Predigt MCC Köln, 11. August 2013
Ines-Paul Baumann
Lk 12,22-34: „Vom falschen und rechten Sorgen“
„Ich kann es nicht mehr hören, wenn Pastoren über Geld predigen!“, seufzte Doris und rollte die Augen. „Es ist immer dasselbe. Als hätten wir noch nie gehört, dass Geld nicht glücklich macht. Die Kirchen hingegen scheint es sehr wohl glücklich zu machen, so oft wie wir darum gebeten werden! Dabei gebe ich doch schon einen regelmäßigen Gemeindebeitrag. Ich verstehe ja, dass es notwendig ist. Aber immer wieder kommt diese Frage auf: Reicht es für die Gemeinde? Klar reicht es nie, gerade in unserer Gemeinde! Aber ich habe eben auch nur begrenzte Möglichkeiten! Ach, nach solchen Predigten habe ich immer ein blödes Gefühl. Als hätte ich falsche Wertigkeiten, nur weil ich mein Geld auch noch für anderes ausgebe als nur für die Gemeinde.“
Marion nickte zustimmend. „Genau. Ich muss schon noch darauf achten, auch selber über die Runden zu kommen. Jeden Monat ist es knapp bei mir. Trotzdem gebe ich der Gemeinde Geld – mir ist schon klar, dass das eben dazu gehört. Aber trotzdem muss ich auch immer fragen: Reicht es für mich? Irgendwie wird mir immer sofort mangelnde Großzügigkeit vorgeworfen. Ich habe keine Lust mehr, mich dafür schuldig fühlen zu müssen!“
Dieses Stichwort riss Jens aus seinem Schweigen. „Ich fühle mich auch immer schuldig nach solchen Predigten. Dabei gebe auch ich meinen regelmäßigen Beitrag zur Gemeinde. Ich glaube einfach, dass Gott das von mir erwartet. Aber ich frage mich immer wieder: Reicht es für Gott? Wenn ich Gott wirklich vertrauen würde, müsste ich dann nicht wirklich radikal alles verkaufen? Und wenn ich das tun würde: Mache ich das wirklich aus Freude und Vertrauen? Oder würde ich das quasi tun, um Gott zu bestechen? Was für ein Dilemma: Wenn ich nicht alles verkaufe, habe ich mangelnden Glauben. Wenn ich überlege, alles zu verkaufen, stehe ich unter Verdacht, einem falschen Gottesbild zu folgen. Ich habe nach solchen Predigten immer das Gefühl, ein ganz schlechter Christ zu sein.“
„Na toll“, musste Doris lachen, „da sind solche Predigten ja ein Musterbeispiel an Erbauung! Das ist sicher genau das, was Jesus erreichen wollte! Da sagt Jesus in dem Text dauernd: Fürchtet euch nicht, macht euch keine Unruhe, sorgt nicht! – und nach einer Predigt darüber sind wir alle voller Furcht, Unruhe und Sorge!“
Auch Marion und Jens mussten lachen. Anschließend fielen alle drei in ratloses Schweigen.
„Na ja, vielleicht ist es halt einfach schwierig“, durchbrach Marion nach einer Weile die Stille. „Irgendwie sind wir halt doch ganz tief geprägt davon, welche Rolle Geld bei uns spielt – und damit auch in den Kirchen. Es waren ja meistens eher nicht die Anarchisten und Antikapitalisten, die in der Kirchengeschichte die Theologie geprägt haben… Und Geld und Besitz gelten halt immer noch als die Grundlagen unseres Lebens, oder? Leute mit den größten Autos und flachsten Handys benehmen sich, als würde ihnen die Welt gehören. Und wenn ich am Dienstag wieder auf’s Amt muss, habe ich jetzt schon wieder Angst vor der Schikane und der Abwertung. Was kann ich denn dafür, dass mein Vollzeit-Job nicht ausreicht, um mich und meine beiden Kinder durchzubringen? Und dabei habe ich nicht mal ein Auto.“
„Ja und, ist doch auch völlig überflüssig bei uns in der Stadt!“, fiel Jens ein. „Ich benutze längst Carsharing. Wenn ich mal ein Auto brauche, kann ich eins nutzen. Aber ein Auto HABEN muss ich dafür lange nicht mehr. Dasselbe gilt doch für Bohrmaschinen und Kinderspielzeug: Wer’s gerade braucht, soll’s benutzen, und dann wandert’s weiter zu den Nächsten, die es gerade brauchen.“
„Stimmt, das nimmt zu!“, wusste auch Doris zu berichten. „Teilen statt Haben, Tauschen statt Besitzen! Aber das wird einem echt nicht immer leicht gemacht. Vor einem Jahr musste ich mein Auto neu versichern lassen. Ich wollte natürlich, dass andere damit fahren können, wenn ich es gerade nicht brauche. Aber statt 900,- EUR im Jahr hätte das fast 1.900,- EUR im Jahr gekostet! Ich habe direkt gesagt: Danke, dann geh ich woanders hin. Wird nicht gehen, erfuhr ich dann. Eine der größten Versicherungen hatte damit mal angefangen, und jetzt machen das alle so. Ich fand das dermaßen unsinnig, dass jetzt gar keine Versicherung mehr Geld bekommt von mir. Mein Auto ist verkauft, ich mache jetzt auch Carsharing. Da muss man halt selber aktiv werden. Mittlerweile bin ich in vielen Tauschbörsen dabei. Bügelbrett gegen Waffeleisen, Kinderroller gegen Mikrowelle, Tapezieren gegen Babysitten – wir tauschen alles! Die Arbeit von einem Manager ist darin nicht ‚mehr wert‘ als die von einer Tagesmutter.“
„Letztes Jahr war ich auf einer coolen Veranstaltung!“, fiel Marion ein. „Ich habe Klamotten mitgebracht, die ich nicht mehr brauche. Für jedes Kleidungsstück habe ich einen Chip bekommen. Dann wurde aus allen mitgebrachten Kleidungsstücken eine Art Kaufhaus eingerichtet. Sobald die fertig waren, gingen die Türen auf, und mit unseren Chips konnten wir sozusagen einkaufen gehen. Auch jetzt gab es wieder pro Chip ein Kleidungsstück, ganz unabhängig von der Marke und allem.“
„Hm,“ dachte Jens laut nach, „irgendwie ist das ja schon gut alles. Jedenfalls besser, als wenn wir immer alles haben und besitzen müssen. Aber letztlich bewegen wir uns auch damit doch immer noch voll im Konsum und im Nutzendenken. Auch in einer Tauschbörse hat nur das und der einen Wert für mich, wenn ich mir davon etwas für meine eigenen Bedürfnisse verspreche.“
„Stimmt.“ Marion dachte direkt nochmal an ihre Klamottenparty: „Und nur, wer viele Kleidungsstücke mitgebracht hat, konnte auch viele Kleidungsstücke mitnehmen.“
„Das geht ja noch weiter“, fiel Doris auf. „Selbst die Bettler bekommen nicht mehr einfach so ein bisschen Geld, auch sie müssen jetzt mindestens Obadachlosenzeitschriften verkaufen. Selbst da meinen wir noch, das Leistungsprinzip erzieherisch einbringen zu müssen. Nur dann gehen wir zufrieden weiter.“
„Das ist das eine“, warf Marion ein, „aber es gibt noch was ganz anderes, was uns da so zufrieden macht: Neulich habe ich gelesen, dass beim Geben dieselbe Hirnaktivität ausgelöst wird wie bei einem Lottogewinn! Also, ein Lottogewinn löst dasselbe Gefühl aus wie Spenden geben! Oder umgekehrt: Wenn du dasselbe Glück erleben willst wie bei einem Lottogewinn, dann spende!“
„Naja“, fand Doris, „ich spende also nur, damit ich selber zufrieden bin? Na, das ist natürlich auch mal ein tolles Tauschgeschäft…. “
Jens runzelte die Stirn. „Also ist mein Glaube doch auch letztlich nur ein Tauschgeschäft, wenn ich mir von Gott die Erfüllung meiner Bedürfnisse und meine eigene Zufriedenheit verspreche?…“
„Siehst du, da haben die Pastoren doch gar nicht so Unrecht, wenn sie deinen Gemeindebeitrag nicht als Bestechungsgeld einreihen wollen!,“ stubste Marion Jens lachend in die Seite.
Aber Jens war noch nicht fertig: „Warte mal, das geht doch noch weiter. Also mal angenommen, wir und die Kirchengeschichte kommen aus Generationen, in denen Haben noch wichtig war. ‚Mein Haus, mein Auto, meine Frau.‘ War ja naheliegend, dass solche Männer auch Gott so sehen: ‚Mein Gott‘, ‚meine Gemeinde‘, ‚mein Glaube‘. Sagen wir ja auch oft: Wir ‚haben‘ Glauben.
Und ist es nicht so: genau so handeln wir auch. Wie Besitzende. Besitz schafft Macht und Einfluss. Wir ‚haben‘ den ‚richtigen‘ Glauben, und wir schaffen die Zugangsvoraussetzungen. Nur wer auch den ‚richtigen‘ Glauben ‚hat‘, darf Teil unserer Gemeinschaft sein. Wenn Kollekten und Gemeindebeiträge Teil eines solchen Denkens sind, wundert mich nicht, warum wir uns dabei so blöd fühlen!“
Marion nahm den Gedanken auf: „Und du meinst, auch die Erfahrung von Teilen statt Haben können wir auf unser Glaubensleben übertragen? Wenn wir insgesamt so drauf wären, lieber in der Gemeinschaft zu teilen als etwas nur für uns zu besitzen, hätte das Konsequenzen für unser Leben als Gemeinde? Wie sähe das aus? Gottes Liebe würde dann immer da zur Verfügung stehen, wo sie gebraucht wird – statt gebunden zu sein an die ‚richtige‘ Gemeinde mit den ‚richtigen‘ Christen, die den ‚richtigen‘ Glauben ‚haben‘?“
Doris hatte den beiden in Ruhe zugehört. „Ja, aber wie Jens eben schon sagte: Auch da müssen wir aufpassen, nicht doch im Tauschgedanken hängenzubleiben. Wenn wir nur nett zu jemandem sind, damit der hinterher Christ wird, sind wir immer noch im Tauschen. Das hat mehr von Verwertung statt Wertschätzung. Da ist jemand unsere Aufmerksamkeit nur wert, weil er hoffentlich irgendwann das tut, was wir von ihm wollen. Und wir merken gar nicht, dass wir damit unser eigenes Gottesbild verraten. Dann sind auch wir nämlich immer noch bei dem Gott, der auch zu uns nur nett ist, solange wir tun, was er will. Dann haben auch wir nicht deswegen einen Wert bei Gott, weil wir so wertvoll sind, sondern weil unser Handeln so gut verwertbar ist. Nicht ich bin bei Gott wertgeschätzt, sondern mein Kollektenbeitrag!“
„Da siehst du mal, wie vergiftet unser gesamtes Denken manchmal ist“, stöhnte Jens. „Wenn Gott nur gut zu mir ist, wenn ich gut handele – natürlich muss ich dann immer in Sorge sein, dass es nicht reichen könnte. Und dann ist es egal, ob es für mich nicht reicht oder für die Gemeinde oder für Gott.“
„Hm“, sagte Doris. „Wenn Gott MICH liebt und nicht mein Tun, dann sieht tatsächlich alles ganz anders aus. Dann kann ich auch meinen kleinen Gemeindebeitrag leisten und gewiss sein, dass es reichen wird. Wie bei der Witwe, die den letzten Cent gibt und daneben steht der Reiche, der nur von seinem Überfluss abgibt. Gott weiß den Cent der Witwe zu schätzen und sagt eben nicht: ‚Liebe Witwe, so wenig, wie du gibst, hast du leider auch nur wenig Bedeutung in meinem Reich.‘
In Gottes Augen kann ich gar nicht ‚zu wenig‘ geben. Warum sollte ich mir darüber Sorgen machen, ob es reicht? Von wegen, es ist nie genug. Andersherum ist es richtig: Es ist nie zu wenig! So gesehen investiere ich mit meinem Gemeindebeitrag gerne in eine Gemeinschaft, in der wir das Reich Gottes mitgestalten!“
Marion schloss sich an. „Wenn es nie zu wenig ist in Gottes Reich, dann gilt das doch auch für mich persönlich. Egal, wie viel oder wie wenig ich der Gemeinde gebe oder für mich behalte: Von der Größe meiner Sorgen ist noch niemand satt geworden.“ Marion verstummte kurz. “Was natürlich nicht heißt, dass alle Menschen, die verhungern, von Gott verlassen sind. Es sind Menschen, von denen Verhungernde verlassen sind! Da investiere ich mit meinen Gemeindebeitrag doch gerne in eine Gemeinschaft, die von gemeinschaftlichem Für-Sorgen statt von individuellem Sich-Sorgen geprägt ist.“
Jens atmete tief durch. „Puh, also wenn ich mal davon ausgehe, dass Gott wirklich mich liebt und nicht bloß meine Gaben, dann finde ich das ehrlich gesagt immer noch ganz schön schwer. Wie sieht’s denn umgekehrt aus: Was verbindet mich mit Gott? Frage ich meinerseits nicht ständig nach Gottes Gaben statt nach Gott, ‚einfach so‘? Bin ich damit kleingläubig? Liebt Gott mich jetzt weniger? ‚Reicht‘ mein Glaube für Gott? Wenn ich Gott nicht lieben kann, liebt Gott mich trotzdem?
Ich MÖCHTE ja nach dem Reich Gottes trachten! Aber wie soll ich dahin kommen?
Wenn Jesus sagt, dass Gott auch die Kleingläubigen kleiden wird, dann sollte mich das doch von all dem Druck befreien! – OK. Also wenn Jesus sagt, dass mein Herz da sein wird, wo meine Schätze sind – dann bringe ich jetzt mal meine Schätze ins Spiel:
Ja, ich möchte in eine Gemeinde investieren, in der ich Gemeinschaft erleben kann, die nicht vom Abchecken auf gute Tauschgeschäfte geprägt ist.
Ja, ich möchte in eine Gemeinde investieren, in der Gottes Großzügigkeit nicht nur denen gilt, die selber großzügig sind.
Ja, ich möchte in eine Gemeinde investieren, die mich befreit aus der Abhängigkeit von Aussehen und Ansehen, von Einkommen und Einfluss, von Beschenken und Bedeutung.
Natürlich wird es ‚für Gott reichen‘ – denn Gott schenkt frei von solchen Abhängigkeiten und Gegenleistungen.“
Doris, Marion und Jens sahen einander an. Sie fühlten, dass sie in dieser Gemeinschaft nicht mit Geld Anteilscheine kaufen mussten, um Anteilnahme erfahren und gestalten zu können.
Damit fühlten sie sich nicht sofort von allen Sorgen befreit. Aber in so einer Gemeinschaft brauchte ihnen niemand ein schlechtes Gewissen einzureden oder mangelndes Vertrauen zu unterstellen oder falsche Werte vorzuwerfen. Der Zuspruch Jesu war wichtiger als alle entmutigenden Predigten. Mit all dem, was sie an Problemen und Sorgen mit sich herumschleppten, bauten sie doch immerhin gemeinsam an einer Gemeinschaft, die tief geprägt war von der Liebe Gottes.
Wie sollten sie denn erleben, dass nicht alles vom Geld abhing, wenn sie es nicht wenigstens in diesem Rahmen mal miteinander versuchten?
Wie sollten sie denn zum Schenken frei werden, wenn sie nicht wenigstens hier mal schenken konnten, ohne dass Dankbarkeit oder Beliebtheit oder Existenzsicherung als Gegenleistung die Folge waren?
Doris, Marion und Jens wurde bewusst, dass sie dazu beitrugen, dass dieses Reich Gottes für sie selbst und für andere ganz nahe herbei kam.
Ein bisschen stolz und ganz erfüllt gingen sie ihrer Wege. So stolz und so erfüllt hatten sie ihre Gemeindebeiträge noch nie gezahlt.
Schlage deinem Sorgen heute ein Schnippchen!
Bist du von der Sorge gefangen, dass es nie reicht für dich?
Dann gib heute mal mehr, als deine Sorge dir einredet…
… und erlebe, dass das Leben weitergeht :)
Bist du von der Sorge gefangen, dass es nie reicht für Gott?
Dann gib heute mal weniger, als deine Sorge dir einredet…
… und erlebe, dass das Leben weitergeht :)