sterblichkeit begrenzt. Das klingt nur abstrakt. Ganz praktisch sagt das: Unser Leben steht letztlich nicht im Licht dessen, was wir uns hier für Regeln geben und wer/was uns hier in Besitz nimmt. Sondern unser Leben hat Bestand in der Ewigkeit.
Aber nicht alle Bibelverse haben Bestand in der Ewigkeit. Sie alle müssen immer wieder interpretiert werden im Sinne eines befreienden und Leben stiftenden Gottes, nicht im Sinne historisch vergänglicher Verhältnisse.
Wir sind hier also nicht, um Menschen mit Bibelzitaten zu „beweisen“, wie falsch sie sind, nur weil sie anders leben als es für die Menschen in der Bibel die Regel war.
Wir sind hier, um zu befreien – so wie Jesus es verkündet und gelebt hat. Damit ich mein eigenes Leben und meine Mitmachen nicht mehr nur unter der Frage betrachten muss, inwiefern wir irgendwelchen Zwecken dienen. Sondern wo wir lernen, uns so zu sehen, wie Gott uns sieht: Als Menschen, deren Leben einen Wert hat, weil wir für Gott lebendig sind.
Die Menschen um mich herum sind lebendig und wertvoll, weil Gott sie als Lebendige sieht – unabhängig davon, ob sie für meine Anliegen einen Zweck erfüllen oder nicht.
Es gibt nicht viele Bezüge, wo wir lernen können, uns und einander im Licht der Ewigkeit zu sehen, statt im Licht von zweckgebundenen Anliegen. In der Gemeinde können wir lernen, darin zu wachsen.