Predigt MCC Köln, 13. Mai 2018
Ines-Paul Baumann
Jeremia 31,31-34 „Die Verheißung eines neuen Bundes“
Unrecht tun und die Wahrheit unterdrücken, und das Ganze auch noch im Namen Gottes? SO eine Gesellschaft hatte die Gnade Gottes nicht verdient, fand Jeremia. Mit Propheten, die so einem Land auch noch Heil prophezeiten, legte er sich an.
„Da ist keiner, der Gutes tut – nicht einer“ (Psalm 14), DAS war Jeremias Blick auf die Gesellschaft. Oder in seinen eigenen Worten: „Es steht gräulich und grässlich im Lande.“ (Jer 5,30) Weil nämlich: „Geht durch die Gassen Jerusalems und schaut und merkt auf und sucht auf den Straßen der Stadt, ob ihr jemand findet, der Recht übt und auf Wahrheit hält, so will ich ihr gnädig sein. Und wenn sie auch sprechen: Bei dem lebendigen Gott!, so schwören sie doch falsch.“ (Jer 5,1+2)
Was so ein Land verdient hatte, war nicht die Gnade Gottes, sondern die Rache und Strafe Gottes. Jeremia war nicht ansatzweise der Ansicht, dass seine Zeit es verdient gehabt hätte, von Gott gesegnet zu werden.
Jeremia befürchtete, dass nur ein rächender und strafender Gott so eine Gesellschaft zur Korrektur zwingen könne. Ein Gott, der gnädig dabei zusieht, wie in seinem Namen Unrecht geschieht, würde nichts ausrichten können.
Jeremia konnte nicht einfach sagen: „Alles wird gut.“ Warum sollten sich die Leute ändern, wenn alles gut läuft für sie?
Für Jeremia hätte sich das so angefühlt, als würde Gott die Falschen belohnen – und sich gar zu ihrem Handlanger machen.
Das würde nicht passen zu dem Gott, an den Jeremia glaubte.
Und nicht zu der Gesellschaft, auf die Jeremia hoffte.
Jeremia hoffte auf eine bessere Welt, und dafür brauchte er einen Gott, der Unrecht straft statt belohnt.
Die Verheißung in Jer 31,31-24, dass alles wieder gut wird, dieses „Happy End“ war bei Jeremia ursprünglich wohl gar nicht vorgesehen. Wahrscheinlich wurde dieser Textabschnitt später ergänzt. Wie kommt dann also doch diese Heils-Prophezeiung in diesen Text hinein? Aus demselben Grund, aus dem Jeremia ursprünglich auf einen strafenden Gott baute! Die Frage war in beiden Fällen: Wie kann die Welt besser werden?
Offenbar hatte der strafende Gott nicht viel bewirkt.
Selbst wenn Menschen besser handeln, dies aber nur tun, um einer Strafe zu entgehen – haben sie sich dann wirklich gebessert? Oder geht es nicht weiterhin nur um ihren eigenen Vorteil? Kann ein rächender und strafender Gott zu einer heilen und heilvollen Welt beitragen? Können sich Menschen überhaupt ändern?
Jeremia glaubte nicht, dass sich Menschen bessern können (Jer. 13,23). Seine Hoffnung war, dass Gottes Gericht die Menschen zur Einsicht zwingen könne. Als das ausblieb, mussten aber neue Lösungen her.
Und wenn sich Menschen nicht durch äußeren Druck bessern – dann muss die Änderung eben von innen kommen.
DAS war die Hoffnung des neuen Bundes, wie er jetzt im Jeremiabuch erwähnt ist und der IM INNEREN der Menschen ansetzt.
Der strafende Gott hat nicht funktioniert. Druck von außen hat nichts gebracht. Menschen, die sich an das Böse gewöhnt haben, können sich nicht ändern. Und weil sie das selber nicht können, braucht es Gott dafür. Gott selbst muss die Menschen von innen her ändern. Ohne so einen inneren Wandel werden Recht und Gerechtigkeit nicht Einzug halten in der Welt.
Je nach unserem Menschenbild werden wir dem etwas abgewinnen können oder auch nicht. Manche glauben an das Gute im Menschen, andere nicht.
Was es allerdings in Bezug auf unseren Gottesglauben zur Kenntnis zu nehmen gilt: Die Bibel war in der Lage, ihr Gottesbild zu ändern. Wenn ein Gottesbild nicht mehr funktionierte, dann musste ein anderes her! Wenn theologische Erklärungen nicht mehr funktionierten, dann mussten neue her!
Der gnädige Gott hat nichts gebracht? Dann nehmen wir einen rächenden und strafenden Gott.
Der rächende und strafende Gott hat nichts gebracht? Dann nehmen wir einen Gott, der uns im Innersten berührt und verändert.
– Nun muss ich für meinen Teil allerdings auch sagen: Einem Gott, der mich von innen her umprogrammiert, stehe ich skeptisch gegenüber. Dass ein Gott mal so eben etwas in mein Herz und meinen Sinn schreibt, ist mir unheimlich. Mehr als das. Mich erinnert es an einen anderen Prozess, in dem äußerer Druck verinnerlicht wurde:
Zu Beginn der Industrialisierung hatten Arbeitgeber ein äußerst schlechtes Menschenbild. In ihren Augen waren Arbeiter faul und mussten zum Arbeiten gezwungen werden – durch äußeren Druck.
Heute hingegen ist der brüllende und drohende Chef eher außer Mode geraten.
Auf der Arbeit alles geben, Handy anlassen, erreichbar sein, Fitness, sich gesund ernähren, Überstunden, all das macht der gute Arbeitnehmer heutzutage „von sich aus“. Es braucht dazu keinen bösen Chef mehr, der Druck macht.
Der Zwang ist meines Erachtens nicht weg – aber der Druck kommt nicht mehr von außen, sondern von innen. Statt äußerer Antreiber leben wir mit inneren Antreibern. Hier haben strafende Herren ihre Gesetze bereits in unseren Sinn eingeschrieben.
Ich will nicht, dass in meinem Glauben dasselbe passiert.
Ich möchte nicht von meinen Worten und Methoden her einen strafenden Gott ablehnen, aber eigentlich längst verinnerlicht haben.
Andererseits: Bei Jeremia geht es ja darum, dass Gott sich auf die Seite derjenigen schlägt, denen Unrecht geschieht. Und wo das Unrecht durch äußere Herrschaften und Herrscher gestützt wird, braucht es einen Gott, der ihnen auf dieser Ebene entgegen tritt. Das ist alles ganz handfest. In einem Land regiert das Böse – also braucht es eines größeren Herrschers, der dagegen antritt und das Land befreit.
Wenn nun wirklich Denkweisen mein Herz und meinen Sinn erobert haben, die äußere Zwänge in mein Inneres verlagert haben: Ist es dann nicht sogar nötig, dass auch in meinem Inneren ein Gott einzieht, die dagegen antritt und mich befreit? Wenn ich die ganzen äußeren Antreiber verinnerlicht habe – wo soll Gott denn gegen sie kämpfen, wenn nicht dort?
Geht es bei den vielen Debatten um „Ideologien“ und „Fake News“ nicht genau darum, einen Kampf um die Hoheit über unsere Herzen und Sinne zu führen?
Was ist der Belohnungsmechanismus von Facebook anderes als ein Kampf um unsere Herzen und Sinne, geführt über die Anzahl von Likes und Freunden?
Wo setzen „soziale“ Medien denn an mit ihrem Kampf um meine Aufmerksamkeit, wenn nicht bei meinem Herz und meinen Sinnen?
Wer hält denn unser Herz und unsere Sinne besetzt, wenn Menschen mittlerweile immer selber schuld sind, wenn es ihnen nicht gut geht?
Wo setzen die ganzen Mittelchen denn an, die es besser machen sollen, wenn nicht bei unseren Herzen und Sinnen: Wohlfühl-Tees, Innerlichkeit, Ausgeglichenheit, Achtsamkeit, Arbeit an den eigenen Einstellungen, Positives Denken, …
Was Jeremia ganz richtig erkannt hat: Diejenigen, die von etwas profitieren, werden kein Interesse daran haben, Veränderungen anstoßen. (Das gilt auch in und für Kirchen. Auf was lassen wir uns ein, damit es uns in oder als MCC „gut“ geht? Die Frage ist nicht nur, OB es uns gut geht. Sondern immer auch, WARUM es uns gut geht. Jesus war vielen, die von stabilen religiösen Verhältnissen profitierten, ein Ärgernis…)
Und was diejenigen ganz richtig erkannt haben, die den neuen Bund verheißen haben, in dem Gott sich unserem Inneren widmet: Der Kampf um Recht und Unrecht wird auch mit unseren Gefühlen und Gedanken geführt.
Um so wichtiger ist es, dass ich einen Gott verinnerliche, der sich von strafenden Antreibern unterscheidet. Und diejenigen zu unterstützen, die sagen: „An SO einen Gott kann oder will ich nicht glauben.“
Um so wichtiger ist es, dass ich einen Gott verinnerliche, der mich nicht dafür belohnt, wenn nun innere Stimmen dafür sorgen, dass ich mich oder andere fertigmache, ausbeute, unterdrücke, ignoriere und vereinnahme. Sondern die von dem Gott künden, der die Stimmen und Sichtweisen in mir stärkt, die Unrecht erkennen und nicht hinnehmen. Die also von dem Gott künden, der an uns und an Neuanfänge glaubt – und sich mit uns auf den Weg macht, die Veränderungen anzustoßen, deren Bedarf wir sehen.